Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

« Präsidentschaftskonvent » von Jean-Marie Le Pen 
Ein Wochenende beim Front National

11/06

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« Ich bin ein altes Krokodil, von dem man im Wasser nur das Auge sieht. » Diesen Vergleich, über dessen Schmeichelhaftigkeit sich streiten lässt, zog der französische rechtsextreme Politiker Jean-Marie Le Pen am Wochenende über sich selbst. Er wollte damit aussagen, dass er vor den anstehenden Wahlen wie so oftmals unterschätzt werde. Derzeit werden ihm allerdings bereits Ergebnisse von 15 Prozent der Stimmen an aufwärts vorhergesagt. Von Freitag bis Sonntag hielt der französische Front National (FN) seinen « Präsidentschaftskonvent » in Le Bourget in der Nähe von Paris ab. Vor 4.000 bis 5.000 Anhängern hielt er zum Abschluss eine anderthalbstündige Kampfrede. Bernhard Schmid war dabei.

Es ist wie eine Reise zwischen zwei Welten. Bei der Ankunft am Bahnhof der Pariser Vorstadt Le Bourget fällt auf, dass man sich in einer jener Trabantenstädte befindet, in denen – aufgrund der räumlichen Konzentration der Immigrantenbevölkerung ebenso wie der Armut auf engem Raum – der Einwandereranteil hoch ist. Hier ist er sichtbar, da es sich im Stadtzentrum von Le Bourget überwiegend um Schwarze handelt. Neben dem Ausgang des Bahnhofs sammelt sich eine kleine Traube von Leuten, die sich offenkundig von dieser Umgebung abheben. Sie warten auf den kostenlosen Bus, der sie auf das Messegelände auf dem stillgelegten Flughafen von Le Bourget befördern soll. Dort steigt an diesem Wochenende die Grobveranstaltung des Front National (FN). Prompt fallen auch rasch die ersten abfälligen Bemerkungen über die Einwanderer, und dass man in Frankreich nicht mehr zu Hause sei, undsoweiter.

Nicht auffallen, denke ich mir. Einerseits will ich sie nicht so wirken, als ob ich dazu gehören würde, andererseits will ich mich doch unter das Publikum mischen und Augen und Ohren offenhalten. Bei solchen Grobveranstaltung der « Lepenisten » halte ich mich seit Jahren an das eiserne Prinzip : Meinen Eintritt bezahlen wie Otto Normalfaschist, auf die bequemen und räumlich gut situierten Plätze auf den Pressebänken verzichten, keinen Journalistenbutton ans Revers heften. Nur sehen und hören. Also vertiefe ich mich in diesem Moment scheinbar angestrengt in die Lektüre meiner Zeitung. Erst kommen ein paar ältere Leute, die diverse Boulevardzeitungen bei sich tragen. Einer von ihnen fragt lautstark und ungeniert, ob « hier der Bus vom Front National » vorbei kommt. Keine Ahnung, antworte ich, zugegebenermaben wider besseres Wissen.

Dann kommen noch andere Leute hinzu. Ein elegantes Paar etwa, das offenkundig eher der Bourgeoisie als dem Proletariat angehört, Monsieur im Lodenmantel und mit einem bizarren Hut. Dann kommen noch zwei junge Leute im Studentenalter. « Sie » hat auf ihrer Handtasche überdeutlich das rote « Herz der Chouans » prangen : jenes stilisierte Herz mit aufgepflanztem senkrechtem Kreuz, das in den Jahren 1793/94 den Aufständischen der Vendée im Kampf « für Gott und König » gegen die junge Republik als Erkennungszeichen diente. Auf der französischen extremen Rechten und in in ihrer Ideologiebildung spielt diese geschichtliche Episode eine wichtige Rolle, denn historisch entstanden ihre Vorläufer aus der Ablehnung des Bruchs, der in den Jahren nach 1789 stattgefunden hatte. Das Bürgertum hatte damals im Namen der Vernunft und der eigenen Interessen die « von Gott gegebene, natürliche Ordnung » des Ancien Régime umgestürzt. Zudem hatte es noch die Gleichheit aller Menschen zumindest bei der Geburt proklamiert, wenngleich dieses Bürgertum mit der wirtschaftlichen Ungleichheit dann später nicht so viele Probleme hatte. Seitdem ist die Chiffre « 1789 » für alle Verfechter der « natürlichen Ungleichheit der Menschen » und die extremen Rechten aller Schattierungen ein Negativsymbol -- auch wenn die Unterströmungen der extremen Rechten ansonsten die Monarchie unterschiedlich bewerten. Dieses kreuzbewehrte Herzsymbol wird mir an diesem Wochenende noch häufig begegnen. Dann fällt mir auf, dass auch die vorher beobachtete elegante Dame so ein Zeichen bei sich trägt.

Konzept aus den USA übernommen

Noch immer tue ich relativ teilnahmslos, damit mich nicht wieder jemand lautstark nach dem Weg zum Front National fragt. An dem Bus, der dann nach 5 Minuten auch kommt, steht auch nicht FN dran, sondern wesentlich diskreter : « Salon BBR », wie für einen Ausstellungssalon. BBR steht dabei für Bleu-Blanc-Rouge, also die Nationalfarben der Trikolore. Früher hielt die rechtsextreme Partei einmal jährlich im September ein Fest unter diesem Namen (« la Fête BBR ») im Pariser Stadtwald Bois de Vincennes ab. Doch seit dem Wechsel im Pariser Rathaus 2001 vergeben die jetzt dort regierenden Sozialdemokraten das Gelände nicht mehr an die Rechtsextremen: Leider leider wird es dann immer für ein Zirkusfestival benötigt, der rechtsextreme Rummel musste also weichen. Stattdessen ruft der FN jetzt also zum « Präsidentschaftskonvent », fünf Monate vor den nächsten Präsidentschaftswahlen in Frankreich.

