Der blinde Fleck der feministischen Theorie
von Rolf-Dieter Missbach
11/02
trend
onlinezeitungBriefe oder Artikel info@trend.partisan.net ODER per Snail: trend c/o Anti-Quariat 610610 Postfach 10937 Berlin Auch wenn die Geschichte der Feministin Gerda Lerner in ihrem Buch "Die Entstehung des
Patriachats" gut und richtig finde, bedeutet es nicht, dass es meine eigene Erfahrung, mein subjektives Empfinden und die empirische Wirklichkeit widerspiegelt.Denn bisher war es so, das der Mann als der Unterdrücker und Ausbeuter der Frauen galt, ganz im Sinne eines populären Feminismus, der das Patriarchat als geschichtlichen Gegenstand und die gesellschaftliche Wirklichkeit um den Kampf der Differenzen zum Mann, d.h. die Klassengesellschaft zwischen den Geschlechtern, zum Ausdruck brachte.
Aber was die feministisch Theorie und Praxis unterschlägt, und nicht in ihrer Theorie mit einbezieht, ist die Tatsache, das die Frauen genauso ihre Kinder zurichten, "Kinder geraten oft zu Symbolen, an denen sich die Mutter/Erzieherinnen stellvertretend für den Mann, die Welt oder dergleichen rächt". ( M.Creydt: "Frauen als moralische Sieger". )
Was ich thematisieren möchte ist, dass die gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse nicht nur
den Männern zuzuschreiben sind, sondern auch aus den Frauen entspringen und hervor gehen und als "blinder Fleck" der feministischen Theorie vernachlässigt werden. Dass die Familie bei Creydt als Ausgangspunkt für einen theoretischen Einstieg genommen wird, ist richtig und die pathologische Zurichtung wird somit begreifbar beschreiben. Aber was fehlt ist, dass es noch andere Formen der Vergesellschaftung gibt, die in keiner familiären Weise ihre Bedeutung haben, und losgelöst aus diesen Banner existieren.Obwohl meine Sozialisation in einer kaputten klein-bürgerlichen Familie begann, war sie doch nicht der Abrichtungsort, der entscheidend auf mich Einfluss nahm. Sondern es war der Staatsapparat in Form einer institutionalisierten Machtstruktur, ein Kinder u. Jugendknast, wo Kinder und Jugendliche weggesperrt von der Öffentlichkeit als Fürsorgezögling in Erziehungsheimen untergebracht wurden. Dies erinnert es mich an alle Frauen, die in meiner Kindheit und Jugend ihre Gewalt in jeder Form gegen mich angewandt haben, an die frühe Mutter(liebe?) eine seltsame Mischung aus Gewalt, Verachtung, Altruismus, Unaufrichtigkeit, und Zynismus und die Heimerzieherinnen.
Bis zu meinen 14. Lebensjahr wurde ich ausschließlich von Frauen (Erzieherinnen) erzogen, und das war das, was mich damals am meisten geprägt hat. Ohne geschichtliche Kenntnisse bzw. einen Begriff über das Patriarchat und die kapitalistische Klassengesellschaft gehabt zu haben, gehorcht man blind den Verhältnissen ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, wie es in der bürgerlichen Gesellschaft der üblich ist.
Der Feminismus verschweigt bzw. lässt unerwähnt, ".. dass Frauen ebenso wie Männer andere Menschen für sich instrumentalisieren." Gewalt wird allein den Männern zugeschrieben, als ob nicht "Frauen in dem Bereich, in dem sie körperlich überlegen sind und über Macht verfügen - im Verhältnis zu ihren Kindern oder fremden Kindern nämlich - in sehr viel höherem Maße zu Gewalttaten neigen". ( Welche Veröffentlichungen gibt es über Erziehungsheime wo Frauengewalt an Kindern und Jugendlichen beschrieben werden? )." Die empirisch sichtbare ›größere Friedfertigkeit‹ der Frauen kommt möglicherweise nur dadurch zustande, daß viele Frauen in zutreffender Einschätzung ihrer Kräfte auf die Anwendung körperlicher Gewalt verzichten, sofern sie es mit einem körperlich überlegenen Gegner zu tun haben. ... Der hohe Anteil von Frauen an Fällen von Kindesmisshandlung ist meines Wissens in der feministischen Diskussion kaum zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht worden" ( M.Creydt; "Frauen als moralische Sieger").
