Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Unbefristeter Transportstreik ab diesem Mittwoch.
Unterdessen häufen sich studentische Besetzungsaktionen und andere kleinere „Unruheherde“
11/07

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Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm...? Abwarten und Stärkungsmittel trinken. Fest steht jedoch, dass ab diesem Mittwoch in den französischen Transportbetrieben – gefolgt von anderen Sektoren – eine erhebliche Kraftprobe ansteht. Sie wird zu wesentlichen Teilen darüber entscheiden, welche Spielräume die Regierung unter Präsident Nicolas Sarkozy in den kommenden vier Jahren verfügen wird: Kann sie autoritär durchregieren und -„reformieren“, weil ihr der Autoritätsbeweis und der Nachweis der Aussichtslosigkeit, ja „Sinnlosigkeit“ sozialer Widerstände geglückt ist? Oder wird ihr „Reformeifer“ einen gehörigen Dämpfer verpasst bekommen?

Der Streik der Transportbediensteten fing am Dienstag Abend um 20 Uhr für die EisenbahnerInnen an, am Mittwoch früh für die MitarbeiterInnen der Pariser Bus- und Métro-betriebe. Die Auswirkungen des Streiks entsprachen am Mittwoch sehr früh vollauf den Erwartungen und Vorhersagen: Der Eisenbahnverkehr war frankreichweit sehr stark beeinträchtigt, während bei den Pariser Verkehrsbetrieben durchschnittlich nur jeder zehnte Métrozug verkehren konnte. Die meisten Berufstätigen und anderen betroffenen Personen wichen deswegen auf andere Fortbewegungsmittel, vom gemeinschaftlich genutzten Auto bis zum Fahrrad, aus. Entsprechend wurden bereits am Mittwoch gegen 6 Uhr morgens im Radio (beim Sender ‘Radio Africa Numéro 1’, der zugleich sowohl den im Stau Steckenden als auch ausdrücklich den Streikenden “guten Mut” wünschte,” denn es ist nie einfach zu streiken”) über zweistündige Staus auf der rund um Paris herumführenden Ringautobahn, dem Boulevard Périphérique, vermeldet. In solchen Situationen sind Auswirkungen auf die Ökonomie, infolge des absehbaren Zuspätkommens vieler Arbeit/innen, Angestellten und sonstigen Lohnabhängigen, abzusehen.

Parallel dazu sind auch die Beschäftigten der Energieversorgungsunternehmen EDF und GDF durch ihre sämtlichen, rivalisierenden Gewerkschaften zum Ausstand aufgerufen. Am Dienstag kommender Woche (20. November) treten zusätzlich noch zahlreiche Sektoren des sonstigen öffentlichen Diensts für einen zunächst 24stündigen Ausstand mit in den Tanz ein: Krankenschwestern, LehrerInnen und Postbedienstete, die anders als Transport-, EDF- und GDF-Beschäftigte nicht von den ‚Régimes spéciaux' (Sonderregelungen bei den Renten) betroffen sindn. Ihre Gewerkschaften rufen zum Ausstand gegen den Stellenkahlschlag in den öffentlichen Diensten und gegen die Austeritätspolitik bei den Löhnen und Gehältern auf. Die konservative Regierung plant erklärtermaßen, jeden zweiten altersbedingten Abgang in den öffentlichen Diensten nicht zu ersetzen. Und falls der Transportstreik bis dahin anhält und nicht bspw. Vorher zusammenbricht, wird ein Brückenschlag zwischen beiden Streikbewegungen möglich sein. Zudem treten am 29. November AnwältInnen und Richter/innen gegen die “Justizreform” in den Streik. Ihr Protest richtet sich sowohl gegen die Schlieung vieler “kleinerer” Gerichte, die eingespart werden (was vor allem viele BewohnerInnen von Départements auerhalb von Paris zu erheblich längeren Anfahtszeiten zwingen, und damit einem erschwerten Zugang zur Justiz führen wird) als auch gegen die von der Regierung jüngst eingeführten Mechanisme, die die Richter zum Teil in Automaten verwandeln werden. Denn ein neues Gesetz, das durch Justizministerin Rachida Dati im Hochsommer präsentiert und im August verabschiedet wurde, verpflichtet die Richter/innen, bei Rückfalltätern “Mindeststrafen” zu verhängen und damit von der persönlichen Situation des/r Angeklagten weitgehend zu abstrahieren – es sei denn, sie verfassen eine schriftliche Aisnahmebegründung, wozu die Richter/innen aber in vielen Fällen aus Überlastungsgründen schlichtweg keine Zeit finden werden. Die Justiz ging damit einen Schritt weiter auf einen repressiven Automaten zu, zum Missfallen auch vieler Justizangestellter, Richter/innen und erst recht AnwältInnen. Den Stein des Anstoes zum jetzigen Protest bildet aber vor allem die, aus Einsparungsgründen erfolgende, räumliche Konzentration der Gerichtsorte, die so genannte ‘Réforme de la carte judiciaire’.

Zurück zum Transportstreik: Sieben von acht Gewerkschaften bei den Eisenbahner/inne/n rufen zum Arbeitskampf auf, und im Gegensatz zum Ausstand vom 18. Oktober lautet der Aufruf dieses Mal auf „unbefristeten“ Streik. Das bedeutet, dass alle 24 Stunden in Vollversammlungen über die Fortführung des Streiks entschieden werden wird. Dies war bereits am 19. Oktober vielerorts, für die Frage einer Fortführung des am Vortag massiv durchgeführten Streiks, der Fall gewesen. Im Raum Paris etwa fanden zahlreiche Vollversammlungen mit Voten um die 95 Prozent für die Fortführung des Arbeitskampfs statt. Allerdings hatten daran real nur die Anhänger/innen jener Gewerkschaften (SUD Rail und FO Cheminots), die für eine unbefristete Weiterführung über den 24stündigen Aktionstag vom 18. Oktober hinaus eintraten, teilgenommen. Insbesondere die relativ mächtige CGT-Eisenbahner (CGT Cheminots) ließ ihre Leute damals, am 19./20. Oktober, nicht an diesen Vollversammlungen teilnehmen, sondern rief außerhalb davon zur vorläufigen Wiederaufnahme der Arbeit auf..

