Patente statt Bomben
USA veranlassen Gesetz zur Kontrolle von
Saatgut und Ernte im Irak

von Andreas Bauer
11/05

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„Wetten wir, dass im Irak innerhalb eines Jahres GVO angebaut werden?“
(John Vidal, The Guardian, 2.7.2003)

Um 8500 v.Chr. begannen kleine Gruppen von Jägern und Sammlern im fruchtbaren Gebiet des heutigen Irak, Samen von Wildpflanzen aufzubewahren und die besten Körner wieder auszusäen. Allgemein wird dieser Schritt als Übergang zur Kultur der Ackerbauer und Viehzüchter angesehen. Der Irak wurde damit zur Wiege der Landwirtschaft, die unsere Kultur heute entscheidend prägt.

Einige der wichtigsten Nahrungspflanzen der Menschheit wie Weizen oder Gerste wurden in diesem Gebiet kultiviert und im Laufe der Jahrhunderte weitergezüchtet. Auf diese Weise entstanden Tausende verschiedener Sorten, angepasst an verschiedene Boden- und Klimaverhältnisse oder mit Resistenzen gegen verschiedene Krankheiten und Schädlinge. Schätzungen zufolge geht ein Großteil der 200 000 bekannten Weizensorten auf die Bauern im Zweistromland zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris zurück. Diese sind nicht nur ein zentraler Teil des kulturellen Erbes des Irak, sondern der gesamten Menschheit. Darüber hinaus sind die Eigenschaften dieser Sorten angesichts des bevorstehenden Klimawandels oder eines möglichen Auftretens neuer Schädlinge zentral für die künftige Züchtungsarbeit. Der freie Austausch von Saatgut unter den Bauern und das Aufbewahren eines Teils der Ernte zur Wiederaussaat ist bis heute die Grundlage kleinbäuerlicher Landwirtschaft im Irak und vielen Ländern der so genannten Dritten Welt. Laut Angabe der Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ist dies auch bei 97 Prozent der irakischen Bauern Praxis. Freier Nachbau und Saatguttausch sind für 1,4 Milliarden Kleinbauern auf der Welt nicht nur die Basis für das Überleben, sondern auch für die Weiterentwicklung und Erhaltung der biologischen Vielfalt. Weltweit befinden sich schätzungsweise noch 75 Prozent des Saatgutes in den Händen der Bauern und sind damit der Kontrolle durch die großen multinationalen Konzerne des Agrarsektors entzogen.

Anordnung der Sieger

Nach den Plänen von US-Regierung und Agro-Industrie sollen jedoch traditionelle Sorten, freier Saatguttausch und Sortenvielfalt im Irak schon bald der Vergangenheit angehören. Ein Erlass des ehemaligen Zivilverwalters für den Irak, Paul Bremer, könnte die (Ernährungs)Souveränität des Landes so nachhaltig beeinträchtigen wie keine andere politische Intervention aus Washington. Denn dieses Gesetz, von der Besatzungsmacht erlassen und Anfang März vom irakischen Parlament ratifiziert, erklärt die seit Jahrtausenden gepflegte Tradition von Nachbau und Saatguttausch de facto für illegal und forciert das Eindringen der Saatgutkonzerne in den Irak. Als Bremer Ende Juni 2004 Bagdad verließ, hinterließ er der irakischen Übergangsregierung eine Reihe neuer Verordnungen und Gesetzesentwürfe. Unter diesen Gesetzen befindet sich der Erlass 81, der das irakische Patentrecht von 1970 ersetzt.1 Dieser Erlass über „Patente, Industriemuster, unveröffentlichte Informationen, integrierte Schaltkreise und Pflanzensorten“ stellt gültiges und bindendes Recht dar.

