Osama ante portas?
Karlsruhe und die Sünde Evas - 
zum Kopftuch Fereshta Ludins

von Günter Langer

11/03
 
 
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Eine kämpferische Muslima macht Furore. Fereshta Ludin schafft es, dass sich die deutsche Öffentlichkeit über die Frage entzweit, ob sie mit Kopftuch an staatlichen Schulen unterrichten darf. Es wird darüber gestritten, inwiefern sie eine Vorbildfunktion im Sinne fundamentalistischer Glaubensbekenntnisse haben könnte, bzw. wie weit Toleranz gegenüber religiösem Verhalten einer Lehrkraft zu üben wäre. 

Fereshta Ludin ist in Afghanistan geboren, in Saudi-Arabien aufgewachsen und inzwischen deutsche Staatsangehörige. Sozialisiert worden ist sie also in einem Umfeld, in dem Osama bin Ladin zu Reichtum, Macht und später zu traurigem Ruhm gelangt ist. Ludin und Ladin bekennen sich beide zu einer orthodoxen Auslegung des Koran, beide treten für die Verhüllung der Frauen ein. 

Erhellend in diesem Zusammenhang ist die Erzählung ("Der zerrissene Schleier") Carmen bin Ladins, Osamas Schwägerin, die im Familienrahmen ihrem berühmten Verwandten in Saudi-Arabien begegnete. Obwohl der Koran das Verhüllungsgebot ausdrücklich für Angehörige ausnimmt, weigerte sich Osama die Frau seines Bruders anzuschauen. Sie musste sich vor ihm verschleiern und durfte nicht im selben Raum mit ihm verweilen. Die diesem Verhalten zugrunde liegende Koranvorschrift will die von Frauen ausgehenden sexuellen Reize vor den geilen Männerblicken schützen. Da dies nicht gleichermaßen für die Reize eines knackigen Männerarsches gilt, können wir schlussfolgern, dass Gott (Allah) von einer potentiellen Gefahr durch die Männer ausgeht, sie also für potentielle Vergewaltiger hält, Osama sich gegenüber seiner Schwägerin also unsicher fühlt, seine Triebe unter Kontrolle halten zu können. Immerhin eine Einsicht, denn ihm kann offenbar eine starke Triebhaftigkeit zugebilligt werden, hat er doch mehrere Frauen parallel geehelicht und viele Kinder gezeugt.

Halten wir fest: Ludin und Ladin haben beide ein Bild des Geschlechterverhältnisses, das nicht etwa den potentiellen Aggressor bändigen, notfalls einsperren will, sondern umgekehrt, beide sind der Auffassung, das potentielle Opfer gehöre verhüllt und aus- bzw. eingesperrt. 

Während "unsere Peacekeepers" in Afghanistan dafür sorgen sollen, dass Osama keine Frau mehr zwingen kann, die Burqa zu tragen, fordert Fereshta von uns die Toleranz, in ihrer Mini-Burqa, dem besonderen Kopftuch, unsere SchülerInnen belehren zu dürfen. Sie beruft sich ausdrücklich nicht auf irgendwelche dörflichen Traditionen, sondern auf ihre Religion: " Das Tuch ist einfach ein wichtiger Teil meiner religiösen Identität"(taz 22.9.03). Unterstützt wird sie vom "Verband Bildung und Erziehung" als auch von der "muslimischen Glaubensgemeinschaft", die ihre Prozesskosten trägt, also von zwei eher konservativen Institutionen. 

Nachdem Eva im Garten Eden auf die böse Schlange hörte, in die von Gott verbotene Frucht, den Apfel biss und Adam dazu verführte ihr gleichzutun, erkannten beide ihre Nacktheit und schämten sich. So auch Fereshta: 

"Wenn ich mich ohne Kopftuch nackt fühle, dann heißt das, es würde meine Würde kosten" (taz). Alle abrahamitischen Religionen sind von dieser Ursünde Evas geprägt, sie ist der Ausgangspunkt für die untergeordnete Rolle der Frau in den Gesellschaften, denn Gott war erbost über Evas Sündenfall und sprach: "Und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, aber er soll dein Herr sein" (Altes Testament, 1. Buch Moses, Kap. 3/16).

