Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Französische extreme Rechte auf Orientierungssuche. 14 Tage vor dem nächsten FN-Kongress: Drei politisch-ideologische Pole schälen sich heraus

11/07

trend
onlinezeitung

Ungemach über Ungemach. Nicht genug damit, dass - wie am Samstag, den 27. Oktober 2007 nunmehr definitiv bekannt wurde - der Front National (FN) seinen Parteisitz in Saint-Cloud in der Nähe von Paris aus finanziellen Gründen tatsächlich verkaufen muss. Die rechtsextreme Partei hat 8 Millionen Euro Wahlschulden aus diesem Jahr. Hinzu kommt, dass die Führungsgremien der Partei sich in einem Zustand fortgeschrittener clan- und cliquenmäbiger Aufsplitterung befinden. 13 von bisher 50 Mitglieder des „Politischen Büros“ des FN (das, im Namen der Sparzwänge, aber auch um ihre Mitglieder besser nach politischer Gefälligkeiten in den Augen Jean-Marie Le Pens auswählen zu können, nunmehr auf 20 Sitze reduziert wird) weigern sich, auf dem kommenden Parteitag in 14 Tagen wieder um einen Führungsposten zu kandidieren.

Unterdessen, jenseits dieses (weitgehend einen Disput zwischen um die Fetzen von Macht zankenden Cliquen darstellenden) Streits, durchziehen auch hochgradig ideologisch aufgeladene Debatten die französische extreme Rechte. Im Hintergrund: Der bislang noch mühsame Versuch einer Neuorientierung, nachdem der konservative Kandidat Nicolas Sarkozy ihr bei den Präsidentschafts und Parlamentswahlen im April, Mai und Juni 2007 ihr erstmals massiv Stimmen abziehen konnte. Strategische Ausrichtung und ideologische „Grundsatzfragen“ bilden dabei ein Knäuel.

Die Komplimente fliegen tief, wenn Rechtsextreme sich streiten. ‚Marine Le Pen: Quelle conne!’ donnerte Robert Spieler, der Vorsitzende der vom FN abgespaltenten Regionalistenbewegung Alsace d’abord oder „Elsass zuerst“, in einem Beitrag für den Blog Novopress, der von Fabrice Robert (Nizza) betrieben wird. Bei letzterem handelt es sich um eine Art Indymedia von rechts, also einen „unabhängigen Nachrichtendienst“ für Neofaschisten, mit (laut Eigenangaben von Fabrice Robert, die eventuell mit Vorsicht zu genieben sind) inzwischen 60 ehrenamtlichen Mitarbeitern und 200.000 Zugriffen pro Monat.  

Der Vorwurf Robert Spielers lautete übersetzt: „Marine Le Pen, was für eine...“, wobei ‚conne’ die weibliche Form von Depp oder Trottel bezeichnet. Das Posting ist inzwischen redaktionell gelöscht worden.  

Weibe und schwarze Schafe 

Was war passiert? Ein Kurzartikel auf der Webpage des konservativen Wochenmagazins ‚Le Point’ hatte am Abend des 17. Oktober enthüllt, dass Marine Le Pen „den Wahlkampf der schweizerischen UDC kritisiert“. UDC, oder Union démocratique du Centre, ist der – politisch irreführende – Name der Schweizerischen Volkspartei (SVP) des Christoph Blocher in der französischsprachigen Schweiz. Es ging um das berüchtigte Plakat der SVP, das drei weibe Schafe zeigt, welches ein viertes – und schwarzes – Schaf von den Umrissen einer eidgenössischen Fahne herunter kicken, im Namen der Bekämpfung von „Ausländerkriminalität“. Dieses Plakat ist inzwischen, in ästhetisch hässlicherer Form, in Deutschland durch die NPD Hessen übernommen worden.  

