Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Le Pen in Valmy, Le Pen in Korsika
Allgemeines ideologisches Vereinnahmungsprogramm

11/06

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In gut fünf Monaten finden in Frankreich Wahlen statt: Am 22. April 2007 ist der erste Durchgang, am 6. Mai der zweite Durchgang (Stichwahl) der nächsten Präsidentschaftswahl angesetzt. Am 10. und 17. Juni 07 folgen dann die kommenden Parlamentswahlen. Der Chef des rechtsextremen Front National (FN), Jean-Marie Le Pen, tritt im Alter von dann fast 79 Jahren noch einmal an, bevor er voraussichtlich (danach) seine Partei entweder an seine Tochter Marine Le Pen oder an seinen aktuellen ‘Generalbeauftragten’ Bruno Gollnisch übergibt. Aber vorher möchte er wohl gern noch mal richtig auf die Pauke hauen.

Bevor es aber um die eventuellen Aussichten Le Pen im Hinblick auf diese Wahlen gehen soll, erst noch einige Ausführungen zu seinen neuesten Versuchen, politische Verwirrung zu stiften und neue ideologische Signale zu setzen.

Bereits in der Vergangenheit hat die extreme Rechte im Allgemeinen, und Jean-Marie Le Pen (Parteichef des Front National, FN) im Besonderen eine gewisse ideologische Wandlungsfähigkeit bewiesen. Einem Chamäleon ähnlich, schlüpf(t)en sie in unterschiedliche ideologische Aufzüge, sofern es nur dem einen Zweck dienen: mittels immer wieder erneuerter Provokation das ideologische Gift von der «natürlich Ungleichheit der Menschen», von der Höherwertigkeit des «Eigenen» gegenüber dem Fremden zu verbreiten. Das ist geschichtlich betrachtet keine Überraschung, hat doch auch der historische Faschismus eine ähnliche Anpassungsfähigkeit bewiesen. Hier wollte er Kampfpartei in den Augen der sozial Unzufriedenen und nach Umwälzung Trachtenden sein, dort bildete er die Ordnungspartei für die Besitzenden und Mächtigen. 

Le Pen und die Schlacht von Valmy 

Am 20. September 2006 eröffnete Jean-Marie Le Pen seinen Präsidentschaftswahlkampf für die Wahl, die am 22. April kommenden Jahres (erste Runde) stattfinden wird. Den Wahlkampfauftakt legte er, wie oft, an einen symbolischen Ort. In diesem Jahr allerdings sorgte die Ortswahl bzw. das damit verbundene Symbol für einiges Zähneknirschen unter den Kadern des FN. 

Es war die Tochter des Parteichefs, Marine Le Pen, die für die Ortswahl verantwortlich zeichnet. Die 38jährige, die um «Modernisierung» der französischen extremen Rechten und ansatzweise um bürgerliche Salonfähigkeit bemüht ist und die möglicherweise ihrem Vater an der Parteispitze nachfolgen soll, hatte dafür plädiert, ein Symbol der (angeblichen) Republiktreue der rechtsextremen Partei zu setzen. Daher fiel die Wahl auf Valmy.  

Die kleine Örtlichkeit im ostfranzösischen Département Marne (Bezirk um Reims und Chalons-en-Champagne) liegt in der Nähe des Schlachtfelds, auf dem am 20. September 1792 die französische Armee ihren ersten Sieg gegen die Monarchien Europas davontrug. Konkret standen 47.000 Soldaten der Armee von Dumouriez den 35.000 Preuben unter Führung des Herzogs von Braunschweig gegenüber. Wir sind im Kontext der Französischen Revolution: In Paris ist der König nach einem Fluchtversuch durch das Volk gefangen gesetzt worden und hat real nicht mehr viel zu melden. Die versammelten europäischen Monarchien (Preuben, Österreich-Ungarn...) und die royalistischen französischen Exilanten in Koblenz möchten das junge bürgerliche Regime plattwalzen, um den «revolutionären Brandherd» auf dem Kontinent einzudämmen. Bei der Schlacht von Valmy rücken die französischen Freiwilligen vor, indem sie ihre Hüte auf die Gewehre aufspiebten und «Vive la Nation» riefen. Das ist im damaligen Kontext nicht als chauvinistischer Schlachtruf gegen andere Völker gemeint, sondern als Bekenntnis zur Volkssouveränität im bürgerlich-demokratischen Verständnis. 