Heute stellt sich die Lage anders dar als. Denn jetzt rufen nahezu alle bei der französischen Bahngesellschaft SNCF vertretenen Gewerkschaftsverbände zum unbefristeten Streik auf. Unter den französischen Eisenbahner/inne/n ist die CGT mit gut 40 Prozent der Stimmen bei den letzten Personalratswahlen die stärkste, die linke Basisgewerkschaft SUD Rail mit knapp 15 Prozent die zweitstärkste Gewerkschaft.

CFDT: Konsequenzen aus dem momentanen Scheitern des Verhandlungswegs
Als letzte Gewerkschaft beschloss die CFDT-Eisenbahner Anfang voriger Woche, sich dem Streikaufruf anzuschließen. Bis dahin hatte die Leitung des Dachverbands CFDT eisern an dem Versuch festgehalten, zuerst (und möglichst erfolgreich) Verhandlungen mit der konservativen Regierung von François Fillon zu führen. Es war die manifeste Unmöglichkeit, dadurch etwas zu erreichen, die nun zum Kurswechsel der CFDT und ihrem Anschluss an die Streikfront geführt hat. „Man hat den Eindruck, dass die Regierung unbedingt möchte, dass es zum Streik kommt“, kommentierte CFDT-Generalsekretär François Chérèque leicht frustriert. Sein Gewerkschafts-Dachverband habe Arbeitsminister Xavier Bertrand unmittelbar nach dem letzten Streik vom 18. Oktober handfeste Angebote gemacht, aber bislang keinerlei Anwort darauf erhalten. Es wird allerdings vermutet, dass es nach einigen Tagen Kraftprobe ab Ende dieser Woche zu erneuten Kontakten zwischen der CFDT und der Bahndirektion sowie der Regierung kommen, und die sozialliberale Gewerkschaft (zusammen mit der christlichen CFTC) dann aus der Streikfront ausscheren könnte. So spekulierte etwa ‚Le Monde’ in ihrer Dienstagsausgabe.

Die Position der CFDT lautet, dass sie grundsätzlich die Abschaffung der ‚Régimes spéciaux' (Sonderregelungen zur Rente, die bestimmten Berufsgruppen eine frühere Pensionierung, von Eisenbahner/inne/n bis hin zu technischen Mitarbeitern der Pariser Opern) akzeptiert. Aber sie schlägt eine Aufschiebung der für die künftigen Renter/inne/n aus fehlenden Beitragsjahren resultierenden Abschläge bei den Pensionen um ein paar Jährchen bzw. ihre schrittweise Einführung vor, sowie eine Einbeziehung bestimmter Prämien in die Grundlohn, um die Pensionen nicht gar zu sehr absacken zu sehen. Zudem fordert die CFDT, dass zumindest einzelne Beschäftigtenkategorien aufgrund ihrer besonders harten Arbeitsbedingungen früher als andere in Rente gehen dürfen.

Dabei nimmt sie lediglich die Regierung beim Wort, die ständig das Argument im Munde führt, dass die Eisenbahner/innen ihre Pensionsregelung (Rente ab 55 ist möglich, speziell für Lokführer ab 50) nicht länger verdienten, da die Arbeitsbedingungen nicht mehr so körperlich hart seien wie früher auf den Dampflokomotiven, während es „andere, wirklich hart arbeitende Berufsgruppen“ gebe. Bislang dient diesen Argument Regierungskreisen nur dazu, die Abschaffung bestehender Vorteile für die Eisenbahner zu rechtfertigen, während von einer Einführung entsprechender Vorteile (beim Rentenalter) für die oft beschworenen anderen Berufsgruppen noch nie konkret die Rede war. Zwar wurde 2003, parallel zur damaligen allgemeinen „Rentenreform“ – die noch nicht die ‚Régimes Spéciaux' betraf -, eine Verhandlungsrunde zwischen „Sozialpartnern“ zu diesem Thema eröffnet. Sie steht unter dem Stichwort „Pénibilité du travail“ (harte o. erschwerte Arbeitsbedingungen). Aber bisher wurden dort nur Worte gewechselt, ohne dass sich abzeichnen würde, dass das Arbeitgeberlager auch nur im geringsten eine entsprechende Rücksichtnahme auf bestimmte Beschäftigtengruppen plant. Allerdings erklärt auch die Regierung im Moment, im Hinblick auf die geplante Abschaffung der ‚Régimes spéciaux' Rücksichten auf besondere Situationen von ‚Pénibilité' in bestimmten Berufsgruppen nehmen zu wollen. Dabei verhält es sich freilich – bisher jedenfalls – ein bisschen wie mit dem Monster von Loch Ness, das ab und zu immer wieder mal „auftaucht“, ohne jedoch dingfest gemacht werden zu können…

Bislang hat die CFDT, haben aber auch die anderen grundsätzlich zu Gesprächen mit der Regierung bereiten Gewerkschaften auf dem Verhandlungswege nichts erreichen können. Die Wochenzeitung ‚Le Canard enchaîné' schildert das vorherrschende Szenario in ihrer Ausgabe von diesem Mittwoch folgendermaßen: „Arbeits- und Sozialminister Xavier Bertrand ist machtlos. Premierminister François Fillon ist nicht erreichbar. Und Präsident Nicolas Sarkozy zieht es ins Fernsehen anstatt zu Gesprächen.“

Die autonome Lokführergewerkschaft FGAAC

„Rechtsaußen“ (in gewissem Sinne) unter den bei der Bahngesellschaft SNCF vertretenen Gewerkschaften steht im Augenblick die autonome = berufsgruppenspezifische Lokführergewerkschaft FGAAC. Dieselbe Gewerkschaft hatte im Vorfeld des 24stündigen Warnstreiks und Aktionstags vom 18. Oktober noch mit die radikalsten Töne gespuckt und (neben der linksalternativen SUD Rail und der populistisch-schillernden FO Cheminots) zur unbefristeten Fortführung des Streiks über den Abend des 18. 10. hinaus aufgerufen. Umgekehrt bildet sie momentan die einzige Gewerkschaft unter den französischen Eisenbahnern, die nicht zum Ausstand aufruft.