Erlass 81: Die Lex Monsanto

Die Umweltorganisationen ‚Focus on the Global South’ und GRAIN hatten im Oktober 2004 die Weltöffentlichkeit darüber informiert, dass im Irak das uralte System der Wiederaussaat eines Teils der Ernte durch die neuen Gesetze der US-Besatzer faktisch verboten wird.2 In Zukunft soll stattdessen patentiertes oder geschütztes Saatgut von Konzernen wie Monsanto, Bayer oder Syngenta auf den irakischen Markt kommen. In das ursprüngliche irakische Patentgesetz wurde zu diesem Zweck ein völlig neuer Abschnitt über den „Schutz neuer Pflanzensorten“ eingefügt. Der Nachbau dieser neuen Sorten ist strikt verboten. So besagt der neue Artikel 15 des irakischen Patentgesetzes: „Den Landwirten ist es untersagt, Saatgut geschützter Sorten [...] nachzubauen...“3 Gleichzeitig werden den Bauern drakonische Strafen für die Verletzung des Nachbauverbotes, Handel oder Aufbewahrung geschützter Pflanzensorten angedroht. Und schließlich wird in Erlass 81 ausdrücklich der Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen gestattet: Artikel 14, Absatz D: „Diese [...] Sorten können auch das Ergebnis einer gentechnischen Veränderung sein.“
Die Umsetzung dieses Erlasses wäre eine Kriegserklärung an die irakischen Landwirte, so die Umwelt- und Entwicklungsorganisation GRAIN. Von den US-Besatzern wird das neue Gesetz dagegen als notwendiger Schritt dargestellt, „um die Versorgung des Irak mit hochwertigem Getreide zu sichern“, den „Wiederaufbau der irakischen Landwirtschaft“ voranzutreiben und den Beitritt des Landes zur WTO zu erleichtern. Das neue, von den USA erzwungene Patentgesetz führt zu diesem Zweck ein System von Monopolrechten an Saatgut und Privateigentum an biologischen Ressourcen ein, das die irakische Verfassung bislang verboten hatte. Die darin enthaltenen Sortenschutzrechte sind eine Art geistiger Eigentumsrechte, die einem Patent auf Pflanzensorten gleichkommen. Sie sind international an die so genannte UPOV-Konvention4 gebunden. Dieses Internationale Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen wurde 1961 unterzeichnet und trat 1968 in Kraft. Ziel der UPOV ist es, Züchtern exklusive Eigentumsrechte zuzusprechen. Bei der letzten Änderung von 1991 wurden die Rechte der Züchter noch einmal stark erweitert und dabei traditionelle Bauernrechte eingeschränkt.

Verschärfung des Sortenschutzes

Erlass 81 geht aber weit über das Internationale Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) hinaus. UPOV schützt zwar die „geistigen“ Eigentumsrechte von Pflanzenzüchtern und legt die Zahlung von Lizenzgebühren bei registrierten Sorten fest. Es erlaubt den Bauern jedoch im so genannten Landwirte-Privileg, von der Ernte Saatgut zu behalten und es im nächsten Jahr ohne neuerliche Zahlung von Lizenzgebühren auszusäen. Außerdem dürfen Landwirte dieses Saatgut auch für Weiterzüchtungen verwenden. Dieses Privileg soll laut Erlass 81 im Irak zugunsten der großen Agrarkonzerne fallen: Er verbietet explizit und ohne jede Einschränkung die Wiederaussaat von geschützten Sorten und hebelt damit das Landwirte-Privileg vollständig aus. Produktion, Reproduktion, Verkauf, Export und Import geschützter Pflanzensorten sind danach ausschließlich den Saatgutkonzernen vorbehalten. Damit geht der Sortenschutz, wie er in Erlass 81 definiert wird, weit über alles bisher bekannte hinaus und ist nur mehr in Nuancen vom Patentrecht zu unterscheiden.

Freie Märkte für Iraks Landwirtschaft?

