Drohende Zwangsverrentung von Erwerbslosen

von Peter Nowak

11/07

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Während auf dem dem SPD-Parteitag viel über einige Modifizierungen der Hartz IV-Gesetze diskutiert und dabei akribisch darauf geachtet wird, dass die Substanz der Gesetze nicht angetastet wird, droht weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit eine massive Verschlechterung für ältere Erwerbslose. Ab dem 1. Januar können ALG II-Bezieher, die das 60te Lebensjahr erreicht haben, zwangsverrentet werden. Davon wären bis zu 360000 Menschen betroffen.

Bisher waren diese Menschen durch die sogenannte 58er Regelung geschützt. Sie bewahrte ALG I und II-Bezieher zwischen dem 58 und 65 Lebensjahr vor Umschulungsmaßnahmen und Ein-Euro-Jobangeboten. Sie waren in der Arbeitslosenstatistik nicht mehr aufgeführt. Schließlich hatten Menschen in diesen Alter sowie so wenig Chancen auf einen Arbeitsplatz. Wenn diese Regelung zum 1. Januar 2008 ausläuft, müssten diese Menschen in Rente gehen und dabei Minderung bis zu 18 % in Kauf nehmen. Das bedeutet staatlich geförderte Altersarmut, warnte der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di kürzlich auf einer Pressekonferenz in Berlin. Denn zusätzliche Beihilfe durch Sozialhilfe würden die Zwangsverrenteten nur bekommen, wenn sie ihr Schonvermögen bis auf eine Höhe von 1600 Euro aufgebraucht haben. Diese Menschen müssten Lebensversicherungen und private Altersversorgungen auflösen und zur Bestreitung ihres Unterhalts verbrauchen. Das dürfte besonders die Menschen gravierend treffen, die in den letzten Jahren durch massive Werbekampagnen zum Abschluss einer solchen privaten Lebensversicherung veranlasst worden sind. Schließlich wurde ihnen dort versprochen, dass sie damit für ihren Lebensabend sorgen könnten. Wenn sie jetzt diese Rücklagen bis zum regulären Renteneintritt verbrauchen müssten, wäre gerade diese Alterssicherung konterkariert. Erwerbslosengruppen sehen gerade in dem Zugriff auf das Schonvermögen einen Grund, warum der Gesetzgeber die 58er Regelung auslaufen lassen will.

Wenig Kooperation in der Politik

Bisher zeigt die Politik keine Bereitschaft, die Regelung noch einmal zu verlängern, meinte der ver.di-Arbeitsmarkt-Experte Bernhard Jirku. Initiativanträge der Fraktionen der Grünen und der Linken die eine solche Verlängerung erreichen wollten, wurden von der großen Koalition und der FDP abgelehnt.

Vielleicht liegt das auch daran, dass die Betroffenen scheinbar keine große Lobby haben. Besonders benachteiligt wären durch das Auslaufen der 58er Regelung Frauen, die wegen Hausfrauentätigkeit geringere Rentenbeiträge eingezahlt haben, aber auch Minijobber und Menschen, die nur zeitweilig beschäftigt waren. Kurz gesagt, würden die, die bisher wenig Geld hatten, auch im Alter benachteiligt bleiben. Die Dienstleistungsgewerkschaft hofft, durch ihre Pressekonferenz und einen Offenen Brief an die Mitglieder des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales, das Thema in die öffentliche Diskussion und dadurch die Politiker in Zugzwang zu bringen. So stellten Journalisten bei Nachfragen an Bsirske auch die Frage, ob es Zufall ist, dass ver.di das Thema unmittelbar vor dem SPD-Parteitag platzierte. Es wäre sicher kein Nachteil, wenn das Thema dort aufgegriffen wurde, meinte der ver.di-Chef knapp. Bisher aber blieb man dort man bei eher allgemeiner Gerechtigkeitsrhetorik und das Warmlaufen für die kommenden Wahlkämpfe. Die Unionsparteien wurden noch mal daran erinnert, dass sie bei den letzten Bundestagswahlen mit ihrer neoliberalen Programmatik nicht besonders Erfolg hatten. Dass Ex-Bundeskanzler Schröder mit der Agenda 2010 allerdings seine SPD nicht nur in mehreren Bundesländern, sondern auch im Bund in die Verlustzone brachte und schließlich sogar einen Bruch innerhalb des Parteimittelbaus riskierte, der letztlich zum Aufstieg der Linkspartei führte, ist aber kein Thema. Schließlich zählt Agenda2010-Erfinder Schröder zu den weiterhin umjubelten Hauptrednern des Parteitags.

Neue Proteste

Angekommen ist das Thema Zwangsverrentung allerdings bei den sozialen Initiativen und Erwerbslosengruppen, die allen Unkenrufen zum Trotz auch 3 Jahre nach der Einführung von Hartz IV noch aktiv sind. Die Debatte in der SPD verschaffte ihnen Rückenwind. Am 13. Oktober demonstrierten ca. 7000 Menschen für die sofortige Abschaffung von Hartz IV Die Teilnehmerzahl überraschte selbst die Organisatoren. Wenn wir uns nicht noch immer zu Wort meldeten, würde doch bei der SPD schon längst über neue soziale Grausamkeiten diskutiert und nicht darüber gestritten, wie der Sozialabbau sozial bemäntelt den Wählern verkauft werden kann“ meint eine Frau mit einem Banner der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di auf der Demo gegenüber der Presse. Die Zwangsverrentung könnte auch wieder mehr ältere Menschen auf die Straße treiben, die sich nach dem kurzen Aufschwung der Montagsdemonstration im Jahre 2004 wieder resigniert zurück gezogen hatten. Mit besonderer Erbitterung wird registriert, dass gleichzeitig die Rente mit 67 eingeführt wurde, die viele Menschen zwingt gegen ihren Willen länger zu arbeiten. Das Thema spietel auch eine zentrale Rolle beim bundesweiten Aktionstag der Sozialproteste, zu dem Erwerbslosengruppen und gewerkschaftliche Initiativen am 29. 10 aufrufen hatten. .
Selbst in den Medien wird das Leben unter Hartz IV wieder Thema. So beschäftigt sich ein Buch ( http://www.bod.ch/index.php?id=296&auto_nr=71000&auto_id=  ) mit dem Selbstmord eines Hartz IV-Empfängers, der in Frankfurt/Oder zwangsgeräumt wurde.

 

Editorische Anmerkungen

Dieser Artikel wurde uns vom Autor zur Veröffentlichung am 31.10.07 gegeben.