Am Ort des Schlacht-Geschehens selbst passiert konkret nicht allzu viel: Die französischen Soldaten - grobenteils Freiwillige, die für den Fortbestand ihrer (bürgerlichen) Revolution kämpfen – erringen einen relativ leichten Sieg, weil im Lager der Preuben die Diphterie ausgebrochen ist. Insgesamt werden 300 Tote auf französischer Seite und 184 bei den Preuben verzeichnet, das ist, nun ja, für damalige Verhältnisse und relativ betrachtet «nicht sehr viel». Durchschlagend dagegen sind die politische Auswirkungen von «Valmy», nachdem der Beweis erbracht worden ist, dass das sich (mehr oder weniger) selbst regierende und unter Waffen mobilisierte Volk auch ohne bzw. gegen die Monarchen gewinnen kann. Am Tag nach der Schlacht wird der König abgesetzt und zum ersten Mal die Republik ausgerufen. Vier Monate später wird der frühere Monarch, Louis XVI., dann um eine Kopflänge verkürzt. Am 21. Januar 1793... 

            Einwände innerhalb der extremen Rechten 

Aus all diesen Gründen war «Valmy» bei der extremen Rechten bisher nie populär. Die politischen Vorläufer der heutigen Rechtsextremen standen damals, 1792, nämlich überwiegend auf der anderen Seite. Zu den besonderen Charaktermerkmalen der französischen extremen Rechten gehört die hohe Bedeutung der historischen Zäsur, die die Jahre 1789 ff. darstellen (die Zerstörung der alt hergebrachten Ordnung auf gewaltsamem Wege durch das aufstrebende Bürgertum), und das vergleichweise hohe Gewicht der Monarchisten in ihrem Inneren. Denn der französische Monarchismus ist nicht nur pure apolitische Nostalgie, im Sinne einer folgenlosen Sehnsucht nach dem weit zurückliegenden «Glanz» früherer Zeiten, sondern basiert auf einem politischen Grundsatzentscheid: der Ablehnung der 1789 ff. erfolgten Umwälzung der «natürlichen Ordnung» durch die Bourgeoisie, unter Anrufung der Vernunft und unter Berufung auf die allgemeine Gleichheit der Menschen. Freilich besteht die französische extreme Rechte nicht ausschlieblich aus pro-monarchistischen Elementen, sondern bildet (was ihre eigenen politischen Visionen von einer anzustrebenden Staatsform betrifft) ein ideologisch heterogenes Konglomerat aus Monarchisten, autoritären Republikanern und aus Nacheiferern des historischen Faschismus. 

Bei seinem diesjährigen Auftritt musste Jean-Marie Le Pen, der Vorgabe seiner Tochter im Sinne einer «Modernisierung» der Partei folgend, sich also auch über  anhaltende offene wie passive Widerstände innerhalb des FN hinweg setzen. Während die Cheftochter Marine Le Pen programmatisch davon sprach, es gehe darum, «die Republik und die Nation zu versöhnen» (und damit die Nation im Blut-und-Boden-Sinne der extremen Rechten im Sinne hatte, nicht im Sinne der universalistischen Republik, die in den Gründerjahren 1789 ff. vorherrschend war), setzten andere FN-Funktionäre ziemlich unterschiedliche Akzente. Das fing bei der derzeitigen «Nummer Zwei» der Partei an, ihrem Generalbeauftragten (délégué général) Bruno Gollnisch. Dieser Rivale von Marine Le Pen im Ringen um die Nachfolge des 78jährigen alternden Chefs lieb in seiner Stellungnahme die Republik und die Revolution gar völlig unerwähnt. Er wollte im Geschehen von Valmy nur «den Ruck, (der) gegen die ausländische Invasion durch die Nation (ging)» erblicken – eine Vision, die ihm durchaus in den Kram passt und in seinem Sinne auch auf andere Kontexte leicht übertragbar ist. Der örtliche Bezirkssekretär des FN im Département Marne, Pascal Erre, äuberte sich seinerseits in seinem Blog im Internet. Dabei definierte er die Staatsform der Republik mal kurzerhand unter den Tisch. Der Begriff komme vom lateinischen Ausdruck Res publica (die öffentliche Sache) – was soweit tatsächlich zutrifft, denn so bezeichnet die alten Römer schon über zwei Jahrhunderte vor der christlichen Zeitrechnung ihr Staatswesen, nachdem sie ihre Monarchie gestürzt hatten. Insofern bezeichnete der Begriff also schon damals durchaus eine bestimmte politische Ordnung, und nicht eine beliebige. Nicht so in den Augen von Pascal Erre, der dazu weiter schrieb, die so bestimmte «öffentliche Sache» bedeute ungefähr so viel wie «Gemeinwohl», und «es entspringt daraus keinerlei besondere Regierungsform». Also könnte sich auch eine Diktatur durchaus so nennen... 

