Die Regierung der Côte d‘Ivoire will mit antifranzösischen Parolen und
einer rassistischen Mobilisierung gegen die Bewohner
des Nordens ihre Macht erhalten. Frankreich bombardierte und zerstörte die
Luftwaffe des Landes.
War es politische Eskalationsabsicht? Ein Versehen mit schweren
Konsequenzen? Oder ein Ausdruck schwelender
Machtkämpfe in der politischen und militärischen Hierarchie der Côte
d‘Ivoire (Elfenbeinküste)? Fest steht, dass am vorletzten
Samstag eine 250 Kilogramm schwere Fliegerbombe der ivoirischen Luftwaffe
neun französische Soldaten und einen
US-amerikanischen Zivilisten, Mitarbeiter einer NGO, in einem Camp bei
Bouaké tötete und 38 Franzosen verletzte.
Bekannt ist ferner, dass Frankreichs Präsident Jacques Chirac noch am
selben Tag anordnete, nahezu die gesamte ivoirische
Luftwaffe zu zerstören. Und so bombardierten die Franzosen am Abend des 6.
November sieben Fluggeräte der Armee des
westafrikanischen Staates: die beiden Sukhoi-Jagdflieger aus russischen
Beständen, die um die Mittagszeit Bouaké
überflogen hatten, sowie zwei weitere Flugzeuge und fünf Helikopter. Alle
wurden zerstört - damit bleibt der Luftwaffe von
Präsident Laurent Gbagbo, dem auch ein Privatflugzeug abhanden kam, nur noch
eine einzige Maschine übrig, ein Mi
24-Kampfhubschrauber. Bei den Luftangriffen sollen auch drei Personen
getötet worden sein.
WIE KAM ES ZUR MILITÄRISCHEN ESKALATION?
Dabei hatte, nach übereinstimmender Darstellung verschiedener Pariser
Presseorgane, die politische Führung der Côte d‘Ivoire
die französische Staatsspitze vorab von ihrer bevorstehenden Großoffensive
gegen die "Forces Nouvelles” (FN, Neue
Kräfte), wie die ehemaligen Rebellentruppen im Norden des Landes seit 2003
neutral bezeichnet werden, unterrichtet. Und
Paris hatte demnach mehr oder weniger grünes Licht dazu erteilt.
Die auf Satire und investigative Untersuchungen spezialisierte
Wochenzeitung 'Le Canard enchaîné' berichtete so am vorigen
Mittwoch, die beiden Staatschefs Jacques Chirac und Gbagbo hätten drei Tage
vor dem folgenreichen Bombardement von
Bouaké miteinander telefoniert. Dabei habe Chirac den afrikanischen
Präsidenten lediglich vor "jedem Ausrutscher gegen
französische Staatsbürger und das Leben von Franzosen” gewarnt, was dieser
wiederum als generelle Zustimmung zu der
geplanten Angriffswelle auf die Nordhälfte der Côte d‘Ivoire interpretiert
habe. Am folgenden Tag startete die ivoirische Armee
ihre Attacken.
