"Das Ziel der fristlosen Kündigungen ist die Einschüchterung der Belegschaft"

Interview mit Turhan Ersin, fristlos gekündigter Opel-Betriebsrat

Von Andreas Kunstmann und Dietmar Henning

11/04

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Kurze Zeit nach Beendigung des siebentägigen Streiks im Bochumer Opel-Werk hat die Unternehmensleitung zwei Arbeitern, darunter dem Betriebsratsmitglied Turhan Ersin, die fristlose Kündigung ausgesprochen. Eine Vereinbarung, wie sie in den letzten Jahrzehnten jedes Mal getroffen worden war, dass Teilnehmer des Streiks anschließend nicht durch Entlassungen oder andere Maßregelungen abgestraft werden dürfen, hatten diesmal Gewerkschaft und Betriebsrat nicht abgeschlossen.

Das gibt der Bochumer Opel-Unternehmensleitung nun freie Hand, gegen die Wortführer des Streiks vorzugehen - wie sie dies bereits während des Streiks angekündigt hatte. Inzwischen ist noch ein weiterer Opel-Arbeiter, Jürgen Rosenthal, zur Zielscheibe der Unternehmensleitung geworden, weil er beim Streik eine führende Position einnahm. Er hat an einem Tag drei Abmahnungen erhalten. Angeblich habe er ein Firmenfahrzeug ohne Genehmigung bewegt und Pakete falsch oder gar nicht gestempelt.

Da der Bochumer Betriebsrat am 28. Oktober die Kündigung von Turhan Ersin und seines Kollegen einstimmig ablehnte, hat die Bochumer Opel-Geschäftsführung einen Beschluss zur Durchsetzung der Kündigung beantragt. Eine Klageschrift ist am 5. November beim Arbeitsgericht Bochum eingegangen. Ersin war seit 1988 acht Jahre lang Jugendvertreter, davon fünf Jahre als Vorsitzender. Seit 1998 war er Ersatz-Betriebsrat und seit 2002 ist er ordentliches Mitglied des Betriebsrates.

Mit Turhan Ersin sprachen Andreas Kunstmann und Dietmar Henning.

WSWS: Was genau wird Dir vorgeworfen?

Turhan Ersin: Mir wird vorgeworfen, dass ich Kollegen verbal angegangen und genötigt hätte. Körperliche Angriffe werden mir nicht vorgeworfen. Soweit ich weiß, sollen sich ein Meister und zwei weitere Kollegen über mich beschwert haben. Deren Namen möchte ich aber nicht öffentlich nennen.

Wir waren auf der Nachtschicht in Werk I. Zum Glück war ich dabei nicht alleine, etwa 150 Kollegen waren mit mir dort. Ich habe dort mit einem Megaphon die Zahlen bekannt gegeben, die Opel abbauen möchte. Die Zahlen hatte uns unser Betriebsratsvorsitzender Dietmar Hahn ein paar Stunden vorher in der Betriebsratssitzung mitgeteilt.

Dann hat sich ein Mitarbeiter vor mir aufgebaut und mich der Lüge bezichtigt. Ich habe ihn gefragt: "Wer bist du überhaupt?", denn er hatte keinen Kittel an und ich wußte nicht, wer er war. Er sagte: "Ich bin der Meister so und so", den Namen möchte ich nicht nennen. Darauf antwortete ich: "Wenn es keine Belegschaft gibt, dann gibt es auch keine Meister, ist dir das bewusst?" Und er antwortete: "Vom Betriebsrat lasse ich mir nicht so einen Mist erzählen." Ich erklärte ihm dann: "Das ist kein Mist, ich bin in der Personalkommission. Wenn welche gehen müssen, dann bist du mit dabei. Du bist doch genauso jung wie ich."

Das empfand der Meister offensichtlich als Nötigung. Ich habe ihn weder angepackt noch beleidigt, noch bin ich unsachlich gewesen. Er hat mich aber immer wieder der Lüge bezichtigt. Zum Glück waren 150 Kollegen dabei, von denen viele Zeugen dieser Auseinandersetzung waren.

