Neue prekäre Mittelklasse?
Oder Mister Bologna hier nicht erwünscht


von Peter Nowak

11/07

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Nicht nur am 1. Mai soll die Mayday-Parade der Prekarisierten durch die Straßen ziehen. Wichtig ist die Debatte über eine Perspektivdiskussion, über die Frage, wie mit Proletarisierten und Prekarisierten gemeinsam ein Kampf gegen die Verschlechterungen ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen und darüber hinaus sogar eine antikapitalistische Strategie entwickelt werden kann. Diese Debatte befindet sich noch immer  in den Anfängen.  

Mittlerweile ist es aber schon Konsens, dass es falsch ist, vom Prekariat als neue Klasse zu reden, dass es verschiedene Formen prekärer Arbeits- und Lebensbedingungen gibt und dass es auch keinen Sinn macht, die Unterschiede begrifflich weg zu diskutieren.

Bisher drehte sich die Debatte hauptsächlich um die Frage, wie es gelingen kann, eine gemeinsame Perspektive von Lohnabhängigen hinzukriegen und gerade keine Spaltung  zuzulassen. Die Frage prekäre oder feste Arbeitsverhältnisse ist eben keine Spaltungslinie. Beide müssen ihre Arbeitskraft verkaufen. Die war uns ist  im Kapitalismus  immer prekär. Beitrag gibt es dazu beispielsweise unter: http://interkomm.so36.net

Mit Verspätung wurde in Deutschland jetzt ein Beitrag zur Prekaritätsdebatte (siehe unten als Anhang)  bekannt, der schon am 1.Mai 2007 in Italien verteilt und eine Position vertritt, der aus der Bewegung der Prekären eine neue Mittelklasse in erklärter Frontstellung zu den übrigen Lohnabhängigen machen will. Autor ist Sergio Bologna, ein ehemaliger Operaist, der noch vor Jahren auch in Deutschland gern gesehener Gast auf linken Kongressen war. Seinen Rechtsschwenk hat er schon vor Jahren eingeleitet. Dabei beruft er sich weiterhin auf einige Elemente des operaistischen Denkansatzes. Das wird auch in dem im Folgenden dokumentierten Beitrag deutlich. Wenn Bologna aufruft „Klassenbewusstsein zu entwickeln“, klingt das erst einmal sympathisch. Doch bald merkt man, dass es die Formierung einer Mittelklasse ist, die ihm vorschwebt.    .   

Wenn Bologna mit operaistischen Duktus die Verhältnisse des fordistischen Arbeitsalltags kritisiert, schient das  zunächst als notwendige Antwort auf all die offenen oder verdeckten KeynsianerInnen, die uns das Märchen von den goldenen 70er Jahren erzählen wollen. Wenn er aber dann von den revolutionären Elementen der IT-Revolution schwärmt, wird deutlich, dass er sich auf die Seite der neoliberalen Regulationsphase geschlagen hat. Bologna betrachtet nicht die unterschiedlichen Regulationsphasen des Kapitalismus wie ein  Kommunist, der alle Regulationsphasen gleichermaßen als Ausdruck der kapitalistischen Verwertungsverhältnisse überwinden will.   Er sieht in der postfordistischen Regulationsphase eindeutig Chancen und hat  begrifflich mit seinen Gerede von der  Open-Source-Bewegung und dem knowledge workers auch die Propagandafloskel der neoliberalen PropagandistInnen übernommen.

Besonders deutlich wird Bolognas Absicht in seiner neoliberalen Kritik an der Arbeitsgesetzgebung der reformerischen italienischen Prodi-Regierung.

„Es wird keinerlei Versuch angestellt, die fordistischen Arbeitsmodelle (insbesondere den unbefristeten Dienstvertrag) im Arbeitsrecht und in der entsprechenden Politik zu überwinden. Solcherart könnte man nämlich in einer innovativen Anstrengung auf das Prekariat zugehen und es als allgemeine Form anerkennen.“

Das Prekarität als allgemeine Form  anerkennen, heißt nichts anderes, als die letzten Reste erkämpfter garantierter Arbeitsverhältnisse zu schleifen. In Italien haben sorgte  vor allem der gewerkschaftliche Kampf dafür, dass sich solche Arbeitsverhältnisse länger  als in Deutschland gehalten haben. Das Prekariat als allgemeine Form anerkennen, ist so auch eine Kampfansage an die linken Gewerkschaften und die klassenkämpferische Linke Italiens. Auch das  benennt Bologna eindeutig.  

  Nicht nur sieht er ausgerechnet in der legge Biagi, einen für italienische Verhältnisse besonders scharten Angriff auf die Rechte der Lohnabhängigen ,einen zwar ungeschickten aber im Grunde notwendigen  Schritt in die richtige Richtung. Dann kommt das Loblied auf den neuen Mittelstand mit Angriffen auf die ArbeiterInnenbewegung:  „Es ist unverständlich, warum viele Vertreter der Bewegung, die die Positionen des Prekariats repräsentieren wollen, glauben, sich als Proletariat verkleiden und mit den Migranten identifizieren zu müssen, und dabei weiterhin die verbrauchte Symbolsprache und die abgedroschene Bilderwelt der sozialistischen Tradition des 19.Jahrhunderts verwenden. Das zentrale Phänomen dieser Phase der postfordistischen Epoche oder der "Neuen Ökonomie« ist die Krise der middle class in den westlichen Ländern". Damit hat Bologna seine Intensionen auf den Punkt gebracht. Er will verhindern, dass sich  die Bewegung der Prekären mit der Vorstellung eines gemeinsamen Kampfes aller Lohnabhängigen beschäftigt  und treibt einen Keil zwischen den sogenannten Prekären und den Lohnabhängigen mit sogenannten Normalarbeitsverhältnissen. Dafür umschmeichelt er sein Klientel von Prekären  mit wohlklingenden Phrasen, die ihnen das Gefühl geben sollen, sich als  Mittelstand im Konkurrenz- und Statuskampf gegen andere Lohnabhängige besser behaupten zu können. Statt    auf Solidarität der fragmentierten Klasse der Lohnabhängigen setzt Bologna auf das bessere Durchsetzungsvermögen der gut ausgebildeten IT-Mittelklasse gegen den klassischen Malocher.