„Niemals“ hätte ihre Partei ein solches Plakat herausgegeben, da es „einen Zusammenhang zwischen Einwanderung und Hautfarbe“ herstelle, monierte Marine Le Pen. Daraufhin tobte der Mob in den einschlägigen Foren im I0nternet – dort, wo Rechtsradikale unter sich diskutieren, aber auch im Webforum des ‚Point’. Marine Le Pen gebe den Kampf gegen die „Immigration-Invasion“ auf und strecke die Waffen, wurde suggeriert. Kurz darauf war ihre Partei gezwungen, ein Kommuniqué herauszugeben, das auf die rechtsextremen Kritiker antwortete. Sie habe das Spiel mit den Farben schwarz und weib kritisert, weil auch die Antillais (Karibikfranzosen) schwarzer Hautfarbe seien, schrieb Marine Le Pen. Diese aber seien „unsere Landsleute“ und integraler Bestandteil der französischen Nation. Tatsächlich ist der FN aufgrund seiner kolonialistischen Tradition sehr darum bemüht, die letzten „Überseegebiete“ – die Antillen oder Neukaledonien – bei Frankreich zu behalten. Im Falle der Schweiz, die sich selbst mehrheitlich gern als rein weibe Gesellschaft sähe, liegen eben die Voraussetzungen anders als in einer Kolonialnation.  

Vorbereitung auf den kommenden Parteitag 

Die Episode ist nur ein Glied in der Kette des lang anhaltenden Macht- und Richtungskampfs innerhalb des FN. Auf dem nächsten Kongress der rechtsextremen Partei, am 17. und 18. November 2007 in Bordeaux, will der Gründer und langjährige Übervater der Partei, ihr Vorsitzender Jean-Marie Le Pen, sich zwar noch ein „letztes Mal“ als ihr „Präsident“ bestätigen lassen. Offiziell „für die Periode von 2007 bis 2010“, also bis zum ordnungsgemäben Termin des übernächsten Parteitags – die Kongresse des FN finden alle drei Jahre statt. Faktisch allerdings vermuten manche Parteifunktionäre, Jean-Marie Le Pen wolle seine Tochter schon jetzt für ihre zukünftige Funktion vorbereiten, und sie dann zwischen zwei Kongressen als seine Nachfolgerin ernennen. Heute fällt auf, dass Marine Le Pen bereits sehr viele der offiziellen Kommuniqués im Namen der Partei unterschreibt.  

Ihr Aufstieg geht jedoch nicht reibungslos vonstatten. Während Marine Le Pen als „Modernisierin“ gilt, die ihre Partei in Wirtschaftskreisen und den bürgerlichen Medien salonfähig machen möchte, suchen altgediente Kämpfer und hochrangige Parteikader ihr den Weg zu versperren. Ihnen zufolge droht eine „Aufweichung der Inhalte“. Ferner hätten sie gern, dass die Regelung der Nachfolge Jean-Marie Le Pens an der Parteispitze über „Verdiente im gemeinsamen Kampf“ und über ein klares ideologisches Bekenntnis, statt über pure familiäre Zugehörigkeit, geregelt wird.  

Der bisherige grobe Rivale Marine Le Pens im Streit um die absehbare Nachfolge an der Spitze, während mehrerer Jahre, hat de facto aufgegeben. Eine schwere Herzoperation im August 2007 hat Bruno Gollnisch, derzeit ‚délégué général’ (Generalbeauftrager) des FN, dazu gezwungen, bei seinen zahlreichen Ämtern und Parteifunktionen kürzer zu stecken. Nunmehr möchte Gollnisch, der im Europaparlament der gemeinsamen Fraktion der rechtsextremen Parteien – „Identität, Souveränität, Tradition (ITS)“ - vorsteht, sich mit einer Vizepräsidentschaft des FN, die ihm eine Zuständigkeit „für internationale Fragen“ einräumt, zufrieden geben. Absehbar wird auch Marine Le Pen eine zweite Vizepräsidentschaft bekleiden, zuständig „für den Rest“, also für alle anderen Aufgabenbereiche mit Ausnahme der internationalen Kontakte. 

Neue Herausforderer: Carl Lang und Jean-François Touzé 

Inzwischen hat Marine Le Pen aber zwei andere Gegenkandidaten gefunden, die sich „für 2010“ um die Nachfolge des alternden Vorsitzenden bewerben möchten. Innerparteiliche Kritiker des Le Pen-Clans werfen den beiden Gegenkandidaten allerdings vor, nicht schon in diesem Jahr auf dem Kongress offen Jean-Marie Le Pen heraus zu fordern, sondern zuzulassen, dass dieser sich wieder wählen lassen und seiner Tochter Marine offen den Weg an die Spitze bereite. 