Der Begriff ist eine späte Anleihe bei den US-Republikanern : Zu ihnen unterhielt Le Pen in den achtziger Jahren noch enge Beziehungen, damals griff er auch auf Imageberater der US-Partei zurück. 1984 und 87 hatte Le Pen jenseits des Atlantik an zwei « Konvents » der US-Republikaner teilgenommen, und beim zweiten Mal sogar Ronald Reagan die Hand schütteln können ; das Foto wurde bei den französischen Präsidentschaftswahlen von 1988 viel benutzt. Der seinerzeitige US-Präsident war damals bei den französischen Rechtsextremen beliebt, im Namen des Antikommunismus, aber seitdem die Sowjetunion im Eimer ist,  ist das endgültig passé. Seit 1989 rücken die französischen Rechtsextremen stattdessen einen nationalistischen und oft verschwörungstheoretisch aufgeladenen Antiamerikanismus in den Mittelpunkt, zudem wird in ihrer Presse den USA heute vorgeworfen, seinerzeit « die Südstaaten zerstört » zu haben.

Prätonianergarde wacht über den Ablauf

Nun kommt der Bus auch in Fahrt. Die Eingänge ebenso wie die Ankunft auf dem Messe- und früheren Flughafengelände werden vom DPS bewacht, dem « Département Protection-Sécurité » (Abteilung Schutz und Sicherheit). Das ist die in blaue Blaizeruniformen gezwängte Prätorianergarde der Partei, manche Kritiker meinen: ihre Privatmiliz. 1999 gab es sogar einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss über diesen parteieigenen Sicherheitsdienst. Doch damals war gerade die Spaltung des FN in zwei ungefähr gleich grobe Hälften -- die Rumpfpartei unter Jean-Marie Le Pen und ihre Abspaltung unter dem Ex-Chefideologen Bruno Mégret, die heute MNR (Mouvement National-Républicain) heibt und erfolglos blieb --  erfolgt. Viele Parteistrukturen und auch der Sicherheitsdienst lagen darnieder. Deshalb erschien er den Abgeordneten damals letztendlich als harmlos, und die im Vorfeld von einigen Politikern geforderte Auflösung unterblieb. Heute macht der DPS zwar nicht mehr durch Knüppeleien und Strafexpeditionen gegen politische Gegner auf sich aufmerksam, wie etwa im Oktober 1996 im ostfranzösischen Montceau-les-Mines, sondern er hält sich eher zurück. Zugleich erscheint mir die Partei-Ordnertruppe an diesem Wochenende so stark präsent, wie es mir selten in den letzten Jahren auffiel. Einige seiner Angehörigen sehen mir eher nach Säufer- und Schlägertypen aus, aber die Mehrheit wirkt eher adrett aufgemacht.

 Die riesige ehemalige Luftfahrthalle, die den « Konvent » beherbergt, wirkt im ersten Moment relativ menschenleer auf mich. An den vielleicht 200 Ständen, bei denen sich Buchverlage und rechtsextreme Publikationen mit den verschiedenen Bezirkssektionen des FN –- dort werden vor allem lolake Essspezialitäten und Getränke verkauft –- abwechseln, halten sich nicht sehr viele Menschen auf. Schon denke ich mir, dass das angekündigte Riesenfest eine ziemliche Pleite sein muss, als ich meinen Irrtum bemerke. Obwohl es noch über eine Stunde bis zum angekündigten Auftritt « des Chefs » dauern wird, haben schon fast alle Teilnehmer auf den Stühlen im Hauptsaal Platz genommen. Sei es aus Furcht, nachher keinen guten Sitzplatz finden zu können, oder um der Tombola auf der Bühne zu folgen. Alle möglichen Geräte, DVD-Rekorder (« damit Sie, wenn Le Pen im Fernsehen auftritt und Sie nicht zu Hause sind, die Sendung aufzeichnen können ») und ein Auto werden verlost. Unterdessen werden französische Fahnen zum Winken an das Publikum verteilt. Als eine nicht unattraktive Ordnerin auch mir solch ein Winkelement in die Hand drücken will, kneife ich und verdünnisiere mich vorübergehend von meinem Sitzplatz.

 Und nutze die Zeit, um die Sitzreihen zu zählen : Ungefähr 3.000 Sitzplätze sind vorhanden, in Reihen à 120 Stühle. Das erlaubt mir später, einzuschätzen, dass rund 4.000 Personen –- davon einige stehend –- der Rede « des Vorsitzenden » oder « von Jean-Marie », wie er hier allgemein genannt wird, beiwohnen. Optisch vermitteln sie alles im allem den Anschein eines Querschnitts durch die französische Bevölkerung. Die Jahrgänge über 50 und anscheinend auch die Mittelschichten sind überdurchschnittlich repräsentiert, aber es finden sich dennoch zumindest alle Altersklassen. Familien mit Kindern, Studenten, junge Männer mit Kurzhaarschnitt und Bomberjacke oder Neonazi-T-Shirt (« Elsass », deutschsprachig) –- sie bleiben aber im Erscheinungsbild eine Minderheit --, 50jährige Mittelständler, Damen mit Hundchen.

Holocaust-Relativierer Gollnisch gut platziert

 Es ist noch Zeit bis zum Hauptereignis des Tages, also schlendere ich durch die Reihen mit den Bücherständen. Aus einer Ecke klingt Trommelschlag, und ich blicke mich um. Einige Laiendarsteller in historischen Kostümen stellen französische Soldaten aus unterschiedlichen Epochen dar, vom gallischen Krieger über den Kolonialsoldaten in Nordafrika mit Wüstenuniform bis zum modernen Berufsmilitär. Solcherlei Historiendarbietungen sind eine geläufige Sache bei Grobveranstaltungen des FN. Hinter mir, am Stand der katholisch-fundamentalistischen Tageszeitung Présent –- die einzige Tageszeitung, die den Front National unterstützt und an manchen Kiosken erhältlich ist, aber mit geringer Auflage und eher dröger Aufmachung --  kommt die « Nummer Zwei » in der Parteihierarchie des FN vorbei geschneit. Es handelt sich um Bruno Gollnisch, den « Generalbeauftragten » (délégué général) der Partei. Er drückt einige Hände. Darauf habe ich aber keine Lust und gehe ein paar Meter zur Seite.  

