Zur gegenwärtigen Politik von ATTAC
eine kritische Bilanz

von Rolf-Dieter Missbach
11/02
 
 
trend
onlinezeitung
Briefe oder Artikel info@trend.partisan.net ODER per Snail: trend c/o Anti-Quariat 610610 Postfach 10937 Berlin

In einem Manifest der Globalisierungsgegner heißt es, "Globalisierung ist der neuste Name in der Geschichte der Verbrechen, wie man Privilegien und Reichtümer aufhäuft und Elend und Hoffnungslosigkeit demokratisiert." Dagegen müssten wir die "Internationale der Hoffnung" mobilisieren.  In diesem Sinne erzeugt die Globalisierung in gewisser Weise ihre eigene bunte, gegensätzliche Gegnerschaft: Anarchisten, Gewerkschaftler, Neonationalisten, Umweltschützer, Arbeitslose, Kleinunternehmer, Lehrer, Studenten, Feministen, Professoren, Priester, Kommunisten, Faschisten, Ultraorthodoxe und Islamisten, alle sitzen im gleichen Boot, und rudern gegen den Sturm der Globalisierung, gegen die kapitalistische Privatisierung , gegen Neoliberalismus.

Die deutsche Friedensbewegung ist Beispiel genug, ein Konglomerat nationaler Friedensstifter, das eine bunte Mischung von Einzelnpersonen bis hin zu Gruppen und Organisationen bereit hält. Selbst die radikale Linke ist ein Teil des nationalen Taumels, zelebriert die Heuchelei und verliert Stück für Stück ihre einst materialistisch-emanzipatorische Geschichte.

Es lässt sich gegenwärtig aus Erfahrung sagen, dass es einen Teil der alten Linken gibt, der seine neue Heimat bei den Hoffnungsträgern der Gruppe ATTAC, in der Anti-Globalisierungs- und Protestbewegung gefunden hat. Jedem, der noch ein Funke Verstand in sich trägt, müsste ernsthaft auffallen, dass es unmöglich ist, eine "gerechte Welt" zu schaffen, die auf totalitären bürgerlichen Verkehrsformen beruht, d.h. dass es eine historisch-geschichtliche Wirklichkeit gibt, die unverstanden bleibt, wenn nicht der Kapitalismus selber als Ursache und antagonistischer Widerspruch erkannt wird.

Wie soll es in einer Klassengesellschaft Gerechtigkeit und Fairness geben können, wo die Konkurrenz der treibende Motor ist und die Geschichte bestimmt, wo der Mensch in der Konkurrenz sein Menschsein entfremdet, sein Gattungswesen verleugnet und barbarische Zustände herstellt, die jeden, der in dieser Leistung- und Profitwirtschaft nicht in der Lage ist mitzuhalten, vernichtet?

Es zeigt sich, dass der Begriff und die Kritik an der bürgerlichen Arbeit immanent bleiben, wenn der Verwertungsprozess nicht "als Einheit von Arbeitsprozess und Verwertungsprozess" dargestellt. Wenn nicht zugleich herausgearbeitet wird, dass die Form der Warenproduktion diese Gesellschaft bestimmt, worin die Verdopplung in Ware und Geld als organisierte Gewalt erscheint.

Die Bourgeoisie und ihren bürgerlichen Parteien bis hin zu den Gewerkschaften haben kein Interesse daran, dass die Lohnabhängigen nicht mehr Lohnsklaven sein wollen. Sie halten sie ständig in Unruhe und Angst, vernichten ihre Existenz, berauben und enteignen sie, drücken ihren Lohn unterhalb des Existenzminimum, damit das Kapital weiter akkumulieren bzw. den tendenziellen Fall der Profitrate (die Krise ) aufhalten kann.

Wie soll der Widerspruch aufgehoben werden, wenn man die kapitalistische Gesellschaft nicht revolutionär aufhebt und nicht möchte, dass die Gesellschaft damit auf ein menschlich-emanzipatives Niveau gestellt wird? Indem man nämlich dadurch beweist, dass der Kapitalismus endlich ist, bevor er uns selbst-zerstörerisch aufhebt.

Was bedeutet die Anarchie innerhalb der gesellschaftlich-kapitalistischen Produktion, die sich blind als ein verkehrtes versachlichtes Produktionsverhältnis durchsetzt, und sachliche Gewalt über uns ausübt, in Form der Verdinglichung bzw. Entfremdung?

Das alles ist soweit ich weiß, nicht Gegenstand der Diskussion bei ATTAC. Deren Option ist die bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse als Dompteur zu bändigen. Um diesen Reformismus
zu verbreiten, predigen sie wie die Pfaffen das Himmelreich, nur mit dem Unterschied, dass sie die Wolkenbildung in das irdische Dasein verlagern wollen, um die Seele in der pervertierten Destruktivität der bürgerlichen Wirklichkeit zu begraben. Sie scheuen, wie der Teufel das Weihwasser und nehmen nicht in Anspruch, hinter den Schein zu schauen, aus dem sich die deutsche antisemitisch-philofaschistische und kapitalistische Realität immer wieder neu speist, reproduziert und die Menschen in Abhängigkeit hält. Sie verleugnen den Gedanken der Revolution, weil es ihnen Angst macht, diese erbärmlichen Verhältnisse umzustürzen, die Bourgeoisie(en) zu entmachten, um wirklich eine neue Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung aufzubauen.

