Betrieb & Gewerkschaft

DGB-Niederrhein hetzt gegen GDL-Streik

Von Dietmar Henning

11/07

trend
onlinezeitung

Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer ist in ihrem derzeitigen Kampf um Löhne und Arbeitsbedingungen nicht nur mit der Deutschen Bahn AG konfrontiert, sondern auch mit einer breiten Front aus Politik, Justiz, Medien und Gewerkschaften.

Erst letzte Woche wandte sich der SPD-Vorsitzende Kurt Beck ausdrücklich gegen die GDL und ihren berechtigten Kampf um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Worum es den Sozialdemokraten und Gewerkschaften bei ihrer Hetze gegen die Lokführer letztendlich geht, zeigt ein Angriff des DGB-Bezirks Niederrhein.

Dessen Vorsitzender Rainer Bischoff, der gleichzeitig SPD-Abgeordneter im nordrhein-westfälischen Landtag ist, ließ Ende letzter Woche eine Pressemitteilung herausgeben unter der Überschrift: "Diesen Streik unterstützen wir nicht - GDL ist eine Standesorganisation, keine wirkliche Gewerkschaft." Am Samstag wiederholte Bischoff in einem örtlichen Anzeigenblatt, das kostenlos an Duisburger Haushalte verteilt wird, diesen Vorwurf.
Das Anzeigenblatt brachte es fertig, in einem Artikel mit der Überschrift "Den Bahnkunden langt’s, den Lokführern noch lange nicht", keinen einzigen Bahnkunden zu zitieren, der sich gegen den Streik oder die GDL aussprach. Lediglich einen Streikgegner fand das Blatt, der sich sehr vehement äußerte - den Sozialdemokraten und Gewerkschaftsfunktionär Rainer Bischoff.

"Diese kaum nachvollziehbaren Streikaktivitäten der Lokführer", wird Bischoff zitiert, "werden von den im DGB vereinigten Gewerkschaften nicht unterstützt. Ganz im Gegenteil: Die GDL ist aus unserer Sicht keine wirkliche Gewerkschaft, sondern eine Standesorganisation für einen kleinen Teil der Beschäftigten des Unternehmens Bahn. Diese Organisationsform widerspricht fundamental unserem Prinzip der Einheitsgewerkschaft. Diese bedeutet, dass alle Beschäftigten eines Betriebes gemeinsam in einer Gewerkschaft organisiert sind und verhindert chaotische Zustände, wie sie jetzt durch die GDL entstanden sind." Außerdem sei das Vorgehen der GDL unsolidarisch, weil die Lokführer ihre Anliegen "auf Kosten der übrigen Beschäftigten der Bahn durchsetzen".

Das ist nicht nur ein Angriff auf die GDL, sondern ein grundlegender Angriff auf das Streikrecht und das Koalitionsrecht, das Recht sich gewerkschaftlich zu organisieren.
Jeder Streik verfolgt das Ziel, wirtschaftlichen Schaden - oder "Chaos", wie Bischoff im besten Unternehmerjargon sagt - anzurichten, um den Arbeitgeber unter Druck zu setzen. Sonst ist es kein Streik, sondern eine ohnmächtige Geste. Und das Koalitionsrecht, das für eine demokratische Gesellschaft grundlegende Bedeutung hat, setzt voraus, dass sich jeder Arbeiter in der Gewerkschaft seiner Wahl organisieren darf. Wenn er sich nur einer einzigen "Einheitsgewerkschaft" anschließen darf, wie Bischoff das verlangt, dann sind wir bei der Zwangsgewerkschaft im Stile der DDR.

Das Prinzip der Einheitsgewerkschaft, auf das sich Bischoff beruft, kann stets nur ein freiwilliges sein. Es setzt voraus, dass die entsprechende Gewerkschaft tatsächlich die Interessen ihrer Mitglieder vertritt. Hindert es dagegen Arbeiter, sich unabhängig zu organisieren und mit einer Gewerkschaft zu brechen, die - wie Transnet bei der Bahn - zum Werkzeug des Vorstands geworden ist, dann wird das Prinzip der Einheitsgewerkschaft zur Zwangsjacke.

Bischoff verwechselt außerdem die "Einheitsgewerkschaft" - den Zusammenschluss unabhängig von Parteizugehörigkeit und Religion - mit der "Industriegewerkschaft"- dem Zusammenschluss aller Beschäftigten einer Sparte oder eines Betriebs. Als hochrangigem Funktionär dürfte ihm das eigentlich nicht passieren. Doch Bischoff geht es offensichtlich nur darum, die GDL und die streikenden Lokführer anzuschwärzen.

