Dichtung und Wahrheit - Nr. 5
Lug und Trug statt Wahrheit und Klarheit
Die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe 
Hrg. v. Donnerstagskreis in der Berliner SPD

11/03
 
 
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Die Wahrheit ist das Ganze - J.W.G. Hegel

A. Der Weg in die Privatisierung 

Am 29.10.1999 machte das Abgeordnetenhaus von Berlin einen gefährlichen Weg frei: 

Die damalige Finanzsenatorin Anette Fugmann-Heesing unterzeichnete wenige Minuten nach der Abstimmung einer "Resolu-tion" im Parlament einen Vertrag zwischen dem Land Berlin und einem Bieterkonsortium. RWE, Allianz und der französische Konzern Vivendi erwarben dadurch einen Anteil von 49,9 % an den Berliner Wasserbetrieben. Schon damals haben auch Parlamentarierinnen und Parlamentarier der Regierungsfraktionen CDU und SPD mit der Opposition aus PDS und Grünen gegen diese Resolution gestimmt. Da mit dem Vertrag auch die Ge-schäftsführung de facto in die Hände der Privaten gegeben wurde, erschien ihnen das Risiko für die Kunden - alle Berlinerinnen und Berliner - zu groß.

Die Mehrheit der SPD glaubte dagegen den Versprechungen ihres Fraktionsversitzenden Klaus Böger und den Zusicherun-gen ihrer Finanzsenatorin Anette Fugmann-Heesing. Sie ver-trauten darauf, dass der Senat auch im Vertrag mit den Privaten die Bedingungen erfüllen würde, unter denen der Verfassungsgerichtshof die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe gestattete.

Die nachfolgende Gegenüberstellung zeigt an Beispielen auf, wie die Abgeordneten damals getäuscht wurden.

Wer 1999 zustimmte, der könnte sich heute darauf berufen, hintergangen worden zu sein. Wer jetzt einer Änderung des Teilprivatisierungsgesetzes zustimmt, die zu Lasten Berlins und seiner Bevölkerung die Rendite der Privaten erhöht, muss wissen, dass er das Volk betrügt.

B. Was Anette Fugmann-Heesing und Klaus Böger ver-sprachen

Anette Fugmann-Heesing hatte einen Tag vor der Abstimmung und Vertragsunterzeichnung in der SPD-Fraktion - als Tischvorlage - ein "Argumentationspapier" verteilt. Damit wollte sie Be-denken zerstreuen. 

Eine Woche zuvor hatte nämlich der Verfassungsgerichtshof Berlin Teile des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt, andere nur dann für verfassungsgemäß, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt würden. Ob diese Bedingungen in dem (Konsortial-) Ver-trag, den Anette Fugmann-Heesing unterzeichnete, tatsächlich erfüllt waren, konnten die Mitglieder des Parlaments nicht wis-sen. Viele wollten glauben, was man ihnen versprach. 

1. Behauptung 

Der Verfassungsgerichtshof, sagte Anette Fugmann-Heesing, habe das Gesetz in allen wesentlichen Punkten für verfas-sungsgemäß erklärt. Das Gericht habe "eindeutig bestätigt, dass die gewählte Konstruktion dem Demokratiegebot - wirk-same Kontrolle durch die öffentliche Hand - entspricht". Ähnlich äußerte sich Klaus Böger im Parlament - nur nicht so deutlich. 

- und die Wahrheit

Dies ist nur die halbe Wahrheit. Das Gericht hat von den wesentlichen Passagen des Gesetzes gesagt, sie könnten verfassungsgemäß ausgelegt werden. 
Teilweise wurden die Bedingungen erläutert, unter denen das Gesetz (gerade noch) als verfassungsgemäß bezeich-net werden könne. Ob diese Bedingungen im Konsortial-vertrag erfüllt sind, konnte vor seiner Unterzeichnung kein Abgeordneter überprüfen. Bis heute ist diese Frage entgegen den Versprechungen von Klaus Böger, dies noch 1999 zu veranlassen, nicht geklärt.