Dies deckt sich mit meinen subjektiven Erfahrungen. Erfahrungen, die der Feminismus niemals in seiner Theorie erwähnt und wo man statt dessen den Frauen geringere Gewaltbereitschaft einräumt, was überhaupt nicht der Wahrheit entspricht. Frauen sind genauso gewaltbereit, macht- und karrieresüchtig und gehen über Leichen und instrumentalisieren Menschen für sich, um ihre Ziel zu erreichen!
Ich ziehe keineswegs im Zweifel, dass es sich immer noch heute um eine patriarchalisch-kapitalistische Gesellschaftsordnung handelt, aber alle Theorien sind grau, wenn sie nicht in der Lage sind, die Ausbeutung und Unterdrückung in den zwischenmenschlichen Beziehungen zu analysieren, aufzudecken, und dass die Frauen auch Despoten und Vernichter seien können. Hier lasse ich die abstrakte Gewalt der Ware- und Geldbeziehung als gesellschaftliches Ganzes für ein Moment beiseite, und gehe in das Verhältnis des Unmittelbaren, in den subjektiven Bereich, und spiegele meine eigenen Erfahrungen im Mikrokosmos wieder.
Denn hier sehe ich meine eigene Fähigkeit und Unfähigkeit zuerkennen, wie zerrissen und irrational die zwischenmenschlichen Beziehungen sind, und weshalb ich mich immer auf Distanz dazu bewegte, weil dahinter der größte Schmerz, die Erniedrigung lag.
D.h. dass die Entfremdung eines Menschen außerhalb der Familie noch viel größer ist, als die in der Familie. Denn die Subjekt-Subjekt Beziehung Mutter und Kind ist in dem Fall einer Heimerziehung als Kontroll- und Objektbeziehung völlig anders Konstruiert und bedeutet eine verschärftere Bindungslosigkeit und Entfremdung des Menschen. Diskriminierung und Vorverurteilung sind hier größer, denn als Heimkind und Fürsorgezögling wird man ausgegrenzt, und man erscheint als gefährlich-kriminell für die Öffentlichkeit.
Die Fürsorge-Erzieherinnen haben es mit unwissenden, unmündigen und abhängigen Kindern zu tun, die wegen der Unfähigkeit der Eltern in die neue Abhängigkeit des staatlichen Jugendamtes, ins Heim deportiert werden. Auf den Kinder und Jugendlichen lastet der ganz gesellschaftliche Widerspruch, dass sie in Form der moralischen Mitschuld als Täter für ihr eigenes Schicksal verantwortlich gemacht werden.
Dass die Gewalt der Frauen in allen Bereichen des Lebens, ob öffentlich oder privat, täglich geschieht, sieht man z.B. an Krankenschwestern, die ihre Patienten ermprden. "Die Zahlen über den Anteil von Frauen als Täterinnen schwanken in der Literatur zwischen 40 und 70%. In der Kriminalstatistik der alten BRD wird ihr Anteil für 1990 mit 38,2 % angegeben" (M.Creydt:"Frauen als moralische Sieger). Das zeigt, dass die Diskussion ohne diese gesellschaftlichen Zusammenhänge von der Gewalt der Frauen unvollständig bleibt, und dass es auch Männer gibt, die von ihren Frauen geschlagen und physisch und psychisch misshandelt werden, weil sie körperlich oder geistig dem Mann überlegen sind. Das ist ein Tabu-Thema, worüber in der feministischen Theorie nicht gesprochen wird.
Es müssen alle Gewaltverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft in der zwischenmenschlichen Beziehung sichtbar gemacht und aufgezeigt werden. Dabei sollte der Feminismus auch auf den zugeteilten moralischen Heiligenschein in der Familie verzichten, sich in den Sphären aus kennen, die außerhalb der Familie(n) liegen, und nicht immer ihre "historische Unschuld" als Opfer ohne Souveränität notorisch artikulieren.
Editorische Anmerkung
Zu Meinhard Creydts Artikel erhielten wir eine Reihe zustimmender Zuschriften, in denen sich die SchreiberInnen gerade nicht nur rein theoretisch sondern auch sehr persönlich mit Creydts Thesen auseinandersetzten. Rolf-Dieter Missbach gab uns die Erlaubnis zum Abdruck seiner Zuschrift.