Erlass 81 hält fest, dass die darin enthaltenen Vorschriften von großer Bedeutung sind für den Übergang des Irak „von einer intransparenten Planwirtschaft zu einer freien Marktwirtschaft, die gekennzeichnet ist von nachhaltigem Wirtschaftswachstum durch die Errichtung eines dynamischen privatwirtschaftlichen Sektors und vom Bedarf an institutionellen und rechtlichen Reformen, die diesen Übergang wirksam werden lassen.“ Die ‚Reform’ der Landwirtschaft wird vor allem von der US Agentur für internationale Entwicklung (USAID) vorangetrieben, die seit Oktober 2003 ein ‚Landwirtschaftliches Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm für den Irak’ (ARDI) leitet. Ziel von ARDI ist, die Geschäftsbedingungen für Unternehmen im Agrarbereich zu verbessern und so Märkte für Agrarprodukte und entsprechende Dienstleistungen aus Übersee zu schaffen. Diese Wiederaufbauarbeit hat aber nichts mit dem Wiederaufbau innerstaatlicher Wirtschaftsstrukturen und -kapazitäten zu tun, sondern unterstützt mit Billigung der Besatzungsmächte die Konzerne dabei, den irakischen Markt zu übernehmen. Der von Bremer geschaffene rechtliche Rahmen stellt damit die dauerhafte Beherrschung der irakischen Wirtschaft durch die USA auch für den Fall sicher, dass sich die US-amerikanischen Truppen in absehbarer Zeit aus dem Irak zurückziehen. Der Erlass steht in Zusammenhang mit einer rabiaten neoliberalen Umstrukturierung der irakischen Wirtschaft. Nutznießer dieses Umbaus sind ausschließlich große, transnationale Konzerne. So wird bei-spielsweise in einem anderen Dekret (Erlass 39) verfügt, dass ausländische Investoren die gleichen Rechte auf dem irakischen Binnenmarkt besitzen wie die Iraker selbst.

Bilaterale Knebelvereinbarungen

Der Irak ist lediglich ein weiteres, extremes Beispiel für die globale Durchsetzung von Gesetzen, die multinationalen Konzernen auf Kosten der Bauern Monopolrechte und Patente auf Saatgut ermöglichen. So wurden auch Sri Lanka, Kambodscha und anderen Ländern des Südens im Rahmen von Handelsabkommen von den USA Sortenschutzgesetze aufgezwungen, die über die Standards des WTO-Rechts hinausgehen und sich an UPOV 91 orientieren. Unlängst haben die USA als Teil ihrer Wiederaufbauunterstützung ein Rahmenabkommen über Handel und Investitionen mit Afghanistan unterzeichnet, welches auch den Aspekt geistiger Eigentumsrechte umfasst. Der Irak ist nur insofern ein Sonderfall, als das neue Patentgesetz nicht Teil von Verhandlungen zwischen souveränen Staaten war, sondern von den USA als Besatzungsmacht dekretiert wurde. Shalini Butani, einer der Autoren der GRAIN-Studie: „Die USA haben durch Handelsvereinbarungen überall auf der Welt Patente auf Leben durchgesetzt. In diesem Fall haben sie ein Land erst überfallen und ihm dann ihr Patentrecht aufgezwungen. Das ist unmoralisch und nicht hinnehmbar.”5

Wege der Kontamination I: Nahrungsmittelhilfe

Wie jedoch kommen Industriesorten oder genmanipulierte Pflanzen der Agro- und Gentechnikkonzerne in den Irak? Zum einen über die Nahrungsmittelhilfe des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP). Hauptsponsor des Welternährungsprogramms sind traditionell die USA, die auf diese Weise ihre massiven Agrarüberschüsse entsorgen, vor allem genmanipulierter Mais und Soja, für die es auf dem Weltmarkt keinen Käufer gibt. In Mexiko wurde mit GVO-kontaminierter Nahrungsmittelhilfe innerhalb weniger Jahre ein bedeutender Teil des traditionellen Saatgutes mit Genmais verschmutzt. Denn diese „Nahrungsmittelhilfe“ ist nicht als gentechnisch verändert gekennzeichnet und wird von den nicht informierten Bauern als Saatgut verwendet. Patentierte Gentech-Pflanzen und andere geschützte Industriesorten können so leicht überall auf der Welt verbreitet werden.