Carl Lang schart die „alten Kämpfer“ hinter sich und schwingt sich zum Garant für die „Orthodoxie“ der Parteipositionen auf. Lang war von 1999 bis 2005 Generalsekretär des FN gewesen und wurde dann durch Jean Marine Le Pen von seiner Funktion abgelöst, um dem Marine-Vertrauten Louis Aliot einen Platz zu verschaffen. Im Gegensatz zu vielen Altkadern, die im Hinblick auf sozial- und wirtschaftspolitische Fragen ein eher kleinbürgerlich-reaktionäres Profil mit mittelständischer Ausrichtung pflegen, steht Carl Lang allerdings auch für einen Diskurs, der starke Elemente von Sozialdemagogie enthält. Seine Devise diesbezüglich lautet: „Sozial, weil national“. Während Bruno Gollnisch, der ebenfalls eher „orthodoxe“ Parteipositionen zu garantieren suchte, den katholischen Fundamentalisten in der und um die Partei nahe stand, gilt Carl Lang jedoch eher als Repräsentant der Neuheiden. 

In jüngerer Zeit kam ein zweiter Gegenkandidat hinzu. Jean-François Touzé ist der Repräsentant der „harten“ Aktivistenfraktion, die erneut eine Partei mit dezidiert ideologischen Zügen und einer manifesten Basisaktivität aufbauen möchte. Nicht zu Unrecht wirft er dem heutigen FN vor, in seiner momentanen Verfassung hauptsächlich noch in den Medien und auf dem Wahlzettel zu existieren – aber nicht wie eine „soziale Bewegung“ aufzutreten, kaum oder keine Stadtteilarbeit zu machen usw. Für dieses Profil macht er unter anderem Marine Le Pen verantwortlich und persönlich haftbar. 

Wiedervereinigung der aufgesplitterten extremen Rechten?  

Touzé bricht dabei ferner ein Tabu, weil er zu dem von ihm anvisierten strategischen Zweck auch jenes Kader- Aktivisten- und Intellektuellenpotenzial, das bei der groben Parteispaltung im Winter 1998/99 zusammen mit dem damaligen Chefideologen Bruno Mégret den FN verlieb. Touzé strebt tatsächlich eine Art „Wiedervereinigung“ der unterschiedlichen rechtsextremen Strömungen an – und möchte ferner von dem Kaderpotenzial, das sich dereinst rund um Mégret versammelte, retten, was noch zu retten ist. Denn aufgrund des Schiffbruchs, den das Parteigründungsprojekt von Bruno Mégret – der heutige MNR (Mouvement National Républicain) – erlitt, sind viele der beteiligten Aktivisten „verloren gegangen“, haben sich in eigene kleine Clubs oder aber ins Privatleben zurückgezogen. Jean-François Touzé möchte ferner den historischen „politischen Familien“ der extremen Rechten (Monarchisten, „Nationalrevolutionäre“, katholische Fundamentalisten, Neuheiden, Nacheiferer des historischen Faschismus...), deren ideologische Ausrichtung oft konträr zueinander steht und für Debatten über die „Doktrin“ sorgt, einen offiziellen „Status“ innerhalb der Partei verleihen. Hingegen möchte besoders Marine Le Pen erklärtermaben ihren Einfluss – der lange Jahre hindurch das Erscheinungsbild des FN prägte – auf ein Mindestmab beschneiden. Ihr Vertrauter Louis Aliot hat das Ziel ausgegeben, die Parteidoktrin auf einige Kernsätze oder Essentials einzudampfen und nicht länger all diesen historischen Ballast mitzuschleppen. Allerdings dürfte die Partei mit einer solchermabe zusammengeschrumpften Doktrin von vielen ihrer ideologischen Wurzeln, wie auch vom Aktivistenpotenzial vieler Stömungen der extremen Rechten abgeschnitten sein. 

Der Streit um die grundlegende Ausrichtung der extremen Rechten dürfte also noch keineswegs beendet sein. Weiteren Schwung erhält diese Richtungsdebatte – de facto – dadurch, dass auch Jean-Marie Le Pen in der Praxis durchaus andere Orientierungen verfolgt oder vorschlägt, als die „Modernisierungs“- oder - wie rechtsextreme Kritiker unken - „Anpassungs“strategie seiner Tochter sie implizieren müsste. So lieb sich Jean-Marie Le Pen am 8. und 9. September 2007 zu einem Auftritt bei der „Sommeruniversität“ eines Klüngels um den ex-linken Schriftsteller Alain Soral in Villepreux, einer Kleinstadt in der Nähe von Versailles, blicken.  