Eine solche Perspektive würde aber der Mayday-Bewegung ihres emanzipatorischen Charakter berauben sie zu einem Wurmfortsatz von partikularen Interessen verschiedener Gruppen im Mittelstand zu machen.  Eine solche Perspektive ist in der Mayday-Bewegung in Deutschland bisher nicht zu befürchten.ten. Aber die Intervention von Bologna sollte auch den am Mayday-Prozess beteiligten Menschen die Notwendigkeit einer Perspektivdiskussion vor  Augen führen. Die Mayday-Bewegung müsste in der Lage sein,  neoliberale Vorstöße a la Bologna ganz klar zurück zuweisen und diesen Herrn vielleicht seinen Auftritt auf dem einen oder anderen linken Kongress   für linke Interventionen in dem Sinne zu nutzen, dass der Mayday-Prozess einen klaren Trennungsstrich zu solchen Positionen zieht. Wie wäre es am nächsten Mayday mit Schildern, wo es  heißt, dass Mr. Bologna und seine Thesen hier nicht erwünscht sind.

Das  Berliner Mayday-Bündnis will sich ab November auf regelmäßigen Veranstaltungen einmal im Monat mit Themen rund um den Mayday befassen. Vielleicht spielen dort die Thesen von Bologna und Co. ebenfalls eine Rolle. 

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Hier der Text von Bologna. Der Text wurde anlässlich des EuroMayday 2007 in Mailand geschrieben und vom Autor für die Jungle World überarbeitet. :

Uscire dal vicolo cieco!

Raus aus der Sackgasse! – Die Bewegung gegen prekäre Arbeitsverhältnisse und soziale Unsicherheit und für gleiche Rechte für alle BürgerInnen scheint bislang nur imstande zu sein, das Unbehagen an den derzeitigen Zuständen zu transportieren und Protest zu organi­sieren, nicht aber, die Dinge tatsächlich zu verändern. Zu viele Hindernisse stehen einem effektiven Fortschritt hinsichtlich der Lage der Prekären entgegen. Die Regierung von Romano Prodi und die Politik seines Arbeitsministers stellen ein solches Hindernis dar, doch erweisen sich manche Schranken in der Bewegung selbst als ebenso tückisch.

von Sergio Bologna

Klassenbewusstsein entwickeln

Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass der Fordismus den Massenarbeiter hervorgebracht hat. Von dieser Auffassung ausgehend hat sich das politische Denken entwickelt, welches den sozialen Bewegungen der sechziger und siebziger Jahre ihre Inhalte geliefert hat. Die Reflexion über die vom Postfordismus hervorgebrachte Klasse ist hingegen weniger artikuliert oder zumindest uneinheitlicher. Viele Versuche, das Wesen dieser Klasse zu bestimmen, wurden und werden unternommen, nicht zuletzt jener, sie als »Nicht-Klasse« zu definieren. Solange es jedoch nicht gelingt, für sie ein adäquates Profil zu finden, mit derselben Klarheit und ebenso schematisch, offensichtlich und leicht kommunizierbar wie dies beim Begriff »Massenarbeiter« der Fall war, wird jede Anstrengung, ein politisches Subjekt zu bilden, mit dem Regierung und Kapital sich auseinandersetzen müssen, fruchtlos bleiben.

Ein Denksystem neu zusammensetzen

Der so genannte italienische Operaismus stellt vielleicht das einzige System dar, welches versucht hat, der Wahrnehmung der Klassenverhältnisse in der Nachkriegszeit eine Ordnung zu geben. Vollziehen wir für einen Moment den Denkweg nach, den der Operaismus zurückgelegt hat, um letztlich das Klassensubjekt des Fordismus definieren zu können, den Massenarbeiter. Der erste Schritt bestand darin, die Maschinen in ihrer Fähigkeit zu begreifen, das menschliche Verhalten gleichsam genetisch zu verändern. Den zweiten Schritt stellte das Verständnis der politischen Kontrolle dieses Prozesses dar: Es galt, den Zusammenhang zwischen Regierungshandeln, öffentlicher Verwaltung und technologisch-organisatorischem Wandel einsichtig zu machen. Dritter Schritt: Wenn man die Glieder der Kette einmal erkannt hat, die einem die Hände fesselt, muss man lernen, sie eines um das andere zu sprengen. Ist ein ähnlicher Denkweg heute überhaupt noch sinnvoll zu beschreiten? Versuchen wir doch einmal, die eben vorgestellte Abfolge nachzuahmen. Wer weiß, ob sie uns nicht zu einem Ergebnis führt.

Die Beziehung Mensch-Maschine

Erster Schritt: der kapitalistische Gebrauch der Maschinen. Gehen wir von der Annahme aus, dass die Symboltechnologie des Fordismus das Fließband ist und die Symboltechnologie des Postfordismus der Computer. Daraus ergeben sich zwei völlig verschiedene Typen von Arbeitskraft. Der erste Typ muss, auch wenn die einzelnen Subjekte über Bildung verfügen, seine eigenen Biorhythmen bloß an die Rhythmen der Maschine anpassen, er ist eine ihrer Funk­tionen oder eines ihrer Bestandteile. Der zweite Typ von Arbeitskraft muss, auch wenn die einzelnen Subjekte nicht über Bildung verfügen, bestimmte Kompetenzen und Kenntnisse vorweisen und imstande sein, mit der Maschine zu interagieren. Im Fordismus haben wir es mit einer technologischen Macht zu tun, die die Arbeitskraft unterjocht und diszipliniert, im Postfordismus hingegen mit einem technologischen Werkzeug, das mit der Arbeitskraft in einen Dialog tritt. Im Fordismus wird der Mensch paradoxerweise auf einen Affen reduziert, im Postfordismus ist der Mensch ganz Gehirn. Im ersten Fall war die Befreiung nur über eine Umkehr der Beziehung zur Maschine zu erreichen (über den Rhythmus entscheide ich und nicht die Maschine, der individuelle Stücklohn muss abgeschafft werden, die Technologie darf nicht einfach akzeptiert, sondern muss verändert werden, zuerst die Gesundheit und dann die Produktivität, die Löhne sollten tendenziell für alle gleich sein usw.). Für den Postfordismus zeichnet sich ein gänzlich anderer Weg ab, denn der Computer ist (zumindest potenziell) Befreiung. Die Denkwege gestalten sich um vieles komplexer, und um sie zu erkunden, müssen wir uns vom Operaismus verabschieden. Wir müssen den Geist und die Logik des ursprünglichen Operaismus verteidigen, nicht die operaistische Mode von heute.