            Ideologisches Kompromissangebot ans eigene Lager 

Jean-Marie Le Pen wäre nicht er selbst, hätte er es nicht vermocht, eine ideologische «Synthese» zusammenzubrauen, die allen unterschiedlichen Sichtweise innerhalb der extremen Rechten etwas zu bieten haben soll. So führte er in seiner Ansprache in Valmy u.a. aus: «Von Gergovia (Anm.: Schlacht der Gallier gegen die Römer im 1. Jahrhundert v. Chr.) über die Kapetianer (Anm.: die Frankreich über Jahrhunderte hinweg regierende Dynastie, die 1792/93 endgültig gestürzt wurde) und die napoléonische Heldensaga bis zur Résistance: Ich nehme alles. Ja, alles. Weit davon entfernt, die unterschiedlichen Epochen in Gegensatz zueinander zu stellen, gehöre ich zu denen, die meinen, ein gewisser Zentralismus der Republik seine Wurzel in der (Zeit der Monarchie) hat». Damit rückte er eine Vision in den Mittelpunkt, die die Kontinuität des Staates und «der Nation» als Absolutes herausstellt und die (bürgerliche) Revolution – die dadurch jeglichen politischen Inhalts beraubt wird – irgendwo in der Mitte dieser langen Kontinuitätskertte einreiht.  

«Die Soldaten, die hier siegten taten es mit dem Ruf ‘Vive la nation!’ (Anm. : vgl. oben) Das ist der Ruf, den wir seit 30 Jahren ausstoben. (...) Wir sind die wahren, die einzigen Verteidiger der Republik, denn die Republik kann nur national sein,» erklärte er ferner. Hinzu fügend, dass es (so Le Pen zumindest implizit) doch eine Hierarchie zwischen beiden Konzepten gebe, denn «die Nation kann auch nicht republikanisch verfasst sein, die Republik dagegen kann nur national sein.» Und schwuppdiwupp!, findet sich das Besondere der französischen (ursprünglich als universalistische konzipierten) Republik weg definiert... und die vorgebliche Verteidigung der Republik umdefiniert in die Unterstützung der Vision eines völkische Homogenisierung betreibenden Nationalstaats. - Dass es gerade in Frankreich noch eine andere Vision der (universalistischen, auf das Ius Soli aufbauenden) Republik gab und gibt, konnte Le Pen freilich nicht völlig unerwähnen lassen. Er klagte ein solches Konzept mit den Worten an, dass es ein Unding sei, «eine universelle, abstrakte, un-fleischliche Republik zu feiern, die morgen durch eine Bevölkerung weltweiter Herkunft gebildet werden könnte und (es) sogar soll.»    

Bleibt hinzuzufügen, dass Le Pen in Valmy von GegendemonstrantInnen empfangen wurde, u.a. von den örtlichen Jungsozialisten und von der Lehrergewerkschaft FSU. Diese verwahrten sich strikt dagegen, dass der Chef des FN die repblikanischen Symbole besetzen. Die liberale Pariser Abendzeitung ‘Le Monde’ (Ausgabe vom Abend des 21. September) notiert in diesem Sinne, dass die antirfaschistischen Demonstranten die republikanische Nationahyme – La Marseillaise – gesungen, das FN-Publikum dagegen in dem Moment nur «Le Pen, président» skandiert habe. Die FN-Wochenzeitung ‘National Hebdo’ (vom 28. September) hält dagegen, dass beide Seiten die Nationalhymne gesungen hätten... Auf der Ebene der Nationalsymbole, selbst wenn sie eine republikanische Geschichte haben, die der FN zu Unrecht für sich beansprucht, sollte man die extreme Rechte wohl nicht gerade zu schlagen versuchen. (Die Jusos hatten neben ein paar französischen auch ein paar EU-Flaggen dabei. Weshalb man wiederum nicht die EU toll finden muss...)     

          Abstecher auf Korsika: Nicht unbrisant

Im folgenden soll es nunmehr über den ebenfalls viel beachteten Korsika-Besuch des Chefs des französischen Front National (FN) gehen. Auch er steht im Zeichen neuer ideologischer Signale, die durch den FN-Chef abgegeben wurden, ähnlich dem anlässlich des Besuchs in Valmy neu entdeckten « blikanismus » des rechtsextremen Politikers. 