„Rot-Braune“, „Modernisierer“ und rassistische Traditionsbewahrer 

Der Club unter Anführung des Berufsprovokateurs Soral war im Juni 2007 unter dem Namen Egalité et réconciliation (Gleichheit und Aussöhnung) gegründet worden und verfolgt den Zweck, mit einem „rot-braun“ ausgerichteten Diskurs politische Verwirrung zu stiften und „alle Gegner de Systems, jenseits überholter Kategorien von links und rechts“ zusammenzuführen. Zu den prominentesten Gästen zählten der französische Antisemit schwarzer Hautfarbe Dieudonné M’bala und der Nationalrevolutionär Christian Bouchet. Auch Pierre Guillaume, einer der „Päpste“ der französischen Negationnisten – also Holocaustleugner – und Herausgaber der berüchtigten negationnistischen Zeitschrift ‚La Vieille Taupe’ (Der alte Maulwurf), lieb sich an jenem Samstag zwischendurch blicken. In seinem Beitrag am folgenden Tag sprach sich Jean-Marie Le Pen für die Aktivität solcher „Denkclubs“ aus, die unabhängig vom „engen Rahmen politischer Rahmen“ agieren könnten und dadurch neue Ansätze entwickelten.   

Die politische Konfusionsstiftung eines Alain Soral oder auch des früheren Antirassisten Dieudonné M’bala (bekannt unter seinem Vornamen), der sich seit zwei bis drei Jahren – nachdem er infolge antisemitischer Äuberungen unter Druck geriet - eng an den FN angenähert hat, hatte Marine Le Pen anfänglich unterstützt. In der frühen Wahlkampfphase hatte sie deren Treiben als Beitrag zum politischen und medialen „Entstauben“ des FN betrachtet, der dadurch als weniger rassistisch erscheine, da Alain Soral und Dieudonné – die beiden Männer sind persönlich miteinander befreundet – auch unter „ethnischen Minderheiten“ um Anhänger werben.  

Ihr politisches Projekt lautet, die Mehrheitsnation solle auch die dauerhaft in Frankreich lebenden Immigranten in eine „nationale Identität“ einbinden, um einer „Zersetzung“ der Nation durch „globalistische Tendenzen“ Vorschub zu leisten. Der Antisemitismus liefert dabei zumindest einen wichtigen Nenner. Marine Le Pen hat sich später freilich sichtbar von diesem Sammlungsversuch distanziert, da der rohe Antisemitismus mehrerer der Beteiligten – wie Dieudonné - dem Streben um „Salonfähigkeit“ und bürgerliche Reputierlichkeit zuwider läuft. 

Die anderen Kandidaten um die Nachfolge Jean-Marie Le Pens – Gollnisch, Lang und Touzé - haben den Flirt mit Soral und Konsorten hingegen von Anfang an als „linke Verwirrung“ und verwerfliche, schwere Kursabweichung kritisiert. Das zwischen der konservativen Rechten und den Rechtsextremen (vor allem ihrer pro-US-amerikanischen Fraktion) angesiedelte Wochenmagazin ‚Valeurs actuelles’ bezeichnete jüngst Alain Soral in der Überschrift eines ganzseitigen Artikels fälschlich als „Le Pen Linksradikalen“ (Ausgabe vom 21. September 2007, p. 22: ‚Les <gauchistes> de Le Pen’, mit grobformatigem Foto von Jean-Marie Le Pen und Alain Soral). Selbstverständlich erfolgte diese offenkundige Fehleinschätzung in voller Absicht, um nämlich kurzfristig zwischen Nicolas Sarkozy und Jean-Marie Le Pen stehende Leser und Wähler an den Erstgenannten zu binden - und um längerfristig klar zu machen, welche Elemente aus seinem ideologischen Konglomerat der FN stillhalten müsste, um irgendwann mit den Konservativen bündnisfähig zu wären (was der Zeitschrift prinzipiell nicht unwillkommen wäre). Sehr entfernt lässt sich diese strategische Vision mit der Ausschaltung der SA innerhalb der deutschen Nazi-Partei vergleichen. 