Gollnisch stand am Dienstag und Mittwoch voriger Woche (7./8. November) in Lyon vor Gericht, weil er im Oktober 2004 auf einer Pressekonferenz die historische Existenz des Holocaust relativiert und in Frage gestellt hat : Die Wissenschaftler müssten endlich frei über die Frage forschen können, und, ja, es habe Tote gegeben, aber er wisse nicht wieviel... . Manche Beobachter meinen, die offenkundig vorbereitete Äuberung, die in der Sache lediglich frühere Auslassungen von Le Pen im September 1987 und im Dezember 1997 wiederholte, habe vor allem als Signal an die Hardliner in der Partei gedient. Denn Gollnisch bewirbt sich um die Nachfolge des 78jährigen Le Pen an der Parteispitze, die in absehbarer Zeit anstehen wird ; und er steht dabei in Konkurrenz zu dessen Tochter Marine Le Pen, die eher für eine geschmeidige Kommunikationsstrategie eintritt. Aber Le Pen (Vater) erklärte dazu bereits, dass letzteres nicht funktioniere, « denn ein netter FN, das interessiert niemanden ». Ohne Provokation und Tabuverletzung schent es nicht zu gehen. Gollnisch spielte also den Scharfmacher. Der 56jährige Jurist verlor daraufhin seinen Posten als Jura- und Japanischprofessor an der (lange Jahre für ihre Rechtslastigkeit bekannten) Universität Lyon-3, da er für die fünfjährige Periode bis zu seiner Pensionierung vom Dienst suspendiert wurde, wobei er die Hälfte seiner Bezüge behält. Bruno Gollnisch, der auch im Europaparlament und im Lyoner Regionalparlament sitzt, hatte aber Glück, da am ersten Prozesstag (7. November) bekannt wurde, dass der Anwalt der jüdischen Studentenunion UEJF –- die als Nebenklägerin auftritt – anbot, seine Klage zurückzuziehen, falls der FN-Politiker vor den Richtern die Realität des Holocaust anerkenne. Ein symbolisches, und zitierbares, Bekenntnis war ihr wichtiger als die Strafverfolgung. In zunächst ziemlich verklausulierten Worten (« Meine Antwort ist positiv, hohes Gericht ») legte Gollnisch das eingeforderte Bekenntnis ab. Alles Andere wäre auch dumm von ihm gewesen. Wie angeboten, wurde die Nebenklage zurückgezogen. Die Staatsanwaltschaft als Hauptklägerin forderte eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro, eine ausgesprochen milde Strafe. Das Urteil dazu fällt am 18. Januar 2007.

Es scheint, dass Bruno Gollnisch inzwischen den Parteiapparat fest in der Hand hält und sich als aussichtsreichsten Bewerber für die Nachfolge des alternden Chefs qualifizieren konnte. Denn in den Minuten, die unmittelbar der Ankunft des Chefs auf der groben Bühne vorausgehen und während derer die Anspannung im Saal steigt, hat Gollnisch seinen groben Auftritt. Er darf Jean-Marie Le Pen einführen, und er darf die internationalen Delegationen der verschiedenen rechtsextremen Parteien aus dem übrigen Europa namentlich begrüben. Seine Rivalin im Ringen um die innerparteiliche Macht dagegen hat keinen Einzelauftritt und findet auch nur im Zuge der Begrübung sämtlicher Mitglieder der Parteiführung namentliche Erwähnung. Allerdings konzentriert sich in dem Moment die Kamera, die für die Übertragung auf eine Grobleinwand filmt, auf die 38jährige. Die junge Frau, die in den letzten Monaten acht Kilo abgespeckt und ihr Aussehen rundumerneuert hat, steht auch in politischer Hinsicht für den Versuch, dem FN ein freundlicheres und jüngeres Image zu verpassen.  

Vor allem Wirtschaftskreise und Ökonomiestudenten dienten ihr in den letzten beiden Jahren als Publikum ; um sich erfolgreich an eine gröbere Zahl unter ihnen anzunähern, würde der FN ein ordentliches Lifting benötigen. Ob Marine Le Pen mit ihren Vorstellungen durchkommt, ist im Moment noch offen, wenn nicht gar zweifelhaft. Aber auch Gollnisch hat sich um eine gewisse Veränderung seines Outfits bemüht –- zumindest äuberlich. In den vergangenen Wochen sorgte er für Schlagzeilen, weil er eine neue Brushing-Frisur hat (damit sieht er nicht länger gar so wie ein langweiliger Technokrat aus) und sich einen teuren Cabrio-Schlitten zulegt hat. Die erzwungene, faktische Vorruhestandsregelung scheint dem Mann zu bekommen. Und dass mit dieser « Modernisierung » eine demokratische Wandlung seiner politischen Inhalte einher ginge, nun, das lässt sich nicht feststellen.

Ideologische Lufthoheit für Ultrakatholiken

Die katholisch-nationalistische und katholisch-fundamentalistische  Parteiströmung scheint die ideologische Lufthoheit im Saal errungen zu haben, jedenfalls nach den Bücherständen zu schlieben. In jüngerer Vergangenheit hatte es bei der rechtsextremen Partei noch ein zähes Ringen um die weltanschauliche Ausrichtung gegeben. Denn der FN hat keine einheitliche Ideologie, sondern stellt eher ein ideoligisches Konglomerat aus unterschiedlichen Strömungen dar : katholische Nationalisten, Monarchisten, Nationalrevolutionäre, Neonazis, zumindest in der Vergangenheit auch Anhänger rechter Sekten (Moon-Kirche).... Diese « ideologischen Familien » sind sich zwar über einige fundamentale Leitsätze einig :  « Die Menschen sind nicht von Geburt auf gleich ; es gilt eine scharfe Unterscheidung zwischen <Eigenen> und <Fremden> zu treffen ; Frankreich muss zu seiner angestammten <Identität> zurückfinden und darf sich nicht länger fremden Interessen unterordnen. »  Aber ansonsten können sie, darüber hinaus, keinen gemeinsamen ideologischen Nenner finden. Etwa wenn es darum geht, was denn diese famose « Identität » überhaupt ausmacht...