            Le Pen unterstützt die <Clandestini Corsi>

Am 2. Oktober 2006 begann vor einem Sondergericht in Paris der Prozess gegen 12 männliche junge Erwachsene aus Korsika. Die Inselbewohner waren deshalb in der französischen Hauptstadt angeklagt worden, weil die Strafsache unter die Terrorismusdelikte eingeordnet worden war. Deshalb konnte die Pariser Justiz, die für Terroismus-Tatbestände (mit und ohne Anführungsstriche) zuständig ist, die Angelegenheit an sich ziehen. Da die Mehrheit der Angeklagten zum Tatzeitpunkt der jeweils vorgeworfenen Handlung noch minderjährig waren, wurde ein Sonder-Jugendgericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit eingesetzt. Der älteste Angeklagte ist aktuell 31jPährig, die übrigen sind zwischen 19 und 26 Jahre alt. 

Die männlichen Heranwachsenden hatten eine bis dahin unbekannte Gruppe namens « Clandestini Corsi » (ungefähr: korsische Illegale, korsische Untergrundkämpfer) gebildet. Ihr harter Kern bestand aus circa 6 Personen, als ihre Führungsmitglieder galten insbesondere Patrick Baldacci (heute 21 Jahre alt), Loïc Breschi (20) und Rémy Feliceli (derzeit 20jährig).  

Die terroristisch agierende Kleingruppe gehörte nicht zu jenen zahlreichen bewaffneten Gruppen und Grüppchen, die in den letzten 30 Jahren Jahren auf der Mittelmeerinsel agiert haben und für die Unabhängigkeit oder Autonomie Korsikas von Frankreich kämpften, teilweise aber auch klar mafiösen Interessen dienten und etwa zu Zwecken der Eintreibung von « Revolutionssteuern » agierten. (Vgl. zu einer ausführlicheren Darstellung und Kritik : http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2001/44/15a.htm ) Die <Clandestini Corsi> hatten sich vielmehr ausschlieblich Angehörige der maghrebinischstämmigen Minderheit auf der Insel zum Ziel ihrer Anschläge auserkoren.  

Zwar hat es auch bei den korsischen Nationalisten, die sich lange Zeit (jedenfalls von 1970er Jahren bis hinein in die 1990er) mehrheitlich als progressiv und Vorkämpfer für die Rechte eines vom Staat vernachlässigten Territoriums verstanden, immer wieder auch eine rassistische Komponente gegeben. 1987 zum Beispiel brachten korsische Nationalisten maghrebinische Einwanderer als angebliche Dealer um, im Namen eines ominösen « Kampfs gegen Drogen ». Zum korsischen Nationalismus, der auf einer Abwehrhaltung gegen den die Insel politisch dominierenden und seit Jahrhunderten ökonomisch vernachlässigenden französischen Staat basiert, gehörte immer auch eine Komponente der Verhinderung der Übervölkerung Korsikas mit von auben stammenden Bevölkerungsgruppen (vor allem auch Festlandfranzosen). Die rassistische Komponente stand aber nie im Mittelpunkt oder im Vordergrund, und die seit den 1970er dominierenden korsisch-nationalistischen Strömungen –- die heute zersplittert sind –- begriffen sich selbst als « antikolonial » und betonten das Bündnis mit Befreiungsbewegungen in französischen Kolonien und der « Dritten Welt ». Das verhinderte jedoch nie, dass auch eher rechte Kräfte dort aktiv wurden wie Alain Orsoni, der vor dem Beginn seiner Aktivitäten auf der Insel an der Universität Nizza in rechten bis rechtsextremen Kreisen verkehrt war. Und eine gewisse Abwehrhaltung gegen andere « Fremde », und nicht nur gegen den politischen Einfluss des französischen Zentralstaats, war immer unterschwellig vorhanden. Das hat auch mit der Insellage und der Erinnerung an den Abwehrkampf (während Jahrhunderten im Mittelalter) gegen arabische Piraten vom Südufer des Mittelmeers zu tun.      