Idioten des lebenslangen Lernens

Jene Phänomene, die eine Veränderung der sozialen Verhaltensweisen, der Gewohnheiten und Stile herbeiführen, sind von größerer Bedeutung als jene, die durch eine im menschlichen Organismus durchgeführte Veränderung erreicht werden können. Die erste große Absetzbewegung, die den Postfordismus vom Fordismus wegführt, besteht darin, dass er dem Human­kapital, den Kompetenzen und Kenntnissen, einen hohen Wert zuschreibt. Um in den Arbeitsmarkt einsteigen zu können, muss man über eine gute Ausbildung verfügen, ­so dass man seinem Lebenslauf immer weitere Qualifikationen und Erfahrungen anfügen kann, ohne dass sich an den prekären Arbeitsverhältnissen etwas ändern würde. Der Postfordismus hat das so genannte Bildungsangebot auf monströse Weise aufgebläht. Hunderte Schulen, Kurse und Lehrgänge überhäufen uns mit ihren Angeboten, die sich derzeit noch auf den privaten Sektor beschränken. Doch bald schon werden die öffentlichen Schulen ihr eigenes branding betreiben und ins Marketing investieren, wie das heute bereits manche Universitäten tun. Der Postfordismus hat das »lebenslange Lernen« erfunden, jenen heimtückischen Mechanismus, aufgrund dessen die jungen Leute sich einreden, ihr Prekariat hänge nicht von Kräfteverhältnissen zwischen Klassen ab, sondern von der ungenügenden Bildung. Je länger diese Leute also in der Beschäftigungslosigkeit verharren oder unterbeschäftigt sind, desto mehr Ausbildungen machen sie. Während es im Schulbereich zu einer Rückentwicklung gekommen ist, wird die Universität weiter den Erfordernissen der Professoren entsprechend organisiert, man richtet sich nicht nach den Bedürfnissen der Studierenden. Insofern haben der Postfordismus und die so genannte knowledge economy die Fragmentierung eines privaten und öffentlichen Bildungsmarkts hervorgerufen, dessen Funktion nur mehr darin besteht, einen Menschen zu bilden, der in prekären Verhältnissen lebt, bevor er überhaupt in den Arbeitsmarkt eintritt.

Was es bedeutet, über ein eigenes Denksystem zu verfügen

Einer der Faktoren, die zum Erstarken des operaistischen Denksystems zu Beginn der sechziger Jahre beigetragen haben, war das detaillierte Studium des Taylorismus und des Fordismus in ihrem Ursprungsland, den Vereinigten Staaten. Die italienische und auch die europäische Kultur hatten zu jener Zeit kaum davon Notiz genommen. Der Taylorismus und der Fordismus waren in Europa mit zehn, 15 Jahren Verspätung angekommen, in Ländern wie Italien und Deutschland mit der Machtergreifung der faschistischen Bewegungen. Die linken Parteien jener Zeit hatten nur sehr vage Vorstellungen vom Fordismus, es handelte sich bei ihnen um eine »produktivistische« Kultur, die vollkommen vom Antifaschismus bestimmt war, d.h. von Problematiken, die mit den Institutionen zu tun hatten. Deshalb wurde der Taylorismus als Instrument zur Steigerung der Produktivität angesehen, das in der Sowjetunion bestens funktioniert hatte. Zwischen den Operaisten und dem Rest der Linken tat sich ein kultureller Abgrund auf.

Heute befinden wir uns in einer ähnlichen Lage. Die italienische Linke weiß nicht oder will nicht wissen, was in den USA mit der Heraufkunft der New Economy passiert ist, mit den dot-com-Firmen und all jenen Initiativen und Ereignissen, die in den neunziger Jahren eine wahre Revolution ausgelöst haben, vor und nach dem Aufkommen des Internet. Sie hat vor allem nicht begriffen, dass diese Revolution auch antikapitalistische Züge getragen hat und unter dem Banner der Verweigerung von disziplinären und produktivitätssteigernden Modellen der big corporations vorangetrieben wurde, aufgrund eines klaren Bewusstseins der Auflehnung gegen das Bildungssystem, wie es von den Business Schools und den großen Universitäten repräsentiert wird. Die Selbstbildung, das, was früher einmal das Autodidaktentum genannt wurde, hatte bei den Protagonisten der New Economy einen hohen Stellenwert. Aus diesem Geist ging die Open-Source-Bewegung hervor, von dort stammen die heute noch aktiven Gruppen der »Informatiker für die Demokratie«, die über die Gefahren der Privatisierung des Web wachen. In diesem Zusammenhang hat sich auch jene neue Klasse herausgebildet, die von den Management-Gurus als knowledge workers bezeichnet wird. Diese haben eine neue Welt erträumt, eine neue Weise zu arbeiten, Unternehmen zu führen, eine andere Art, sich selbst zu definieren, weder blue noch white collar, weshalb sie etwa Andrew Ross, einer der herausragendsten Chronisten ihrer Geschichte, no collar genannt hat. Später sind sie von der Finanz wieder aufgesogen und durch die Krise 2000/2001 aufgerieben worden – aber welche Revolution ist im kapitalistischen Westen nicht institutionell aufgesogen und aufgerieben worden?