Den Hintergrund dafür bilden die Sonderzugeständnisse, welche die französische Regierung und die Bahndirektion der SNCF im Laufe des letzten Aktionstags der Berufsgruppe der Lokführer/innen in Aussicht gestellt haben. Demnach wird zwar auch für die Lokführer die bisherige Sonderregelung – unter den ‚Régimes spéciaux' konnten sie mit 50 Jahren in Rente gehen – fallen. Aber aufgrund spezifischer Anrechnungsmechanismen wird es ihnen auch zukünftig ermöglicht werden, immerhin noch fünf Jahre früher als andere Beschäftigte (bei der Bahn oder anderswo) in Rente zu gehen: Wenn, den Plänen der Regierung zufolge, ab 2012 für die Eisenbahner/innen das „normale“ Rentenregime statt des bisherigen Sonderstatus gilt, dann werden sie 40 Jahre – später dann 41 Jahre, aufgrund der anstehenden Anhebung für alle Berufsgruppen – Beitragsjahre aufweisen müssen, um eine volle Pension beziehen zu können. Das früheste Rentenalter wird 60 sein, und die Grenze für den Renteneintritt wird bei 65 liegen, wie bei den meisten Beschäftigtengruppen derzeit (seit der „Fillon-Reform“ von 2003, die die 65er Grenze einführte). Die Lokführer/innen aber werden mit mindestens 55 Jahren in Rente gehen können. In ihrem Falle hat also die Anerkennung der ‚Pénibilité', welche die Regierung auch sonst so gerne im Munde führt, tatsächlich einen Durchbruch erfahren. Aber nur aus taktischen Gründen: Um die Lokführergewerkschaft FGAAC aus der Streikfront der übrigen Gewerkschaften heraus zu brechen.
An ihrem Falle lässt sich die besondere Problematik berufsgruppenspezifischer Gewerkschaften ablesen: Mal besonders radikal, können sie an anderen Fällen wiederum besonders leichte Umfallkandidaten sein. Aufgrund ihrer sozialen Natur müssen sie in relativ geringem Maße unterschiedliche, mitunter widersprüchliche Lohabhängigeninteressen unter einen Hut bringen. Aus diesem Grunde können sie ihren Wimpel auf besonders ausgeprägte Weise mal in die eine, aber eben mal auch die andere Richtung hängen.

Noch ma': Worum geht es schon wieder?

Die Regierung möchte unbedingt die ‚Régimes spéciaux' abschaffen und damit die bisher unter relativ günstige Rentenregelungen fallenden Beschäftigtengruppen (mit zwei Ausnahmen: hauptberuflichen Militärs und Abgeordneten...) zwingen, erst nach 40 Beitragsjahren und Überschreiten einer Altersgrenze von mindestens 60 Jahren in Rente zu gehen. Dabei wird die allgemeine Altersgrenze, die für alle Beschäftigten gilt, freilich nicht auf diesem derzeit geltenden Stand stehen bleiben, da für das „allgemeine Rentenregime“ ab 2020 die Anforderung von 42,5 Beitragsjahren für das Anrecht auf eine volle Pension gelten soll. Jede/r kann sich ausrechnen, was dies für das Verrentungsalter bedeutet, oder eher: für die Höhe der Pensionen, da die Leute nicht mit über 70 in Rente gehen, aber massive „Abschläge“ (décotes) werden hinnehmen müssen.

Bisher verfügen bestimmte Beschäftigtengruppe über relativ günstige Regelungen zum Rentenalter, die freilich mit einer relativ geringen Höhe der Pensionen einher gehen. Dass „die Steuerzahler“ oder „alle sonstigen Beitragszahler“ für die Renten beispielsweise der Eisenbahner aufkommen würden, ist hingegen eine Legende, um deren Verbreitung die neoliberale Propaganda tunlichst bemüht ist. (Und die in den kommenden Tagen und Wochen noch massiv heruntergebetet werden wird.) In Wirklichkeit sind es allein die Beiträge der aktiven Eisenbahner/innen, die rund 40 Prozent ihres Lohns und Gehalts statt im Durchschnitt 26 Prozent für die sonstigen Beitragszahler betragen, aus denen die Renten finanziert werden. Zwar stimmt es, dass der Staat der Bahngesellschaft SNCF jährlich über zwei Milliarden Euro überweist – jedoch nicht, um den früheren Abgang der Eisenbahner/innen in die Rente zu finanzieren (im Gegenteil, die Renten unter 60 Jahren werden vom Staat bei seinen Zahlungen systematisch nicht berücksichtigt), sondern um die „demographischen Folgen“ des vom Staat in den letzten Jahrzehnten vorgenommenen systematischen Stellenabbaus zu bewältigen. Die französische Bahngesellschaft SNCF beschäftigte früher bis zu 400.000 Mitarbeiter, gegenüber heute rund 150.000 (und ein weiterer Abbau im Güterfrachtverkehr steht bevor). Um die Auswirkungen seiner Entscheidungen zur Personalpolitik zu bewältigen, in deren Folge die Zahl der Renter/innen jene der aktiv Beschäftigten übersteigt, muss der Staat – logischer Weise – Ausgleichszahlungen vornehmen. Zugleich fließt aber auch Geld, ein paar Hundert Millionen, aus der Rentenkasse der Eisenbahner/innen in das „allgemeine Rentenregime“. Denn aufgrund höherer Beiträge weist, wenn die „demopgraphischen Folgen“ der Personalabbaupolitik einmal durch Ausgleichszahlungen bewältigt sind, die Rentenkasse der Eisenbahner/innen einen „Überschuss“ (in schwarzen Zahlen) gegenüber den sonstigen Rentenkassen auf.

Insgesamt betreffen die ‚Régimes spéciaux' zur Zeit 500.000 aktive Beschäftigte (bei Eisenbahn, RATP und Energieversorgungsunternehmen insbesondere, daneben auch bei den Bühnenarbeitern in den Pariser Operhäusern und bei der Comédie française zuzüglich Abgeordneten und Berufsmilitärs, welch Letztere von der „Reform“ nicht betroffen sind) und 1,1 Millionen Renter/innen. Der „Überschuss“ an Renter/innen erklärt sich allein aus der Politik systematischer Personalreduzierung in den vergangenen Jahrzehnten sowie des „Aussterbens“ der Bergleute, die heute nur noch als Renter, nicht jedoch als aktive Berufsgruppe existiert. Historisch gehörten die Bergmänner in den Kohleminen zu den wichtigsten Berufsgruppen, bei denen ein ‚Régime spécial' zur Rente erkämpft werden konnte.