Seine Behauptung, die GDL sei keine richtige Gewerkschaft, ist schlichtweg gelogen.
Die GDL wurde 1867 als Verein Deutscher Lokomotivführer (VDL) gegründet und betrachtet sich selbst als älteste Gewerkschaft Deutschlands. Nach dem Verbot durch die Nationalsozialisten 1937 gründeten sich erste Ortsverbände der GDL 1946. 1949 beschloss die erste Generalversammlung nach dem Zweiten Weltkrieg den Beitritt zum Deutschen Beamtenbund. Am 24. Januar 1990 wurde die GDL in der damaligen DDR wieder gegründet und am 29. Januar 1991 schlossen sich GDL West und Ost zu einer gesamtdeutschen Gewerkschaft zusammen.

Höchstrichterlich, durch das Bundesarbeitsgericht, werden Vereinigungen als Gewerkschaft anerkannt, wenn sie die so genannte soziale "Mächtigkeit" besitzen, d. h., sie müssen über hinreichende Verhandlungsstärke verfügen. Dies hat die GDL mit ihren Streiks und ihrer Vertretung von 80 Prozent der Lokführer und jedem dritten Zugbegleiter wohl deutlich bewiesen. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat der GDL 2003 explizit zugestanden, für einen Spartenvertrag für das Zugpersonal streiken zu dürfen.

Der GDL dieses Recht abzusprechen, wie es Bischoff tut, widerspricht der grundgesetzlich garantierten Koalitionsfreiheit. In Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes heißt es: "Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig."

Streikbrecherorganisationen

Dass Bischoff, und mit ihm große Teile des DGB und der SPD heute das Streik- und Koalitionsrecht angreifen, zeigt, wie grundlegend sich diese Organisationen gewandelt haben. Sie sind im buchstäblichen Sinne des Wortes zu Streikbrecherorganisationen geworden. Auf die bloße Tatsache, dass die Lokführer für ihre Forderungen streiken, reagieren sie mit hysterischer Feindschaft.

So heißt es in Bischoffs Presseerklärung vom 18. Oktober: "Zeigen doch gerade die aktuellen chaotischen Zustände bei der Bahn, wohin es führe, wenn jeweils ein Teil der Belegschaft nur für seine Interessen eintrete. Das tun wir und unsere Gewerkschaften nicht, und dies hat den sozialen Frieden in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ausgemacht".

Der Erhalt des "sozialen Friedens" ist in der Tat das oberste Prinzip des DGB. Während des wirtschaftlichen Aufschwungs der Nachkriegszeit ließ sich das noch mit sozialen Verbesserungen vereinbaren. Gelegentliche, von den Gewerkschaften geführte Streiks dienten lediglich dazu, den Druck auf den Gegner zu erhöhen, um dann zu einem Kompromiss zu gelangen.

Doch die Globalisierung der Produktion hat dieser nationalen, reformistischen Gewerkschaftsperspektive den Boden entzogen. Die Gewerkschaften sind nicht mehr in der Lage, als Mittler zwischen Kapital und Arbeit aufzutreten und so die soziale Stellung ihrer Mitglieder zu verteidigen. Das internationale Kapital fordert nicht endende Zugeständnisse von den Beschäftigten. Standorte, die sich dem verweigern, werden geschlossen.
Die Gewerkschaftsbürokratie versucht nun den "sozialen Frieden" zu wahren, indem sie das Kapital bei der Durchsetzung seiner Angriffe als Juniorpartner unterstützt, Druck auf die Beschäftigten ausübt und im Namen der Standortsicherung die Diktate der Unternehmen durchsetzt.

Die "Einheitsgewerkschaft" war schon in der Zeit, als es für die Arbeitnehmer noch aufwärts ging, ein zweischneidiges Schwert. Ihr Zweck war weniger die einheitliche Organisation aller Beschäftigten, als die Isolation sozialistischer und militanter Arbeiter. Sie sollten so weit wie möglich aus der Gewerkschaftsbewegung herausgehalten werden.

Die Alliierten förderten den Aufbau reformistischer Gewerkschaften, indem sie nach dem Zweiten Weltkrieg so genannte "Richtungsgewerkschaften" - etwa von der KPD - verboten. In den "Einheitsgewerkschaften" des DGB war nie Platz für eine linke Opposition. "Einheit" hieß immer nur Einheit von SPD und CDU. Die SPD stellte jeweils den Ersten Vorsitzenden, sein Stellvertreter war in der Regel Mitglied der CDU. Der DGB war daher auf gewerkschaftlicher Basis die seit Jahrzehnten gelebte Große Koalition.