Die eher konservativ orientierte Boulevardzeitung 'France Soir' vom
selben Tag schreibt ihrerseits ergänzend, an jenem Vortag
der militärischen Offensive habe in Yamoussoukro - der administrativen
Hauptstadt des Landes, die aus dem einstigen
Geburtsdorf des früheren Präsidenten Félix Houphoet-Boigny hervorging - eine
gemeinsame Sitzung des Generalstabs der
ivoirischen Armee und der Offiziere der 'Opération Licorne' (Operation
Einhorn) stattgefunden. Auf diesen Namen hört die im
Vorjahr gestartete Mission der französische Armee zur "Sicherung des
Waffenstillstands” zwischen Regierungstruppen und
Rebellen in der Côte d‘Ivoire: Frankreich hat in diesem Rahmen derzeit 5.200
Mann in dem afrikanischen Staat stationiert, neben
6.012 Soldaten der UN-Truppe für die Côte d‘Ivoire ONUCI.
Darüber und über die angekündigte Offensive gegen die Rebellen seien
die Pariser Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie
("MAM”) und Chirac in Echtzeit unterrichtet worden. Die Pariser Abendzeitung
'Le Monde' dagegen berichtet, Chirac habe
seinem Amtskollegen Gbagbo am Telefon allenfalls ein "orangenes Licht" für
die Armeevorstöße gegeben und ihn zugleich vor
einem "Boomerangeffekt" gegen seine Regierung gewarnt. Derselben Quelle
zufolge haben französische Militärs zwei
Marschkolonnen der Forces armées nationales de Côte d‘Ivoire (FANCI), wie
die regulären Streitkräfte des Landes heißen, auf
ihrem Weg nach Norden gestoppt. Ferner seien Mirage F1-Kampfflugzeuge aus
Frankreich nach Libréville im
äquatorialafrikanischen Gabun verlegt worden, die mit Luft-Luft-Raketen für
den eventuellen Einsatz gegen Flieger
ausgerüstet seien. Aus derselben Quelle geht aber ebenfalls hervor, dass die
französische Armee erst nach der
Bombardierung ihrer eigenen Stellung, ohne Absprache mit der UN-Truppe,
aktiv in das Geschehen einzugreifen begann.
DER ANGRIFF AUF DIE FRANZOSEN: KOLLATERALSCHADEN ODER ESKALATIONSWUT?
Alle Protagonisten, die derzeit in Politik und Medien zu Wort kommen,
geben inzwischen an, nicht von einer Absicht seitens
von Präsident Gbagbo zur Bombardierung der französischen Stellung
auszugehen. Ein durch 'France Soir' zitierter
französischer Offizier spricht von einer "Panne"; so lautet auch die
offizielle ivoirische Position. Der UN-Botschafter des
Landes, Philippe Djangone-Bi, hat die Durchführung einer "unabhängigen
Untersuchung" gefordert, die dies bestätigen solle. In
einem Interview mit der 'Washington Post' vom vorigen Freitag zog Präsident
Gbagbo allerdings die Existenz der getöteten
Franzosen generell in Zweifel: "Ich habe keine Leichen gesehen, ich habe
nichts gesehen"; in Wirklichkeit gehe es Paris nur
darum, seine Autorität zu sabotieren.
Dagegen sprach die französische Staatsführung zunächst von einer
bewussten Handlung. Am Freitag (12. 11.) schrieb 'Le
Monde' dann aber, der Elysée-Palast und das Außenministerium gingen davon
aus, dass Gbagbo "bestimmt nicht" Order zum
Angriff auf die französische Stellung gegeben habe. Der Generalstabschef
Henri Bentégeat seinerseits wird mit der
Auffassung zitiert, er denke nicht, dass Gbagbo "persönlich" eine
entsprechende Anordnung gegeben habe, was keinen Sinn
ergäbe. Dennoch sei er "in einem Punkt sicher: dieser Angriff war gewollt,
beabsichtigt", und er fordere eine Untersuchung. Im
Prinzip bieten sich daher zwei Varianten zur Interpretation. Entweder könnte
es sich tatsächlich um einen "Kollateralschaden"
beim Angriff der FANCI auf Bouaké, wo sich das Hauptquartier der
Rebellenarmee unter Guillaume Soro befindet, handeln.
Oder aber extremistische Kräfte innerhalb des Staatsapparats, die sich zu
verselbständigen beginnen, sind der Kontrolle
durch die aktuelle politische Führung entglitten.