Von den Erfahrungen dieser web class (man sehe mir diesen Neologismus nach) muss man ausgehen, um die Natur des Postfordismus und seine Fähigkeit zu verstehen, die Lage der prekären Arbeit zur Strukturbedingung zu machen. Die Regierung Prodi macht gerade das Gegenteil. Es wird keinerlei Versuch angestellt, die fordistischen Arbeitsmodelle (insbesondere den unbefristeten Dienstvertrag) im Arbeitsrecht und in der entsprechenden Politik zu überwinden. Solcherart könnte man nämlich in einer innovativen Anstrengung auf das Prekariat zugehen und es als allgemeine Form anerkennen. Sie werden im Gegenteil immer noch als die einzigen Modelle behandelt, die einen Zugang zum System der wohlfahrtsstaatlichen Schutzbestimmungen ermöglichen. In einem ideologischen Gewaltakt werden diesen fordistischen Modellen die Prekären, die Scheinselbständigen, die neuen Selbständigen – also die gesamten postfordistischen Arbeitsformen – angepasst. Indessen wäre es unerlässlich, neue Kriterien für den Schutz jener Arbeitsverhältnisse zu finden, die nicht dem typischen abhängigen Dienstvertrag entsprechen, neue soziale Leistungen, neue Arten der Förderung.

Das Prekariat als Randproblem

Es wäre sicher eine lohnenswerte Aufgabe, würde man den Weg der linken Intelligenz in ihren leider gelungenen Versuchen, das Wesen der Arbeit im Postfordismus zu verdunkeln, Schritt für Schritt nachzeichnen. Eine erste Ahnung, dass sich etwas veränderte, kam den Intellektuellen und Akademikern vor zehn Jahren, als sie bemerkten, dass es »atypische« oder, wie man in Brüssel sagt, »nicht standardmäßige« Formen der Beschäftigung gibt. Die Gewerkschaften führten die ersten Studien durch und heraus kam, dass die Zahl der Beschäftigten in so genannten co.co.co (collaborazione coordinata continuativa, etwa: gelegentliche freie Mitarbeit) zwei Millionen übersteigt. Das Problem der atypischen Arbeit war also alles andere als marginal, insofern es zehn Prozent der Arbeitskraft betraf. Zu dieser Zahl kamen die neuen Selbständigen, doch die wurde man schnell wieder los, indem man behauptete, das seien keine Arbeitskräfte, sondern »Unternehmen«, »Ein-Personen-Betriebe«, und deshalb würden sie in die Zuständigkeit der Arbeitgeberverbände fallen. Nachdem Silvio Berlusconi an die Macht gekommen war, gab sein Arbeitsminister mit der anfänglichen Beratung von Marco Biagi der »atypischen« Arbeit ein institutionelles Gewand. Dies war ein erster wichtiger Schritt in Richtung Anerkennung des Umstandes, dass die Arbeitswelt in Veränderung begriffen war und dass man von diesen Veränderungen aus eine neue Politik des Arbeits- und Sozialrechts und der Tarifverhandlungen schaffen müsse. Doch die linke Intelligenz gab sich nicht geschlagen und ersann allerhand Schachzüge, um das Problem der »atypischen Arbeit« auf ein marginales zu reduzieren. Neue statistische Analysen senkten die Zahl der zwei Millionen co.co.co auf 400 000. Die neuen Erhebungsmethoden des Statistischen Zentralamts ergaben, dass die selbständige Arbeit zurückging (man vernachlässigte den Umstand, dass nur die traditionelle selbständige Arbeit abnahm, in der Landwirtschaft und im Einzelhandel, während die Zahl der neuen Selbständigen stark zunahm).

Auf diese Weise wurde das Problem des Postfordismus auf ein Randproblem und das Prekariat auf ein gewissermaßen physiologisches Problem reduziert. Diesen herausragenden Geistern zufolge handelte es sich dabei um eine Übergangsphase im Arbeitsleben eines jeden von uns (fließende Phase), die üblicherweise schnell vorbeigeht und einer Phase der stabilen und für den Rest des Lebens sicheren Beschäftigung weicht (beständige Phase). So sind wir bei der Regierung Prodi und seinem Arbeitsminister Cesare Damiano angelangt, mit dem jede Spur eines Nachdenkens über die postfordistische Arbeit getilgt ist. Die einzige Vorstellung von Arbeit ist die vom unbefristeten Dienstvertrag. Die Prekären, die Atypischen, die Nicht-Standardmäßigen werden nur als »Übergangsfiguren« anerkannt. Sie gehören zu den Randerscheinungen des Arbeitsmarkts und verschwinden, sobald sie zu den stabilen Arbeitskräften der »beständigen Phase« gehören. Allerdings hat man für diese Vertragsformen die Sozialversicherungs­beiträge erhöht. Die einzige konkrete Aktion der Regierung zugunsten des Prekariats konnte im Übrigen nur im Bereich der öffentlichen Verwaltung stattfinden: Man gewährte einer gewissen Anzahl von Angestellten, die bisher nur befristete Verträge hatten, eine unbefristete Anstellung. Im privaten Sektor kann die Regierung nichts machen, solange sie keine neue Arbeitsgesetzgebung einführt.