Ist es möglich, dass sie selber nur Modernisierer im Erneuerungsprozess der kapitalistischen Gesellschaft sein wollen? Stellen sie sich deshalb an der Spitze aller linken politischen Aktivitäten, um so die gesellschaftlichen Widersprüche, die der einzelne Mensch mit dieser Realität hat, kontrollieren zu können?

Der außerparlamentarisch-sozialdemokratische Konsens von ATTAC verbreitet in vielen Menschen eine Hoffnung, dass eine Veränderung der jetzigen Lebensverhältnisse möglich sei. Man versucht moralisch voluntaristisch den Frühmaterialisten wie Owen (Genossenschaftsmodell) gleich "einen Kapitalismus mit humanem Anlitz" fordern. Damit bewegt sich ATTAC direkt auf dem Feld der Sozialdemokratie und des von ihnen gehuldigten John M: Keynes, der in der politökonomischen Tradition von Proudhon und Gesell gesehen werden muss.

ATTAC und Co sagen Ja zur kapitalistischen Warenproduktion, aber nein zur Zins- und Geld(kredit)wirtschaft, weil sie den Zusammenhang von Kapitalakkumulation, Markt und Geld (sowie den Kredit als vorgeschossenes Kapital zur Produktionausdehnung) nicht sehen. Ihre Argumentation basiert auf der Hinwendung zur Romantik der überschaubaren und "guten" Gebrauchswertproduktion.

An diese Ideologie knüpfte Gottfried Feder, führender Naziideologe, der 1918 den "Deutschen Kampfbund zur Brechung der Zinsknechtschaft" gründete, mit dem Vorwurf an die Hochfinanz an und behauptete, dass diese für Inflation und wirtschaftliches Chaos verantwortlich sei. Dementsprechend wurden die NSDAP bzw. der deutsche Nationalsozialismus lobend von J.M.Keynes in der Einleitung zu seinem Hauptwerk "General Theory" erwähnt.

Welche Theorie und welchen Begriff hat ATTAC von den gesellschaftlichen Zusammenhängen, was versteckt sich hinter ihrer politischen Auffassung über den heutigen Kapitalismus?

Ist es nicht merkwürdig, wenn Peter Wahl (Fürsprecher von ATTAC) leugnen kann, dass es heute keine weltweite Rezession auf Grund einer Überakkumulationkrise des Kapitals gibt? Oder dass der Bremer Ökonomieprofesser Jörg Huffschmidt die Auffassung vertritt, dass das "wesentliche Problem moderner kapitalistischer Systeme" in der "ständigen Produktion eines Kapitalüberschusses" läge, "der wegen unzureichenden Binnennachfrage nicht mehr rentabel investiert werden kann".

Warum glaubt der Professor plötzlich an eine Lethargie nationaler Autarkie, d.h. wirtschaftliche Unabhängigkeit, statt, wie bei ATTAC doch üblich, gegen die "Globale Ungerechtigkeit" zu sein?
Das diese Position gefährlich ist, zu einem Einfallstor für nationale Gruppen werden kann, die die Globalisierung aufgrund der Krise der Nationalökonomie kritisieren, scheint den Professor erst einmal nicht zu kümmern.

Indem ATTAC die Geldspekulation des Geldkapitals bzw. der Steuerpolitik auf der Fetischoberfläche anprangert und den Verblendungszusammenhang der kapitalistischen Wirtschaftsweise personifiziert, wird verhindert, dass die kapitalistische Ökonomie im geschichtlichen Gesamtzusammenhang, d.h. aus ihrem inneren Widerspruch heraus aufgedeckt wird!

Aber dieser Binnennachfragesozialismus und Kleinkrämerkommunismus wurden bekanntlich schon im "Kommunistischen Manifest" und pointiert im Kapitel als "Bourgeoisiesozialismus" als "Der deutsche oder der "wahre" Sozialismus" dargestellt:

"Es proklamierte die deutsche Nation als die normale Nation und den deutschen Spiessbürger als den Normalmenschen. Er gab jeder Niedertracht desselben einen verborgenen, höheren, sozialistischen Sinn, worin sie ihr Gegenteil bedeutete. Er zog die letzte Konsequenz, indem er direkt gegen die "rohdestruktive" Richtung des Kommunismus auftrat und seine unparteiische Erhabenheit über alle Klassenkämpfe verkündet. (...) Sein entsprechenden Ausdruck erreichte der Bourgeoisiesozialismus erst da, wo er bloss rednerische Figur wird.
Freier Handel! Im Intresse der arbeitenden Klasse;Schutzzölle! Im Intresse der arbeitenden Klasse; Zellengefängnisse! Im Intresse der arbeitenden Klasse. Der Sozialismus der Bourgeoisie besteht ebend in der Behauptung, dass die Bourgeoisie Bourgeoisie sind-im Intresse der arbeitenden Klasse."

Hat die Bourgeoisie es nicht immer vermocht, die Menschen hinters Licht zu führen und ihnen Pazifismus und Reformismus zu predigen?
 

Editorische Anmerkungen

Rolf Dieter Missbach überließ uns seinen Artikel im November 2002 zur Veröffentlichung. Kritische Stellungnahmen zu dieser Bilanz sind vom Autor ausdrücklich erwünscht.