Heftiger Gegenwind dürfte pfeifen

Die Regierung bereitet sich fest darauf vor, dass es zur Kraftprobe mit den Gewerkschaften kommen wird, ja sucht sie geradezu herauszufordern. In ihren Augen ist es nicht schädlich, es eher zum Zusammenstoß statt zu einer irgendwie gearteten Verhandlungslösung kommen zu lassen, jedenfalls so lange sie siegreich aus dem Kräftemessen – das sie nachgerade provoziert - hervorgeht.

„Es wird keine weiteren Zugeständnisse geben. Ich habe in der Vergangenheit gezeigt, dass ich nicht zu der Sorte gehöre, die nachgibt. Ich bin bereit, Krisen und sogar einer gewissen Unpopularität ins Auge zu sehen“ tönte Premierminister François Fillon am vorigren Mittwoch im Radiosender Europe 1. „Legen Sie Ihre Sicherheitsgurte an!“, auf diese Formel hatte er die Haltung seiner Regierung am Vortag vor den Parlamentariern der Regierungspartei UMP gebracht. Staatspräsident Nicolas Sarkozy seinerseits, der sich vom 6. bis 8. November in den USA aufhielt, rief dort Dienstag vor den Unternehmern des ‚French American Business Council' in Washington D.C. aus: „Es wird Streiks, Demonstrationen geben, aber ich werde durchhalten. Nicht, weil ich sturköpfig wäre, sondern weil es im Interesse meines Landes liegt. Wir sind zu weit zurückgewichen, wir können nicht mehr zurückweichen.“ Anlässlich eines Meetings in wahlkampfähnlicher Atmosphäre mit Auslandsfranzosen in der französischen Botschaft in den USA tönte Sarkozy: „Man verspricht mir einen schwierigen November. Es ist nicht der Monat November, der schwierig werden wird, sondern die gesamte fünfjährige Amtszeit. Ich bin gewählt worden, um schwierige Dinge zu tun, und ich werde sie durchführen.“ Kurzum: Schweiß und Tränen, im Namen der Aufbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.

Das Kalkül der Regierung lautet, dass ein richtiges Zusammenrasseln mit den Gewerkschaften besser ist, als irgendwelche Zugeständnisse zu machen, sofern sie dabei schlussendlich ihre „Durchsetzungsfähigkeit“ – und die Vergeblichkeit, ja Sinnlosigkeit sozialer Widerstände – demonstrativ unter Beweis stellen kann. Ihr Vorbild scheint dabei das Szenario des nordenglischen Bergarbeiterstreiks unter der damaligen britischen Premierminister Thatcher 1984/85 (der nach einjähriger Dauer mit einer herben Niederlage der Gewerkschaften endete) zu sein. Geht eine solche Rechnung auf, denkt sich die Regierung, dann braucht sie fürderhin auf die Gewerkschaften keinerlei Rücksichten mehr zu nehmen, sofern sie es nicht selbst zu Legitimationszwecken einplant.
Die Sache könnte freilich daneben gehen, denn eventuell schätzt die Regierung das Meinungsklima im Lande dazu falsch ein. So erklärt auch der UMP-Abgeordnete Jérôme Chartier, der Premierminister Fillon persönlich nahe steht, in der Donnerstagsausgabe der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde' vorsichtig: „Es gibt zwei Unbekannte (im Spiel): das Ausmaß der Mobilisierung (der Streikenden) und die Beliebtheit ihrer Bewegung unter den Franzosen. Die Regierung wartet ab, bis sie diese Unbekannten der Gleichung kennt.“
Isolierung oder Solidarität?

Was Letztere betrifft, also die Unterstützung oder ausbleibende Unterstützung für die Streikbewegung in der öffentlichen Meinung, so glaubt die Regierung, über beste Karten zu verfügen. Ihr wird es darum gehen, die Streikbewegung von der Mehrheit der öffentlichen Meinung zu isolieren. Gelingt dies, muss der Transportstreik mutmaßlich tatsächlich über kurz oder lang „austrocknen“, und die großen Gewerkschaftsbünde CGT und CFDT (Letztere ohnehin…) werden versuchen, die Glut so schnell wie möglich auszutreten.
Tatsächlich war es noch selten so schwierig, die Auswirkungen eines Streiks auf das öffentliche Meinungsklima zu prognostizieren, wie derzeit. Es kommt bei den Umfragen fast vollständig darauf an, wer die Frage stellt und vor allem wie, und mit welcher Einführung und Gesamtdarstellung die entsprechenden Einzelfragen präsentiert werden. Tatsächlich allerdings trifft es zu, dass der Streik riskiert, rasch unpopulär zu werden. Der KP-nahe Umfrageexperte Stéphane Rozès erklärte in der Dienstagsausgabe von ‚Le Monde’, im Interview mit dem Gewerkschaftsexperten Rémi Barroux (der selbst zur radikalen Linken – undogmatische Trotzkisten – zählt, und innerhalb der Redaktion den Gegenpoil zum offen thatcheristischen Wirtschaftsjournalisten und Kolumnisten Eric Le Boucher darstellt) von 57 sozialen Bewegungen, deren Popularität seine Mitarbeiter in den letzten zehn Jahren gemessen hätten, weise der Transportstreik dieser Woche die drittschlechtesten Werte auf. Rund 45 Prozent der Befragten erklärten ihre „Unterstützung“ (21 %) oder „Sympathie“ (24 %) für den Streik. Andere Umfragen sehen eher noch schlechter aus. So in der Dienstagsausgabe der gratis in hoher Auflage vor den Stationen der Untergrundbahn verteilten Gossenzeitung ‘Métro’: Einer von ihr in Auftrag gegebenen Umfrage zufolge zeigten sich 61 % der Befragten ablehnend zu den Transportstreiks dieser Woche (und ihrem Anliegen, der Abwehr von Angriffen auf die ‘Régimes spéciaux’, als vorgeblicher Verteidigung einer Situation sozialer Ungerechtigkeit), während 37 Prozent sich unterstützend äuerten. ‘Métro’ spielt allerdings derzeit die Rolle eines offenen Propagandablatts, so widmet sie eine Doppelseite dem Propagieren der Entstehung einer “Anti-Streik-Bewegung”. Die Leserumfrage vom gestrigen Tage (Dienstag) ist beispielsweise dem Thema gewidmet: “Wären Sie bereit, gegen die Streiks auf die Straße zu gehen?” (Zwei Drittel der mit LeserInnenfoto dokumentierten Reaktionen lauten: “Ja, wir würden dagegen demonstrieren”, ein Drittel: Nein.) Ihre Umfrageergebnisse kann die Zeitung freilich nicht offen erfunden haben, da sie von einem Institut stamen. Es kommt freilich immer auch darauf an, wie und in welchem Tonfall man eine Frage stellt…