Außerdem gab es einen Vorfall im Werk II. Das war ein paar Tage später. In Werk II habe ich die Informationsveranstaltungen begleitet. Wir waren sieben Tage lang fast 24 Stunden dort. Nicht nur ich, sondern alle meine Kollegen. Das war wahnsinnig. Von allen Seiten bekamen wir Solidarität, auch Kinder kamen auf uns zu.

Auf der Informationsveranstaltung wurde gesagt, dass die Instandhaltung arbeite. Die Kollegen fragten, was zu tun sei. Für den Bereich bin ich zuständig. Ich sagte den Kollegen, dass nicht die komplette Instandhaltung arbeite, sondern nur die Kollegen A, B und C. Ich habe gesagt: "Passt auf, jeder hat das Recht zu arbeiten. Wenn die Kollegen meinen, sie müssten arbeiten, dann arbeiten die. Die lassen wir in Ruhe."

Jetzt wird mir vorgeworfen, dass ich die drei Kollegen namentlich genannt habe und diese deshalb dem Druck der streikenden Belegschaft ausgesetzt gewesen seien. Kein Kollege hat diesen Mitarbeitern ein Haar gekrümmt. Wir sind ja keine Tiere, wir sind Menschen. In dem Schriftsatz, den Opel beim Gericht eingereicht hat, wird aus der Nennung der Namen jetzt ein Riesenszenario aufgebaut.

Gibt es weitere von Repressalien betroffene Kollegen neben dir und dem zweiten Kollegen, dem fristlos gekündigt wurde?

Der Kollege Jürgen Rosenthal wurde dreimal abgemahnt. Die Vorwürfe gegen ihn finde ich lächerlich. Die angeblichen Vorfälle sind am 8. Oktober passiert, aber erst später, nach den mehrtägigen Informationsveranstaltungen [dem Streik] bekam er die Abmahnungen. Der Zusammenhang ist also ganz klar. Das Ziel der fristlosen Kündigungen und der Abmahnungen des Kollegen Rosenthal ist die Einschüchterung der Belegschaft.

Weitere Fälle sind mir nicht bekannt.

Die Vertrauenskörperleitung (VKL) der IG Metall bei Opel-Bochum sammelt Unterschriften gegen die Kündigungen. Wie ist die Resonanz darauf?

Sehr groß. Die Sammlung der Unterschriften läuft zur Zeit noch. Ich weiß, dass die Kollegen hinter mir stehen. In den Werken II und III, für die ich als Betriebsrat zuständig bin, stehen sie wie eine Eins hinter mir, weil sie auch an mich glauben.

Wie konnte es passieren, dass vor Ende des Streiks keine Vereinbarung mit dem Unternehmen getroffen wurde, dass keine Kollegen gemaßregelt werden?

Das frage ich mich auch. Kündigungen waren ja sogar vorher angekündigt worden. Normalerweise wird bei jeder Aktion vereinbart, dass keinem was passiert. Die Frage müsst ihr anderen Leuten stellen. Unmittelbar nach der Belegschaftsversammlung, auf der die Wiederaufnahme der Arbeit beschlossen wurde, gingen die Kollegen wieder zur Arbeit. Die Vereinbarung hätte man vorher treffen müssen. Im Betriebsrat haben wir das nicht diskutiert. Wir haben eine Betriebsratsspitze und die hätten sich das vorher überlegen müssen.

Wie siehst du den Abbruch des Streiks?

Wir haben immer gesagt, dass die Belegschaft entscheiden muss. Jeder hätte sich dem Votum auch gebeugt. Mit dem Stimmzettel ist sehr großer Mist passiert. Der Stimmzettel wurde über Nacht umformuliert, obwohl es einen einstimmigen Beschluss gab, in dem auch der Wortlaut des Stimmzettels festgelegt war. Beschlossen war diese Frage: "Bist Du für eine Unterbrechung der Informationsveranstaltung? Ja/Nein" Nicht mehr und nicht weniger. Am nächsten Tag sind wir umgefallen, als wir den Stimmzettel gesehen haben. Dort stand: "Soll der Betriebsrat die Verhandlungen mit der Geschäftsleitung weiter führen und die Arbeit wieder aufgenommen werden?"