Gezielte Kontamination wird von der Agro-Industrie als ein entscheidendes Mittel angesehen, den weltweiten Widerstand gegen die Gentechnik zu brechen. Auf einem Gentechnikkongress im Jahre 1999 wurde den Teilnehmern das Firmenziel des Monsanto-Konzerns vorgestellt. Die Arthur Anderson Consulting Group hatte die Firma gefragt, wie sich das Unternehmen die Zukunft des Saatgutmarktes vorstelle. Die Firma entwarf ein Szenario, in dem binnen 15 bis 20 Jahren sämtliches Saatgut auf der Welt gentechnisch verändert und damit patentiert sein würde. Die entscheidende Strategie, die der Konzern verfolgen solle, so die Empfehlung der Arthur Anderson Consulting Group, sei die Einflussnahme auf die US-Regierung. Deren Rolle solle es sein, genmanipulierte Produkte auf die Märkte der Welt zu bringen, bevor sich Widerstand regt.6„Die Industrie hofft darauf, dass der Markt im Lauf der Zeit so überschwemmt wird, dass man nichts mehr dagegen tun kann. Man findet sich einfach damit ab,“ sagte der Vertreter eines Biotechnologieunternehmens.7 Die Umsetzung dieser Strategie kann heute in mustergültiger Form im Irak beobachtet werden.

Wege der Kontamination II: Anbauhilfe

Eine weitere Möglichkeit des Eindringens geschützter oder genmanipulierter Pflanzen in die Landwirtschaft des Irak legt ein Artikel der „Land and Livestock Post“ nahe: Im Rahmen eines 107 Millionen Dollar teuren Projektes, das von der texanischen A&M Universität durchgeführt wird, sollen irakische Bauern im Anbau geschützter „Hochertragssorten“ von Gerste, Erbsen und Weizen unterrichtet werden.8 Welche Art von Pflanzen bei diesem Projekt propagiert wird, daran lässt die Selbstbeschreibung der Universität keinen Zweifel. In ihrem Internet-Auftritt bezeichnet sie sich als eine weltweit führende Kraft in der landwirtschaftlichen Biotechnologie, in den USA ein Synonym für Gentechnik.9 Zweifellos wird es für die irakischen Bauern wie während der „Grünen Revolution“ in Asien zunächst zu großzügigen Unterstützungen oder günstigen Krediten für den Kauf von Industriesaatgut und der dazugehörigen Agrarchemikalien kommen.

Breitbandpatente auf Pflanzeneigenschaften

Schließlich erstreckt sich der Geltungsbereich von Erlass 81 auch auf solche Pflanzensorten, die gleiche oder ähnliche Charakteristiken wie die geschützten Industriesorten besitzen. Damit können auch traditionelle irakische Landsorten unter das Diktat von Pflanzenpatenten fallen. Proben dieser Pflanzensorten wurden seit den 70er Jahren in der nationalen Genbank in Abu Ghraib vor den Toren Bagdads gesammelt. Wahrscheinlich sind alle diese Proben während der Kriege verloren gegangen. Allerdings hat das in Syrien ansässige International Centre for Agricultural Research in Dry Areas (ICARDA) immer noch Ableger mehrerer irakischer Pflanzensorten im Besitz. Doch schon in anderen Fällen wurde Pflanzenmaterial, das sich im Besitz eines der internationalen Agrarforschungsinstitute befand (u.a. verschiedene Reissorten), unter der Hand an Wissenschaftler aus den Industrieländern weitergegeben, die sich aus diesem Material entwickelte Pflanzen dann patentieren ließen. Diese Form von „Biopiraterie“ wird durch Gesetze über geistige Eigentumsrechte gefördert, die traditionelles Wissen von Bauern nicht berücksichtigen und einem Züchter praktisch uneingeschränkte Rechte verleihen, wenn er behauptet, auf der Grundlage des Pflanzenmaterials und des Wissens genau jener Bauern etwas Neues geschaffen zu haben.