Eine Hauptauseinandersetzung bildete zum Beispiel lange Jahre hindurch die Frage, ob das (katholische) Christentum zu ihren wesentlichen Elementen gehören müsse oder nicht. Unbedingt ja, meinen die katholischen Fundamentalisten und christlichen Nationalisten, die an eine alte Anti-1789-Traditionslinie anknüpfen und der « Entchristianisierung » sowie der Präsenz vor allem moslemischer Einwanderer den Kampf angesagt haben. Unbedingt nein, meinen dagegen die zum Teil neuheidnisch denkenden « Rassialisten » (racialistes) und die aus der Denktradition der Nouvelle Droite, der intellektuellen « Neuen Rechten » kommenden Kader. Ihnen zufolge bildet das Christentum, als Religion jüdischer Herkunft, einen kulturellen Fremdkörper in der « indo-europäischen Zivilisation ». Von ihren Ursprüngen her seien nun einmal die europäischen « Waldvölker » und die semitischen « Wüstenvölker », samt ihrer Religionen, nicht miteinander vereinbar. Zudem sei die « jüdisch-christliche » Traditionslinie abzulehnen, da in ihrer monotheistischen Vorstellung alle Menschen gleich vor Gott seien, was aber ein schädliches Egalitätsdenken darstelle. Hinter den Kulissen konnten Ultrakatholiken und Neuheiden bzw. Neurechte sich beim FN früher bis aufs Messer (jedenfalls im übertragenen Sinne) bekämpfen. Doch dieser Streit scheint nun mit einem spürbaren Übergewicht der katholischen Nationalisten und Fundamentalisten zu enden. Tatsächlich ist die neurechte und neuheidnische Strömung dadurch geschwächt, dass ein bedeutender Teil ihrer Kader bei der Spaltung von 1998/99 mit dem ehemaligen Chefideologen Bruno Mégret –- dessen engste Umgebung aus ihren Vordenkern zusammengesetzt war – aus der Partei gegangen sind. Ein paar von ihnen sind inzwischen wiedergekommen, nachdem die Mégret-Gründung nach ein bis zwei Jahren ihren Misserfolg nicht mehr verbergen konnte. Aber ihre Strömung ist geschwächt, und nunmehr anscheinend ihren ideologischen Widersachern zahlenmäbig deutlich unterlegen.

Erbauliche Literatur

Eine nicht unwesentliche Fraktion innerhalb der katholischen Ultrarechten sind die Franco-Anhänger, und nicht wenige von ihnen –- aus Frankreich und aus Spanien –- sind an den Bücherständen dieses Wochenendes vertreten. Es gibt sogar « Die 70 Tage der Belagerung von Alcazar », eine aus der Sicht der Franco-Soldaten geschilderte Schlacht im Spanischen Bürgerkrieg (1936-39), als Comicalbum für Jugendliche zu kaufen. Über dem Stand des « französisch-hispanischen Freundschaftszirkels » weht die Fahne des franquistischen Spanien mit dem typischen Wappen. Andernorts gibt es von den Anhängern des katholisch-fundamentalistischen Bischofs und « Dissidenten » der Kirche Marcel Lefevbre (1991 verstorben), die nach einer jüngsten Entscheidung von Papst Benedict XVI. nunmehr in die französische Amtskirche reintegriert werden sollen, Broschüren abzugreifen. Darin wird, in mehreren Folgen, « die Revolution in der Kirche » in schauderhaften Farben geschildert. Da schüttelt es den braven Anhänger vor Grauen : « Ökumenismus », säkularistische Aufweichung, ja sogar marxistische Subversion haben von der römisch-katholischen Amtskirche Besitz ergriffen ! Wieder anderswo gibt es erbauliche historische Literatur zu kaufen. An einem Stand findet man etwa Werke von Robert Brasillach und Jacques Bainville. Der Erstgenannte, Dichter, Nazikollaborateur und verbal virulenter Antisemit, wurde nach der Befreiung Frankreichs 1945 erschossen. Der Zweitere war einer der Chefideologen der nationalistisch-monarchistischen Action française und hatte in der Anfangsphase hohe Funktionen beim Vichy-Regime inne. Später wurde er jedoch in der Besatzungszeit an den Rand gedrängt, da sein Nationalismus sich mit einer anti-deutschen Grundhaltung verband, die in jenem Moment nicht gern gesehen wurde. Ein rechtsextremer Kleinverlag wiederum bietet antisemitische Schriften aus den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts. Beispielsweise ein halbes Dutzend Bücher des damaligen prominenten Agitators Henri Rochefort, oder « 20 Jahre Antisemitenbund » von Raphael Viau. Es gab damals wirklich eine Partei, die offiziell so hieb. Heute könnte man wohl kaum noch so schreiben wie jene Autoren damals, ohne im Gefängnis zu landen. Aber bei Schriften, die vor einhundert Jahren erschienen, kann man sich ja darauf herausreden, dass man nur historische Dokumente verlege. Im Übrigen können in diesem Fall die Autoren nicht belangt werden, da sie ausnahmslos unter der Erde liegen.

Dieudonné und Le Pen

Nicht unbrisant ist ein Ereignis am Samstag Nachmittag. Zwischen den Ständen taucht ein hoch gewachsener Schwarzer auf, den man nicht übersehen kann. Es handelt sich um den Komiker Dieudonné M’bala M’bala, den fast alle Franzosen nur unter seinem Künstlernamen kennen, der mit seinem Vornamen identisch ist. « Dieudonné » war früher einmal eine Ikone des Antirassismus. 1997 hatte er, als Kandidat bei den Parlamentswahlen, den FN in dessen damaliger Hochburg herausgefordert : Dreux, einer Industriestadt 80 Kilometer westlich von Paris, wo die rechtsextreme Partei damals bis zu 40 Prozent der Stimmen erzielen konnte. Inzwischen ist ihr Anteil dort zurückgegangen. Aber seit nunmehr drei Jahren ist Dieudonné immer mehr in einen virulenten Antisemitismus abgedriftet. Er wirft unter anderem den Juden « Erinnerungspornographie » im Zusammenhang mit der Shoah vor, wobei das Wachhalten des Gedenkens an den Holocaust (ihm zufolge) verhindere, dass man an andere Menschheitsverbrechen wie die Sklaverei oder auch an die Opfer des Kolonialismus denke. Eine solche Form von « Opferkonkurrenz » kennt man auch in anderem Zusammenhang, etwa unter Minderheiten (Schwarzen und Juden) in den USA. Aber bei Dieudonné hat sich ein solcher Diskurs in kurzer Zeit extrem zugespitzt und hasserfüllte, absolut irrationale Formen angenommen. So behauptet Dieudonné, die Juden in Frankreich hätten eine Hauptrolle im Sklavenhandel eingenommen, was in krassem Widerspruch zur historischen Realität steht : Der Artikel 1 des französischen Code Noir (des Gesetzbuchs, das den Sklavenhandel unter der Monarchie regelte) verbot den Juden die Beteiligung an diesem « Geschäft ». Auf diese Vorhaltung reagierte Dieudonné öffentlich mit Realitätsverweigerung : Man habe einen solchen Paragraphen nur aufgenommen, weil die Juden es (anders als die christlichen Sklavenhändler) übertrieben hätten, so hätten sie die Kinder der Sklaven gemeuchelt oder dieselben kastriert. Im Laufe dieses Jahres hat Dieudonné eine zunehmende Annäherung an « nationalrevolutionäre » Kreise im oder um den FN vollzogen.