Wie man sich selbst schadet

Die Bewegung gegen das Prekariat hat sich vehement gegen das »Gesetz Nr. 30«, die so genannte legge Biagi, gewandt und dabei einen tragischen Fehler begangen. Dieses Gesetz stellt eigentlich die Anerkennung von Arbeitsformen jenseits des Standardmodells dar. Auf seine – vielleicht ungeschickte – Weise hat es versucht, Schutzbestimmungen für diese Formen einzuführen. Zum ersten Mal hat es der postfordistischen Arbeit einen rechtlichen Rahmen gegeben und das Prekariat als strukturelles Phänomen anerkannt, und nicht als eines des »fließenden« Über­gangs, wie das von der jetzigen Regierung und ihren Beratern versucht wird. Das Maßnahmenpaket von Tiziano Treu, dem Arbeitsminister der ersten Mitte-Links-Regierung von Prodi 1997/98, hatte hingegen Prozessen unkontrollierter Flexibilisierung Tür und Tor geöffnet. Insofern ist die Entscheidung, die legge Biagi als Ziel eines Kampfs gegen das Prekariat ins Visier zu nehmen, nichts anderes als eine Neuauflage von Don Quijotes Kampf gegen die Windmühlen. Dieses Gesetz nimmt zumindest die atypischen Arbeitsformen als konstante Erscheinungsform zur Kenntnis, während in der gegenwärtigen Regierung die Ansicht vorherrscht, dass es sich dabei um eine Art von jugendlicher Akne handelt.

Die großen Zahlen

In Italien arbeiten 47 Prozent der Arbeits­kräfte im privaten Sektor, das sind 7 683 000 Personen, in Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten. Davon wiederum sind 6 179 000 Menschen in Unternehmen beschäftigt, die durchschnittlich nicht mehr als 2,7 Beschäftigte haben (die Daten beziehen sich auf die Angaben der nationalen Statistischen Behörde vom Oktober 2006). Fügen wir zu diesen ca. eine Million Personen hinzu, die in Unternehmen mit höchstens 15 Beschäftigten arbeiten, dann haben wir ein Heer von 8,5 Millionen Personen (von insgesamt 16 Millionen), die nicht unter den Schutz des Artikels 18 des Arbeiterstatuts fallen. D.h. sie genießen keinen Kündigungsschutz. Insofern stellt auch der unbefristete Arbeitsvertrag für weniger als die Hälfte der in der Privatwirtschaft Beschäftigten einen totalen Schutz dar. Sehen wir vom öffentlichen und halböffentlichen Sektor ab, so können wir sagen, dass der italienische Arbeitsmarkt bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen einen ziemlich hohen Grad an Flexibilität erreicht hat.

Zu diesem Kern kommt noch das Prekariat im engeren Sinne hinzu. Das eigentliche »schwarze Loch« stellen jene mehr als sechs Millionen Arbeitskräfte dar, die in Unternehmen arbeiten, deren durchschnittliche Beschäftigtenzahl unter drei liegt. Aus zwei Gründen handelt es sich dabei um ein »schwarzes Loch«. Erstens kann eine wirtschaftliche Einheit aus kaum drei Personen nicht sinnvoll als »Unternehmen« bezeichnet werden. Wer auch nur oberflächliche Kenntnisse von ökonomischer Theorie hat, weiß, dass ein Unternehmen eine Institution darstellt, die aus drei verschiedenen sozialen Funktionen oder Rollen besteht: dem Kapital, dem Management und der Arbeitskraft. In den Familienunternehmen fallen Kapital und Management zusammen. Eine Struktur, die aus nicht einmal drei Personen zusammengesetzt ist, wird deshalb nur aus ideologischen Gründen »Unternehmen« genannt. Man will das vielgestaltige Universum der selbständigen Arbeit mit einem elementaren Organisationsgrad in den Rahmen der kapitalistischen Bourgeoisie einschreiben. Formen selbständiger Arbeit gibt es zwar schon lange, doch ist dieses Phänomen mit der Ausbreitung der postfordistischen Produktionsverhältnisse explosionsartig angestiegen. Jene 6 179 000 Personen sind teils »Ein-Personen-Unternehmen« (ein weiterer absurder und mystifizierender Begriff), teils Selbständige, die ein oder zwei (Komma sieben) Beschäftigte haben – welche oft auf der Basis unbefristeter Verträge angestellt sind.

Den zweiten Grund für dieses »schwarze Loch« stellt der Umstand dar, dass dieses Universum und das unmittelbar angrenzende, das der Mikro-Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten, jener Bereich ist, der die größte Nachfrage nach Arbeitskraft aufweist und somit die Beschäftigungsdynamik aufrechterhält. Die mittleren und großen Unternehmen, insbesondere jene 2010 Firmen, die den harten Kern des italienischen Kapitalismus bilden und in einer detaillierten Studie der Handelsbank Medio­banca aus dem Jahr 2006 untersucht worden sind, haben zwischen 1996 und 2005 ununterbrochen Arbeitsplätze abgebaut.

Das ist aber noch nicht alles. Nachdem die Gewerkschaften im Juli 1993 das unselige Übereinkommen zur Einschränkung der Lohnkosten unterzeichnet hatten, blieben die Gehälter im öffentlichen wie im privaten Sektor fast gleich. In keinem anderen Land der Europäischen Union haben sich die Löhne so schlecht entwickelt. Trotz dieses Entgegenkommens seitens der Gewerkschaften haben die Unternehmen weiter ihre Strukturen filetiert, Aufträge an Zulieferer vergeben, Produktionsabschnitte ausgelagert und auf diese Weise die Kernbelegschaft immer weiter schrumpfen lassen. Sie haben also dazu beigetragen, dass der Bereich der Mikrounternehmen und der selbständigen Arbeit mit einem elementaren Organisationsgrad ständig anwuchs. Die in den Abkommen vereinbarte Lohndisziplin hätte die Unternehmen dazu bringen sollen zu wachsen, mehr Leute in stabile Arbeitsverhältnisse aufzunehmen und in Forschung und Innovation zu investieren. In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil geschehen: Die Unternehmen werden immer fragmentierter, immer kleiner, immer zerbrechlicher und weit entfernt vom letzten Stand der technologischen Entwicklung. Trotz dieser Position der absoluten Unterlegenheit auf dem Markt sorgt dieses Universum für Beschäftigungswachstum in Italien. Jene Unternehmen hingegen, die der Studie von Mediobanca zufolge Profite in nie da gewesener Höhe einfahren, leisten einen äußerst bescheidenen Beitrag zur Beschäftigung oder bauen sogar Arbeitsplätze ab.