Zu solchen Kräften zählt höchst wahrscheinlich der einflussreiche
Präsident des ivoirischen Parlaments und
Wirtschaftsprofessor an der Universität in Abidjan, Mamadou Koulibaly, der
noch am vorletzten Wochenende die Franzosen
wortradikal mit einem Desaster in der Côte d‘Ivoire, "schlimmer als Vietnam"
für die US-Amerikaner, bedrohte. Koulibaly steht
der Bewegung der 'jeunes patriotes' (Junge Patrioten) nahe, die von Charles
Blé Goudé angeführt wird, dem selbsternannten
"Präsidenten der Straße". Diese Milizen haben sich zu einer parallelen
Machtstruktur entwickelt, die von den 'Licorne'-Soldaten
eindeutig mehr gefürchtet wird als die loyalen Militärs der FANCI, deren
Chefs oftmals in französischen Offiziersschulen
ausgebildet wurden.
IM HINTERGRUND: DIE ETHNISIERUNG GESELLSCHAFTLICHER VERTEILUNGSKÄMPFE
Hintergrund der Konflikte ist die zunehmende Ethnisierung der
Auseinandersetzungen in der ivoirischen Gesellschaft. Der
weltgrößte Kakaoproduzent und –exportateur hatte in den 70er Jahren einen
Wirtschaftsboom erlebt, der vor allem auf der
Nutzung billiger Arbeitskräfte aus den nördlichen Nachbarländern Mali und
Burkina-Faso beruhte. Doch durch den Verfall der
‘termes of trade‘, der vor allem solche Länder der "Dritten Welt" hart traf,
die vom Export einzelner weniger Rohstoffe
abhängen, implodierte das Modell. Seit den Jahren 1999/2000 nimmt eine
rassistische Aufladung der ivoirischen Politik rapide
zu. Damals wurden die Leute aus dem muslimischen Landesnorden durch den
dominierenden, christlich-animistisch geprägten
Süden faktisch zu Ausländern erklärt, da sie in Wirklichkeit Burkinabés
(Bürger von Burkina Faso) seien.
Die sich ausbreitende Ideologie der rassisch definierten 'Ivoirité'
diente am Anfang vor allem der Elite im Süden dazu, den
aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten aus dem Norden, Allessandra
Ouattara, von den Wahlen auszuschließen. Doch
der identitätspolitische Ausschlussmechanismus wurde zum Selbstläufer. Bis
dahin war jede zweite geschlossene Ehe eine
"interethnische Mischheirat", und 25 Prozent der Bevölkerung stammten
ursprünglich aus dem nördlichen Nachbarland. Doch
nun entfalteten die national-rassischen Identitätskonstruktionen ein
immenses Gewaltpotenzial. Der Prozess hätte dorthin
führen können, wo unter ähnlichen Bedingungen (verknappenden Ressourcen und
der Monopolisierung des Staatsapparats
durch eine schmale Elite, die zur Rettung ihrer Macht eine scharfe
Ethnisierung betreibt) der Genozid in Ruanda 1994 begann.
Doch ab 2002 bremste die, seit der formalen Unabhängigkeit von 1960
stets präsente, Vormacht Frankreich das Regime des
Laurent Gbabgo aus: Einerseits wollte Frankreich nicht erneut der
Komplizenschaft bei einem afrikanischen Genozid wie
jenem in Ruanda beschuldigt werden. Andererseits hätten viele französische
Konservative eigentlich gern Ouattara als
Präsident gesehen, da der ehemalige Weltbankfunktionär ihnen als Garant
wirtschaftlicher "Vernunft" gilt. Frankreich hat
ausgeprägte ökonomische Interessen in der Côte d‘Ivoire, die 240 Filialen
französischer Großunternehmen und 600 Firmen im
Besitz französischer Geschäftsleute zählt. Insbesondere kontrolliert der
Pariser Bolloré-Konzern die wichtigste
Exportgesellschaft für Kaffee und Kakao, die Häfen und den Holzeinschlag.
Gbagbo gilt der französischen Rechten eher als
unzuverlässig, da er lange Zeit der Freund der französischen
Sozialdemokraten war. Diese brachen erst vorige Woche
explizit mit ihm, unter Protest ihre ehemaligen 'Kooperationsministers' (so
heißt heute der frühere Kolonialminister) Charles
Josselin.
