Ideologie und Wissenschaft
Konrad Lorenz und die Vergleichende Verhaltensforschung

von
Mary Kreutzer

11/02
 
 
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Erst vor kurzem wurde in der Geschichtsschreibung der Wissenschaften damit begonnen, die Darstellungen eines Niedergangs der Wissenschaften im Nationalsozialismus im Sinne einer Dominanz von pseudowissenschaftlichen Ansätzen zu bezweifeln. Wissenschaft ist nicht per se "gut", "rein", "moralisch", und vor allem ist sie nicht ideologiefrei.

Anhand von verschiedenen Biographien wurde die aktive Teilnahme von WissenschaftlerInnen aller Bereiche am nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug gegen Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti, Geisteskranke und Homosexuelle aufgezeigt. Der Mythos von Rasseeigenschaften und Erblichkeit, mit dem sie diese Verbrechen wissenschaftlich zu begründen suchten, mußte ihnen nicht von den Nazis aufgezwungen werden. Sie selbst drängten sich im Namen wissenschaftlicher Objektivität in die obersten Ränge der Universitäten und der Forschungseinrichtungen. Es kam zu keinem "Mißbrauch" der Wissenschaft durch den Nazionalsozialismus, vielmehr suchten die meisten WissenschaftlerInnen aktiv nach verschiedensten Formen von Kollaboration und Verflechtungen mit dem System.1 Die Konstruktion des "Mißbrauchs" ist analog zur Schuldabweisformel "Hitler benutzte das deutsche Volk" zu sehen. Wissenschaft und Technik sind keine in ihrem Wesen apolitische, wertneutrale Instrumente oder Werkzeuge.

