Nach der Ministerpräsidentenwahl in Sachsen
Die Nazis und die bürgerliche Mitte


von Max Brym
11/04

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Seit 10. November 04 ist Georg Milbradt wieder Ministerpräsident des „Freistaates Sachsen“. Der CDU-Politiker wurde jedoch nicht im ersten Wahlgang gewählt, sondern erst im zweiten. In beiden Wahlgängen erhielt der Kandidat der nazistischen NPD 14 Stimmen. Damit hatte der NPD-Kandidat jeweils um zwei Stimmen mehr, als die NPD Abgeordnete im Landtag stellt.

Mit Eifer suchen die Schreiber in den Gazetten nach den zwei „Verrätern“, die doch tatsächlich einen nazistischen Kandidaten unterstützten. Die „Bild Zeitung“ spricht von einem Skandal. Damit liegt die Bild Zeitung wieder einmal voll daneben. Das Wort Skandal ist zu übersetzen mit ungewöhnlich oder außerhalb der Norm liegend. Natürlich ist es nicht ganz normal, wenn Abgeordnete, vermutlich aus dem Unionslager, einen Nazi im Parlament unterstützen. Ein solches Verhalten ist allerdings der normale Ausdruck für die gesellschaftliche Akzeptanz, die den Nazis gegenwärtig seitens des politischen Establishments und der staatlichen Bürokratie widerfährt. Die Nazis werden häufig von Unionswählern mit der Zweitstimme gewählt. Anläßlich der Landtagswahlen bekam die NPD in Sachsen 190.909 Zweitstimmen, bei den Erststimmen hingegen nur 100.765. Der NPD-Wähler stimmt nicht nur für die NPD, sondern er wählt nebenbei, wenn kein Erststimmenkandidat der NPD zur Verfügung steht, eine „normale“ bürgerliche Partei. Das dialektische Wechselverhältnis zwischen Basis und Überbau machte sich auch bei der Ministerpräsidentenwahl bemerkbar. Neonazis sind zunehmend in breiten gesellschaftlichen Schichten salonfähig, das politische Establishment bestätigt und verfestigt dies im Überbau.

„Die NPD und DVU entzaubern“

Nach den nazistischen Wahlerfolgen im Saarland, in Brandenburg und in Sachsen, verbogen sich viele Politiker vor den Kameras in seltsame Richtungen. „Entzaubern“ wolle man „die Rechtsradikalen“ und der Nachweiß soll geführt werden, dass diese nicht kompetent seien. Damit wird den Nazis unterstellt, doch irgendwie an einer sachlichen Debatte interessiert zu sein. Durch diese an den Haaren herbeigezogene Unterstellung wird suggeriert, „dass sind irgendwie inkompetente Menschen, denen es einiges klarzumachen gelte“. Der Nazi, den es zu ächten und auszugrenzen gilt, gibt es in diesem Diskurs nicht mehr. In Wahrheit ist die NPD und die DVU extrem nationalistisch, rassistisch und antisemitisch. Soll ihnen vielleicht nachgewiesen werden, dass sie das nicht sind? Oder besteht die „Entzauberungsstrategie“ vielleicht darin, über die „Sachfrage Kanalisation“, den Wähler der Nazis zu überzeugen: „Davon haben die keine Ahnung“. Dabei wird großzügig übersehen, dass die Wähler der Nazis größtenteils Überzeugungstäter sind. Die NPD wurde von 9,2% der Wähler in Sachsen gewählt, weil sie antisemitisch, rassistisch und nationalistisch ist. An "Flurdebatten" im Landtag ist die NPD wie ihre Wählerschaft nur auf der Basis des nazistischen Programmes interessiert. Genau das ignoriert die bürgerliche Mitte und landet damit gezwungenermaßen bei der Verharmlosung der NPD und ihrer Wählerschaft. Nazis werden normal, warum dann nicht einen wählen, um meinen „geliebten“ Parteifreund Milbradt (Parteifreund ist oftmals die Steigerungsform von Feind) eine mitzugeben? Durch die Entzauberungsstrategie entblödet sich die bürgerliche Kaste selbst.