Das konservative Wochenmagazin ‚Le Figaro Magazine' präsentierte vor rund 10 Tagen ihrerseits triumphierend eine Umfrage, die auf der Titelseite mit den Worten ankündigt war, 85 % der Befragten seien gegen den sich abzeichnenden Transportstreik. In Wirklichkeit war das Ergebnis der von dem rechten Magazin in Auftrag gegebenen Umfrage etwas nuancierter; die 85 Prozent bezogen sich auf eine allgemeine Frage danach, ob die Befragten die Aufrechterhaltung eines Minimalbetriebs (Service minimum) während des Transportstreiks wünschen würden. Da die Mehrzahl der Leute nicht Masochisten sind, antworteten sie überwiegend mit ‚Ja'. Diese Frage fällt natürlich zugleich auf ideologisch vermintes Terrain, zumal es seit August dieses Jahres ein eigenes Gesetz zum ‚Service minimum' in den öffentlichen Transportbetrieben gibt. (Angenommen unter dem Vorwand, die armen Passagiere nicht auf dem Trockenen sitzen lassen zu wollen. In diesem Falle hätte man sich freilich vielleicht eher um die 97 Prozent Ausfälle der öffentlichen Transportmitteln, die veraltetem Material, Signalpannen u.Ä. geschuldet sind, kümmern müssen – statt um die 03 Prozent Ausfälle im Jahresdurchschnitt, die mit Streikbewegungen zusammen hängen.) Dieses Gesetz vom August 2007 tritt freilich erst zum 1. Januar 2008 in Kraft, ist also auf den kommenden Streik noch nicht anwendbar, und benötigt für seine konkrete Anwendung vor allem Betriebsvereinbarungen in den einzelnen Transportbetrieben. Am Ablauf des kommenden Streiks wird dieses Gesetz also noch nicht viel ändern. Aber ideologisch ist das Publikum mehr und mehr darauf gestimmt worden, dass ein Ausfall der öffentlichen Transportmittel durch Streik eine „nicht hinnehmbare Attacke auf die Grundrechte“ des Publikums (wie des Rechts auf Arbeit und auf Freizügigkeit), eine „Geiselnahme der Passagiere und des ganzen Landes“ usw. bilde. – Ansonsten fallen die Ergebnisse derselben Umfrage im Auftrag des ‚Figaro Magazine' über die sonstigen Aspekte des Transportstreiks etwas moderater aus. Doch freilich kommen die Umfragemacher bei ihrer Nachfrage nach der „Reform“ (d.h. Abschaffung) der ‚Régimes spéciaux' auch zu dem Ergebnis, dass angeblich rund 70 Prozent der Befragten diese befürworteten.
Nicht alle Umfragen bringen so eindeutige Ergebnisse wie diese. Aber fest steht, dass ein heftiger Gegenwind gegen den Transportstreik in Teilen der (ver)öffentlich(t)en Meinung pfeifen wird, und dies vor allem so lange, als der kommende Arbeitskampf in einigen Sektoren isoliert ausgetragen wird.

Allem Vernehmen nach hat die Parteiführung der konservativen Regierungspartei UMP ihre Basis dazu aufgeforderte, Petitionen und sogar Demonstrationen zugunsten des „Ja zur Reform der ‚Régimes spéciaux'“ zu organisieren. Auch nimmt das Netzwerk der Bewegung „Stoppt den Streik!“ vom Frühsommer 2003, das damals „immerhin“ gegen Schluss der damaligen Streikwelle eine Gegendemonstration an einem Sonntag (dem 15. Juni 03) mit rund 18.000 Teilnehmern – überwiegend aus den sog. besseren Schichten und aus der politischen Rechten aller Schattierungen – auf die Beine stellen konnte, allem Anschein derzeit wieder seine Dienste auf. Angeführt war die damalige Anti-Streikbewegung von jungen Galionsfiguren, diplomierten Hohlköpfen, vorwiegend mit Abschlüssen von höheren Handelsschulen, wie der jungen Vorzeigefrau Sabine Hérold. Deren Netz unter dem Namen ‚Liberté Chérie' („Geliebte Freiheit“, unter flagrantem Missbrauch einer berühmten Zeile eines Gefängnisgedichts aus der französischen Résistance) wird offenkundig reaktiviert, wovon eine Reihe von E-Mails aus unterschiedlichen Kanälen zeugen. Auch berichten Gewerkschaftsorganisationen wie der (relativ linke und gegenüber der Führung des Dachverbands oppositionelle) Transportarbeiterverband der CFDT, die FGTE-CFDT, sie hätten noch nie so viele Pöbelmails gegen die „privilegierten“ Eisenbahner und gegen den Transportstreik in geballter Form erhalten wie zur Zeit. Offenkundig organisiert.
Die Anti-Streikbewegungen haben in der jüngeren Periode zugenommen. Noch während der Herbststreiks in den öffentlichen Diensten im November/Dezember 1995 hatten sie eine exotische Außenseiterrolle eingenommen: 100 bis höchstens 200 Aktivbürger standen sich an einem Sonntag Nachmittag mit ihren dummen Parolen die Beine auf der Pariser Place du Châtelet in den Bauch. Aber bereits während der Streiks gegen die Rentenreform 2003 (s.o.) hatten sie ein etwas anderes Kaliber. Anlässlich der Jugend- und Studierendenbewegung, mit Unterstützung durch alle Gewerkschaften, gegen den „Erstseinstellungsvertrags“ CPE im März/April 2006 ging die offensive Anti-Streik-Akvitität wieder zurück. 1.000 bis maximal 2.000 Männekens tummelten sich bei den Kundgebungen „Stoppt die (Uni-)Blockaden!“, zu denen unter anderem die Gratistageszeitung ‚Métro' unentwegt aufrief. Aber wovon die konservative Regierung derzeit träumt, ist offenkundig, vor dem Hintergrund einer Ermüdung und geschürten Empörung über anstehende Ausfälle der Transportmittel, ein Remake der Massendemonstrationen der Rechten vom 30. Mai 1968. Damals hatten, nach den mehrfachen Demonstrationen vieler Hunderttausend Menschen während des Mai 1968, dieses Mal auch eine Million Menschen auf einen Gegenaufruf der Gaullisten reagiert. Ferner erlebten die regierenden Gaullisten dann im darauffolgenden Monat, im Juni 1968, einen Erdrutschsieg bei den darauffolgenden Parlamentswahlen. (Damals hatte sich gerächt, dass die Bewegung zwar die Formen eines veritablen revolutionären Generalstreiks angenommen und zu einem echten politischen Vakuum an der Staatsspitze geführt hatte, aber über keine Perspektive politischen Wechsels verfügte. Ein Vakuum kann nicht lange offen bleiben, bevor es durch wen auch immer gefüllt wird.)

