Betrieb & Gewerkschaft

Paris: Streik der Küchensklaven im Nobelschuppen

von Bernhard Schmid
11/04

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Normalerweise geht es hier eher gesetzt zu: Direkt gegenüber liegt der Palais du Louvre, und die äußerst schicke Avenue de l¹Opéra ist ein paar Schritte entfernt. Hier liegt das Café Ruc, ein so genannter Nobelschuppen, der den Brüdern Costes gehört ­ ebenso wie um die 30 "gehobenere" Etablissements der französischen Hauptstadt, so das Hôtel Costes oder das
Restaurant "Le George" auf der Terrasse des Centre Beaubourg (auch als Centre Pompidou bekannt).

Normalerweise verkehren hier Leute aus den "besseren Kreisen". Seit dem 13. Oktober jedoch herrschte ein an solchen Orten eher ungewohntes Klima: CGT-Fahnen waren auf den Terrassen des Café Ruc gehisst, und aus einem Megaphon mit Lautsprecheranlage tönten Slogans wie <Cuisiniers CGT, maltraités, mal payés> (Köche unterstützt von der CGT, schlecht behandelt, schlecht bezahlt). Die Passanten wurden dazu aufgefordert, Unterstützerpetitionen zu unterzeichnen. Unter den 13 Angestellten arbeiteten allein die "Teamchefs", die durch die Direktion ernannt worden waren. <Le Canard enchaîné> berichtet in einer Reportage von folgenden Äußerungen eines Wachmanns gegenüber einem Angehörigen des streikenden Personals: "Dich werde ich in Stücke schneiden und in die Gosse werfen."

Die feinde Kundschaft hatte schließlich ­ keinen Bock mehr: Seit dem 2.November ist das Café Ruc geschlossen, "laut einem Schild an der Tür <wegen Bauarbeiten>", wie <Le Monde> (3. November) ironisch präzisiert.

Betrügerische "Kündigung" eines gewerkschaftlichen Vertrauensmanns

Die Konflikte in den Häusern der Brüder Costes verschärften sich, nachdem im Jahr 2003 im "Le George" der sri-lankesische Koch Soma (nachdem er frisch zum Vertrauensmann der CGT ernannt worden war) vom Eigentümer auf trügerische Weise zur Kündigung veranlasst worden war. Denn der Arbeitgeber hatte dem Angestellten, der nicht auf Französisch lesen und schreiben kann, sein "Rücktrittsschreiben" vorgelegt, ihn glauben machend, es handele sich um die Unterlagen für seine Kandidatur zu den Betriebsratswahlen. (Eine Kündigung durch den "Arbeitnehmer", also den abhängig Beschäftigten, zieht in Frankreich normalerweise den totalen Verlust aller Ansprüche auf Arbeitslosenunterstützung nach sich.) Im Juli 2004 hat das Pariser Berufungsgericht, nach über einem Jahr Prozess, in zweiter Instanz die Aufhebung der nicht rechtswirksamen Kündigung und die sofortige Wiedereinstellung des Betroffenen angeordnet. Seitdem haben die Lohnabhängigen begonnen, neue Kräfte zu verspüren.

Die Eigentümer: Nicht "irgendwer"

Die Brüder Costes sind nicht irgendwer: Jener der Gebrüder, dem das Café Ruc gehört, war jahrelang Präsident des Pariser Handelsgerichts (vgl. <Le Canard enchaîné> vom 27. Oktober 04). Die Handelsrichter werden von den übrigen Geschäftsleuten gewählt, müssen also ein Mindestmaß an Vertrauen ihrer Klassenkollegen genießen. Insofern kann man ihre rund 30 Etablissements als eine Art "Laboratorium" im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen betrachten.

Und wie sehen die Arbeitsbedingungen etwa im Café Ruc aus? Folgende Sätze entstammen dem bereits oben zitierten Bericht in <Le Monde>: "(Die Köche) beklagen sich, neun Stunden am Stück zu arbeiten, ohne die vom Gesetz vorgesehene Viertelstunde Pause. Keinerlei Mahlzeit wird ihnen verabreicht, obwohl es sich für Beschäftigte (im Gaststättengewerbe) mit mehr als 5 Stunden täglicher Arbeitszeit um eine gesetzliche Vorschrift handelt; und sie verfügen über keinerlei Ort, um ihre mitgebrachten eigenen Mahlzeiten zu verzehren. Der Einbau von Überwachungskameras über den Öfen, <um den
Diebstahl von Nahrung zu verhindern>, hat die Atmosphäre nicht unbedingt entschärft. Thama Namasivayam, Fadiga Mody und Thierno Fofana, die alle bereits auf anderen Arbeitsplätzen im Gaststättengewerbe tätig waren, berichten von unerträglichen Hygienebedingungen: Aus der Abzugshaube, die nicht gereinigt wird, tropft altes Fett auf die Herdplatten; Wasser unbekannter Herkunft tropft auf Fadiga (der zum Kartoffelschälen angestellt ist) und seine Erdäpfel... Das alles für 1.372 Euro netto bei ungefähr 45 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit."