Die <Clandestini corsi>, die ohne organisatorische Verbindung zu den korsisch-nationalistischen Gruppen und Grüppchen als eigenständige Untergrundformation entstanden, kämpften fast ausschlieblich gegen maghrebinische Einwanderer. Es leben derzeit circa 35.000 solcher Immigranten auf der Insel, die insgesamt circa 270.000 Einwohner hat. (Jean-Marie Le Pen hatte 1996 öffentlich behauptet, es seien « ein Drittel arabische Einwanderer » unter der Bevölkerung Korsikas. Diesen angeblichen Anteil an der Inselbevölkerung musste er in der Folgezeit jedoch nach unten revidieren, da er durch die Medien widerlegt wurde. – Es handelt sich bei der Gesamt-Einwohnerzahl übrigens um eine Zahl, die bereitsum 1880, damals zählte Korsika 273.000 Einwohner, überschriten worden ist. Die Abnahme der Gesamtzahl widerspiegelt eine Politik systematischer Vernachlässigung Korsikas durch den französischen Staat, die zu Abwanderungen führte. Das war auch intendiert worden: Der Zentralstaat nutzte Korsika lange Zeit als Reservoir zur Rekrutierung von Siedlern und Soldaten für die Kolonien. Auch daher rührt vielleicht ein gewisser Kolonialrassismus.) 

Die Gruppe begann ihre Aktionen am 19. März 2004 mit dem Deponieren einer Bombe im Eingang eines Wohngebäudes in Bastia, der Hauptstadt des Bezirks Nordkorsika. Diese explodierte gegen 2.25 Uhr in der Nacht, ohne jedoch die 8 Butangasflaschen, die in ihrer Nähe angebracht worden war, in die Luft fliegen zu lassen. Deshalb richtete die Detonation nur Sachschäden an, aber die Sache hätte ungleich dramatischer ausgehen können. Der Ort des rassistisch motivierten Attentats war ein Stadtteil, der mehrheitlich einer maghrebinischstämmigen Bevölkerung als Wohnbezirk dient. Am 30. März traf ein Schreiben mit mehreren französischen Rechtschreibfehlern beim Kommissariat von Bastia ein. Darin wird « das Verhalten einer bestimmten maghrebinischen Minderheit, die eine Form von (grob)städtischer Gewalt auf unserer Insel einrichtet » angeprangert. « (...) Deshalb werden wir kämpfen, welcher auch immer der Preis dafür sei. Das wird Aktionen mit einem gewissen Gewalt(niveau) gegenüber dieser Minderheit beinhalten. » Ferner kündigen die <Clandestini Corsi> darin an, « alle äuberen Gemeinschaften (d.h. alle von auberhalb Korsikas stammenden Bevölkerungsgruppen, Anm. BhS) » zu attackieren, « die versuchen, sich durchzusetzen, statt sich anzupassen ». Insofern lässt sich ein nicht ausschlieblich klassisch rassistischer (anti-arabischer), sondern ein an den korsischen Inselnationalismus andockender Charakter ihrer Grundideen, jedenfalls auf verbaler Ebene, feststellen. 

In den folgenden Monaten, von April bis September 2004, verübten die <Clandestini Corsi> weitere Attentate. Sie trafen das marokkanische Konsulat in Nordkorsika, ein marokkanisches Bankinstitut und die Wohnungen von Privatleuten. Die <C. C.> bekannten sich dazu in Telefonanrufen und Schreiben, in denen von « Gesocks » die Rede war, von « diesem Typ Bevölkerung, der die Insel zu lange schon annagt », und vom Kampf gegen angebliche Drogenhändler einschlieblich ihrer physischen Eliminierung. Am 15. und 16. November 2004 konnte eine spezielle Antiterror-Einheit der französischen Polizei einen Grobteil der Gruppe in Bastia und Umgebung ausheben. Weitere Verhaftungen in dieser Sache erfolgten bis im Mai 2005. Ihr Prozess begann, wie oben ausgeführt, am 2. Oktober dieses Jahres in Paris. 

Nun kommt Jean-Marie Le Pen ins Spiel. Bis dahin war der Chef des französischen Front National (FN) allem, was nach korsischem (Abwehr-)Nationalismus roch, eher eindeutig abhold. Im Namen des Kampfes für den Erhalt des französischen Nationalstaats und gegen den die staatliche Einheit bedrohenden « Separatismus » sprach er sich für eine Politik der harten Hand auf der Mittelmeereinsel aus. Die korsischen Nationalisten ihrerseits schätzten den Chef des FN wirklich nicht, obwohl sie ihrerseits nicht immer alle und ausschlieblich frei von (manchen) rassistischen Ideen waren, ohne pauschalisieren zu wollen. In der Regel erwarteten Le Pen bei Ausflügen auf die Insel dort « Empfangskomitees », die von korsischen Nationalisten (unter anderem jedenfalls, in anderen Fällen auch von Linkskräften) gebildet wurden und ihm ausdrücklich feindlich gesonnen waren. 