Entscheidend wird also sein, ob die streikenden Transportbediensteten (zu denen noch jene der Energieversorgungsunternehmen EDF und GDF hinzu kommen) über mehrere Wochen hinweg isoliert bleiben werden, oder aber ob es zu einem Zusammenfluss der Mobilisierung in unterschiedlichen Sektoren oder jedenfalls massiven Sympathiebekundungen für die Streikenden anderswo kommt. Diese Frage ist derzeit noch vollkommen offen. Ein Umkippen der öffentlichen Meinung im negativen Sinne ist jederzeit möglich. Allerdings dürfte die Regierung gut daran tun, sich nicht allzu sehr in Sicherheit zu wiegen:
* Nicolas Sarkozy hat soeben, vergangene Woche, sein Präsidentengehalt per Votum der Parlamentarier von zuvor rund 8.200 Euro auf über 19.000 Euro monatlich anheben lassen, eine Steigerung um 174 Prozent. Möglicherweise, um die Unterhaltungszahlungen für seine soeben geschiedene Gattin Cécilia ohne Einbußen beim Lebensstandard leisten zu können… Das kommt, trotz allen Medienhypes um die Sarkozys und ihre Scheidung, nicht unbedingt gut an.

* Das Arbeitgeberlager seinerseits ist durch die Affäre rund um die „schwarzen Kassen erheblich geschwächt. In den letzten vier Wochen geriet der Präsident des Metall-Arbeitgeberverbands UIMM; Denis Gauthier-Sauvagnac, ins Visier der Ermittler, nachdem herausgekommen war, dass er mittels einer Kreditkarte in den Jahren 2000 bis 2007 rund 15 Millionen Euro in bar abgehoben hatte, deren Verbleib völlig ungeklärt ist. Bei dieser Gelegenheit kam heraus, dass es im Rahmen von Kollektivverhandlungen (ungefähre Entsprechung zum deutschen Begriff Tarifverhandlungen) ein weitverzweigtes Netz von Korruptions- und Schmierpraktiken gegeben hat. Die Rede ist von schwarzen Kassen des Metall-Arbeitgeberverbands in Höhe von 600 Millionen Euro. Von der Präsidenten des zentralen Arbeitgeberverbands MEDEF, Laurence Parisot, stammt in diesem Zusammenhang das schöne Bonmot, wonach „wir alle vielleicht unbewusst gewusst“ haben, dass es das irgendwas gebe, was sie mit einem „Familiengeheimnis“ verglich.

Gauthier-Sauvgnac versuchte zuerst, seinerseits die Gewerkschaften zu beschmutzen – für deren Finanzierung die Kassen u.a. bestimmt gewesen seien -, wobei in der öffentlichen Wahrnehmung möglicherweise tatsächlich auch „etwas an ihnen hängen geblieben ist“. Ansonsten mochte er nicht sehen, wo es da ein Problem gebe. Inzwischen hat er aber darin eingewilligt, sein Amt in wenigen Wochen zur Verfügung zu stellen. Der MEDEF sah sich gezwungen, seinen bisherigern Verhandlungsführer bei den am 7. September eröffneten Gesprächen mit den Gewerkschaften über den Kündigungsschutz – welcher Gauthier-Sauvagnac bis dahin war – im fliegenden Wechsel auszutauschen. Neue Verhandlungsführerin wurde Cathy Kopp, die Vorstandsvorsitzende der Hotelkette ACCOR, was auch (zusammen mit der Wahl von Laurence Parisot, bis dahin Leiterin eines Instituts für Umfragen & Meinungsforschung, zur MEDEF-Vorsitzenden vor rund zwei Jahren) den Aufstieg des Dienstleistungs- auf Kosten des traditionellen Industriekapitals widerspiegelt. Insgesamt aber steht das Kapitalistenlager in der öffentlichen Meinung zur Zeit auf einer geschwächten Position. Allzu viele Zugeständnisse, die von ihnen verlangt werden, dürften die abhängig Beschäftigten unter diesen Bedingungen wohl nicht hinnehmen. Allerdings sind auch die Gewerkschaften angreif- und “verwundbar”, falls das Arbeitgeberlager tatsächlich etwas gegen sie in der Hand hat, wenn zumindest bestimmte Gewerkschaften sich in der Vergangenheit bei Verhandlungen haben “schmmieren” lassen oder auf sonstigem Wege eine teilweise Finanzierung durch die Arbeitgeber akzeptiert haben sollten. Dies würde sie in der jetzigen Situation teilweise umso erpressbarer machen.