NACH DEM ABKOMMEN VON MARCOUSSIS
Dem ivoirischen Präsidenten wurde die Hand geführt, um ihn zur
Unterschrift unter die Abkommen von Marcoussis (das den
Namen eines Pariser Vororts trägt) im Januar 03 zu drängen. Dieses sah eine
faktische Aufteilung des Landes zwischen den
nördlichen Rebellen, die vier Monate zuvor einen gescheiterten Putsch
betrieben hatten, und der Zentralregierung im Süden
vor. Ferner sollten beide zusammen eine "Regierung der nationelen
Versöhnung" bilden. Doch diese formal amtierende
Regierung unter Seydou Diarra wurde durch Gbagbo, als faktischen Machthaber,
marginalisiert und zum Papiertiger
degradiert. Gleichzeitig gingen die staatlichen Repressionskräfte mitunter
mit brutaler Härte gegen die AnhängerInnen der
Opposition aus dem Landesnorden vor; beispielsweise am 25., 26. und 27. März
04 in Abidjan, wo die "Sicherheitskräfte" in
Demonstrationen hinein feuerten und über 200 Menschen töteten.
Die am 30. Juli 2004 in der ghanaischen Hauptstadt Accra geschlossene
Übereinkunft sah die Waffenniederlegung durch die
Rebellen, die Verabschiedung von zehn Reformgesetzen (insbesondere die
Revision der rassistischen
Staatsbürgerschaftsdefinition, sowie des Gesetzes zum Bodenbesitz) sowie die
Abhaltung von Wahlen im Herbst 2005 vor.
Doch von den in Aussicht gestellten Gesetzen wurden nur zwei angenommen. Die
FN-Rebellen, die oft ebenfalls autoritär
gegen die Bevölkerung vorgehen, ihrerseits behielten ihre Waffen über das im
Abkommen "Accra III" vereinbarte Stichdatum
des 15. Oktober 04 hinaus. Deswegen erfolgte der Angriff der loyalen Truppen
auf die Nordhälfte des Landes ab dem 4.
November 04.
Die Tatsache, dass die ehemalige Kolonial- und derzeitige neokoloniale
Hegemonialmacht Frankreich das Teilungsabkommen
von 2003 und die "Regierung der nationalen Aussöhnung" maßgeblich
inspirierte und durchsetzte, sorgte dafür, dass diese in
den Augen eines Großteils der ivoirischen Bevölkerung illegitim erscheinen.
Damit lässt sich die rassistische Mobilmachung
gegen die Leute aus dem Norden, die als "fünfte Kolonne der Kolonialisten"
denunziert werden, trefflich mit der Agitation
gegen Frankreich vermengen, das als Projektionsfläche für diverse
Frustrationen und (darunter auch berechtigte) Vorwürfe
dient. Auch die Regierungspresse wie etwa die Zeitung ‘Notre Voie‘ in
Abidjan, das Organ der Regierungspartei ‘Front
populaire de Côte d’Ivoire‘, heizen die Stimmung kräftig an. Dort steht
beispielsweise zu lesen, die Rebellen im Norden des
Landes seien "Hampelmänner in der Hand Chiracs", während es über Frankreich
heißt: "Dieses Land könnte seinen
Staatshaushalt nicht ohne die Reichtümer der Côte d’Ivoire ins Gleichgewicht
bringen. Dieses Land, das die Bevölkerungen der
Côte d’Ivoire pauperisiert und dessen Staatsbürger in einem beleidigenden
Luxus am Ufer der Ebrié-Lagune leben." (Zitiert
nach den Auszügen aus der ivoirischen Presse, die in der französischen
Publikation ‘Le Courrier international‘ – deren
Hauptaufgabe die Auswertung der internationalen Zeitungen bildet –
dokumentiert werden.) Dabei mischen sich im Kern
nachvollziehbare Vorwürfe, was die ökonomische Ausbeutung des Landes
betrifft, mit einer gegen die individuellen
Französinnen und Franzosen gerichteten Hasspropaganda und einer
demagogischen Hetze gegen die Rebellen im
Landesnorden.