An diesem Samstag Nachmittag nun also tauchte er in Le Bourget auf und schüttelte Le Pen die Hand. Alsbald tauchten Journalisten der Nachrichtenagentur AFP auf, woraufhin Dieudonné den vorher an seinem Kragen angehefteten Anstecker zur Präsidentschaftswahl « Le Pen 2007 » eilig abnahm. Er sei nur « zum Gucken da » meinte Dieudonné mit unschuldiger Miene, und das bedeute noch nicht, dass er zur Wahl des FN aufrufe. Es protestierten aber auch anwesende  Anhänger der extremen Rechten gegen ihn : Man habe nicht vergessen, wie Dieudonné in Dreux den FN herausgefordert « und wie er früher auf uns gespuckt hat », erregte sich eine Frau. « Wir brauchen diesen Neger nicht », kommentierte ein anderer glatt. Le Pen zeigte sich daraufhin in seinen Kommentaren kurz angebunden. « Ich benötige ihn nicht, aber falls mir eine Stimme fehlen sollte, dann würde es mich freuen, wenn sie von Dieudonné kommt » erklärte er gegenüber AFP.

Aber auch ein extremer Gegenspieler Dieudonnés hielt sich auf dem « Konvent » des Front National in Le Bourget auf : Anthony Attal, der Chef der rechtsradikalen und ethno-extremistischen « Jüdischen Verteidigungsliga » (LDJ, Ligue de défense juive). Der Verrücktheit scheinen kaum noch Grenzen gesetzt : Solange der Triumph des Ethnizismus (« Unsere eigene Brut soll zuerst drankommen ! ») gesichert werden soll, scheinen sich ansonsten einander spinnefeind gesonnene Leute am selben Ort wohlzufühlen. Fragt sich dann nur noch, wer am Ende (falls es im Ethno-Überlebenskrieg, dem manche anhängen, dann mal drauf ankommen sollte) dann die sein werden, die am lautesten « Wir » brüllen wird...

Le Pens Auftritt

Zurück in die Halle. Nun also endlich der lang erwartete Auftritt des Chefs. Anderthalb Stunden lang redet der 78jährige, dessen Rede dieses mal auch live durch die Infosender des Kabelfernsehers (LCI, LCP) übertragen wird, weshalb er auch pünktlich um 16 Uhr beginnen muss, so dass vorher eine Warteminute eingelegt wird. Le Pen, dessen Gesundheit schon wiederholt zu Spekulationen Anlass gab, wirkt körperlich in Form. Allerdings wissen Journalisten auch zu berichten, dass er sich davor extra zwei Stunden in einem Campingbus auf dem Gelände ausgeruht habe. Jean-Marie Le Pen malt die Grundzüge seines Präsidentschaftsprogramms für die Wahl im April 2007 aus. Aber zuvor muss er noch seine wahrscheinlichen Gegenkandidaten Nicolas Sarkozy und Ségolène Royal demolieren, was ihm so schwer nicht fällt. Bei Sarkozy genügt es ihm, auf tatsächliche Widersprüche in seinen Reden an unterschiedlichem Ort hinzuweisen : « Wirtschaftsliberal, Atlantiker und Anhänger des Kommunitarismus hier, National-Republikaner dort. Pudel in Washington (bei seinem Besuch im September 06), gallischer Hahn in Périgueux (bei seiner jüngsten Rede)... » Die etablierten Parteien bezeichnet Le Pen systematisch als « casseurs », was so viel wie « Kaputtmacher », aber auch « Chaoten » bedeutet. Die Veränderungen der letzten 30 Jahre –- Produktionsverlagerungen ins Ausland, Anstieg der Arbeitslosigkeit, soziale Probleme, Krise der Schule --  interpretiert Le Pen allesamt als Anzeichen eines bewusst verfolgten Komplotts gegen die Nation.

Seine eigenen Vorschläge vermengen wirtschaftsliberale Rezepte (radikale Absenkung der Steuern, mit vier Flax Tax-Steuersätzen bei 0, 10 ; 15 und 20 Prozent, « Bürokratieabbau für Unternehmen ») mit sozialen Versprechungen und einer Stärkung des Staates in seiner repressiven Rolle. Le Pen will die Richtergewerkschaften verbieten und 100.000 zusätzliche Gefängnisplätze eröffnen, derzeit gibt es in Frankreich insgesamt knapp 60.000. Und natürlich beschwört Le Pen die Nation, verstanden als eine Blutsgemeinschaft, in die einige bereits im Lande lebende Personen sich noch integrieren können, « wenn sie unsere Gesetze und unsere Traditionen respektieren », die aber auf jeden Fall keine Einwanderer mehr aufnehmen darf. Und deren gesellschaftliche Probleme, folgt man Le Pen, zum Grobteil aus der bereits erfolgten Einwanderung resultierten. « Der Franzosen, selbst der Obdachlose, muss mehr Rechte haben als der Einwanderer, so brillant und sympathisch er auch sein mag. » Denn die Franzosen seien « mehr als Bürger, wir sind Erben eines intellektuellen, kulturellen (...) Nationalerbes », das also demnach biologisch vererbbar zu sein scheint. 

Oncle Tom beim Front National ? 