Studentische Streiks und Blockaden

Unterdessen ist in den letzten 8 bis 14 Tagen auch in die französische Studierendenschaft erhebliche Bewegung gekommen. Nunmehr organisiert sich der Protest gegen das neoliberale Hochschulrahmengesetz „Gesetz zur (finanzpolitischen) Autonomie der Hochschulen“, dessen Verabschiedung Anfang August – mitten in der Urlaubsperiode – nicht verhindert werden konnte. An 40 (von insgesamt 85) französischen Universitäten wurden in den letzten Tagen „Störungen“ verzeichnet. An rund 15 von ihnen wurden bis an diesem Dienstag Blockaden des Hochschulstreiks verzeichnet. In Nanterre wurden am selben Tag (13. November) streikende und blockierende Studierende durch einen Knüppeleinsatz der Polizei vom Campus entfernt. (Vgl.: http://www.rue89.com)

Ein „Kollektiv gegen die Autonomie der Universitäten“ fasst derzeit die linksradikalen Studierendengewerkschaften FSE und SUD Etudiants, einen Teil der Basis der mit Abstand größten Studierendengewerkschaft UNEF und politische Strömungen der radikalen Linken. Es prangert vor allem folgende Punkte an der geplanten finanzpolitischen Autonomie der Hochschulen an: den Rückgang an inneruniversitärer Demokratie, da die persönliche Macht des Universitätspräsidenten im selben Atemzug gestärkt wird; den verstärkten Rückgriff auf Geldmittel aus der Privatwirtschaft, was notwendig mit der finanzpolitischen Autonomie einhergehen wird; und die geplante verstärkte Rekrutierung prekärer Mitarbeiter auf Basis privatrechtlicher Verträge. Die Führung der UNEF lehnt die Forderung nach einem vollständigen Rückzug des LRU-Gesetzes (LRU = „Gesetz über die Freiheit und Verantwortung der Universitäten“, so der offizielle Titel, unter dem es im Gesetzblatt erschien) ab, da sie bereits im Frühsommer mit der Regierung verhandelt hat und gegen einige institutionelle Garantien – sprich Posten – ihr grünes Licht für die Reform grundsätzlich gegeben hatte. Doch ist die UNEF derzeit gezwungen, auf den fahrende Zug des Protests aufzuspringen, und unterstützte diese mit, um „Verbesserungen“ am Gesetzestext zu fordern sowie um von anderen Themen (ungenügende Wohnheimplätze, Kaufkraft der Studierenden) zu reden. Die Führung der UNEF befindet sich fest in der Hand einer Unterströmung der französischen „Sozialistischen“ Partei.

Die Zentren der Protestbewegung sind bislang die Universitäten für Geisteswissenschaften (Literatur, Psychologie und Soziologie) in Toulouse sowie Rouen – zwei Städte, in denen auch ansonsten ein Umfeld starker sozialer Bewegungen besteht. Dort sind die Studierenden seit dem 30. Oktober im Streik. Am vorletzten Wochenende traf sich in Toulouse-Mirail auch bereits eine (noch embryohafte) „Nationale studentische Streikkoordination“, am vergangenen Samstag und Sonntag trat sie in Rennes erneut zusammen. Die Koordination ist auch sichtlich darum bemüht, einen Brückenschlag zu den Eisenbahnern und zu anderen Lohnabhängigen im Lande zu schlagen. So rief sie am vergangenen Wochenende dazu auf, ab Dienstag Abend die Gleisanlagen in den Bahnhöfen zu blockieren, um dem Bahnstreik eine durchschlagendere Wirkung zu verleihen.

Zugleich pfeift der neuen Streikkoordination der Studierenden aus den Medien ein eisiger Wind ins Gesicht, viel heftiger im Vergleich zur Bewegung gegen den CPE oder „Ersteinstellungsvertrag“ für unter 26jährige vor nunmehr anderthalb Jahren. Die Hochschulpräsidenten (= Rektoren, zu deutsch) verbreiten sich landauf landab mit der Beschwere, die radikale Linke „unterwandere“ und „manipuliere“ die Koordination. Die Anti-CPE-Proteste hatten sie noch mit vergleichendem Wohlwollen begleitet, auch wenn die Rektorenkonferenz zugleich die damaligen Vorlesungsblockaden abgelehnt hatte. Dieses Mal freilich geht es um die direkte persönliche Stellung der Universitätspräsidenten, deren Hausmacht durch das umstrittene „Gesetz zur Autonomie der Hochschulen“ erheblich gestärkt wird. Deshalb steht der Universitätsapparat bei diesem Mal frontal gegen die Proteste. Auch die liberale Presse berichtet oft unfreundlich über die Proteste, insbesondere die linksliberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’. Während sie die Anti-CPE-Proteste faktisch unterstützte, widmete sie prominente Stellen ihres Berichts von der Streikkoordination in Rennes den Schikanen, denen die Presse seitens von misstrauischen linksradikalen Studenten ausgesetzt gewesen sei. Dumme Sprüche einzelner linksradikalistischer „Superradikaler“ werden in dem Bericht sinnlos aufgebauscht, so lässt sich ‚Le Monde’ darüber aus, dass Einzelne Zeichnungen mit Pressevertretern hinter Stacheldraht oder einem Galgen für die Agentur AFP hätten zirkulieren lassen. Das Klima für den Streik ist damit ausgesprochen unfreundlich. Es zeichnet sich ab, dass man den politisierten Elementen der Studierenbewegung, deren harter Kern sich sicherlich zum Teil während der Anti-CPE-Bewegung vor anderthalb Jahren ausgeformt hat, dieses Mal in der Medienöffentlichkeit nichts, aber auch gar nichts “durchgehen lässt”. (Ausnahmen, mit eher positiver Berichterstattung, sind die KP-nahe Tagszeitung ‘L’Humanité’ sowie die, aus Gründen ihres Lesermarkts stark um oppositionelle Profilierung bemühte, sozialdemokratische Tageszeitung ‘Libération’.)

Entscheidend wird die Frage sein, ob diese unterschiedliche „Protestherde“ auf irgendeine Weise in Verbindung zueinander treten können, und eine drohende Isolierung in den Augen der öffentlichen Meinung (vor allem des Transportstreiks!) durchbrochen werden kann.