Daraus entsteht ein politisches äußerst brisantes Gemisch. Es handelt
sich also keineswegs um vorrangig rational-politische
antikoloniale Proteste, wie insbesondere die Berliner ‚junge Welt‘ (11.
November) suggeriert, bei der neutral-wohlwollend
lediglich von "Proteste(n)" gegen "massive Präsenz der Pariser Streitmacht"
die Rede ist.
Vorangetrieben wird diese Mobilisierung durch die 'jeunes patriotes',
aber auch durch evangelikale und fundamentalistische
Fernsehpastoren und ihre, im Land auf ein breites Echo stoßenden, Sekten .
Einer von ihnen, Sprecher der Eglise de la parole
vivante (Kirche des lebendigen Wortes), gab etwa vorige Woche im
Staatsfernsehen zum Besten, Chirac sei "vom Geiste
Satans besessen", und das Land müsse "von den Bösartigen befreit werden", da
es "in zwei Blöcke aufgeteilt ist, jenen des
Teufels und jenen Gottes". Begleitet werden solche Töne von einer offenen
rassistischen Hetze. Unterstützung finden die
evangelikalen Brandpredigter namentlich auch bei der Präsidentengattin
Simone Gbagbo.
Vor diesem Hintergrund entsteht eine apokalyptische Atmosphäre. Der
Rebellenführer Guillaume Soro bezeichnete jüngst in
einem Interview mit einem AFP-Journalisten die öffentlichen Medien als
'Radio 10.000 collines' (Radio der 10.000 Hügel), in
Anspielung an den Sender 'Radio 1.000 collines', der vor zehn Jahren in
Ruanda die Milizen zum Völkermord aufpeitschte.
Insofern ist tatsächlich nicht auszuschließen, dass sich im
Staatsapparat eine Fraktion herausschält, die nicht mehr unter
politischer Kontrolle steht und bei der die Dynamik des rassistischen Hasses
auch die rationalen strategischen Ziele des
eigenen Lagers gefährden könnte. In Ruanda hatten die extremistischen
Hutu-Milizen im April 1994 den Staatspräsidenten aus
dem eigenen Lager getötet und den Genozid gestartet, der sie derart in
Anspruch nahm, dass zugleich die Tutsi-Rebellen an
den Landesgrenzen die Eroberung Ruandas beginnen konnten.
Aber auch die Rebellen ihrerseits zeichnen mancherorts duchaus auch für
die Drangsalierung der Bevölkerung
verantwortlich. UN-Emissäre fanden in der Zóne unter der Kontrolle der
Rebellen, im Norden der Côte d'Ivoire, ein Massengrab.
Am 20. und 21. Juni 04 hatten Machtkämpfe und "Säuberungen" unter den
Rebellen in Bouaké und Korhogo gut 100 Tote
gefordert. Ferner soll die Rebellenarmee sie mindestens 700 Kindersoldaten
rkrutiert haben. Viele der Rebellenführer sind
keine "Politiker", sondern ehemals sozial marginalisierte Personen oder auch
ehemalige Rapmusiker; und träum(t)en oft vor
allem davon, mit ihrer Erhebung schnell reich zu werden. Auch die Rebellen
glauben im Übrigen nicht an die "Vermittler"rolle
Frankreichs, sondern werfen Paris vor, das Gbagbo-Regime im Herbst 2002 vor
dem Untergang bewahrt zu haben: Hätte
Frankreich sich damls nicht dazwischen gestellt oder Gbabgo zum Überleben
verholfen, so meinen sie, dann wären sie
seinerzeit bis in die Metropole des Südens, Abidjan, durchmarschiert und
hätten die bestehende Staatsmacht hinweggefegt.
Auch dabei steckt einiges an ideologischem Mythos mit im Spiel, wenngleich
Paris damals tatsächlich tendenziell Gbabgo
unterstützt hat.
DOPPELSPIEL DER MACHT ODER RUANDISCHES SZENARIO?