Konrad Lorenz wurde 1903 in Altenberg bei Wien geboren und starb dort 1989. Seine Arbeit "Über den Begriff der Instinkthandlung" (1937) gilt als Beginn der Vergleichenden Verhaltensforschung (Ethologie) und er erhielt 1973 für seine wissenschaftlichen Leistungen zusammen mit Karl v. Frisch und Nikolaas Tinbergen den Nobelpreis für Medizin.
"Und ich habe mich ja auch vor aller Politik gedrückt [...] vor einer Auseinandersetzung mit den Nazis habe ich mich in sehr verächtlicher Weise gedrückt, ich hatte einfach keine Zeit dazu." 2
Der unpolitische Mensch Lorenz trat bereits 1938 der NSDAP bei und wurde darüberhinaus Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP. In Österreich, wo der Katholizismus einen großen Einfluß auf die Wissenschaftspolitik ausübte, hatte er mit der evolutionsbiologischen Ausrichtung seiner Forschung Schwierigkeiten gehabt, ankerkannt und finanziell unterstützt zu werden. Im Nationalsozialismus fand er die Unterstützung, die er brauchte. 1940 wurde er zum o.Professor und Direktor des Instituts für vergleichende Psychologie an der Universität Königsberg berufen.
In seinen unzähligen Texten aus dieser Zeit finden sich immer wieder Unterscheidungen zwischen "Vollwertigen und minderwertigen Individuen", er fordert auf zur "Ausmerzung ethisch Minderwertiger", spricht von "sozial minderwertigem Menschenmaterial", dessen "Ausmerzung jede Maßnahme legitimiert". Auch ruft er zu aktivster Stellungnahme, zu Taten, auf, auch wenn eine gewisse Hemmung unter den Naturforschern exsistiere, von den letzten großen Folgerungen zu reden.3 1981 behauptet er in einem Interview, nicht gewußt zu haben, daß mit "ausmerzen" oder "Selektion" Mord gemeint war. Er sei naiv, blöd und gutgläubig gewesen. Seit 1933 war das bevölkerungspolitische Ausmerzungskonzept grundlegender Bestandteil nazionalsozialistischer Politik gewesen. Mit dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses sollte "biologisch minderwertiges Erbgut" durch Zwangssterilisation ausgeschaltet werden. Das Ausmerzungskonzept gipfelte in der 1939 offiziell begonnenen Euthanasie und der 1941 begonnenen "Endlösung der Judenfrage".
Lorenz beteiligte sich 1942 ehrenamtlich in Posen an einer Untersuchung der "Reichsstiftung für deutsche Ostforschung" an "deutsch-polnischen Mischlingen und Polen", an deren "eignungspsychologischen und charakterologischen Wertigkeit" in hinsicht auf eine mögliche Einbürgerung. Den für nicht "einbürgerungsfähig" befundenen stand Zwangsarbeit oder die Deportation in ein Vernichtungslager bevor. Lorenz schwieg nach 1945 konsequent zu seiner Mitarbeit an diesen Untersuchungen.
Er kehrte 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Seine nationalsozialistische Vergangenheit war zu keinem Zeitpunkt Hindernis für seine folgende steile Karriere. 1961 wurde er Direktor des neuen Max Planck-Instituts für Verhaltensforschung, 1973 folgte der Nobelpreis für Medizin und eine Fülle von Veröffentlichungen, die vor allem eines zeigen: die Kontinuität seiner Forschungsinhalte. Zwar fordert er nun nicht mehr etwa die "Ausmerzung", sondern ändert in "neu-rechter" Manier seine Sprache und verpackt die selben Inhalte in ein anderes Gewand. Seine "Acht Todsünden der zivilisierten Menschheit" von 1973 seien nur als ein Beispiel von vielen erwähnt.
In den 80er Jahren engagierte er sich in der Umweltschutzbewegung. Auch für die Grünen schien weder seine Vergangenheit noch seine propagierten sozialdarwinistischen Inhalte davor abzuschrecken, an gemeinsamer Front zu kämpfen.
Nachdem sich bereits Theodora Kalikow 4 und Ute Deichmann 5 mit seinen ideologisierten Schriften und seiner Beteiligung am Nationalsozialistischen Regime beschäftigten, erschien nun ein weiteres hervorragendes Buch zu Lorenz von Klaus Taschwer und Benedikt Föger: "Die andere Seite des Spiegels. Konrad Lorenz und der Nationalsozialismus", das neue Dokumente präsentiert und eindrücklich beweist, dass Wissenschaft nie unabhängig von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu denken ist. Lorenz benützte "seine "Erkenntnisse" dafür [benützt], den nationalsozialistischen Entscheidungsträgern Hinweise zur Durchführung ihres rassenpolitischen Programms zu geben. Und er hat dieses Programm wissenschaftlich legitimiert." (S.118)

"Die andere Seite des Spiegels. Konrad Lorenz und der Nationalsozialismus"
254 Seiten, Euro 23,50 Oktober 2001
Czernin Verlag, Wien

1 Vgl.:MEHRTENS, Herbert: "Mißbrauch" Die historischeKonstruktion der Technik in Deutschland nach 1945, TU Braunsweig 1995
2 BRÜGGE, P.: Konrad Lorenz: Von der Gans aufs Ganze, in: Der Spiegel 45, 244-263 (1988).
3 LORENZ, K.: Nochmals:Systematik und Entwicklungsgedanke im Unterricht. In: "Der Biologe: Monatszeitschrift des Deutschen Biologen-Vrbandes."1 / 2 (1940).
4 KALIKOW J., Theodora: Die ethologische Theorie von Konrad Lorenz: Erklärung und Ideologie, 1938 bis 1943.In: MEHRTENS Herbert und RICHTER Steffen (Hrsg.) Naturwissenschaft, Technik und NS-Ideologie.Frankfurt 1980, S. 189 - 214.
5 DEICHMANN, Ute: Biologen unter Hitler. Portrait einer Wissenschaft im NS-Staat. Frankfurt am Main, überarbeitete und erweiterte Ausgabe, 1995.

Editorische Anmerkungen

Mary Kreutzers Artikel "Ideologie und Wissenschaft. Konrad Lorenz und die Vergleichende Verhaltensforschung" wurde in Context XXI www.contextxxi.mediaweb.at  veröffentlicht und zwar im Heft Nr. 7-8/2001