Dieses Mal war alles anders. Nicht nur weil es um Rassisten ging. Auch hatte Le Pen eventuellen Demonstrationen und Protesten gegen seinen Besuch auf der Insel vorgebeugt. Bevor er am Samstag, 7. Oktober seinen Auftritt hatte --  während mehrerer Stunden sprach er zu rund 50 versammelten Parteigängern auf dem Landgut des Bezirkssekretärs des FN in Nordkorsika, Robert Jacob-di-Luzie --  vergewisserten er und seine Anhänger sich, dass es zu keinen Zwischenfällen oder Reibereien kommen konnte. Jean-Marie Le Pen reiste über einen kleinen Regionalflughafen ein, der in Calvi und nur rund zwei Kilomter entfernt vom Veranstaltungsort (dem Landgut) liegt. 

Und was er zu sagen hatte, war in diesem Fall nicht von Feindschaft gegen bewaffnet bzw. terroristisch agierende Korsen geprägt, wie in anderen Fällen, wenn es in der Vergangenheit um « Separatisten » ging. Anlässlich des Mittagessens mit seinen Parteigängern auf Korsika, zu dem auch einzelne lokale Journalisten und ein Kamerateam des französischen ersten Fernsehsenders TF1 zugelassen worden waren, lancierte Jean-Marie Le Pen « einen Appell an die Richter, die über die jungen Clandestini Corsi zu urteilen haben ». Ihnen gegenüber ersuchte er um Milde für ihre Taten. « Man hat die Plasticages (Anm.: Kosewort in rechten Kreisen für Anschläge, der Name rührt vom Plastiksprengstoff her)  der Clandestini Corsi mit Rassismus gleichgesetzt, während es sich nur um eine Reaktion aus Verzweiflung handelte (...) von jungen Leuten, die sich weigern, ihre Kultur verschwinden zu sehen. » Le Pen fügte hinzu, dass « die Justiz in dieser Strafsache sowohl über die Jugendlichen als (aber) auch über die Verfehlungen und das Versagen der seit 30 Jahren verfolgten Immigrationspolitik urteilen muss. In diesem Kontext ist es die Pflicht der Richter, zur Befriedung beizutragen, durch eine mabvolle Entscheidung. » Und die Justiz müsse « jenseits der Staatsideologie stehen (...) der Ideologie des antirassistischen Staates, der antirassistischen Medien, dieser oder jener antirasistischen Vereinigung. » 

Ideologische Wende? 

Politisch und ideologisch interessant ist daran aber auch, dass Le Pen anscheinend eine Wende zur « korsischen Frage » eingelegt hat. Es handele sich um eine « identitätspolitische Wende » unter Einfluss seines Kabinettsdirektors Olivier Martinelli, wie die Pariser Abendzeitung ‘Le Monde’ vom 10. Oktober angibt. Der 36jährige Parteifunktionär, junger Absolvent der Elitehochschule Science Po, ist selbst korsischstämmig (wie bereits der Name verrät) und leitet die regionale Abteilung des FN auf Korsika. 

Laut den Auszügen aus Le Pens Rede, die durch die FN-Wochenzeitung ‘National Hebdo’ vom 12. Oktober 06 publiziert wurden, führte der rechtsextreme Politik dazu u.a. aus : « Das (die laut Le Pen beklagenswerte Haltung des Staates gegenüber der Einwanderung, Anm. BhS) belegt auch das Misstrauen und sogar die Feindseligkeit der amtierenden Eliten gegenüber der korsischen Identität, wie übrigens gegenüber allen festgefügten Identitäten. Sie hebt schlieblich auch die Konzeption hervor, die die führende Oligarchie sich von der Republik macht, welche (als) notwendig wurzellos, kosmopolitisch, globalisiert erscheint, im Gegensatz übrigens zu den ewigen republikanischen Idealen. » Der FN-Chef erklärte ferner : « Seit langem spürt man an hoher Stelle den ungezähmten und instinktiven Widerstand der Insel gegen die herrschende Ideologie (...), jene, die die Traditionen, die Identitäten und Kulturen abschaffen will im Namen der Vermischung, der Freizügigkeit und des allmächtigen Konsumenten. Diese Ideologie, das ist auch, bei weitem, die jakobinische Ideologie, die die Republik pervertiert, indem sie den Menschen jeder bodenbezogenen oder kulturellen Referenz beraubt, indem sie ihn von seinen lokalen, regionalen oder nationalen Bindungen abschneidet. » 