Nach Le Pens Kampfrede strömen die Parteigänger und Sympathisanten an die Gastronomiestände der lokalen Parteisektionen. Ich begebe mich auf einen gröberen Rundgang. Ungefähr in der Mitte des weitläufigen Hallenareals schart sich eine Gruppe von Leuten um ein Spektakel. Mehrere offenkundig afrikanische Personen führen einen nicht wirklich traditionell wirkenden Tanz auf, wobei die Hauptdarstellerin eine Rotweinflasche auf dem Kopf balanciert und ständig mit dem Hinterteil wackelt. Die Leute staunen. Wie kommen diese Musiker nur hierher ?, frage ich mich. Am dazu gehörigen Stand gibt es eine CD zu kaufen, auf dem Cover sieht man einen Afrikaner, der in ein Flugzeug (« Air Immigrés International « ) steigt, offenkundig um Frankreich zu verlassen. Titel der CD von Patrice Mouma : « Wenn Du Frankreich nicht liebst, gehe aus Frankreich raus. »

Ich verzichte dankend auf den Kauf, nicht ohne erfahren zu haben, dass die Verkäuferin ursprünglich aus Kamerun stammt. Ein übler Nachgeschmack bleibt mir auf der Zunge. Bisher kannte man schon einzelne Araber (etwa den Pariser Regionalparlamentarier Farid Smahi) und einzelne Juden (wie den verstorbenen Regionalabgeordneten Robert Hemmerdinger) beim Front National. Wobei beide Gruppe jeweils als Alibi-Repräsentanten dazu dienten, darauf hinweisen zu können, nein nein, man sei doch nicht rassistisch oder antisemitisch. Bei den Ersteren handelte es sich meist um Nachfahren von « Harkis », das sind solche Algerier, die im französischen Kolonialkrieg in Nordafrika in der französischen Armee kämpften und deshalb nach der Unabhängigkeit Algeriens 1962 ihr Land eilig verlieben. Da sie in der Folgezeit vom französischen Staat ihrem Schicksal überlassen wurden, legen viele ihrer Nachfahren einen Überanpassungskomplex an den Tag: Gerade sie seien doch besonders französisch, da ihre Harki-Kollegen oder -Väter mit der Waffen in der Hand für Frankreich ihr Leben riskiert hätten. Deshalb äubert sich ihr Protest gegen, real vorhandene, Diskriminierungen oftmals politisch ziemlich weit rechts. Auch weil es für « Harkis » (die auch in Algerien nicht geschätzt und von offizieller Seite mitunter geschmäht werden) nicht in Frage kommt, sich « als Einwanderer » oder « Nordafrikaner » gegen rassistische Herabstufungen zu wehren, obwohl sie doch als solche von bestimmten Franzosen rassistisch diskriminiert werden. Also als « Araber », die sie doch gar nicht sein mögen. Der FN als Partei, die viele ehemalige Kolonialkämpfer in ihren Reihen hat, steht deshalb diesen ehemaligen Soldaten oder ihren Nachfahren offen und erlaubt es ihnen, ihren Protest als den von « besonders guten Franzosen », die zu Unrecht für etwas Anderes gehalten würden, zu äubern. Bei zweiterer Gruppen, den Alibi-Juden des FN, handelt es sich oft um rechtsstehende französische Juden, die im Zuge des Algerienkriegs oder späterer israelisch-arabischer Konflikte ihre Sympathien für Positionen der extremen Rechten in Frankreich entdeckten.

Neu ist, dass es nunmehr auch (einzelne) Schwarze gibt, die beim FN andocken. Bisher gab es bereits ein paar dunkelhäutige Parteimitglieder, aber diese waren Überseefranzosen von den Antillen, keine Einwanderer. Mir kommt der Verdacht auf, dass es sich auch hier um eine Art Überassimilationskomplex oder um ein modernes Oncle Tom-Phänomen handelt. Fest steht gleichzeitig, dass die Vorstellung von Afrikanern, die sie dem Publikum beim FN anbieten –- trommelnd und mit dem Hintern rollend –- bei dieser aus kolonialistischer Tradition kommenden Partei auf einige Gegenliebe stoben kann. Solange der Afrikaner trommelt und nicht einen Job an der Universität antritt, mag er ruhig geduldet werden... 

Internationale Gäste 

In der Nähe des Ausgangs treffe ich auf drei jüngere Kader der deutschen NPD, die gerade mit ihrem abgebauten Stand und ihrem « Infomaterial » unter dem Arm die Halle verlassen. Vorher hatte ich ihren Stand gar nicht erblicken können, da sie etwas abseits standen : Nicht unter dem riesigen Dach der « Koordination der europäischen Rechten », sondern an einem improvisierten Stand unter einem einfachen Sonnenschirm. Die drei Krawattenträger befinden sich gerade im angeregten Gespräch mit einem (sprachlich sofort als solchem zu identifizierenden) Österreicher, der offenkundig zu der gröberen Delegation gehört, welche die FPÖ mit gebracht hat. Zumindest einer der NPD’ler und der Österreicher können auch gut Französisch, wie sich herausstellt. Die drei NPD-Kader ziehen scheinbar frustriert von dannen, während der Österreicher zwei französisch sprechenden Begleitern erklärt : « Die hatten kein Akkreditierungspapier dabei, deswegen hat man ihnen keinen guten Platz gegeben. » Anscheinend ist die deutsche NPD (obwohl sie sich doch offenkundig mit Repräsentanten der FPÖ, die sich üblicherweise etwas moderater gibt, prächtig versteht) noch nicht ganz so wohlgelitten. Zumindest nach auben hin erscheint sie vielleicht noch nicht so « präsentabel ».  

Dabei hatte die Partei sich sogar scheinbar Mühe gegeben und ein Propagandamaterial mitgebracht, das auf die Riots in den französischen Banlieues von 2005 Bezug nimmt : Links sieht man eine im Bau befindliche Moschee, rechts brennende Autos in einer Banlieue, und das Ganze soll die Präsenz von zu vielen « Muslimen und Fremdländischen » illustrieren. Allerdings hatte sie nur Material auf Deutsch, wie überhaupt alle vertretenen Parteien stets nur muttersprachliches Propagandamaterial zu bieten hatten. Nicht viele FN-Anhänger dürften so die ebenfalls verteilte österreichische Zur Zeit und die Schriften des einzigen FPÖ-Abgeordneten im Europaparlament Andreas Mölzer, der persönlich zugegen war, lesen können. Auch Flämisch können vielleicht nicht allzu viele Franzosen, wohingegen der belgisch-separatistische Vlaams Belang natürlich keinerlei Lust hat, sein Propagandamaterial auf Französisch zu drucken... Dies belegt vielleicht die Grenzen des Internationalismus der Nationalisten. 