Ein ähnliches Schicksal wie seinem 1994 getöten ruandischen
Amtskollegen Juvénil Habyarimana droht dem Präsidenten
Gbagbo derzeit wohl nicht, der geschickt auf der aufgeheizten Stimmung im
Lande surft - aber die Mobilisierung bisher immer
dann zurückdrehen verstand, wenn sie realpolitisch kontraproduktiv zu werden
drohte. Die Frage ist dennoch, wie lange er
dieses Doppelspiel zum Zwecke seiner Machtsicherung durchhalten kann.
Ab dem Wochenende des 6./7. November eskalierte die
Straßenmobilisierung zunächst, im Anschluss an die Zerstörung der
ivoirischen Luftwaffe vom Samstag. Eine Menschenmenge zog los, um den
Flughafen von Abidjan zu besetzen, der von den
Franzosen militärisch kontrolliert wird; sie wurden jedoch durch deren Armee
aufgehalten. Zugleich belagerte und bedrohte
ein Lynchmob einige der insgesamt noch 15.000 im Lande lebenden Franzosen,
von denen 8.000 die doppelte
Staatsbürgerschaft innehaben - vor dem wirtschaftlichen Abstieg des Landes
waren es 50.000. Einige von ihnen sind
Mitarbeiter der Großkonzerne, die das Land ausplündern; andere dagegen sind
einfache Restaurantbesitzer, schlichte
Afrikaliebhaber oder mit IvoirerInnen verheiratet. Ihnen schallen nun
regelmäßig Schreie entgegen, in denen sich die Rufe
"schmutzige Franzosen" und "dreckige Kolonialisten" miteinander mischen.
Nach Angaben des Pariser Außenministeriums kam
es dabei nicht zur Tötung von Franzosen, aber zu mehreren Dutzend Fällen von
Vergewaltigung. Bis zum Wochenende
wurden etwa 3,700 Franzosen aus dem Land evakuiert; das französische
Außenministerium sprach davon, 5.000 westliche
Staatsbürger hätten Côte d’Ivoire verlassen.
Um die Demonstranten und "Patrioten" vom Vormarsch auf den Flughafen
aufzuhalten und um zugleich französische
Staatsbürger zu schützen, feuerte französisches Militär an mehreren Orten
auf die Menge. Dabei kam es zu 37 Toten laut
'France Soir', anderen Quellen (wie dem ‘Figaro‘ vom 10. November) zufolge
dagegen zu über 50 Toten. Die Hetzmedien des
Landes verfügen damit über ihre Märtyrer, von denen es immer wieder heißt,
sie seien "mit bloßen Händen" marschiert. Das
hämmert etwa die Regierungszeitung ‘Notre Voie‘ mehrmals pro Artikel ihren
LeserInnen in die Köpfe, die demagogisch fragt:
"Wird Frankreich diese Millionen Männer, Kinder und Frauen töten, die bereit
sind, für den zu sterben, den sie gewählt haben?
Denn das Volk der Côte d’Ivoire, das solidarisch zu seinem Präsidenten steht
und sich total engagiert, um eine neue
Kolonisierung zu vermeiden, dieses Volk ist eine ganze Nacht lang (Anm..
jene vom 6. zum 7. November) marschiert, um die
Werte zu verteidigen, an die es glaubt. Es ist nicht bereit, gegenüber
Frankreich und seinen Mördern nachzugeben."
Gleichzeitig kam es an einigen Orten auch zu unkontrollierten
Entlasungen von Gewalt, und möglicherweise Pogromen. Die
Rebellen im Norden geben jedenfalls an, in der westlichen Landeshälfte und
besonders in Gagnoa (nordwestlich von Abidjan)
seien 50 bis 60 Menschen aus der nördlichen Côte d’Ivoire sowie aus Burkina
Faso, die dort auf den Kakaopflanzungen
arbeiten, durch Angehörige der Ethnie der Bété getötet worden. Ihr gehört
auch Präsident Laurent Gbagbo an, weshalb diese
Ethnie durch die Staatsmacht begünstigt wird und diese wiederum unterstützt.
