Kommunismus - à venir

von
Düsseldorfer Basisgruppe Demopunk

11/03
 
 
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Revolutionen sind vorbei und wieder ist auf Erden kein Himmelreich errichtet. Der Flug nach nirgendwo ist schon weg, Wunder und Lichtzeichen sind ausgefallen. Die Wartenden hoffen auf das Glück und andere lachen sich tot.

»Ich bin sehr sentimental und glaube an das Glück« (Derrida)

Ein Kommunismus-Begriff, der nicht hinter die Errungenschaften des Liberalismus und die Fragen der Dekonstruktion zurückfallen möchte, muß mitreflektieren, dass der Marxismus die formale Struktur einer messianischen Eschatologie aufweist. Der Kommunismus »ist das aufgelöste Rätsel der Geschichte und weiß sich als diese Lösung« (Marx); mit anderen Worten: er ist das Ende der Geschichte, der Einzug ins gelobte Land. Dementsprechend ist der Mensch das freie gesellschaftliche Individuum: frei von Entfremdung; Identität von Individuum und Gesellschaft, »die Totalität, die ideale Totalität, das subjektive Dasein der gedachten und empfundenen Gesellschaft für sich« (Marx). Genau diese Totalität, Identität und Fülle aber ist aus dekonstruktivistischer Sicht unerreichbar; die Vorstellung ihrer Erreichbarkeit ist gerade die Matrix einer metaphysischen Eschatologie.
Dekonstruktionistische AutorInnen wie Judith Butler haben gezeigt, wie das Subjekt in einem vorgängigen Diskurs konstruiert wird. Durch die Gewalt der Benennung und Anrufung werde ich schon mit dem Ausfüllen der Geburtsurkunde dem Diskurs unterworfen. Die 'Freiheit' des Subjekts ist paradoxerweise der Effekt einer Unterwerfung - ohne diese Unterwerfung unter den vorgängigen Diskurs, ohne die Aneignung der Namen und Identitätskategorien, die vom bestehenden Diskurs angeboten werden, gelange ich nicht zur sozialen Existenz, die meine einzig mögliche Existenz ist: Bedingung der (Un-)Möglichkeit meines Seins und meiner Freiheit.

Stellt sich die Frage: Was tun? Oder besser: Wie überhaupt noch handeln (können)? Und: auf welches Ziel hin handeln? Wird der Emanzipationsbegriff durch die dekonstruktivistischen Annahmen nicht entleert? Befindet sich Ich nicht in einem diskursiven Teufelskreis von Unterwerfung/Gewalt, aus dem es (zumindest auf Erden) kein Entrinnen gibt?

Ganz klar: Für wen Einheit, Versöhnung, Auflösung des Widerspruchs (daß die Rechnung am 'Ende der Geschichte' aufgeht) das Ziel ist, der muß diese Frage mit Ja beantworten. Anders sieht die Sache allerdings aus, wenn man die diskursive Formation von Identität (und ihre damit einhergehende Brüchigkeit) nicht nur als Verlust von Handlungsfreiheit versteht, sondern sie in ihrem produktiven Charakter voll anerkennt: wenn das, was ich bin, nur der Effekt einer diskursiven Konstruktion und nicht ein wie auch immer unvollkommener Ausdruck meines Wesens ist, dann rückt der Begriff der Kontingenz in den Vordergrund und das Ziel (politisch-emanzipatorischen) Handelns erscheint in einem anderen Licht. Politik, unter dem Vorzeichen der Kontingenz betrachtet, ist dann der Ort der Entscheidung auf einem grundsätzlich unentscheidbaren und unabschließbaren Terrain: vorläufige Stabilisierungen, Einschnitte im unendlichen »unmarked space« (Luhmann), die aber immer nur partielle Fixierungen sind und keine ontologischen Gegebenheiten ausdrücken. Kontingenz und Unentscheidbarkeit markieren hier nicht das Ende von Handlungsfähigkeit, Verantwortung und Emanzipation, sondern sind im Gegenteil die Voraussetzung dafür. »Emanzipation ist eine Vorstellung, zu der wir immer zu spät kommen und die uns schmerzvoll zwingt, ihre mythischen und unmöglichen Ursprünge zu raten« (Laclau).
Demokratische Politik, die sich diesem Gedanken verpflichtet fühlt, ist auf eine Zukunft gerichtet, die niemals in Gegenwart aufgeht, auf ein 'gelobtes Land', das niemals erreicht wird, auf einen »Messianismus ohne Messias« (Derrida). Unabschließbarkeit und ein »zögerndes Geöffnetsein« (Kracauer) anstelle gewaltförmiger Totalisierungen und Transformationen des Differenten in ein Selbiges verweisen hier auf ein Mehr, das nur im Paradigma eines abschließenden Er-fassens und Be-greifens als ein Weniger aufgefaßt werden kann. Dieses Mehr ist ein Versprechen: die Möglichkeit des »Nichtidentischen« (Adorno), eines »Denken des Vielleicht, das in den entscheidenden Augenblicken den Sinn stets wieder der Unentscheidbarkeit überantwortet« (Derrida) - kurz: die Möglichkeit von Freiheit. »Man muss nicht souverän sein, um moralisch zu handeln, vielmehr muss man seine Souveränität einbüßen, um menschlich zu werden« (Butler).

In diesem Sinne muß demokratische Politik unserer Ansicht nach im Dienste einer »democratie à venir« (Derrida) stehen; und ein kritischer emanzipatorischer Kommunismus-Diskurs sollte sich hierauf beziehen - eingedenk eines Kommunismus à venir. Es gibt ein Leben im Licht des kommenden Tages. Es gibt die Zukunft - à venir.

Editorische Anmerkungen:

Den (Mobilisierungs-)Text zum Kongress übernahmen wir von der Website