Nicht nur das rassistisch-militaristische, der französischen Rüstungsindustrie (Dassault) nahe stehende, und zugleich pro-US-amerikanische sowie die israelische Siedlerbewegung unterstützende Wochenmagazin ‚VA’ erblickt in diesen Orientierungsversuchen im Umfeld des FN einen „Linkskurs“ der Partei. Auch viele der Wähler Jean-Marie Le Pens wurden dadurch, im Vorfeld der diesjährigen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, sicherlich desorientiert und verwirrt. Ihre konservativste, bürgerlichste Fraktion wurde auf diesem Wege darin bestärkt, schon im ersten Wahlgang für den bürgerlichen Kandidaten Nicolas Sarkozy – der starke rechtskonservative Elemente in seinen Wahlkampf integriert hatte – zu stimmen. 

„Unsere Identität verteidigen“ 

Jene Opponenten, die sowohl den „Modernisierern“ um Marine Le Pen als auch dem „Linkskurs“ der Rot-Braunen abgeneigt sind und ihnen „National-Kosmopolitismus“ (Fabrice Robert) vorwerfen, sammelten sich wiederum am vergangenen Samstag, den 27. Oktober in einem Saal im 7. Pariser Bezirk.  

Eindrücke von einer Gruselshow drängen sich bei dem Besuch des Theatersaals, wo die Chose stattfindet auf. Davor: über 30 Mannschaftswagen der Gendarmerie. Im Eingangsbereich:  Gröbere  Fahnen (in den französischen Farben blau-weib-rot und in schwarz) mit dem Keltenkreuz (FUSSNOTE[1]). Dieses Symbol wird nicht von den rechtsextremen Wahlparteien FN und MNR, sondern ausschlieblich von stiefelfaschistischen Gruppierungen offen benutzt. Drinnen dann: ein überfüllter Saal, der circa 250 bis 300 Sitzplätze bietet, aber eine Reihe von Personen sitzt auch auf den Treppen. Unter einem riesigen Transparent mit der Aufschrift ‚Défendre notre identité’ (Unsere Identität verteidigen) sitzen die Redner.  

Die Zeitschrift ‚Synthèse nationale’ feierte so ihren ersten Geburtstag. Ihr Anliegen besteht darin, unterschiedliche ideologische Strömungen der extremen Rechten – die in den letzten Jahren anfingen, sich vom FN zu entfernen und auseinander zu laufen – erneut zu sammeln.

Nach zwei thematischen „Runden Tischen“, an denen vor allem Journalisten der diversen rechtsextremen Presseorgane sowie der langjährige Chef von Jeune Nation (FUSSNOTE[2]) – und jetzt der Nachfolgegruppoerung Oeuvre française - Pierre Sidos teilnahmen, findet dann eine zweistündige Abschlussveranstaltung mit den Politikern (und Politikerinnen) der Runde statt. Dazu konnten die VeranstalterInnen so illustre Redner gewinnen wie

  • Jean-François Touzé vom Front National;

  • Nicolas Bay, den Generalsekretär des MNR von Bruno Mégret, einen sehr jungen Mann mit markantem Sprachfehler;

  • den Kopf der katholischen Fundamentalisten Bernard Antony – der seit Anfang 2006 die Zahlung seiner Mitgliedsbeiträge beim FN eingestellt hat –, welcher freilich aus Krankheits(?)gründen entschuldigt blieb, dessen Redebeitrag aber durch Chantal Spieler verlesen wurde;

  • den neuheidnischen Rassenideologen Pierre Vial (Lyon/Villeurbanne, ehemals FN und MNR, aber seit 1989 und noch immer Kommunalparlamentarier) vom völkischen Zirkel ‚Terre et peuple’, also „Volk und Erde“;

  • oder den rechtsextremen elsässischen Regionalisten Robert Spieler und seine Gattin Chantal Spieler, welch letztere auch den Nachmittag hindurch die übrigen Redner ankündigte. (Die Spielers liegen übrigens nicht allein aufgrund der „Modernisierungs“bestrebungen rund um Marine Le Pen mit dem Clinch.