Man kann das Wesen des italienischen Kapitalismus deshalb als Anomalie betrachten. Wer aber zahlt dabei drauf? Das Humankapital natürlich, die Fähigkeiten und Kenntnisse der Arbeitskräfte. In einer Rede vor Studierenden der Universität Rom hat der Gouverneur der italienischen Zentralbank erklärt, die niedrige Arbeitsproduktivität in Italien sei »unter den industrialisierten Ländern ein Einzelfall«. Bekanntlich steigt die Produktivität der Arbeit in dem Maße, wie das Humankapital sich mit dem fixen Kapital verbindet, das in Technologien, Maschinen, organisatorische Systeme, materielle und immaterielle Infrastruktur usw. eingeht. Im kapitalistischen System Italiens bleibt das Humankapital vollkommen sich selbst überlassen. Es muss für die Reproduktionskosten selbst aufkommen und sieht sich des fixen Kapitals beraubt (das Universum der so genannten Mikro-Unternehmen – ich ziehe es wie gesagt vor, von einem Universum der selbständigen Arbeit mit einem minimalen Organisationsgrad zu sprechen). Die größten finanziellen Ressourcen sind in Unternehmen konzentriert, die wenig Humankapital einsetzen, in Unternehmen mit Niedrigtechnologie. Darüber hinaus ist das italienische System nicht nur ein low-tech-System, sondern auch ein System, in dem die Rendite über den Profit gestellt wird. Die großen italienischen Unternehmen sind nicht die der wett­bewerbsintensiven Sektoren des Weltmarkts – Autoindustrie, Chemie, Elektronik, Verlagswesen usw. –, sondern solche, die eine Monopolstellung genießen und entsprechende Renditen abwerfen (Mineralölverwaltung, Stromversorgung, Telekommunikation, Autobahnnetz, Banken, Versicherungen usw.), d.h. es sind Unternehmen, die auf irgendeine Weise »geschützt« sind.

Die Verschlechterung der abhängigen Arbeit

Den höchsten Preis für diese desaströse Situa­tion zahlt, wie gesagt, das Humankapital, die Kompetenzen, die Leistung, die Intelligenz. Es wurde ein System geschaffen, das die Intelligenz gleichermaßen verachtet und fürchtet und alles tut, um sie zu demütigen, zu erniedrigen und zu erpressen (es genügt, sich anzuschauen, wie die Tageszeitungen geschrieben sind). So viel zur knowledge economy! Wer weiß, wann die jungen Italienerinnen und Italiener erkennen werden, dass es für ihr Humankapital keinen Markt gibt, dass Kenntnisse und Fähigkeiten nur an den Kosten gemessen werden, dass man nur Arbeit bekommt, wenn einen jemand empfohlen hat, dass die Qualität der Arbeitsplätze »jeden Tag schlechter wird«?

Von den Gewerkschaftsführern und den früheren Gewerkschaftsmitgliedern, die heute Ministerämter bekleiden, hört man weiter nur das Versprechen, das Prekariat werde bald über­wunden sein, indem man die Leute in stabile Beschäftigungsverhältnisse bringe und ihre befristeten Verträge in unbefristete umwandle. Diese Haltung erzeugt jedoch nur eine folgenschwere Mystifikation, weil das viel weiter verbreitete Phänomen unserer Zeit nicht (oder nicht nur) das Prekariat ist, sondern die Verschlechterung der Qualität der abhängigen Arbeit, hinsichtlich der Bezahlung, der Karrieredynamik, der Beziehung zum hierarchisch-disziplinierenden System des Unternehmens, aber auch in Bezug auf das Verhältnis der Kollegen untereinander, den Stress, die Länge des Arbeitstags, die Anerkennung von Leistungen usw. In Italien beträgt die Differenz zwischen dem Netto-Einkommen eines auf Basis eines unbefristeten Vertrags unselbständig Beschäftigten und dem eines prekär Beschäftigten nur 250 Euro monatlich zugunsten des erstgenannten. Gerade die qualitative Verschlechterung der unselbständigen Arbeit bringt viele Junge dazu, sich für die selbständige Arbeit zu entscheiden.

Und in diesem Zusammenhang bahnt sich eine weitere Mystifikation an. Für unsere Minister ist selbständige Arbeit gleichbedeutend mit »Scheinselbständigkeit«. Die »atypischen« Arbeitsformen, wie sie sie nennen, sind jedoch oft, ja immer öfter, Formen des Selbstschutzes vor dem Elend der abhängigen Arbeit, dem niedrigen Lohn und dem Arbeitsumfeld, das immer schlimmer wird, abgesehen davon, dass viele ihre Bestrebungen nach Autonomie und Unabhängigkeit verwirklichen wollen. Aus diesem Grund basiert die begriffliche und kulturelle Ausrichtung der Arbeitsmarkt- und Jugendpolitik der Regierung Prodi auf einer erstaunlichen Folge von Mystifikationen, die 20 Jahre der Reflexion über den Postfordismus und seine Charakterzüge einfach auslöschen.