Anders als in der Vergangenheit hat Le Pen damit die lokale oder regionale « eigenständige Kultur » und Identitätsbestrebungen nicht als bedrohlich für den Nationalstaat, als im Gegensatz zu ihm und zur staatlichen Einheit stehend begriffen. Vielmehr begreift er beide als, im Sinne eines Baukastenprinzips, ineinander greifende und aufeinander aufbauende Elemente. Das hat eine Tradition auf der französischen Rechten, forderte doch etwa der Action française-Begründer und Ideologe Charles Maurras im frühen 20. Jahrhundert eine Wiedergründung der historischen Provinzen (die unter der bürgerlichen Revolution 1789 ff. aufgehoben worden) statt der damals nach 1789 geschaffenenen Départements als Verwaltungseinheiten. Um nämlich vom Universalismus als Staatsdoktrin der Republik weg- und wieder zu einer « historischen und kulturellen Einwurzelung der Nation » hinzukommen. Aber die FN-Spitze hatte in den vergangenen Jahrzehnten häufig die Einheit des französischen Nationalstaats gegen alle regionalen Bestrebungen verteidigt. Die intellektuelle Nouvelle Droite (Neue Rechte) hatte aber in den 1990er Jahren begonnen, auch andere Ansätze, die den « regionalen Identitäten » freundlicher und mit mehr Sympathie entgegenblickten, einzubringen. (Vgl. dazu folgende Analyse von 1997 : http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/35/26a.htm )    

Ferner hat Jean-Marie Le Pen durch seinen Auftritt in Korsika sein Unternehmen der ideologischen Umdeutung der « Republik », die er in Valmy begonnen hatte, fortgesetzt. 

Nachtrag : Und das Ende vom Lied 

Nachträglich lässt sich feststellen, was bei dem Prozess gegen die jungen korsischen Rassisten herausgekommen hat, die Le Pen unterstützt hatte. (Übrigens gegen den Willen und sogar die Widerstände ihrer Familien. Diese hatten erklärt : « Wir unterstützen unsere Kinder, aber nicht die Taten, die sie begangen haben », und den « groben politischen Vereinnahmungsversuch » zurückgewiesen.) 

Am Abend des 17. Oktober fiel das Urteil. Das Gericht war weitgehend den Forderungen der Staatsanwaltschaft gefolgt. Drei der Angeklagten erhielten 7 Jahre Haft (die Staatsanwaltschaft hatte bis zu 8 Jahre gefordert, bei einem Höchststrafmab von 20 Jahren). Drei weitere Angeklagte erhielten je 6 Jahre, und drei mal wurden 5jährige Haftstrafen verhängt. Gegen die übrigen drei Angeklagten wurden Strafen von je 6 Monaten Haft ohne Bewährung zuzüglich 18 Monate auf Bewährung ausgesprochen. 

Le Pen hat also zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilte Kriminelle unterstützt, auch wenn jugendliche Blödheit bei ihnen im Spiel gewesen sein mag. 

            Nähere Aussichten (Wahlen) 

Wie oben erwähnt: In einem knappen halben Jahr finden in Frankreich wichtige Wahlen statt, zu allererst die Präsidentschaftswahl von Ende April und Anfang Mai kommenden Jahres. 

Le Pens grobe Hoffnung ist es, dabei noch einmal in die Stichwahl (der beiden bestplatzierten Kandidaten) einzuziehen wie am Abend des 21. April 2002, damals gegen den Amtsinhaber Jacques Chirac. Aber dieses Mal möchte Le Pen gar zu gerne, so verkündet er es, gegen die voraussichtliche sozialdemokratische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal (eine freundlich lächelnde und sonst aalglatte, auch schon mal als « Madame Marketing politique » bezeichnete Experin für politische Verwertung von Umfrageergebnissen) in die entscheidende Runde ziehen. Eine Marketingfirma für Politikberatung und politische Imagepflege hält dies immerhin für gut möglich (vgl. http://www.exprimeo.fr/actualites/actualites.php?idActualites=542  ).  