Vielmehr brachen sie organisatorisch schon vor gut 15 Jahren mit dem FN, in dessen Nähe sie jedoch verbleiben, da sie ihm vorwerfen, „französisch-nationalistisch und jakobinisch“ zu sein und die beiden identitätsstiftenden Elemente „Region“ einerseits und „Europa“ andererseits zu sehr auszuklammern. Daran erinnerte Spieler übrigens ebenfalls in seiner eingangs zitierten Schimpftirade gegen Marine Le Pen. In diesen Fragen zeigten sich viele Redner am vergangenen Samstag kompromissbereit, im Sinne eines Prinzips russischer Puppen, wonach unterschiedliche – zu verteidigende – Entitäten und Identitäten ineinander geschoben werden können. Obgleich mit unterschiedlich starken Akzentsetzungen je nach Rednern.)

Auch einer der Anführer der Gruppierung Les Identitaires, Fabrice Robert (Nizza), war mit von der Partie, dessen Strömung sich als das Rückgrat der noch nicht durch wahltaktische Anpassung verdorbenen, aktivistischen Basisfaschisten anpries. Robert forderte die Anwesenden dazu auf, sich der „lokalen Verwurzelung“ der rechtsextremen Bewegung durch örtliche Aktivitäten und Betätigung im Vereins- und Bürgerinitiativwesen zu widmen. Die Zeit des hauptsächlich auf Wahlen ausgerichteten und zudem auf einen Mann orientierten Cäsarismus sei vorüber, bemerkte Fabrice Robert. Dieser Positionierung stimmten die meisten Anwesenden mit Blick auf Jean-Marie Le Pen zu. 

Unter den hier Anwesenden herrschte weitgehende Einigkeit zumindest darüber: Die Nation definiert sich vorwiegend über die biologische Erbsubstanz, und nicht über das „Bekenntnis zu französischen Werten“. Als erster Redner auf der Abschlussveranstaltung stellte Fabrice Robert klar: „Wenn eine malische Familie nach Frankreich kommt und sich zur Republik und zu den Menschenrechten bekennt, dann macht das noch lange keine Franzosen aus ihr! Und falls doch, weil (Anm.: auf nationaler Ebene) eine verfehlte Politik dafür sorgt, dass sie die Staatsbürgerschaft erwerben können, dann werden sie dadurch noch lange keine Bretonen, Occitanen oder Auvergnanten. Und auch keine Europäer!“ (Tosender Applaus) Seinerseits definitierte der Rassenideologe (und Geschichtsprofressor an der UniversitätLyon-III) Pierre Vial die drei Bedingungen, die aus seiner Sicht für das Bestehen & Gedeihen einer Nation erforderlich sind: 1. Die biologische Erbsubstanz (Chromosomen), 2. eine Identität oder im Laufe der Zeit gebildete „Persönlichkeit“ eines Volkes („dazu kann Angeborenes und Erworbenes gehören, wobei ich der Auffassung bin, dass der Anteil des Angeborenen dabei sträflich unterschätzt wird“), und 3. „ein gemeinsamer Wille“. Derselbe Pierre Vial trug in seiner Ansprache den anderen Strömungen ein Angebot für eine neue rechtsextreme „Synthese“ an. Er schlug vor, sich „an den Vorbildern von Karl Martel, Isabella der Katholischen – und das kommt von mir! – und den Soldaten von Lepante“, wo 1571 eine Seeschlacht zwischen europäischen und osmanischen Truppen stattfand, zu orientieren. Alle drei Symbole beziehen sich auf Heere, die in Krieg gegen die Ausbreitung des Islam bzw. für seine Verdrängung von europäischem Boden führten. „Wenn es das nächste Mal gegen die Sarazenen geht“, donnerte Vial in den Saal, „dann weiß ich, dass mein alter Kamerad Bernard Antony“ – der katholische Fundamentalist, dessen Ideologie jener des Neuheiden Vial in vielen Punkten entgegen steht – „neben mir aus dem Schützengraben steigen wird!“ 