Auf dieser Grundlage ist es Unternehmen möglich, eine Pflanzensorte zu entwickeln, welche spezifische Charakteristiken, beispiels-weise eine Resistenz gegen eine im Irak vorkommende Pflanzenkrankheit besitzt. Diese Eigenschaft könnte dann patentiert werden, obwohl es im Irak möglicherweise seit Hunderten von Jahren Sorten gibt, die die gleiche Resistenz besitzen. Dass dieses Szenario realistisch ist, zeigt ein Patent der Firma SunGene. Diese ließ sich vor einigen Jahren eine Sonnenblumensorte mit einem hohen Ölsäuregehalt patentieren. Das Patent umfasst jedoch nicht nur die genetische Struktur der Sorte, sondern den hohen Ölgehalt als solchen. Nach der Erteilung des Patents informierte die Firma umgehend andere Sonnenblumenzüchter, dass jede andere Züchtung auf gleiche oder höhere Ölgehalte eine Patentverletzung darstelle und gerichtlich verfolgt würde.

Ausweglose Lage

Welche Möglichkeit haben Iraks Bauern, mit dieser Situation umzugehen? Sie können zum einen versuchen, weiterhin ihr im Verlauf der jahrelangen Kriege rar gewordenes traditionelles Saatgut zu verwenden, oder sie können die teuren, „neuen“ Sorten der Konzerne Monsanto, Syngenta, Dow und Bayer auf Kredit kaufen, sich damit in die Schuldenspirale begeben, die auch Bauern in Ländern wie Indien ruiniert hat, und zusätzlich das Recht auf Nachbau verlieren. Doch auch die Bauern, die sich für die erste Option entscheiden, werden sich wie ihre Kollegen aus Kanada oder Mexiko nicht vor der Kontamination ihrer Felder durch GVO und andere geschützte Sorten der Großkonzerne schützen können.

Ob über Nahrungsmittelhilfe, Pollenflug, Insektenbestäubung oder technische Kontamination bei Transport oder Verarbeitung: Innerhalb weniger Jahre wird jeder irakische Bauer zu einem mehr oder weniger großen Anteil Pflanzen auf seinen Äckern stehen haben, die er nicht mehr als Saatgut für die nächste Saison nutzen darf. Er wird dadurch gezwungen sein, jedes Jahr neues Saatgut bei den großen multinationalen Konzernen einzukaufen oder sich der Verletzung des Sorten- oder Patentrechts schuldig machen.

Menetekel Kanada

Der Fall Percy Schmeiser zeigt eine Realität, die auch im Irak Alltag werden könnte: Der kanadische Landwirt Schmeiser wurde vom höchsten kanadischen Gericht schuldig gesprochen, weil Genraps der Firma Monsanto auf seinen Feldern wuchs. Der Wind hatte den Rapssamen, der resistent gegen das Pestizid Roundup® ist, von einem Transporter auf seine Felder geweht und sich mit Schmeisers Züchtung vermischt. Der Bauer hatte dann wie immer einen Teil der Ernte wieder ausgesät. Von Monsanto ausgeschickte Detektive kontrollierten seine Felder, es kam zur Klage. Im Sinne des Patentrechts sei irrelevant, wie die Samen auf Schmeisers Felder gekommen seien, befand das Gericht. Er wurde für schuldig befunden, die geschützten Monsanto-Pflanzen widerrechtlich genutzt zu haben. Wörtlich erklärten die Richter: „Durch den nicht lizenzierten Anbau von Pflanzen, die das patentierte Gen enthalten, brachten die Schmeisers Monsanto um den Monopolanspruch.“10

Monopole auch auf Werkzeuge

Das Patentrecht macht es also irrelevant, ob der Anbau absichtlich oder unabsichtlich, aufgrund von technischer Kontamination oder Auskreuzung stattfindet: Sobald eine Pflanze patentiertes Genmaterial in sich trägt, gehört sie der Firma, die dieses Material patentiert hat. Nach diesem Grundsatzurteil ist klar: Wenn ein irakischer Bauer traditionelles Saatgut benutzt und die geschützte oder patentierte Sorte eines Nachbarn auf seine Pflanzen auskreuzt, macht er sich strafbar. Die Folgen dieser Patentrechtsverletzung können den betreffenden Landwirt um seine Existenz bringen. Erlass 81 sagt dazu: „Das Gericht kann die Konfiszierung der Ernte als auch der Materialien und Werkzeuge anordnen, die zur Verletzung des Schutzes der Sorte genutzt wurden. Das Gericht kann auch die Vernichtung der Ernte [...] anordnen.“11 Das bedeutet, dass ein Landwirt, der nichts anderes macht als das, was Bauern seit dem Beginn der Zivilisation tun, nämlich einen Teil seiner Ernte wieder auszusäen, nicht nur diese und alle aus ihr gewonnenen Produkte wie Brot etc. verlieren kann, sondern auch seinen Traktor, Pflug oder Lagermöglichkeiten.