Linke hatten im DGB nichts zu suchen. Die KPD wurde 1956 höchstrichterlich verboten, ihre Mitglieder aus den Führungsgremien der Gewerkschaften verdrängt. In den 1970er Jahren wurden dann Tausende Gewerkschaftsmitglieder aus linken Gruppierungen und Parteien per "Unvereinbarkeitsbeschluss" aus den Gewerkschaften verbannt.
Transnet und GDL

Die Bahn-Gewerkschaft des DGB, Transnet, ist ein treffendes Beispiel für die Verwandlung der Gewerkschaften.

Seit der Umwandlung der Bahn in eine Aktiengesellschaft vor 13 Jahren sind die Hälfte aller Arbeitsplätze - rund 200.000 - abgebaut, die Löhne gesenkt und die Arbeitsbedingungen verschlechtert worden. Nun, mit dem geplanten Börsengang und der Öffnung der Bahn für den internationalen Finanzmarkt, sieht Transnet ihre Aufgabe darin, die vom internationalen Kapital geforderten Bedingungen zu gewährleisten: Niedrige Löhne bei hoher Arbeitszeit und miserablen Arbeitsbedingungen sowie eine disziplinierte und "ruhiggestellte" Belegschaft. Das finanzielle Auskommen und die Gesundheit der Bahnbeschäftigten werden den Profitinteressen des internationalen Kapitals untergeordnet. Transnet ist die einzige DGB-Gewerkschaft, die den Börsengang der Bahn unterstützt.

Die Politik von Transnet hat in den vergangenen Jahren die vergleichsweise kleine GDL stark gemacht. Bis Juli 2002 war die GDL Bestandteil der Tarifgemeinschaft der Deutschen Bahn, bestehend aus Transnet, der Beamtengewerkschaft GDBA und der GDL. Dann trat die GDL aus der Tarifgemeinschaft aus, weil ihr die Zugeständnisse von Transnet zu weit gingen. Im November 2002 scheiterte dann ein Ergänzungstarifvertrag, der die Beschäftigten der DB Regio verpflichtete, bis zu 18 zusätzliche unbezahlte Schichten im Jahr zu leisten, weil die GDL ihre Unterschrift verweigerte. Transnet und GDBA hatten bereits zugestimmt.
Wenn Transnet, DGB und SPD nun den Lokführern vorwerfen, "sich Vorteile zu Lasten der anderen Bahnbeschäftigten erstreiten [zu] wollen", ist dies eine dreiste Lüge. Die Lokführer streiken, um die Kürzungen rückgängig zu machen, die Transnet in den letzten Jahren vereinbart hat.

In einem "Offenen Brief" an Bahnchef Mehdorn vom 19. Oktober schildert ein Lokführer die Auswirkungen diese Kürzungen: "Ist Ihnen bekannt, dass mir als Lokführer die Jahresarbeitszeit von 1984 Stunden auf 2087 Stunden erhöht wurde? Damit hätten wir zunächst eine Lohnsenkung von 5 Prozent nachgewiesen. Ist Ihnen bekannt, dass mir ein Urlaubstag gestrichen wurde? Wieder ein Prozent. Ist Ihnen bekannt, dass meine famose Interessenvertretung, der mehrheitlich von der Transnet gesteuerte Gesamtbetriebsrat, mit dem Management eine Betriebsvereinbarung geschlossen hat, die es, vorbei an jeglichen gesetzlichen Bestimmungen, erlaubt, Schichten mit bis zu 14 Stunden zu planen, wobei dann der AN [Arbeitnehmer] zwei Stunden unbezahlt als ‚Pause’ zu übernehmen hat?"
Auch die GDL ist eine reformistische Gewerkschaft. Sie hat keine Antwort auf die Auswirkungen der Globalisierung und den Druck von Bahn, Regierung und Medien, der ihr entgegenschlägt. Das zeigt ihre zögerliche Streiktaktik, ihr Bemühen, zu einem Kompromiss zu gelangen, und ihre Bereitschaft, die Lohnforderung weitgehend zu opfern, falls sie einen eigenständigen Tarifvertrag erhält.

Der aktuelle Arbeitskampf der Lokführer muss über den beschränkten Rahmen gewerkschaftlicher Einzelinteressen hinausgehen. Notwendig ist die Unterstützung der gesamten arbeitenden Bevölkerung. Zu diesem Zweck müssen Solidaritätskomitees aufgebaut und zum Ausgangspunkt einer breiten Offensive gegen Lohn- und Sozialabbau und gegen die Große Koalition in Berlin gemacht werden.

Editorische Anmerkungen

Dieser Artikel erschien am 26.10.07 bei www.wsws.org
Wir spiegelten von dort.