2. Behauptung

Den Vorwurf der Opposition, durch die Teilprivatisierung werde eine Beutegemeinschaft zwischen Senat und privaten Investo-ren auf dem Rücken der BerlinerInnen gebildet, wies Anette Fugmann-Heesing als falsch zurück. Durch die Teilprivatisie-rung würden auf mittlere Sicht die Gebühren sogar sinken, so-dass von einer Last der Bürger gar keine Rede sein könne.

- und die Wahrheit

Warum der Vorwurf der gemeinsamen Interessenlage von Privaten und Senat gegenüber den Nutzern falsch sei, wur-de von der Senatorin nicht begründet. Das konnte sie auch nicht. Da die Beteiligung von Privaten an öffentlichen Be-trieben die sonst unzulässige Gewinnerzielungsabsicht vertraglich festschreibt, sitzt der Senat, der 50% der Ge-winne einstreicht, zwangsläufig mit den Privaten in einem Boot, wenn es darum geht, Gewinne durch Gebührenerhö-hungen zu erzielen. 

Dass diese "notwendige Gemeinschaft" auch eine "Beute-gemeinschaft zu Lasten der Gebührenzahler" werden wür-de, war damals bereits absehbar. 

Nun wird dies zur Gewissheit: 

Die Preise sollen für die Verbraucher zum 1.1.2004 um 15 % steigen. Weitere dauerhafte Erhöhungen wurden sowohl vom Senat als auch den Privaten angekündigt. 

Dabei gelingt es nur durch einen Trick, die Erhöhung der Gebühren nicht noch viel höher ausfallen zu lassen:

Eigentlich erfordert es der den Privaten im Konsortialver-trag garantierte Gewinn, die Gebühren um 30% anzuheben. Wenn man diese Erhöhung zuließe, dann würde freilich auch dem letzten Berliner klar, das Privatisierungen zu drastischen Preissteigerungen führen. 
Um diesen Effekt, der weitere Verkäufe noch unpopulärer machen würde, zu vermeiden, beschreitet Senator Wolf ei-nen verschleiernden Weg: 

Der Senat verzichtet auf einen Großteil der dem Staat zu-stehenden Konzessionsabgabe der Wasserbetriebe. Ab 2003 sollten die Wasserbetriebe nämlich 68 Millionen € an den Berliner Haushalt zahlen. Jetzt wird darauf in Höhe von mindestens 53 Millionen € pro Jahr verzichtet, die damit im Haushalt fehlen. 

Klartext: Auch diesen Teil des Gewinns der Privaten zahlen die Berliner - und zwar die Ärmsten. Die nämlich werden durch die Kürzung der sozialen Ausgaben diesen Betrag "bezahlen".

In Wahrheit beträgt die Gebührenerhöhung also 30 %!

Darüber, dass ein Senat, der von SPD und PDS getragen wird, sich dazu versteht, die Folgen der Privatisierung zu verschleiern und dies die Ärmsten büßen lässt, mag sich jeder seine Gedanken machen. Es ist auch bedenklich, wenn selbst SPD und PDS sich scheuen, der Bevölkerung reinen Wein über die Folgen kapitalistischer Monopolwirt-schaft einzuschenken.

3. Behauptung

10 % des Verkaufserlöses werden "unverzüglich" einem Zu-kunftsfonds zugeführt, um damit "die Entwicklung innovativer Wachstumsfelder in Wissenschaft und Technologie zu fördern."

- und die Wahrheit

Dieser Zukunftsfonds, der noch in der Koalitionsvereinba-rung zwischen SPD und CDU für die Legislaturperiode 1999 bis 2004 festgeschrieben wurde, ist im Bermudadreieck des durch den Bankenskandal verursachten Fiaskos der Berliner Haushaltspolitik verschollen.

4. Behauptung

Der Vorwurf der Opposition, das Land trage die vollen finanziel-len Risiken und müsse für 28 Jahre die Gewinnansprüche ab-treten und einen Ausgleich zahlen, sei falsch. Im Gegenteil würde die Wettbewerbsfähigkeit und die Effizienz der Wasser-betriebe steigen, die Wasserpreise werden langfristig sinken, Arbeitsplätze im Unternehmen gesichert und neue geschaffen. 