Realistische Chancen, in einem politischen Kräfteverhältnis « Allein gegen alle (anderen Kräfte) » zum Präsidenten gewählt zu werden, hat Jean-Marie Le Pen zwar auch dann keinerlei. Aber die konservative Wählerschaft würde sich in einer solchen Konstellation in mindestens zwei Fraktionen, die jeweils für Royal bzw. Le Pen stimmten müssten (plus eine beträchtliche Anzahl Unentschiedener dazwischen) aufspalten. Das würde den Stimmenanteil Le Pens im zweiten Wahlgang  nochmal in andere Höhen katapultieren als 2002, als Le Pen (mit 17,7 % Prozent im zweiten Wahlgang, gegenüber 16,9 % plus 2,3 % für den anderen rechtsradikalen Kandidaten Bruno Mégret in der ersten Runde) nicht « abheben » konnte. Denn damals hatten vier Fünftel der Wählerschaft sämlicher Linkskräfte in der Stichwahl für Chirac gestimmt, um Le Pens Stimmenanteil klein zu halten ; der Rest enthielt sich der Stimme oder wählte ungültig. Aber würde sich die konservative Wählerschaft in einer Konstellation Royal/Le Pen ähnlich verhalten? Gute Frage...   

Noch ist es bei weitem nicht soweit, und der amtierende Innenminister Nicolas Sarkozy hat sich bereits im November 2003 in einer Fernsehsendung explizit als künftiger konservativer Präsidentschaftskandidat angemeldet. Derzeit liegt er in den Umfragen bezüglich der Wählergunst ziemlich weit vorne (vor allem aufgrund seines permanenten « Innere Sicherheits »-Spektakels), und mal hat er, mal dagegen Royal die Nase in den Meinungsbefragungen voraus. Nur betreibt der Mann möglicherweise zu viel und zu aggressiv Werbung in eigener Sache, und die Anziehungskraft des « Modells Sarkozy » (mit Sicherheitswahlkampf, Law & Order-Versprechen und gaaaanz viel medialem Zugedröhne) erschöpft sich in der Endphase. Vor allem auch, wenn Sarkozy nicht den Anschein erwecken kann, die Gewaltprobleme in den Griff zu bekommen. Zudem könnte es ihm passieren, dass eine zweite Kandidatur aus dem bürgerlichen Lager neben seiner eigenen auftauchen wird, und es ist sogar ziemlich wahrscheinlich. Eine Kandidatur aus dem Lager der noch etwa traditioneller orientierten Gaullisten mit Unterstützung aus dem Chirac-Lager, noch etwas sozialer ausgerichtet und nicht gar so dampfwalzen-neoliberal wie Sarkozy, nicht so pro-US-amerikanisch und Bush-hörig wie Sarkozy -- das ist denkbar. Der amtierende Premierminister Dominique de Villepin (der aber aufgrund der Erinnerung an die Anti-CPE-Bewegung im März/April 2006 kaum selbst wird kandidieren können) und die Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie, die als mögliche Bewerberin gilt, könnten mit hoher Wahrscheinlichkeit diese Karte ausspielen. Dann wäre das bürgerliche Lager aber schon in zwei Blöcke geteilt, wobei Sarkozy den gröberen (auf der Ebene der aktiven Parteimitglieder und der Berufspolitiker) hinter sich wissen dürfte. Wie das beim Wähler oder der Wählerin ankommt, bleibt abzuwarten. 

Jean-Marie Le Pen hat zwar keinerlei Chancen, auf seine alten Tagen noch Präsident der Republik zu werden. Ob er aber noch für Wahlüberraschungen sorgen kann (auf denen seine Partei eventuell auch nach seinem Abgang aufbauen könnte, sofern Le Pen sie nicht noch zertrümmert, um allein in die Geschichte einzugehen) oder ob sich auch das inzwischen erledigt hat, bleibt abzuwarten. In vielen Vorwahlumfragen steht er beängstigend hoch -- wobei vielleicht zu berücksichtigen ist, dass die Optik dadurch verzerrt wird, dass er beim vergangenen Mal VOR der Wahl unterbewertet blieb und dies aktuell nicht ist. Laut einer Umfrage, die am 29. Oktober 2006 durch die Sonntagszeitung « JDD » publiziert wurde, geben 10 Prozent an, dass « Chancen bestehen », sie könnten für Le Pen stimmen, und andere 8 Prozent davon ausgehen, ihn « sicher » zu wählen. Das macht zusammen ein Wählerpotenzial von 18 Prozent -- auch wenn einige unsichere Kantonisten dabei sein dürften, aber dafür dürften vielleicht manch andere potenzielle WählerInnen ihre verborgene Zustimmung noch immer nicht in Umfragen äubern. 

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns vom Autor am 3.11.06 zur Verfügung gestellt.