Der Staat und die Parteien normalisieren ihr Verhältnis zur NPD

In Dresden fanden bis vor kurzem Montagsdemonstrationen gegen die Hartz IV-Gesetze statt. Die Demonstrationen beruhten auf einem antirassistischen und antifaschistischen Konsens. Jede Teilnahme von Nazis wurde seitens der Anmelder der Demonstration und ihrer Ordnungskräfte unterbunden. Dieses Verhalten und dieser Konsens gefällt dem Ordnungsamt der Stadt Dresden nicht. Das Ordnungsamt besteht auf der gleichberechtigten Teilnahme der „braunen Kameraden“ an den Demonstrationen. Weil die Veranstaltungsleiter der Dresdner Montagsdemonstration bis dato das Versammlungsrecht der Nazis nicht im Sinn des Ordnungsamtes duldeten, werden sie nicht mehr als Anmelder der Demonstration akzeptiert. „Die Sorge“ um die Versammlungsfreiheit der Neonazis dominiert die Gehirne der Dresdner Stadtverwaltung und der polizeilichen Einsatzleitung. Sie möchten konsequenterweise die deutschen Faschisten auf der Straße haben und in diesem Zusammenhang erklären sie jeden Antifaschisten, der das anders sieht, zum Antidemokraten. Herr Voigt (NPD-Vorsitzender) und Herr Apfel sind mit den Dresdner Stadtorganen zufrieden.

„Was erlauben Strunz“

Auf N 24 läuft eine Sendung unter diesem scheinbar witzigen Titel. Auf dem Sender ereignete sich Anfang Oktober 04 ein neue Willkommensfrequenz zu Gunsten des Naziführers Udo Voigt. Herr Voigt meint zwar, dass „Hitler ein großer Staatsmann gewesen sei“ und das die Bundesrepublik ein „illegitimes System“ sei (welches System für ihn legitim ist, dürfte klar sein), dennoch durfte sich dieser Herr am 11. Oktober 04 in der genannten Sendung einer völlig legitimierten Debatte stellen. Claus Strunz, hauptberuflich Chefredakteur bei „Bild am Sonntag“, leitete die Debatte zwischen Udo Voigt und dem „einstigen SPD-Vordenker“ Peter Glotz. Als Strunz den früheren SPD-Politiker fragte, ob „man Rechtsextremisten im Fernsehen ein Forum geben sollte“, antwortete Peter Glotz mit hochrotem Kopf, „wenn mir etwas auf den Hammer geht, dann Journalisten die sagen, dass dürfe man nicht. Journalisten sollen das Zeitgespräch der Gesellschaft moderieren.“ Ergo, Glotz will von einer Ausgrenzung der Rechtsextremisten nichts wissen, er will das Zeitgespräch mit ihnen gesellschaftlich moderiert haben. Der Dialogspezialist Peter Glotz rechtfertigte seine Legitimierung der Nazis mit einem absurden, beleidigenden und gefährlichen Vergleich. Glotz erklärte, er habe schon heikle Debatten geführt, unter anderem mit Franz Schönhuber und Ernest Mandel. Der Unterschied zwischen einem REP-Gründer und einem jüdischen Widerstandskämpfer, dem bekannten marxistischen Theoretiker Mandel, interessiert Glotz nicht im geringsten. Offensichtlich sind die Nazis in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen. Staatsorgane machen sich für ihr Demonstrationsrecht stark, Abgeordnete aus dem bürgerlichen Spektrum wählen einen NPD-Kandidaten und Herr Glotz diskutiert mit dem Naziführer, zudem noch auf eine sehr ungeschickte Art. Der Vergleich Schönhuber mit Mandel ist eine Ungeheuerlichkeit, folgt allerdings dem Schema links = rechts, mit dem Ziel die Rechten zu verharmlosen, zu legitimieren und nach links zu schlagen.
 

Editorische Anmerkungen

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 13.11.2004 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.