Die meisten internationalen Delegationen finden sich unter dem Dach der « Koordination der europäischen Rechten », die von dem FN-Europaparlamentarier Carl Lang (selbst ein Angehöriger des neuheidnischen Flügels und ausgewiesener Sozialdemagoge) angeleitet wird. Auf dieser Ebene tut sich anscheinend gewaltig etwas, denn mit viel Aufwand wird nicht nur die Präsenz der internationalen Delegationen unterstrichen, sondern auch der in Bälde ins Haus stehende Vereinigungsversuch herusgestellt. Im Europaparlament soll demnächt eine neue gemeinsame Fraktion entstehen. 

Neue Fraktion im Europaparlament 

Ein solcher Versuch ist nicht völlig neu. Zum ersten Mal versuchten die rechtsextremen Parteien sich auf der Ebene der damaligen EG zusammenzutun, nachdem im Juni 1989 das Europaparlament neu gewählt worden war. Neben dem französischen Front National (FN), der schon seit 1984 dort sab, waren auch die deutschen Republikaner (REPs) und der italienische neofaschistische MSI dort eingezogen. Die drei Parteien gründeten, zusammen mit einem griechischen Obristenfan, eine gemeinsame Fraktion. Doch nach wenigen Monaten flogen die Fetzen. Die REPs unter Franz Schönhuber beharrten auf dem deutschen Charakter Südtirols, die MSI-Vertreter auf dem italienischen des Alto Adige (oder Bezirks Bolzano). Die Franzosen schlugen sich auf die Seite der Ersteren, da die Italiener sich damals noch kaum für das « Immigrationsproblem » interessierten – der MSI  war besonders in Süditalien stark, und dort gab es damals noch kaum Einwanderer. 1994 fielen die REPs dann bei der Neuwahl des Parlaments in Strasbourg raus. Aus und vorbei war es mit der Fraktionsbildung.

Jetzt hat die Stunde für einen neuen Zusammenschluss im Namen des « Europas der Vaterländer » geschlagen. Am 1. Januar 2007 ziehen nunmehr auch die Vertreter Rumäniens und Bulgariens als voll gleichberechtigte Abgeordnete in das Europäische Parlament (EP) ein. Unter ihnen sind auch relativ starke rechtsextreme Fraktionen, vor allem nach dem jüngsten Wahltriumph der brutalnationalistischen Partei Atakia in Bulgarien. Die bisher im EP sitzenden rechtsextremen Parteien wollen nicht nur die Radaunationalisten, deren Kandidat Volen Siderov im Oktober rund 22 Prozent erhielt und laut einer öffentlichen Äuberung die Roma « zu Seife verarbeiten » möchte, und die Grobrumänienpartei (PRM) nun zu den Ihren zählen. Auch wollen sie ihre Integration nutzen, um einen neuen gemeinsamen Club zu lancieren, die « Koordination der europäischen Rechten ».  

 Am Wochenende waren sie denn auch aus mehreren Ländern beim Spektakel des FN in Le Bourget zugegen : die Franco-Anhänger der Alternativa Espanola, die österreichische FPÖ, der Vlaams Belang aus Belgien, die British National Party (BNP), und aus Italien die Fiamma Tricolore – eine Mussolini-nostalgische Abspaltung von den offiziellen Postfaschisten des Gianfranco Fini. Aber auch rumänische und bulgarische Ultranationalisten oder eine Delegation serbischer Parlamentsabgeordneter der Serbischen Radikalen Partei (SRS). Bruno Gollnisch klagte auf der Bühne bitterlich an, dass deren letzterer langjähriger Chef, Vojslav Seselj, seit nunmehr vier Jahren in Den Haag hinter Gittern sitzt. Aufgrund von Verbrechen, an denen seine Partei im jugoslawischen Bürgerkrieg beteiligt war. Im Laufe der neunziger Jahre war es aber innerhalb des FN noch umstritten gewesen, ob man Partei zugunsten des katholischen Kroatien und « gegen den Serbolschewismus » (so der katholisch-fundamentalistische Parteiflügel) oder, umgekehrt, « für Serbien als Hort des Widerstands gegen die Neue Weltordnung » (so u.a. die Nationalrevolutionäre) ergreifen solle. Beim Parteitag am Osterwochenende 1997 in Strasbourg, der auf dem bisherigen historischen Höhepunkt des Einflusses des FN stattfand, hatte Jean-Marie Le Pen das Problem auf seine Art gelöst. Er lud damals einfach beide Seiten, die serbischen und die kroatischen Ultranationalisten, also die Parteien von Vojslav Seselj und Doboslav Paraga, dorthin ein. « Bei Familientreffen ist es üblich, dass am Tisch nicht über Politik diskutiert wird. In unserer Familie dagegen wird bei Tisch politisch debattiert, und die Familienangelegenheit werden (stattdessen) drauben vor der Tür geregelt » erklärte Le Pen dazu. Ausgeschossen, unter Umständen...

Ein Querschnitt durch die Sympathisanten 

Die Rückfahrt am Abend bietet mir die treffliche Gelegenheit, einen Eindruck von der Zusammensetzung der Sympathisanten zu bekommen. Da der kostenlose Bus bis zum Bahnhof von Le Bourget jetzt nur noch alle halben Stunden verkehrt und die Leute zu plaudern anfangen, lässt sich erfahren, woher die Leute zumindest geographisch kommen. Fast alle, die auf den Bus warten, wollen entweder ins Zentrum von Paris oder in dessen westliche Stadtteile oder Vororte. Das sind ausnahmslos wohlhabende Wohngegenden, ich höre niemanden, den es in ärmlichen Trabantenstadt zöge. Oder sollten die Banlieue-Bewohner alle mit dem Auto da sein ?  