Unbestritten sind die frauenfeindlichen Ursprünge und Traditionen der monotheistischen Religionen, die einerseits noch nicht alle überwunden sind, andererseits aber von FundamentalistInnen als von Gott gegeben und als nicht aufhebbar betrachtet werden. Symbolisiert wird die Weigerung, sich notwendigen Veränderungen anzupassen, durch den Verweis auf die unveränderte Gültigkeit der heiligen Schriften. Im Falle des Islam ist das besonders einfach, da der Koran von den Gläubigen als unmittelbares Wort Gottes gesehen wird und dort enthaltene Verhaltensnormen als verbindlich behauptet werden. So heißt es bspw. in einer "Bescheinigung" vom 11.6.03 der "Islamischen Föderation in Berlin" (Ludins derzeitiger Arbeitgeber), der an muslimische Schülerinnen zur Vorlage an Schulen ausgegeben wird: "Nach dem islamischen Recht ist für die Frau die Bedeckung ihres Körpers und der Haare eine religiöse Pflicht. Diese Bedeckung muss, außer in der im Koran definierten Verwandtschaft, in allen Situationen und in jeder Umgebung getragen werden". Jede Abweichung vom Wortlaut des Koran kann als Sünde ausgelegt werden. Fereshta Ludin stellt sich explizit in diesen Kontext und beweist damit ein totalitäres Weltbild, selbst wenn sie im taz-Interview konzediert, dass man auch Muslima sein könne ohne das Kopftuch zu tragen. Das stimmt: "Wenn Frauen kein Kopftuch tragen, hören sie nicht auf Muslime zu sein. Sie begehen nur eine Sünde, weil sie die Gebote des Koran missachten...Nur wenn jemand behauptet, dass es keine Pflicht im Islam ist, ein Kopftuch zu tragen oder dass es so ein Gebot nicht gibt, nur dann ist er/sie kein/e Muslim/a mehr, da er/sie dann ein Gebot Gottes nicht anerkennt" (http://www.islamauskunft.de/).

PädagogInnen kennen diese Art der Argumentation. Moslemische Schülerinnen versichern zumeist, ja, vom Koran her sei das vorgeschrieben, obwohl sie selbst ihre Haare wohlgeordnet männlichen Blicken aussetzen. Einige stellen in Aussicht, eventuell nach der Heirat ebenfalls zum Tuch greifen zu wollen.

In der Diskussion kommt allerdings heraus, dass sie sich in ihrer Religion selbst nicht genau auskennen und sich stattdessen in spirituellen Fragen auf ihre Familien, Hodschas etc. verlassen. Die verhüllte Kollegin Ludin hätte in vielen Klassen leichtes Spiel, sich als ein autoritäres Exempel zur Nachahmung zu empfehlen. Es ist ihr abzunehmen, dass sie verbal nicht missionieren wolle. Ihre pure Existenz reicht dafür völlig aus. Alice Schwarzer hat Recht, wenn sie hier die Gefahr einer patriarchalischen Konterrevolution wittert.

Der Hinweis einiger MultikulturistInnen auf das Kreuzkettchen, das ggf. auch inkriminiert werden müsste, sticht nicht, denn es mag zwar Religiosität symbolisieren, stellt aber keine wie auch immer geartete Verpflichtung für irgend jemanden dar, ist also Pop statt Gottesfurcht. Der Islam in fundamentalistischer Auslegung ersetzt Politik, ist antipolitisch in dem Sinne, dass er prinzipiell nur Gottes Anweisungen, also den Koran und die Sunna gelten lässt. Er agiert solange politisch bis er weltliche Gesellschaftsinstitutionen abschaffen kann, hier ganz ähnlich dem ultraorthodoxen Judentum, um am Ende ein Kalifat, ein Gottesstaat zu errichten. Insofern geht Alice Schwarzer fehl mit ihrem Hinweis auf Fereshta Ludins Lehrtätigkeit an einer Berliner Schule, die der Mili Görüs nahe steht, und damit politischen Extremismus unter Beweis stelle. Kollegin Ludin hat nach eigener Aussage keine Probleme mit der "freiheitlich demokratischen Grundordnung". Das ist ihr abzunehmen. Das berührt sie tatsächlich nicht, da es außerhalb der Umma liegt, außerhalb ihres Glaubensbereichs. Bezeichnenderweise lehnte sie es ab, in einem Interview Stellung zu nehmen zur Gültigkeit der Scharia und zur Frauenunterdrückung unter den Taliban (Emma 3/1997).

