Übersetzung als Instrument im Nahostkonflikt  UPDATED am 12.11.04
Dokumente des Hasses

von Armin Köhli
11/04

trend

onlinezeitung
Der Internetdienst Memri beliefert internationale Medien gratis mit Übersetzungen aus der arabischen Presse. Doch der Hintergrund Memris ist dubios.

Endlich würden die sprachlichen Barrieren zwischen der arabischen Welt und dem Westen überwunden, verheisst das Middle East Media and Research Institute (Memri). Memri bietet auf seiner Website umfangreiche Übersetzungen aus arabischen Medien an. Memri arbeitet mit Erfolg: Der elektronische Memri-Newsletter erreicht JournalistInnen wie PolitikerInnen zu tausenden. Und auf der Memri-Website steht auch eine laufend aktualisierte, eindrückliche Liste der englischsprachigen Medien, die aus Memri-Übersetzungen zitieren: CNN, «New Statesman», «Newsweek», «Pakistan Today», «New York Times» und so weiter.
Doch Memri ist nicht ein neutrales Übersetzungsbüro oder, wie der Name suggeriert, ein universitäres Institut. Brian Whitaker vom britischen «Guardian» untersuchte die Organisation genauer: 1998 gründete Yigal Carmon den Dienst. Memri, mit Sitz in Washington, habe den Status einer «unabhängigen, überparteilichen und gemeinnützigen» Organisation – Spenden an Memri seien in den USA also von der Steuer absetzbar. Memri erwähnt im Internet aber nur eine Postfachadresse, und Namen von MitarbeiterInnen werden nicht genannt, angeblich aus Sicherheitsgründen. Doch der «Guardian» hat auf einer gelöschten Seite von Memris Internetauftritt eine Mitarbeiterliste ausfindig gemacht: «Zu drei von den sechs dort aufgeführten Personen – einschliesslich Oberst Carmon – wird angegeben, dass sie für den israelischen Geheimdienst gearbeitet haben. Von den übrigen drei Mitarbeitern hat einer im Material- und Logistikcorps des Oberkommandos Nord der israelischen Armee Dienst getan, ein weiterer hat einen akademischen Hintergrund, und der sechste ist Alleinunterhalter und Kabarettist.» Mitbegründerin vom Memri ist Meyrav Wurmser. Sie gehört zum Umfeld von Richard Perle, einem der schärfsten Kriegstreiber der US-Politik.

Auslassungen lösen Fehler ab

Zum ersten Mal stiess ich im Februar 2001 auf Memri. Im deutschen Monatsblatt «Konkret», das zur antiarabischen, deutschzentristischen «antideutschen» Linken gehört, tauchten plötzlich Zitate aus arabischen Quellen auf. Weil die «antideutschen» Medien bis dahin nicht mit Arabischkenntnissen brillierten, begann ich mich für die Herkunft der Zitate zu interessieren. Ein, zwei Clicks bei Google, und da war die Seite memri.org mit der englischen Originalübersetzung der Zitate. «Konkret» zitierte aus einem Interview der ägyptischen Zeitung «al-Ahram al-arabi» mit «dem Mufti von Jerusalem und Palästina».

MEMRI scheint mittlerweile die Waffenkammer der Antideutschen für ihren Kampf gegen "linksdeutschen Pöbel" und "autonomen Mob" zu werden. Hier munitioniert man(n) sich ideologisch und holt sich - wie unlängst die KP Berlin-Gruppe - einschlägig bekannte Referenten, wie z.B.
 
An dieser Stelle befand sich ein Foto von Jochen Müller. Die Herausgeber haben die Redaktion heute, am 12.11.04 gebeten, sein Foto zu entfernen. Die Begründung dazu siehe unten.

Mit dem Foto war folgender Artikel von J. Müller verlinkt: Zuviel Sehnsucht nach multikultureller Harmonie

Jochen Müller
den promovierten Islamwissenschaftler und Leiter des Berliner MEMRI-Büros.

Darüber kam es zu einer hitzigen Debatte auf den Seiten von x-berg.de.

Die trend-redaktion möchte ein wenig dazu beitragen, Hintergrundwissen über MEMRI zu verbreiten, das das bisherige Wirken des Instituts und seiner Macher in den Zusammenhang rückt, wohin beides gehört.

Der nebenstehende Artikel ist nun bereits 1 1/2 Jahre alt, hat aber an seiner Brisanz nicht verloren. Zum seinem besseren Verständnis empfehlen wir folgende Texte:

Zur Einordnung des MEMRI in die US-Neocons empfehlen wir folgende Telepolis-Artikelserie:

 Dieses Interview liess sich überprüfen, denn «Al-Ahram al-arabi» stellt seine Artikel ins Internet. Die Memri-Übersetzung war in einem Punkt grob sinnentstellend: «How do you feel about the Jews?» («Was halten Sie von den Juden?»), sei der Mufti gefragt worden, und seine Antwort fällt zutiefst rassistisch aus. Tatsächlich lautete die Frage in Arabisch: «Wie begegnen Sie den Juden, die die Al-Aksa-Moschee belagern und dort herumstehen?» Die Frage galt also den israelischen Grenzpolizisten im besetzten Ostjerusalem, deren Kontrolle der Mufti beim Gang zur Moschee passieren muss, und nicht «den Juden».
Die Qualität der Übersetzungen scheint sich seither gebessert zu haben, auch wenn Whitaker weitere Fehler nachweist. Solch plumpe, überprüfbare Fälschungen beziehungsweise Übersetzungsfehler gefährden die Glaubwürdigkeit Memris. Dabei lässt sich die öffentliche Meinung durch die Auswahl der übersetzten Texte viel wirkungsvoller beeinflussen (wobei sich viele Quellen vom Westen aus nicht überprüfen lassen). Memris Selektion zielt offensichtlich darauf, einen tiefen arabischen Hass auf Juden und Jüdinnen zu dokumentieren. Keine Frage: Solche Stimmen existieren in der arabischen Welt in nicht geringer Zahl, viele AraberInnen verrennen sich ob ihrer Verzweiflung an der politischen und wirtschaftlichen Lage im Nahen Osten in rassistische Ideologie. Doch das selektive Zitieren nur solcher Stimmen ergibt ein verfälschtes Bild. Etwa so verzerrt, wie wenn aus der Schweiz nur Zeitungen mit dem ideologischen Horizont von «Weltwoche», «Schweizerzeit» und «NZZ am Sonntag» zitiert würden.

Kritische Schweizer Medien

An ein Beispiel von Memris Erfolgen mögen sich wohl auch Schweizer LeserInnen erinnern: Der saudische Botschafter in London schrieb ein Gedicht über eine junge Selbstmordattentäterin. Memri übersetzte Auszüge des Textes als «Loblied auf Selbstmordattentäter». So ging das Gedicht durch die westliche Welt. Brian Whitaker hingegen interpretiert den Text eher als Protest gegen die Ineffizienz führender arabischer Politiker.

Inzwischen hat Memri auch einen deutschsprachigen Dienst aufgebaut, die Resonanz scheint allerdings noch bescheiden. In der Schweiz beschränken sich die Spuren Memris, soweit überblickbar, auf Leserbriefe und einige Zitate in Westschweizer Zeitungen wie «Le Temps», die offensichtlich aus englischsprachigen Medien übernommen wurden. Schweizer JournalistInnen scheinen der Arbeit Memris skeptisch gegenüberzustehen. Die NZZ warnte sogar ziemlich unverhohlen vor Memri: Für einen repräsentativen Überblick seien zusätzliche Dienste unerlässlich.

Editorische Anmerkungen

Dieser Artikel erschien am 2.3. 2003 bei woz-online. Er ist eine Spieglung von http://www.woz.ch/archiv/old/03/06/6212.html

Begründung der Herausgeber zur Entfernung des Fotos von Jochen Müller

Berlin, den 12.11.2004

Liebe Leute von der trend-Redaktion,

wegen des Fotos, das Ihr von Jochen Müller aus der FR-online gespiegelt habt, hat sich dieser heute mit der Bitte an uns gewandt, das Foto zu entfernen. Er schreibt:"

Von: "MEMRI" <memri@memri.de>
An: <trend@infopartisan.net>
Betreff: MEMRI-Debatte und Foto
Datum: Thu, 11 Nov 2004 16:16:38 +0100

Liebe Leute,

ihr könnt es ja offensichtlich nicht lassen. Wer ist denn auf die Idee gekommen (und warum eigentlich jetzt?) diesen nicht besonders erhellenden Artikel aus der WoZ auszugraben? Abgesehen davon, dass er eine Menge Unfug enthält und überdies nicht mal zwischen Antisemitismus und Rassismus zu unterscheiden weiß, nur zwei Bemerkungen dazu:

Diesen einen Übersetzungsfehler hat es meines Wissens gegeben. Mehr aber auch nicht. Wie Freund Whittaker, der so weit ich weiß gar kein Arabisch lesen kann, weitere gravierende Übersetzungsfehler gefunden haben will, ist mir schleierhaft. Mit diesem Vorwurf ist - obwohl es entsprechende Untersuchungen gegeben hat - jedenfalls noch niemand gekommen.

Die Sache mit dem homophoben Islamistentext ist etwas unglücklich: Tatsächlich steht er auf unserer Seite unter Liberal Voices, wenn man jedoch den Button anklickt, steht dort ausführlicher: "Liberal Voice und innergesellschaftliche Konflikte". Und als Beispiel für Letzteres ist der Text in diese Kategorie aufgenommen worden. Unsere Unterteilung ist sicher nicht ganz eindeutig nachvollziehbar (für uns auch ein Problem), wie aber
jemand auf die Idee kommen kann, wir hätten einen Islamistentext hierher gestellt, um zu demonstrieren, dass alles andere in der arabischen Welt eben noch radikaler, homophober oder sonstwas ist, zeugt von einer ausgewachsenen Neigung zur Verschwörungstheorie, zumindest aber von reger Fantasie.

Und noch was: Ich wünsche hiermit ausdrücklich, dass Ihr mein Bild von der Seite nehmt.

Grüße
Jochen Müller

Wir möchten Euch bitten, seinem Wunsch zu entsprechen und sein Foto zu entfernen. Schließlich ist nicht auszuschließen, dass LeserInnen sinnentstellend lesen und aufgrund bestimmter Vorurteile meinen, dass Jochen Müller für die Vorkommnisse, die im nebenstehenden Artikel aufgeführt werden, persönlich verantwortlich ist.

Mit solidarischen Grüßen

Rolf-Dieter & Karl-Heinz