Eine 40jährige Dame mit zwei Töchtern zeigt schon vom Stil, vor allem von der Kleidung und Haartracht der Mädchen her ihre Zugehörigkeit zur rechtskatholischen Bourgeoisie an. Sie will an die westliche Pariser Stadtgrenze, wo das grobbürgerliche 16. Arrondissement an die besser situierten Vororte stöbt. Ein älteres Ehepaar erklärt zu seiner Nachbarin, dass es bei der Madeleine-Kirche aus der Métro aussteigen wird. Diese liegt im 8. Pariser Bezirk und gehört zu den teuersten Wohngegenden in Paris. Eine Dame mir gegenüber verwickelt mich in ein Gespräch, ich achte darauf, unverfängliche Antworten zu geben. Sie hat « einen sehr guten Tag verbracht, vor allem dank der Rede von Jean-Marie ». Es stellt sich heraus, dass sie schon in 4. Generation gebürtige Pariserin ist, und ihre Grobeltern sind im 16. Pariser Bezirk geboren. Das deutet auf eine Zugehörigkeit zu ausgesprochen gehobenen Kreisen hin. Ihr Mann, so erfahre ich einige Minuten später, hat einen höheren Posten beim Luftfahrt- und Rüstungsunternehmen Dassault, steht allerdings vor der Pensionierung, da er mit 60 zu teuer sei. Sie erzählt mir von einem Landhaus in der Nähe von Paris. Kurz : alteingesessene Bourgeoisie, offenkundig. 

Dieser zufällige Querschnitt aus dem Besucherpublikum des Konvents von « Jean-Marie » lässt sich nicht auf die Wählerschaft übertragen. Denn betrachtet man die Wahlergebnisse des FN und ihre  Auswertung durch die Sozialwissenschaftler, so fällt auf, dass das Wählerpublikum der rechtsextremen Partei in soziologischer Hinsicht ungefähr aussieht wie eine Pyramide : Je « tiefer » der soziale Stand, desto breiter wird die Wählerbasis der Le Pen-Partei. Das war nicht immer so : In den Jahren seiner ersten Wahlerfolge, 1984 bis 86, hatte der FN vor allem eine Stammwählerschaft aus sich in ihrer Existenz bedroht fühlenden Mittelständlern und enttäuschen Konservativen. Die katholische Komponente war damals auch in der Wählerschaft sehr stark. Doch ab circa 1989 setzte eine Verschiebung ein, und der FN konnte bei Wahlen von der sozialen Krise und dem Bindungsverlust der Linksparteien gegenüber den sozialen Unterschichten profitieren. Offenkundig klaffen dabei aber die Zusammensetzung der Parteigänger auf der einen Seite, der « bloben » Wähler auf der anderen Seite nach wie vor stark auseinander. Einige Jahre lang, vor allem in den 90ern, hat der FN diese Kluft durch den Aufbau eigener rechtsextremer Pseudo-Gewerschaften (denen ab 1998 durch die Justiz verboten wurde, sich als Gewerkschaften zu bezeichnen) u.ä. zu überbrücken. .Doch dies scheiterte, aus unterschiedlichen Gründen, u.a. der Parteispaltung von 1998/99 und ihrer Folgen.  Seitdem steht der FN weitaus weniger stark als im Alltag verankerte Mitgliederpartei, und vor allem über das Fernsehen im Kontakt mit seinen potenziellen Wählern. Dabei steht er in Abhängigkeit von aktuellen Ereignissen, die in den Medien ihren Niederschlag finden und die sich durch die extreme Rechte in passender Weise deuten lassen. Musterbeispiel ist der Sicherheitsdiskurs. Auch wenn diesen Problemen in Wirklichkeit weitaus eher soziale Ängste zugrunde liegen: Wenn eine wachsende Zahl von Menschen sich « verunsichert » fühlt, Furcht um ihre Zukunft hat, sich vom Staat allein gelassen fühlt (da sich die Politik offenkundig nicht um ihr Wohlergehen fühlt) und ihr Leben als ständigen Kampf empfindet, dann lässt sich dies ideologisch auch als « Sicherheitsbedürfnis » übersetzen. Nun muss man nur noch autoritäre Konzepte als mögliche Antwort darauf erscheinen lassen, und schon hat die extreme Rechte wieder ordentlich Punkte gewonnen. 

Zur Zeit deutet sich an, dass dem FN nochmals der Einbruch in ein neues Wählermilieu gelingen könnte, nämlich im ländlichen Raum. Dort sind seine Zuwachsraten in den Vorwahlumfragen der letzten Monate am höchsten. Dieser Raum war bisher von den Wahlerfolgen der Le Pen-Partei  nur in relativ geringem Mabe betroffen. Der FN hatte eine erste Phase von Wahlerfolgen in den bürgerlichen Kernstädten (Mitte der 80er Jahre). Danach war er vor allem eine Partei der urbanen Krise, die in den 90er Jahren dort Erfolge hatte, wo traditionelle Industriebranchen wegbrachen, die Leute verarmten, das soziale Netz zerriss. Nunmehr zeichnet sich seit circa 2002 eine dritte Phase ab, in welcher dem FN auch der Einbruch in eine ländliche Wählerschaft gelingt. Diese wird bisher von den Krisenphänomen der Gesellschaft noch in relativ geringem Mabe erfasst. Allerdings ziehen in den letzten Jahren zunehmend ehemalige Einwohner aus städtischen Zonen in eher ländliche Kommune, da sie sich das Leben in den Ballungsräumen kaum noch leisten können oder da sie den sozialen Probleme den Rücken kehren wollen. Der Hauptfaktor bei der Ausbreitung der Sympathien für Le Pen aber ist das Fernsehen, das aus den städtischen Ballungszentren und namentlich ihren Banlieues auf das Land –- dorthin, wo vergleichbare Probleme noch unbekannt sind --  den Eindruck vermittelt, dass Krieg herrscht und « die Front immer näher rückt ». Den daraufhin abrufbaren Schutzreflex beutet Le Pen, mit dem Ruf nach dem starken Staat, möglicherweise erfolgreich politisch aus.

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns vom Autor am 17.11.06 zur Verfügung gestellt.