Die studentischen Demonstrationen blieben vorige Woche relativ klein. In Paris demonstrierten am Donnerstag rund 1.000 Studierenden und versuchten, bis zum Bildungsministerium zu kommen, woran sie jedoch durch starke Kräfte der Bereitschaftspolizei CRS gehindert wurden. Allerdings ist die Beteiligung an studentischen Vollversammlungen in den letzten Tagen sehr stark angewachsen, wie auch in Radioberichten explizit vermeldet wird. Zum Teil wird aber durch die Universitätsverwaltungen jetzt ihrerseits zum Mittel der Vollversammlungen gegriffen, um eine “schweigende Mehrheit” der Studierwilligen (oder auch aus ökonomischen Gründen zum schnellen Studieren Gezwungenen) zu mobilisieren. So hielt die Universitätsverwaltung vvon Rennes-II am Montag eine geheime Urabstimmung unter allen Studierenden ab, bei der sich rund 60 Prozent gegen die weitere Blockade des Vorlesungsbetriebs aussprachen. Nachdem jedoch am Dienstag früh gut 100 blockierwillige Studierende, die angeblich zum Teil mit Knüppeln bewaffnet gewesen sein sollen, den “Normalbetrieb” der Hochschule dennoch unterbrachen, erklärte die Universitätsleitung darauf im Laufe des Dienstag ihrerseits den “Verwaltungsstreik”. Dies wird durch die Mehrheit der Studierenden nun wie eine Aussperrung, durch welche sie bestraft werde, erlebt. Die Aktion einer radikalisierten blockadewilligen Minderheit an Rennes-II dürfte freilich nicht eben zur Popularisierung des Streiks beigetragen haben.

Generell bleibt zu hoffen, dass eine politisierte Avantgarde unter den Studierenden - die sich etwa seit den Vorjahresprotesten gegen den „Ersteinstellungsvertrag“ CPE formieren konnte, und deren Existenz als solche natürlich verschärft zu begrüen ist -sich nicht allzu schnell vom studentischen „Massenbewusstsein“ entfernt. Dies ware ein fataler Fehler (auf taktisch-strategischer Ebene).

Und die, ähem, parlamentarische Opposition?

Unterdessen steht fest, dass die Tonlosigkeit der wichtigsten parlamentarischen Oppositionskraft umso auffälliger ist, als die Gewerkschaften nunmehr erstmals ernsthafte Gegenwehr gegen die „Dampfwalze“ der Reformen Sarkozys ins Augen fassen. Schlimmer, die französische Sozialdemokratie ist zum Thema tief gespalten. Während die ernsthafteren Linkskräfte (KP, Trotzkisten) die anstehenden sozialen Widerstände unzweideutig unterstützen, betreibt ein Teil der Sozialdemokratie dabei sogar aktive Propaganda für die „Reform“. Auch wenn dieser Flügel sich, aufgrund des innerparteilichen Streits zum Thema, in allerjüngster Zeit nach außen hin mit lauten Auslassungen eher zurückhält.
Bei einem Treffen „junger Reformatoren“ der Partei, Ende August 2007 rund um den smarten Anwalt und Abgeordneten Arnaud Montebourg, hatte Letzterer die Reform der ‚Régimes spéciaux' nicht nur befürwortet. Er hatte eine solche Position auch zum Ausweis der notwendigen „Modernisierung“ der Sozialdemokratie erhoben. Dabei wurde Montebourg bislang eher in der Mitte als auf der Rechten der Partei verortet. Ihm stand der Abgeordnete und Bürgermeister von Evry, Manuel Valls (ein früherer persönlicher Ratgeber von Expremierminister Lionel Jospin), auch eine der so genannten „jungen Hoffnungen“ der Partei, mit knapp über 40, zur Seite. Valls behauptete, die „Reform“, sprich Abschaffung, der ‚Régimes spéciaux' sei „sowohl eine Frage der Gerechtigkeit (gegenuber anderen Beschäftigtengruppen) als auch eine Frage des finanziellen Gleichgewichts“ Frankreichs. Ähnlich positionierte sich auch der recht populäre sozialdemokratische Pariser Bürgermeister, Bertrand Delanoë, der ebenfalls Jospin nahe steht. Allerdings fingen auf dem „linken Parteiflügel“ einige Protagonisten daraufhin an, Unmutsäußerungen von sich zu geben, namentlich der Senator Jean-Luc Mélenchon (einer der Wortführer des „anti-neoliberalen Nein“ zum Europäischen Verfassungsvertrag im Jahr 2005). Am Dienstag dieser Woche berichtete die Pariser Abendzeitung ‘Le Monde’ erneut über ein Treffen der “jungen Reformatoren” der Partei (Manuel Valls, Gaëtan Gorce, mit Zustimmung von Arnaud Montebourg aus der Ferne), die sich für eine “Modernisierung” der sozial- und wirtschaftspolitischen Positionen der Partei u.a. am Beispiel der ‘Régimes spéciaux’ ausgesprochen habe. Manuel Valls habe u.a. gegen die “Linksfundamentalisten” in den Reihen der Sozialdemokratie, insbesondere in Gestalt von Jean-Luc Mélenchon (dessen Ideen in die 1970er Jahre gehörten), gewettert sowie von der Perspektive einer Profilierung der Sozialdemokratie als “Partei der Unternehmen (statt des Etatismus)” gesprochen.
Eine Vorstandssitzung am 11. September hatte eine Pattsituation (zwischen den “Reformatoren” und den eher traditionellen Sozialdemokraten) ergeben, infolge dessen die französischen “Sozialisten” seitdem vor allem eine Position zur „Methode“ beziehen: „Reform“ – also Abschaffung bestehender günstigerer Rentenregelungen - „ja, aber nicht ohne vorherige substanzielle Gespräche mit den Sozialpartnern“. In jüngerer Zeit warf die Ex-Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal, nachdem die erste Warnstreikwelle am 18. Oktober begonnen hatte, Präsident Sarkozy vor, er habe einen schweren Fehler begangen, indem er den Arbeitskampf nicht verhindern konnte. Damit versuchte Royal einmal mehr, Sarkozy sowohl von relativ links (weil er nicht genügend in Verhandlungen anbot), aber auch von rechts – indem sie das Ausbleiben von Streik, Ruhe und Ordnung zum obersten positiven Ziel erhebt – zu kritisieren. Viel Gehör findet die sozialdemokratische Opposition damit freilich im Augenblick nicht.

Am Dienstag dieser Woche verurteilte die “Sozialistische” Partei am Nachmittag auch die studentischen Blockaden, im Namen des Interesses der Studierenden “aus einfachen Verhältnissen”, ihr Studium ungestört fortsetzen zu können.

Editorische Anmerkungen

Dieser Artikel wurde uns vom Autor zur Veröffentlichung am 13.11.07  gegeben.