- und die Wahrheit

Über die langfristig sinkenden Wasserpreise ist oben das Erforderliche gesagt. Insgesamt gingen über 2 000 Arbeits-plätze bei den Wasserbetrieben und weitere 8.000 bei den Zulieferern verloren. Die Instandhaltungskosten für Was-serversorgung und Entwässerung wurden von jährlich 500.000.000 € auf 360.000.000 € heruntergefahren. Und nun verzichtet der Senat auf die Konzessionsabgabe und zahlt damit den von der damaligen Opposition bereits befürchte-ten Ausgleich aus den öffentlichen Kassen.

5. Behauptung 
Die durch das Urteil des Verfassungsgerichts angeblich erfor-derlichen Änderungen des Teilprivatisierungsgesetzes würden "zur Zeit" (das war der 28.10.1999 ) vorbereitet und unverzüglich eingebracht.

- und die Wahrheit

Die Änderung des Teilprivatisierungsgesetzes wurde über-haupt nicht vorbereitet. Sie war - und ist - auch gar nicht erforderlich. Das hat die Normenprüfungskommission des Senats ausdrücklich bestätigt. 

Da man aber den Investoren (viel zu) viel versprochen hat-te, soll nun doch die Änderung her. Die enthält Sprengstoff. Und da hält man es für sicherer, dass sich Abgeordnete nicht zu viele Gedanken machen können. 

Deshalb hat man sich vier Jahre Zeit gelassen und auch dann, als die Vorlage längst fertig und durch Presseerklä-rungen bereits angekündigt war, hielt man sie zurück. 
So teilten die Wasserbetriebe ihren Mitarbeitern am 16.09.2003 mit, man habe sich mit dem Senat geeinigt. Nun müsse "der Gesetzentwurf noch vom Abgeordnetenhaus gebilligt werden". Widerstand wird nicht erwartet!

Erst einen Monat später, in den Herbstferien - und nur auf Druck des Donnerstagskreises - schickt die SPD - Fraktion ihren Mitgliedern die Vorlage des Senats. Ende Oktober wird darüber erstmals in der Fraktion gesprochen, Ende November soll das Gesetz beschlossen sein. 

Da die Klärung komplizierter rechtlicher und wirtschaftlicher Fragen viel länger dauert, ist klar:  Das Parlament soll überfahren werden.

6. Behauptung

Durch die Teilprivatisierung verliert das Land Berlin keinen Einfluss und keine Verantwortung.

- und die Wahrheit

Durch die Teilprivatisierung verzichtet das Land auf die Geschäftsführung. Das ist sogar Ziel dieser Teilprivatisierung gewesen. Den Privaten traute man effektiveres Wirtschaften zu. 
Ein böser Irrtum. Seit der Aufdeckung des Bankenskandals wissen wir, dass mit der Aufgabe der Geschäftsführung je-de wirksame Kontrolle aus der Hand gegeben wird. 
Den Beweis dafür haben die (teil-) privatisierten Wasserbetriebe auch sofort geliefert: Schon ein Jahr nach dem Erwerb folgt, was wie ein Ganovenstück anmutet: Mit Bilanzkosmetik, mit dem geheimnisvollen US-Investor "Global Energy", dessen En-gagement zum Kauf des SVZ "Schwarze Pumpe" sich alsbald in Luft auflöst, erreichte man enorme Gewinnausschüttungen, obgleich kein Gewinn erzielt wurde. Das Geld war nämlich nicht geflossen. Das Cayman-Geschäft zum Verkauf der IBAG im gleichen Jahr lässt grüßen.
Es ist zu hoffen, dass ein solches Geschäftsgebaren nicht auf den "unverminderten Einfluss" des Landes Berlin zurückzuführen ist.