Von den Integrationsangeboten an Franzosen migrantischer Herkunft, und sei es an solche üblen und kaputten Figuren wie Dieudonné, war man also weit entfernt. Auch wenn an Detailpunkten noch leichte Unstimmigkeiten gab; so mochte der Chefredakteur des rechtsextremen, hochprofessionnel und intelligent aufgemachten, Hochglanzmagazins ‚Le Choc du mois’ – Bruno Larebière – nicht ausschlieben, dass es auch nach Durchführung einer konsenquenten „Anti-Islamisierungs-Politik“ noch ein paar Moslems in Frankreich geben würde. Denn auch bei „radikalem Abbau der Einwandererzahl“ würden jene mit französischer Staatsbürgerschaft übrig bleiben: „Auch wenn man die in jüngerer Zeit erfolgten Einbürgerungen (nachträglich) in Frage stellen kann, so glaube ich doch nicht, dass man vor 30 oder 40 Jahren erfolgte Einbürgerungen noch anfechten kann.“ Da man aber zugleich strikt die Gesetze anwenden und jeglichen ausländischen Einfluss (etwa über Imame oder Finanzierung) unterbinden wäre, bliebe der Islam in dieser Konstellation ungefährlich, da faktisch am Boden gehalten. Über die Situation der schwarzen (Kolonial)franzosen wie etwa der Antillais, oder französischen Karibikbürger, auf die sich Marine Le Pen jüngst berufen hatte, sprach hingegen in diesem Saal niemand. 

In diesem Saal hatten Marine Le Pen und die sie umgebenden „Modernisierer“ keinen guten Ruf. Vielmehr erschienen sie als Verräter, die den Kampf gegen die „Immigration-Invasion“ und gegen die „Islamisierung Frankreichs“ längst aufgegeben hätten. Auch wenn MNR-Generalsekretär Nicolas Bay seinen Ausführungen hinzufügte, man dürfe nicht sektierisch auftreten: „Ich habe schwere Kritik an der Strategie Marine Le Pens, und an der katastrophalen Wahlkampfführung für den Kandidaten der nationalen Rechten in diesem Jahr, die in die Niederlage geführt hat. Aber Marine Le Pen gehört auch zur Familei der nationalen Rechten dazu, wenn sie es denn möchte!“ Darauf erklangen einige Pfiffe, aber auch einige Beifall klatschende Hände, und dann ein Zwischenruf: „Man wird sehen!“ 

In einem extra aus diesem Anlass erschienenen Sonderheft von ‚Synthèse nationale’, das für den stolzen Preis von 15 Euro vertickt wurde und unter der Überschrift „Untersuchung über unsere Identität“ steht, nehmen etwa zahlreiche Kader aus unterschiedlichen Strömungen der extremen Rechten zu diesem ideologischen Zentrlaproblem Stellung. Bernard Antony schreibt etwa, der FN hätte bei den Wahlen im April und Juni 2007 deswegen so schlecht abgeschnitten, weil Jean-Marie Le Pen sich bei seinen Auftritten in Valmy (im September 2006, wo er sich erstmals symbolisch positiv zur Französischen Revolution von 1789 ff bekannte) und in Argentueil (Anfang April 2007, wo er unter dem Einfluss von Alain Soral und Co. um die Wähler/innen der Pariser Banlieue und auch um die Franzosen migrantischer Herkunft warb) „seine klare Doktrin zur Identität aufgegeben“ und sich um ein „republikanisches“ Profil beüht habe

Fußnoten:

[1] ANMERKUNG 1: Keltenkreuz: faschistisches Symbol, das zwar schon unter dem Vichy-Regime (vor allem in dessen Endphase, bei bestimmten Pfadfinderbewegungen sowie bei den Freiwilligenverbänden der „Equipes nationales“) auftauchte, aber vor allem in den 1950er Jahren auf der französischen extremen Rechten in den 1950er Jahren in Mode kam. Bestehend aus einem Kreuz und einem Kreis, wobei die Kreuzungsstelle der beiden Balken im Zentrum des Kreises platziert ist und die Balkenenden des Kreuzes auf allen Seiten gleich weit über den Kreis hinausragen. ‚La Croix celtique’ erinnert an ein geometrisches Symbol, das man auf vielen keltischen Gräbern aus alter Zeit findet. Das Keltenkreuz war deshalb für rechtsextreme Aktivisten attraktiv, weil (erstens) das Hakenkreuz in Frankreich ab der Befreiung 1944 verboten war und (zweitens) dieses durch die deutschen Nazis eingeführte Symbol ohnehin nicht zur Unterstreichung eines französisch-nationalistischen Anspruchts taugte – drittens abe doch eine entfernte Ähnlichkeit zwischen beiden Kreuzsymbolen besteht. Popularisiert hat die Benutzung des Keltenkreuzes die 1949/50 gegründete und 1958 verbotene Bewegung ‚Jeune Nation’ (vgl. nächste Fubnote).