Das Bundesverfassungsgericht macht den fast sympathischen Versuch, den Bewegungsspielraum einzelner Beamter in der Funktion zwischen Dienstherrn und Öffentlichkeit zu erweitern, leider aber am falschen Objekt, denn die Karlsruher RichterInnen klären den infragestehenden Sachverhalt nicht auf. Sie sagen zwar, Frau Ludin habe sich als Muslimin identifiziert, fabulieren aber gleichzeitig über "Traditionen" irgendwelcher "Herkunftsländer", um dann zu schlussfolgern, was ihr im Übrigen niemand vorwirft, Frau Ludin wolle keine "Botschaft gegen die Emanzipation der Frau vermitteln" ( http://www.bverfg.de/). Das Gericht verkennt damit den Unterschied zwischen subjektivem Wollen und objektivem Handeln. Es akzeptiert damit den religiös gemeinten Unterschied von Mann und Frau wie er aus patriarchalischer Zeit tradiert ist. Genau dies wirft die unterlegene, eher konservative Fraktion des Gerichts der Mehrheit vor: " Entscheidend ist vielmehr die objektive Wirkung des Symbols". Und: " Das Kopftuch, getragen als kompromisslose Erfüllung eines von der Beschwerdeführerin angenommenen islamischen Verhüllungsgebotes der Frau, steht gegenwärtig für viele Menschen innerhalb und außerhalb der islamischen Religionsgemeinschaft für eine religiös begründete kulturpolitische Aussage, insbesondere das Verhältnis der Geschlechter zueinander betreffend." Die Minderheit stützt sich u.a. auf den eher linken pakistanisch-britischen Autor Tariq Ali und führt weiter aus: " Immerhin wurzelt auch nach Meinung wichtiger Kommentatoren des Korans das Gebot der Verhüllung der Frau - unabhängig von der Frage, ob es überhaupt ein striktes Gebot in diese Richtung gibt - in der Notwendigkeit, die Frau in ihrer dem Mann dienenden Rolle zu halten. Diese Unterscheidung zwischen Mann und Frau steht dem Wertebild des Art. 3 Abs. 2 GG fern... Es kommt insofern nicht darauf an, ob eine solche Meinung innerhalb der islamischen Glaubensgemeinschaft allein gültig oder auch nur vorherrschend ist oder ob die im Verfahren vorgetragene Auffassung der Beschwerdeführerin, das Kopftuch sei eher ein Zeichen für das wachsende Selbstbewusstsein und die Emanzipation islamisch gläubiger Frauen, zahlenmäßig stark vertreten wird. Es ist ausreichend, dass die Auffassung, eine Verhüllung der Frauen gewährleiste ihre Unterordnung unter den Mann, offenbar von einer nicht unbedeutenden Zahl der Anhänger islamischen Glaubens vertreten wird und deshalb geeignet ist, Konflikte mit der auch im Grundgesetz deutlich akzentuierten Gleichberechtigung von Mann und Frau hervorzurufen." Der Hinweis auf die von Osama so geliebte Burqa wird nicht vergessen: " Schon ein weiterer Schritt hin zur gänzlichen Verhüllung des Gesichts, der ebenfalls in der islamischen Glaubensgemeinschaft praktiziert wird, könnte aus deutschem Verfassungsverständnis heraus als unvereinbar mit der Würde des Menschen angesehen werden: Der freie Mensch zeigt dem anderen sein Antlitz.."

Das Votum der Minderheit erinnert zwar partiell an die Diktion der 70er Jahre, wenn bspw. vom "Mäßigungs- und Neutralitätsgebot", von "der Gewähr jederzeit für die freiheitlich-demokratischer Grundordnung einzutreten" die Rede ist und dergleichen mehr, andererseits aber geht die Minderheitsfraktion detailliert auf die Einlassungen Fereshta Ludins und auf den Zusammenhang mit patriarchalischen Islamvorstellungen, sowie auf das hohe Gut der Gleichberechtigung der Geschlechter ein. Sie vergisst auch nicht das Detail in der Aussage Ludins zu kommentieren, wenn sie von der Würde spricht, die ihr ohne Kopftuch abhanden ginge: " So liegt doch im Umkehrschluss nahe, dass eine Frau, die sich nicht verhüllt, sich ihrer Würde begibt". Die Vermutung liegt dann nahe, dass sie im permanenten Widerspruch zu ihrer Umwelt arbeiten muss und ggf. zur Lüge greifen wird: " Die Erklärung der Beschwerdeführerin, sie würde durch das Kopftuch ausgelöste Fragen wahrheitswidrig beantworten und wider ihrer Glaubensüberzeugung behaupten, es handele sich nur um ein Modeaccessoire, ist nicht geeignet, einen Grundrechtskonflikt zu vermeiden". Die Minderheit sieht in der durch das Urteil verhinderten Einzelfallentscheidung eine "freiheitsverkürzende Wirkung".

In conclusio: Die liberale Mehrheit hätte durchaus ein Urteil fällen können, das sowohl einzelne Beamte nicht einschränkt, andererseits aber Einzelfallentscheidungen nicht ausschließt. Das jetzige Urteil weist in die falsche Richtung. Das Gericht sitzt einer "falschen Toleranz" auf. Das Diktum von Jürgen Habermas, eine liberale Gesellschaft müsse die "Zumutung fremder Kulturen" aushalten, mag insgesamt zutreffen, kann aber im konkreten Einzelfall falsch sein. 

Skurril mutet in der ganzen Auseinandersetzung die Tatsache an, dass die Landesverfassung Baden-Württembergs die Grund- und Hauptschule als christliche Gemeinschaftsschule definiert (§ 15), in denen " die Kinder auf der Grundlage christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte erzogen werden" und "Zweifelsfragen in der Auslegung des christlichen Charakters in gemeinsamer Beratung zwischen dem Staat, den Religionsgemeinschaften, den Lehrern und den Eltern zu beheben sind" (§ 16), es also in diesem Bundesland noch gar keine säkulare Schule gibt. Wie das mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der strikten Neutralität des Staates in weltanschaulichen Fragen zusammenpasst, darüber schweigen sich beide Karlsruher Fraktionen peinlicherweise aus.

Gefordert ist nunmehr die Politik, die Säkularität der Bildung herzustellen, sowie Freiheit und Emanzipation zu gewährleisten.

Editorische Anmerkungen:

Der Text ist eine Spiegelung von:
http://www.members.partisan.net/sds/sds05703.html