Durch den Konsortialvertrag wird der Rest an wirklichem Einfluss aufgegeben. Dieser von Anette Fugmann-Heesing unterschriebene Vertrag, garantiert den Privaten einen (ver-fassungswidrigen) Gewinn, der unabhängig von der ge-schäftlichen Entwicklung zu zahlen ist. 

Dadurch entsteht eine Zwangslage:

Entweder macht der Senat (und das Abgeordnetenhaus) alles mit, was die Gewinne auf Kosten der Gebührenzahler erhöht, oder aber der Haushalt muss einspringen. 
Beides ist jetzt bittere Realität: Die Preise steigen um 15 % und der Haushalt verzichtet auf mindestens 50 Millionen € jährlich - wahrscheinlich sehr viel mehr. 

Für die "Investoren" ist alles zum Besten: Ihr eingebrachtes Ka-pital verzinst sich - so die Untersuchungen des Verbandes Ber-lin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen - mit 20 %. Es ist klar, was dies für die Wasserbetriebe bedeutet - und damit für den Berliner Haushalt.

Wenn das Land die Wasserbetriebe nicht verkauft hätte und die 1,58 Milliarden € als Kredit über 27 Jahre aufge-nommen hätte, dann müssten jährlich 100 Millionen € (incl. Tilgung) an die Banken gezahlt werden. 

Welch ein gutes Geschäft wäre das gewesen - im Vergleich zu dieser Veräußerung:
Das Land Berlin verzichtet auf 50% des Gewinns und auf 50 Millionen € Konzessionsabgabe, erhält weniger Steuern, der Berliner Mittelstand erhält weniger Aufträge, die Lohn-steuer aus abgebauten Arbeitsplätzen fehlt, die Sozialhilfe und das Wohngeld steigen - und wenn der Gewinn des Be-triebs noch wie geplant "disproportional" verteilt wird, dann verzichtet das Land auf weitere zweistellige Mil-lionenbeträge. 

7. Behauptung

Der Teilverkauf der Wasserbetriebe, des größten kommunalen Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsunternehmens in Europa, wurde damit begründet, dass dieser Berliner Betrieb über ein "Know-how" verfüge, das - durch einen Privaten ver-marktet - bis nach China strahlen würde. Berlin - so das Ver-sprechen - sollte internationales Zentrum der Wasserwirtschaft werden.

- und die Wahrheit

Nachdem alle überregionalen Projekte in den Sand gesetzt worden sind, erklärt der Vorstand Frank Bruckmann heute: "Die BerlinwasserGruppe vollzieht gegenwärtig die konse-quente Ausrichtung auf das Kerngeschäft. Zum anderen haben wir durch den Verkauf von Unternehmen die Berei-nigung des Wettbewerbsgeschäfts bereits eingeleitet." 
Aber auch von einem Kompetenzzentrum "Wasserwirt-schaft" ist nichts übrig geblieben. Ganze 7 (in Worten: sie-ben) Mitarbeiter arbeiten in diesem "Zentrum". 

Fazit:

Das Abgeordnetenhaus hat seine Beschlüsse in blindem Vertrauen auf Anette Fugmann-Heesing und Klaus Böger gefällt. Es ist bewusst getäuscht worden.
Anette Fugmann-Heesing wusste, was sie vereinbarte. Sie musste erkennen, dass sie ein für die Stadt verantwor-tungslos schlechtes Geschäft abschloss. Sie wusste, dass es viel besser wäre, einen Kredit aufzunehmen und damit den Schaden für das Land Berlin auf ein Minimum zu reduzieren. 

Es ging nicht um Haushaltskonsolidierung. Es ging nicht um "Überbrückung einer Durstphase bis zur Konsolidie-rung" des Haushalts. 

Es ging ausschließlich um Privatisierung um jeden Preis.

Die SPD bezahlt dies mit dem Verlust der Glaubwürdigkeit. 


Berlin, den 20.10.2003

Gerlinde Schermer - Dr. Constanze Kube - H.-G. Lorenz

Editorische Anmerkungen:

Der Text wurde uns Ende Oktober zur Veröffentlichung übersandt.