Keine Angst davor, sich als middle class zu verstehen

Es ist unverständlich, warum viele Vertreter der Bewegung, die die Positionen des Prekariats repräsentieren wollen, glauben, sich als Proletariat verkleiden und mit den Migranten identifizieren zu müssen, und dabei weiterhin die verbrauchte Symbolsprache und die abgedroschene Bilderwelt der sozialistischen Tradition des 19. Jahrhunderts verwenden. Das zentrale Phänomen dieser Phase der postfordistischen Epoche oder der »Neuen Ökonomie« ist die Krise der middle class in den westlichen Ländern. Robert Reich zufolge, Arbeitsminister unter Bill Clinton, ist es der amerikanischen Mittelschicht seit den Zeiten der Großen Depression 1929 nicht mehr so schlecht gegangen. Nicht die marginalen Schichten der Gesellschaft werden aufgerieben, die zentrale Komponente verliert den Anschluss, sieht keine Zukunft und hat immer weniger Anteil am geschaffenen Reichtum. Da die Struktur der Arbeitskraft in Italien und in Westeuropa sich nicht sehr von der in den Vereinigten Staaten unterscheidet, ist dies heute das Grundproblem. »Welcome to the middle class poverty« lautet der Slogan, den die Gewerkschaft der Freelancer von New York (40 000 Mitglieder) auf ihre Flugblätter geschrieben hat, die zu Tausenden in der U-Bahn verteilt wurden. Hätte man sich eingehender mit den Schwierigkeiten der middle class beschäftigt, dann hätte man den Aufstieg Berlusconis wohl besser verstanden. Wie man weiß, wird jedoch die Klassenanalyse von einer politischen Schicht, die nur noch in Begriffen der Klientelpolitik zu denken vermag, nicht mehr betrieben. Das Prekariat ist das Massenphänomen einer mit Wissen und Kompetenzen ausgestatteten Arbeitskraft, die intensiv in Ausbildung investiert hat, einer Arbeitskraft, die ihre Skills in Dutzenden verschiedener Arbeitszusammenhänge erworben hat. Das typische Curriculum einer solchen Arbeitskraft umfasst instabile Arbeitsverhältnisse und gelegentliche Aufträge, die hohe Anforderungen stellen, auf die dann wieder Scheißjobs folgen – dieses Prekariat ist ein Phänomen der middle class und betrifft BürgerInnen reicher Gesellschaften. Wozu sich also als Proletarier verkleiden und den ganzen kulturellen Ballast der Zweiten, Dritten und Vierten Internationale mit sich herumschleppen? Wozu sich als Proletarier verkleiden, wenn die jungen Leute heute auf jeden Fall gezwungen sind, auf der Welt herumzufahren, um Arbeit zu suchen, wie das Millionen analphabetischer Bauern zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemacht haben?

Wie viele Prekäre gibt es in Italien?

In einem im März auf der Webseite www.lavoce.info  veröffentlichten Artikel heißt es, die Zahl der Prekären belaufe sich auf 3 757 000, also zwölf Prozent aller Beschäftigten, »während sich unter denen, die keine Arbeit mehr haben, auf Arbeitssuche sind oder unmittelbar bereit sind, zu arbeiten, 36,3 Prozent Prekäre befinden«. Derselben Quelle zufolge beträgt der durch­schnitt­liche Jahresverdienst von befristet Beschäftigten 12 438 Euro, der eines auf Projektbasis Angestellten 10 191 Euro, der eines unselbständig Beschäftigten mit unbefristetem Dienstvertrag 15 342 Euro, während der Jahresverdienst eines nicht näher spezifizierten Selbständigen 23 277 Euro beträgt. In dieser Auf­listung fehlen jedoch die ca. 3,5 Millionen schwarz oder irregulär Beschäftigten.

Diese Daten enthüllen uns nichts vom »gesellschaftlichen Klima«, in dem sich ein Phänomen wie das Prekariat ausbreitet, noch sagen sie etwas über die Auswirkungen auf die Subjektivität, die davon betroffen ist. Die universitäre Forschung spricht nicht über diese Aspekte, sie verweist stolz auf kalte Zahlen, hinter denen man nur mühsam die Gesichter zu erkennen imstande ist. Deshalb gilt es, aufmerksam die wenigen Studien zu lesen, die aus dem Willen der Arbeitenden hervorgehen, sich Klarheit über ihre Welt zu verschaffen, diese Klarheit in eigenen Worten auszudrücken und sich die richtigen Fragen zu stellen. Ziehen wir als Beispiel eine kürzlich durchgeführte Untersuchung heran, die von ArbeiterInnen eines großen Verlagshauses angefertigt wurde, der RCS-Gruppe (Tageszeitungen, Zeitschriften, Bücher, Videos usw.). Es handelt sich also um einen für die Transformationen der New Economy typischen Sektor, einen strategischen Sektor wie den der Information, einen Sektor, der der Sphäre der creative class zugeordnet werden kann. Die Forschungsarbeit beschränkte sich auf den Bereich der Periodika, also die journalistische Arbeit im engeren Sinn (die auch heute bei vielen jungen Menschen noch Träume und Wunschvorstellungen hervorruft). In fünf Jahren (von 2001 bis 2006) ist die Zahl der Unselbständigen von 23,3 Prozent auf 7,9 Prozent zurückgegangen; die Zahl der Scheinselbständigen ging von 20,9 Prozent auf 11,1 Prozent zurück, und die Selbständigen – die Freelancer im eigentlichen Sinn – sind von 55,8 Prozent auf 81 Prozent angewachsen. Was das Einkommen der Freelancer betrifft, hält die Studie fest, dass 40 Prozent weniger als 1 200 Euro brutto und 18 Prozent weniger als 600 Euro brutto im Monat verdienen, doch finden sich unter den Freiberuflichen auch 30 Prozent, die mehr als 2 500 Euro brutto monatlich verdienen. Die Mehrzahl der Interviewten, sowohl Männer als auch Frauen, zieht die Arbeit als Selbständige(r) einer unselbständigen Anstellung vor.

Ein ähnliches, noch lebendigeres Bild ergibt sich aus einem Band, den die Mitglieder einer Vereinigung Selbständiger mit dem Namen ACTA ( www.actainrete.it ) zusammengestellt haben, da diese Studie auf persönlichen Zeugnissen und autobiographischem Material basiert. Würden wir eine Liste der Seiten und Blogs anlegen, auf denen die Arbeitenden von heute über ihre Lage reflektieren, ihren Frust und ihre Enttäuschung zum Ausdruck bringen, so würden 100 Seiten nicht ausreichen. Leider ist diesen Erzählungen fast immer ein Gefühl der Ohnmacht zu entnehmen. Es gibt wenig Versuche, initiativ zu werden, so als sei die Kultur des Handelns von unten vollkommen verloren gegangen. Auch das ist Teil der eingangs erwähnten genetischen Veränderung.