Zäsur in der Zivilisation

Erlass 81 ist eine Zäsur in der Geschichte der menschlichen Zivilisation. Diese hatte mit der gemeinschaftlichen Sorge der Menschen um die Sicherung der Ernährung und mit freiem Saatguttausch begonnen. Sie endet mit der Kontrolle einer Handvoll Großkonzerne über die Grundlagen der menschlichen Ernährung. „Beherrsche die Energie, und du beherrschst die Völker. Beherrsche die Nahrung, und du beherrschst die Menschen“ – Henry Kissinger, der ehemalige amerikanische Außenminister, soll dies gesagt haben. Seine Adepten haben diesen Satz verinnerlicht.

Saatgut steht am Anfang der Nahrungskette

Politische Souveränität wird für den Irak noch lange eine Illusion bleiben, doch sein Recht auf Ernährungssouveränität ist durch diese neuen Regelungen zur Unmöglichkeit geworden. Ernährungssouveränität meint das Recht der Menschen, ihre eigene Lebensmittel- und Landwirtschaftspolitik festzulegen, die inländische Agrarproduktion und den Handel mit Agrarprodukten zu schützen und zu regulieren und darüber zu entscheiden, auf welche Weise Nahrungsmittel hergestellt werden. Doch von Freiheit und Souveränität des Irak, so der abschließende Kommentar von GRAIN, „kann solange keine Rede sein, wie die Iraker keine Kontrolle darüber haben, was sie säen, anbauen, ernten und essen.“

Anmerkungen

1) Patent, Industrial Design, Undisclosed Information, Integrated Circuits and Plant Variety Law of 2004, CPA Order No. 81, 26.4.2004, www.iraqcoalition.org
2) GRAIN/Focus on the Global South October 2004: Iraq’s new patent law: A declaration of war against farmers; http://www.grain.org/articles/?id=6 ; deutsche Übersetzung: BUKO Kampagne gegen Biopiraterie, www.biopiraterie.de/texte/biopiraten/irak.php
3) Article 15 is added to read as follows: „B. Farmers shall be prohibited from re-using seeds of protected varieties or any variety mentioned in items 1 and 2 of paragraph (C) of Article 14 of this Chapter.”
4) http://www.upov.org/
5) GRAIN: World Food Day: Iraqi farmers aren’t celebrating, 15.10.2004
www.grain.org/nfg/?id=253
6) Jeffrey M. Smith, Trojanische Saaten – Genmanipulierte Nahrung. Genmanipulierter Mensch, Riemann Verlag, 2004
7)  Stuart Laidlaw, StarLink fallout could cost billion, The Toronto Star, 9.1.2001
8) www.landandlivestockpost.com/crops/110103iraqiag.htm 
9) www.theecologist.co.uk/article.html?article=487
10) „By cultivating a plant containing the patented gene and composed of the patented cells without license, [the Schmeisers] thus deprived Monsanto of the full enjoyment of its monopoly” Brigitte Zarzer: Percy Schmeiser verliert gegen Monsanto, 24.05.2004, www.heise.de/tp/r4/artikel/17/17492/1.html
11) ebd.: „The court may order the confiscation of the infringing variety as well as the materials and tools substantially used in the infringement of the protected variety. The court may also decide to destroy the infringing variety as well as the materials and tools or to dispose of them in any noncommercial purpose."

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde von www.umweltinstitut.org gespiegelt und war zunächst erschienen in: Umweltnachrichten, Ausgabe 101 / Mai 2005