Zum Jahrestag der Reichspogromnacht. Streit um Berliner Straßennamen

von Peter Sonntag
11/07

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Was ist los in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) des Berliner Stadtbezirks Marzahn-Hellersdorf? Neofaschisten in Fraktionsstärke, die Initiativen zur Wiederherstellung der verletzten Würde diskriminierter jüdischer Persönlichkeiten blockieren, und dies mit Rückendeckung demokratischer Parteien?

Seit Monaten kämpft das Bündnis »Kein Vergessen« gegen Nazi-Umbenennungen von Straßen. Im Jahr der Reichspogromnacht (9. November 1938) wurden in Mahlsdorf und Kaulsdorf sieben Straßen, die Namen jüdischer Künstler trugen, umbenannt. Ende September 2007 hat die Fraktion Die Linke einen Antrag auf Rückbenennung des heutigen Pfalzgrafenwegs in Offenbachstraße im Bezirksparlament eingebracht, um wenigstens im Falle des jüdischen Komponisten Jacques Offenbach moralische Wiedergutmachung zu leisten. Der Antrag wurde abgelehnt, von einem Bündnis aus NPD, SPD, CDU und FDP. Begründung: Man könne nicht die Meinung der Anwohner übergehen, ohne neues »Unrecht« zu schaffen.

Sylvana Weißenfels vom Bündnis »Kein Vergessen« hat diese Argumentation geschichtsrevisionistisch genannt. »Unterstellungen der SPD«, Jugendliche ihres Bündnisses seien auf einem CDU-Bürgerforum störend aufgetreten und von der Polizei des Raumes verwiesen worden, wies Weißenfels als »falsch und diffamierend« zurück: »Die das behaupten, empfinden jegliche kritische Thematisierung der antisemitischen Umbenennungen als störend.«

SPD und CDU sorgten im übrigen auch dafür, daß eine Marzahner Straße, benannt nach einem Überlebenden des Holocaust, dem deutsch-jüdischen Schriftsteller und antifaschistischen Widerstandskämpfer Alexander Abusch, jetzt den Namen eines Kapp-Putschisten und im Dienste der Kriegspropaganda des Dritten Reiches tätig gewesenen Schriftstellers trägt: Peter Huchel. Gegen diesen Verwaltungsakt, der jeden Holocaustleugner erfreuen dürfte, reichte Ende Juni Antonín Dick, Sohn deutsch-jüdischer Antifaschisten, beim Petitionsausschuß der BVV eine auf den Nachweis schwerwiegender Rechtsverletzungen gestützte Petition ein (jW vom 11. Juli). Der Ausschuß ließ Ende September mitteilen, daß er nicht zuständig sei.

Dick überstellte die Petition dem Petitionsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses. Dieser soll über die Petition hinaus den Gesamtkomplex der Diskriminierung jüdischer Persönlichkeiten im Straßenbild von Marzahn-Hellersdorf behandeln. Er ist dazu befugt. Die SPD verfügt in diesem wichtigen Gremium über die relative Mehrheit und definiert sich seit dem Hamburger Parteitag ja wieder als »linke Volkspartei, die ihre Wurzeln in Judentum und Christentum, Humanismus und Aufklärung, marxistischer Gesellschaftsanalyse und den Erfahrungen der Arbeiterbewegung hat«.

Dicks Antrag will »ein weltbürgerlich gesonnenes Bündnis aus Sozialdemokraten, Sozialisten und Grünen im Berliner Petitionsausschuß« in die Pflicht nehmen, »gegen die gefährliche Geschichtsvergessenheit von Bezirksgewaltigen«.

Editorische Anmerkungen

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Wir verbreiten auf Empfehlung von Antonin Dick diesen Artikel, der am 9.11.07 bei der JUNGEN WELT erschien unter: http://www.jungewelt.de/2007/11-09/011.php