Denselben Angaben zufolge sollen am 9.
November ein Dutzend von Passagierbussen à 70 Plätze durch mobilisierte Bété
angemietet worden sein, die damit nach
Abidjan gefahren seien, um das Präsidentenlager zu unterstützen, bei Bedarf
mit Gewalt. 10 weitere solcher Busse sollen in
die südivoirische Hafenstadt San Pedro gefahren sein, wo der Kakao
verschifft wird. In einigen Landesteilen, so nördlich der
Metropole Abidjan, sollen Straßensperren der ‘jeunes patriotes‘ errichtet
worden sein.
BERUHIGUNG UND ERNEUTE VERBALE ESKALATION
Ab dem Dienstag (9. November) gab es dann aber gemeinsame Patrouillen
von französischen, ivoirischen und UN-Soldaten in
Abidjan, um die Lage zu beruhigen. Frankreich erklärte, es habe keinerlei
Absicht, Gbagbo zu stürzen. Das ivorische Regime
hat einen erneuten Schwenk im Wechselspiel von Agitation und Realpolitik
eingeschlagen. Es fragt sich, wie lange das gut
geht.
Das Verhältnis zwischen Frankreichs Präsident Jacques Chirac und dem
ivoirischen Staatschef Laurent Gbabgo hat sich in
den letzten Tagen erneut angespannt. Chirac sprach am Sonntag (14. November)
in Marseille öffentlich von einem
"zweifelhaften Regime" in Côte d‘Ivoire; es komme nicht in Frage, die
französische Armee aus dem Land zurückzuziehen.
Dagegen beschuldigte Gbagbo diese in einem Interview mit der italienischen
Tageszeitung ‘La Republicca‘, "in die Menge
geschossen" und über 60 Ivoirer getötet zu haben. Er selbst, so Gbagbo,
werde durch die Franzosen "zu einem Märtyrer
gemacht".
Zugleich ernannte Gbagbo den Oberst Philippe Mangou, der die Offensive
gegen die Rebellen im Norden - bei der auch die
neun französische Soldaten getötet wurden – vom 4., 5. und 6. November
leitete, zum neuen Armeechef.
Am Wochenende des 13./14. November, an dem im muslimischen Norden der
Côte d’Ivoire das Fest zum Ende des
Fastenmonats Ramadhan begangen wurde, ließ die Staatsmacht in Abidjan dem
Landesnorden erneut den Strom abdrehen.
Bereits in den Tagen vom 2. bis zum 11. November hatte der Norden unter
einer Elektrizitätssperre gelitten.
REAKTIONEN DER POLITISCHEN KRÄFTE in FRANKREICH: DIE LINKE
Aber wie reagiert die französische Linke und die Parlamentsopposition
auf die französische Verwicklung in die Kämpfe in
Côte d’Ivoire?
Die französische Sozialdemokratie, in deren Reihen der Historiker und
jetzige Präsident Laurent Gbagbo dereinst Mitglied war,
hat das ivoirische Regime in der jüngsten Krise fallen lassen."Der Parti
Socialiste (PS) ist zunehmend enttäuscht worden",
befand etwa Pierre Moscovici, ihr früherer Minister für europäische
Angelegenheiten. Bisher hatte es aus den Reihen des
französischen PS Kritik etwa an der eskalierenden Ethnisierungspolitik in
der Côte d’Ivoire gegeben; aber das Regime hatte
noch vor wenigen Monaten seine Verteidiger in den Reihen des PS wie etwa den
ehemaligen Premierminister Michel Rocard
oder den "Parteilinken" Henri Emmanuelli. Nunmehr ist erstmals die Rede von
einem expliziten Bruch, dem sich aber der
ehemalige "Kooperationsminister" (früher sagte man dazu Kolonialminister)
der Regierung Lionel Jospins, Charles Josselin,
widersetzte. Der Parteivorsitzende des PS, François Hollande, will Präsident
Gbagbo jedenfalls künftig vor allem "als
Staatschef und nicht als Sozialisten beurteilen". Noch aber ist die
ivoirische Regierungspartei, der Front populaire de Côte
d’Ivoire (FPCI) des Laurent Gbagbo, noch Mitgliedspartei der so genannten
Sozialistischen Internationalen.