Karl Ghazi, dem CGT-Gewerkschaftssekretär im Handels- und Gaststättengewerbe, zufolge sind solche Arbeitsbedingungen in diesem Bereich "unnormal, aber keineswegs ungewöhnlich". Er erinnert an einen Vorfall, der sich am Samstag, 23. Oktober in einem anderen "In"-Restaurant in Paris ereignete, dem Chicago Pizza Pie: An jenem Tag forderten die Köche die Kundschaft auf, in die Küche zu kommen und sich selbst ein Bild von den
hygienischen Bedingungen zu machen.

Der Streik

Seit dem 13. Oktober also ist nunmehr der Streik im Gange. Die Direktion verweigerte zunächst jeden Dialog mit den Ausständischen und rief die Polizei in ihren Schuppen. Am vergangenen Mittwoch (3. November) schlug die Restaurantleiterin Odile Hertenberger jedoch ein erstes Treffen zwecks unverbindlichen "Diskutierens über die Arbeitszeiten und die Pausen" vor. Am selben Tag war jedoch einer der streikenden Koch zum Kündigungsgespräch bestellt, um ihm seine fristlose Entlassung zu bescheiden. Derzeit ist der Konflikt nicht beendet.

Unten stehend dokumentieren wir ein Flugblatt der CGT im Dienstleistungsgewerbe, das auf der Pariser Demonstration vom vergangenen Sonntag (7. November) gegen Rassismus verteilt wurde, an der 5.000 bis 7.000 Personen teilnahmen.


DOKUMENT:

Flugblatt der CGT im Handels- und Dienstleistungsgewerbe, überschrieben mit:


Costes: Jet Set en vitrine, Esclavage en cuisine
               Costes: Jet Set im Schaufenster, Sklaverei in der Küche


Café Ruc: Seit 25 Tagen im Streik
Paris, den 7. November 2004

Sie stammen aus Mali, dem Senegal oder Sri Lanka. Sie arbeiten in den
Kulissen der gehobenen Restaurants der Familie Lostes, die sich in Paris ein
wahrhaftes Imperium erbaut hat. Vom Café Marly bis zum Restaurants <Georges>
im Beaubourg-Museum (Anm.: auch als Centre Pompidou bekannt), hier verkehrt
das schicke und hippe Paris; hier unterhalten sich die so genannten BoBo
(Bourgeois ­ Bohême) über Humanismus, während einige Meter entfernt
Lohnabhängige unter Bedingungen arbeiten, die man einem anderen Jahrhundert
entsprungen glaubt.

Bei den Costes verweigert man die Existenz einer Gewerkschaft, wenn es sein
muss mit allen Mitteln. Im Jahr 2003 wird Soma, ein sri-lankesischer
Kollege, der die CGT in seinem Restaurant vertreten wollte, von seinem
Arbeitgeber zur Kündigung gebracht, indem dieser seine Unkundigkeit der
französischen Schrift ausnutzt, um ihn ein Rücktrittsschreiben unterzeichnen
zu lassen. Das Pariser Revisionsgericht hat die Wiedereinstellung unseres
Vertrauensmann angeordnet (Anm.: das war im Juli 2004), es brauchte ein Jahr
Kampf bis dahin.

Im Februar 2004 wurden zwei Streikende im Café Ruc wegen Motiven, die
offenkundig mit ihrer Streikteilnahme zusammen hingen, entlassen; ihr
Kündigungsprozess ist beim Arbeitsgericht anhängig.

Jetzt sind seit dem 13. Oktober neun von elf Köchen des Café Ruc im Streik,
um Forderungen durchzusetzen, deren Erfüllung als selbstverständlich gelten
könnte:

- Bezahlung der Überstunden (Anm.: diese wurden bis dahin nicht deklariert,
sondern meist mit "Prämien" abgegolten);
- Eine Mahlzeit pro Tag soll verabreicht gestellt werden (Anm.: das
entspricht einer gesetzlichen Verpflichtung);
- Die (Anm.: gesetzliche) Regel, wonach zwei aufeinander folgende Wochentage
als Ruhetage zur Verfügung stehen müssen, soll respektiert werden;
- Die (Anm.: gesetzlich vorgeschriebene, sofern ihre Einhaltung mit
vertretbarem Aufwand möglich ist) Vorwarnfrist von 7 Tagen im Falle einer
Änderung der Arbeitszeiten oder der Ruhetagen soll respektiert werden;
- Wahl von <délégues du personnel> (Anm.: betriebliche Vertrauensleute, die
ab 10 Beschäftigten zu wählen sind).

Diese Forderungen hat die Direktion nur mit Verachtung, Aggressivität, und
den Einsatz von Wachleuten am Eingang beantwortet.

Dieser Kampf betrifft uns alle, es ist ein Kampf für die Würde, die
Gleichbehandlung, die Beendigung jeder rassistischen Diskriminierung.

Die Köche des Café Ruc erinnern uns seit 25 Tagen daran, dass man in unserem
Land noch immer für die Einhaltung von Prinzipien, die in der Verfassung
stehen, kämpfen muss.

Danke für jede Unterstützung in Form einer Spende, der Beteiligung am
Unterstützerkomitee oder mit allen anderen Mitteln.

Kontakt:
Union syndicale CGT commerce et services
67, rue de Turbigo
75003 Paris
Telefon: (0033) ­ 1 ­ 42 72 02 95
Mail: cgthcr@aol.com

Editorische Anmerkungen

Diesen Artikel schickte uns der Autor am 9.11.2004 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung. Der Artikel erschien zuerst auf www.labournet.de