[2] ANMERKUNG 2: Jeune Nation: Diese militant-faschistische Gruppierung („Junge Nation“), entstanden Ende 1949 bei offizieller Gründung im Jahr 1950, war anfänglich ein kleinerer Klüngel von jungen Männern aus schwer kollaborationsbelastetem Hause. Doch als der französische Kolonialkrieg gegen die Befreiungsbewegung in Algerien ab 1955/56 in seine „heibe Phase“ eintrat, fand die bereits vorher bestehende faschistische Keimzelle ein neues Betätigungsfeld. Nun konnte sie über ihre bisherige typische Klientel hinaus rekrutieren und machte für eine ultranationalistische Aufheizung der „Heimatfront“ mobil. Dazu gehörten auch Gewalttaten gegen Kriegsgegner, französische Linke usw. Nachdem Charles de Gaulle am 13. Mai 1958 die Macht über einen Militärputsch in Algier (der im Anschluss durch das Parlament der dahin siechenden Vierten Republik  legalisiert wurde) übernahm, glaubte Jeune Nation ebenso wie andere rechtsextreme Gruppierungen, nun sei ihre Stunden gekommen. Aber de Gaulle beschloss schnell, sich dieser unpässlichen Bündnispartner zu entledigen. Jeune Nation und mehrere andere stiefelfaschistische Vereinigungen wurden innerhalb weniger Tage nach dem Machtwechsel verboten. Was die extreme Rechte nicht daran hinderte, im weiteren Verlauf des Algerienkriegs (und vor allem nach de Gaulles Positionswandel zur Frage der Unabhängigkeit des nordafrikanischen Landes) erneut zu remobilisieren, dieses Mal allerdings in Opposition – die bis zu Mordanschlägen auf ihn reichte – gegen de Gaulle. Heute besteht eine Rest-Zelle von Jeune Nation, die eine letzte Sammlung von Hackfressen rund um die Familie Sidos umfasst. François Sidos, der zeitweise seine eigene Miliz angeführt hatte, wurde 1946 aufgrund seiner Rolle unter der Kollaboration erschossen; sein Sohn Pierre Sidos hatte 1949 die Gruppierung Jeune Nation gegründet. 1968 gründete Pierre Sidos seinen Verein unter dem Namen Oeuvre française (Französisches Werk) wieder, dessen unumstritterer Guru er über Jahrzehnte hinweg blieb, der aber auch lediglich eine Splittergruppe von dem Sidos-Clan treu Ergebenen darstellt. Aus Sicht von Ouevre française war der Front National (FN), der seit den 1980er zur erfolgreichen Wahlpartei aufstieg, ein Konkurrenz auf ihrem Terrain, dessen Resultate zwar mit Interesse beäugt wurden, den man aber auch des „Weicheiertums“ verdächtigte. Am 1. Mai 1995 ermordeten vier jungen Neonazis und Kahlköpfe, die Mitglieder dieser Splittergruppe waren und mit einem parteieigenen Bus des FN aus Reims angereist waren, am Rande der alljährlichen Pariser 1.  Mai-Demonstration des Front National den jungen Marokkaner Brahim Bouarram. Ab Ende 1996 beschloss Oeuvre française, dass ihre Mitglieder innerhalb des FN wirken sollten. Nunmehr scheint aber erneut eine Phase angebrochen, in der die rechtsextreme Grobpartei nur als „schlapp“ und „weich“ wahrgenommen wird.

Bei folgenden Personen handelt es sich um frühere Mitglieder von Jeune Nation aus der „Blütezeit“ der Bewegung in den 1950 Jahren: Jean-Jacques Susini (später OAS, 1997 Parlamentskandidat des FN in Marseille); François Duprat (ehemals Chefideologe des FN, 1978 bei einem Attentat getötet, dasmutmablich aus den eigenen Reihen verübt wurde); und François d’Orval, seines Zeichens Chefredakteur des thatcheristisch-militaristischen Wochenmagazins Valeurs actuelles (VA), dessen Positionen sich inzwischen zugunsten des innerhalb der Bourgeoisie „Salonfähigen“ verschoben haben. 
Editorische Anmerkungen

Diesen Artikel erhielten wir am 1.11.2007 vom Autor.