Im Gegenzug zum Aufgeben der engeren Bindungen an Gbagbo unterstützten
und rechtfertigten so gut wie alle
Spitzenpolitiker der Partei das Vorgehen der Armee unter dem Oberbefehl
Chiracs und suchten in dieser Frage den nationalen
Schulterschluss. Der französische Präsident habe "nur seine Aufgabe
erfüllt", befand etwa ihr Fraktionsvorsitzender in der
Pariser Nationalversammlung, Jean-Marc Ayrault. Kritische Fragen zum
französischen Neokolonialismus als solchem sind aus
dieser Ecke also nicht zu erwarten.
Die Parteikommunisten des Parti communiste français (PCF) zeigen sich
kritischer gegenüber der französischen Politik. So ist
in einem Kommentar der KP-nahen Tageszeitung ‘L'Humanité‘ zwar kritisch vom
französischen Neokolonialismus in Afrika die
Rede, der einer der Gründe dafür sei, warum Frankreich sich nicht zum
glaubwürdigen Vermittler aufschwingen und Frieden
zwischen den Konfliktparteien schließen könne. Hinsichtlich der Konsequenzen
ist aber nicht die Rede von einem Rückzug der
französischen Armee aus Côte d’Ivoire, sondern es heißt, Paris dürfe nicht
"allein" die ivoirische Krise zu meistern versuchen,
sondern müsse mit den UN zusammenarbeiten.
Seitens der radikalen Linken stellt die
traditionalistisch-proletarische Partei Lutte ouvrière (LO, Arbeiterkampf)
auf eher
klassische Weise die Forderung "Französischen Imperialismus raus aus Afrika"
voran. Die französische Militärpräsenz habe
"nie etwas Anderes zum Ziel gehabt, als die Interessen der großen industrie-
und Finanzkonzerne Frankreichs zu
verteidigen". Deswegen sei es auch nicht verwunderlich, dass die
Abwehrreaktionen provoziere, die allerdings durch die
Gbagbo-Regierung - die jedoch von Frankreich unterstützt werde
-instrumentalisiert seien. Die französischen, militärischen
und zivilen, Opfer seien ihrerseits ebenfalls Opfer dieser Politik zugunsten
des Großkapitals.
Die undogmatisch-trotzkistische LCR révolutionnaire (LCR) erinnert in
ihrer Erklärung zunächst daran: "Frankreich bleibt eine
neokoloniale Macht", und verurteilt die französische militärische und
ökonomische Rolle in der Côte d'Ivoire. Gleichzeitig warnt
die LCR aber auch vor den gefährlichen Folgen der dortigen
Ethnisierungspolitik und verurteilt explizit das rassistische
‘Ivoirité‘-Konzept. Sie fordert eine "ivoirische politische Lösung", die
nicht von der Großmacht Frankreich aufgezwungen
werden könne, die aber voraussetze, "dass alle Ivoiriens unabhängig von
ihrer Religion, Ethnie oder Herkunft das gleiche
Wahlrech" hätten. Für den Fall des geforderten Rückzug Frankreichs und einer
Beendigung der französischen Intervention, so
heißt es, könnten eventuell "andere Nationen der Afrikanischen Union" mit
Puffertruppen in der Côte d'Ivoire präsent sein, um
die Konfliktparteien auseinander zu halten. Über letztere müsse zudem ein
Waffenembargo verhängt werden.
Editorische Anmerkungen
Diesen Artikel schickte uns
der Autor am 14.11.2004 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung.
Eine Kurzfassung erschien in "Jungle World" vom 17. November 04:
|