Wie kam die Belegschaftsversammlung zustande, auf der ohne Diskussion über den Abbruch des Streiks entschieden wurde?

Die Initiative kam aus Werk II und III. Wir haben das im Betriebsrat diskutiert. Wir mussten ganz kurzfristig von heute auf morgen die Halle anmieten. Die konnten wir nur für ein paar Stunden haben. Wir kamen dann zum Schluss, dass die Zeitspanne für eine Diskussion nicht ausreicht. Da wir die Fragestellung auf dem Stimmzettel klar festgelegt hatten, hatte ich es nicht für nötig gehalten, auf der Versammlung darüber zu diskutieren. Nur weil der Text festgelegt war, hatten wir zugestimmt, dass die Belegschaftsversammlung ohne Diskussion stattfindet.

Was müßte getan werden, um Euch zu verteidigen?

Im Betriebsrat betone ich, dass sie mich außen vor lassen sollen. Es geht um den zweiten Kollegen, der nicht Betriebsrat ist. Das ist ein ganz normaler Arbeiter. Der hat möglicherweise das eine oder andere Wort verfehlt. Darum geht es aber nicht. Er hat niemanden angepackt, er hat nichts beschädigt, gar nichts. Der Betriebsrat müsste meiner Meinung nach jegliche Mehrarbeit auf Null drehen, bis seine Kündigung rückgängig gemacht ist. Ich habe als Betriebsrat bessere Rechte als er. Mich muss Opel aus dem Betrieb klagen, der Kollege muss klagen, um wieder in den Betrieb zu dürfen. Dass der Betriebsrat seiner Kündigung nicht zugestimmt hat, ändert daran nichts. Ich finde es traurig, dass da nicht mehr gemacht wird, um das Unternehmen unter Druck zu setzen und ihn zu verteidigen.

Wir haben gehört, dass jedes Wochenende Mehrarbeit stattfindet. Hat dies etwas mit eurem Streik zu tun?

Nein, nicht direkt. Eigentlich wird regelmäßig am Samstag gearbeitet - sowohl vorher als auch nachher.

Wie sieht es mit Kontakten zu anderen Opel-Betrieben aus, z. B. in Polen oder in Belgien?

Leider kocht im Moment jeder sein eigenes Süppchen. In Rüsselsheim und Kaiserslautern drehen die in der Pause ihre Runde und nehmen dann die Arbeit wieder auf. Wir sind auf uns alleine angewiesen. Wir können aber nicht sagen, weil die Kollegen an anderen Standorten sich nicht bewegen, bewegen wir uns auch nicht.

Wir müssten uns eigentlich alle zusammen tun und gemeinsam gegen das Riesen-Unternehmen General Motors angehen. Ein Spruch der IG Metall lautet: Nur gemeinsam sind wir stark. Aber das wird in letzter Zeit leider nur wenig praktiziert und deshalb kämpft jedes Werk für sich.

Die WSWS fordert die Opel-Beschäftigten und alle Arbeiter auf, die fristlosen Kündigungen und Einschüchterungsversuche der Konzernleitung zurückzuweisen. Schreibt Protestbriefe an:

Geschäftsleitung der Opel-Werke Bochum, Adam Opel AG
Opelring 1
44803 Bochum

und

Hans H. Demant
Vorsitzender des Vorstands
Adam Opel AG
Friedrich-Lutzmann-Ring
65423 Rüsselsheim

Fordert die sofortige Zurücknahme der Kündigungen und das Ende aller Maßregelungen für Teilnehmer an dem Arbeitskampf vom 14. bis 20. Oktober.

Schickt Kopien dieser Protestbriefe an den

Betriebsrat der Opel-Werke Bochum Adam Opel AG
Opelring 1
44803 Bochum

und an die Redaktion der WSWS

 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien am 16. November 2004 bei www.wsws.org und ist eine Spiegelung von www.wsws.org/de/2004/nov2004/opel-n16.shtml