Immer wieder wird behauptet, die middle class sei ihrer Natur nach nicht fähig, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Doch bringt auch hier der Postfordismus die Möglichkeit zur Veränderung mit sich. Vor zehn Jahren hat zum Beispiel eine Anwältin in New York, die aus einer Familie von Gewerkschaftsführern stammt, eine Organisation mit dem Namen »Arbeiten heute« gegründet ( www.­workingtoday.org ), die in der Folge zu einem Vehikel für verschiedenste Organisationsformen geworden ist. Die Vereinigung richtet sich an das Freelancer-Prekariat, an die von uns so genannte web class, an die tausend Berufe einer modernen Metropole, die von Menschen ausgeübt werden, welche über Professionalität verfügen oder einfach von der Notwendigkeit getrieben sind, für ihr wirtschaftliches Überleben zu sorgen. Aus dem Verein ist eine große Gewerkschaft hervorgegangen, die Freelancers Union, die eine Reihe von Forderungen aufgestellt hat: Krankenversicherung, Alterspension, geringere Steuerlast, rechtliche Handhabe gegen Auftraggeber, die bei der Bezahlung säumig sind. Heute ist die Gewerkschaft mit 40 000 Mitgliedern eine der Lobbies, die einen gewissen Einfluss auf die Regierung des Big Apple haben. Mitte April 2007 hat der Stadtrat von New York der Gewerkschaft in einer Anhörung Gelegenheit gegeben, ihre Probleme darzustellen. Darüber hinaus verhandelt die Freelancers Union für ihre Mitglieder aus einer Position der Stärke mit Banken und Versicherungen. Die Freiberuflichen haben also begonnen, Formen des Selbst­schutzes zu entwickeln. Sie stellen sich damit in die Tradition der Arbeiterbewegung, doch arbeiten sie im Stil und mit den Mitteln des Postfordismus, vor allem mit dem Web. Eine weitere Organisation, die von der Journalistin und feministischen Aktivistin Barbara Ehrenreich gegründet wurde, nennt sich United Professionals ( www.unitedprofessionals.org ). All das passiert in einem Land, das in der Industrie über einen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von gerade mal sieben Prozent verfügt.

Sich als Klasse definieren, nicht als ­Generation

»Génération précaire«, »Generation Debt«, »Generation Praktikum«, »generazione milleuro« – in allen Ländern taucht der Begriff »Generation« auf. Er wird verwendet, um die Lage der heute Arbeitenden zu charakterisieren. Auf diese Weise wird zwar unterstrichen, dass es vor allem die Jungen sind, die mit den Auswirkungen des postfordistischen Systems fertig werden müssen, doch verleitet der Begriff auch zur falschen Vorstellung, es handle sich dabei ausschließlich um ein Problem der jüngeren Arbeitskräfte. Es gibt jedoch Leute, die nicht mehr jung sind und seit langem in »nicht standardmäßigen« Arbeitsverhältnissen arbeiten. Es ist kein Problem der Jungen – es ist das Problem, das die neue, vom Postfordismus und der New Economy hervorgebrachte Klasse betrifft, die neue Menschheit des web und der Globalisierung. Deshalb haben wir den Begriff web class entworfen und sind der Meinung, dass er zur Beschreibung der Wirklichkeit nützlich ist. Wir haben aber auch deshalb den Ausdruck web class verwendet, weil wir darin ein positives Element sehen, ein organisatorisches Potenzial, Möglichkeiten des Selbst­schutzes und der politisch handelnden Subjektivität. Web sollte hier als »Aufbau eines Netzes« verstanden werden, als mächtiges Instrument der Kommunikation, als Sprachen-Babel, in dem wir jedoch am Ende lernen, Unseresgleichen zu erkennen, wo wir Codes zur Identifizierung erstellen, uns in Echtzeit Gehör verschaffen und auf die Dummheiten reagieren können, die täglich über uns verbreitet werden. Web class als Kooperation unter Intelligenzen, Kompetenzen, Skills, als Aufbau eines Denksystems, das gleichermaßen komplex und klar ist, für alle verständlich, aus wenigen zentralen, schematischen, holzschnittartig vorgetragenen Ideen bestehend.

Der komplexere und schwierigere Teil, die wahre Schlacht, die es zu schlagen gilt, ist wohl der Umgang mit der Erinnerung als historischem Gedächtnis, die Auswahl des Imaginären, das uns aus der Geschichte der Arbeit überliefert ist, die Formen des Selbstschutzes und die Geschichte der Arbeiterbewegung. Dieses Gedächtnis kann sich als Bürde entpuppen, die uns daran hindert, vorwärts zu kommen, aber auch als Anregung für Ideen, Initiativen, als Ermutigung zum Handeln. Es ist klar, dass die solchermaßen verstandene web class eine kleine Minderheit innerhalb der gesamten Arbeitskraft darstellt, wenn man alle Prozesse der Globalisierung in Betracht zieht.

Doch in der Geschichte der Arbeiterbewegung war es immer so, dass eine in Minderheit befindliche Klasse die Initiative ergriffen hat. Die ersten Arbeitervereine wurden von den Druckern gegründet, weil sie es waren, die lesen und schreiben konnten. Doch stellten diese weniger als ein Prozent der Arbeitskraft dar. Der Massenarbeiter der sechziger Jahre war ebenfalls eine Minderheit innerhalb der Industrie. Es handelte sich außerdem nicht nur um Minderheiten, sie hatten auch eine relativ privilegierte Stellung. Wer ein Minimum an Handlungsspielraum, an Ressourcen hat, kann es sich erlauben, die Auseinandersetzung zu suchen. Die Hoffnungslosen, die totalen drop outs, werden weiterhin Berlusconi nachlaufen.

Übersetzung aus dem Italienischen: Klaus Neundlinger
 

Editorische Anmerkungen

Dieser Artikel und der Anhang wurden uns vom Autor zur Veröffentlichung am 1.11.07 gegeben. Peter Nowak arbeitet als Kommunist im Berliner Mayday –Bündnis mit.