Nationalismus ging doch vor der „Solidarität unter Verteidigern der europäischen Identität“
Streit zwischen Italienern und Rumänen: Die rechtsextreme Fraktion im Europaparlament zerlegt sich selbst

von Bernard Schmid
11/07

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„Wie gewonnen, so zerronnen“, besagt ein Sprichwort. So erging es möglicherweise in den letzten Tagen den Rechtsextremen im Europäischen Parlament: Ihre „schöne“ gemeinsame Fraktion, ihr ganzer Stolz seit ihrem Zustandekommen im Januar 2007, steht kurz vor dem Auseinanderbrechen. Letztendlich scheinen die Widersprüche, die aus dem Nationalismus der Repräsentanten der rassistischen und ultrachauvinistischen Parteien ihrer jeweiligen Länder erwuchsen, doch stärker als das Gemeinsame gewesen zu sein. Zwar bestehen zwischen diesen politische Kräfte erhebliche Gemeinsamkeiten in der Frontstellung gegen alle aubereuropäischen Immigranten und gegen „den Islam“, für die Mehrheit der betreffenden Parteien (obgleich nicht für alle) auch in antjüdischen Verschwörungstheorien. Aber das Pech für die „Identitätsverteidiger“ besteht darin, dass nicht alle Einwanderer in der Staaten der EU aubereuropäischen Ursprungs steht, sondern es eben auch eine Migration zwischen EU-Ländern gibt. Doch der Reihe nach...

Unter dem Titel „Identität, Tradition, Souveränität “ (ITS) und unter dem Vorsitz des französischen rechtsextremen Politikers Bruno Gollnisch vom Front National stehend, fasste die gemeinsame Fraktion u.a. Vertretern aus Frankreich, Belgien/Flamen, Italien (u.a. mit der Traditionsfaschistin Alessandra Mussolini), Österreich (mit Andreas Mölzer als einigem FPÖ-Abgeordneten im EP), Bulgarien und Rumänien zusammen. Dank des EU-Beitritts Rumäniens uned Bulgariens zum 1. Januar 2007 und der Präsenz von Abgeordneten der, in ihren Ländern starken, rechtsextremen Parteien Ataka (Bulgarien) und „Grobrumänienpartei“ PRM konnten die Neofaschisten die erforderliche Anzahl von über 19 Abgeordneten für die Erringung des Fraktionsstatus erreichen. Erstmals in der laufenden Legislaturperiode verfügten sie somit über stattliche technische und finanzielle Mitte, circa eine Million Euro jährlich an Ausstattung durch die EP-Verwaltung. Auch auf deutsche Rechtsextreme übte die Fraktion im EP, wo derzeit keine deutschen Rechtsextremen vertreten sind, eine erhebliche Anziehungskraft aus. An einer supranationalen Sitzung in Strasbourg, an der neben dem ITS-Vorsitzenden Gollnisch auch Jean-Marie Le Pen persönlich teilnahm, waren kürzlich auch deutsche Repräsentanten – von der so g. Bürgerbewegung „Pro Köln“ bis hin zur NPD – beteiligt. 

Und nun sind es just die rumänischen Rechtsextremen, dank deren Ankunft die gemeinsame Fraktion (mit dem entsprechenden Status ausgestattet) erst möglich wurde und die immerhin 5 Abgeordnete im EP stellen, die unmittelbar ihren Auszug aus der Fraktion planen. Dies würde zur Implosion der Europaparlamentsfraktion „ITS“ führen. Was war passiert? In den letzten 14 Tagen fanden in Italien massive polizeiliche Mabnahmen, aber auch „Vergeltungsaktionen“ von aufgehetzten Teilen bzw. Rändern der Gesellschaft gegen Einwanderer aus Rumänien statt. Voraus ging die Ermordung einer italienischen Hausfrau durch einen Kriminellen, der sich als ein Rom aus Rumänien herausstellte. Nach dem Prinzip der (grundsätzlich rechtsstaatswidrigen) Kollektivhaftung vorgehend, kündigte die italienische Mitte-Links-Regierung die Abschiebung aller sich illegal in Italien aufhaltenden Rumänen – trotz neu errungener EU-Staatsbürgerschaft benötigen diese ab einer Dauer von drei Monaten einen gültigen Aufenthaltstitel und –grund – und den Abbau der von rumänischen Roma errichteten Barackenlager an. (Der linke Flügel der Regierungskoalition protestiert dagegen, die politische Rechte schreit nach noch härterem Vorgehen.) Bei rassistisch grundierten Ausschreitungen wurde zudem ein rumänisches Lebensmittelgeschäft vollständig ausgebrannt. 

Die EP-Abgeordnete Alessandra Mussolini äuberte sich daraufhin generell abschätzig über rumänische Immigranten in Italien, und forderte gar den sofortigen Abzug des rumänischen Botschafters aus der Hauptstadt Rom. Woraufhin wiederum die vor Wut fauchenden und schnaubenden Parlamentarier der „Grobrumänienpartei“ sich schützend vor ihre beleidigten Landsleute stellten. Oder, präziser: Die rumänischen Ultranationalisten haben zwar nichts dagegen, gegen die Roma-Minderheit zu hetzen, was sie selbst eifrig tun – diese Bevölkerungsgruppe ist in Rumänien rassistischen Attacken, Diskriminierungen aller Art und räumlicher Ghettoisierung ausgesetzt - , wollen Letztere aber deutlich von sonstigen bzw. „echten“ Rumänen unterschieden wissen. Diesen Unterschied bei ihren Angriffen nicht aufgemacht zu haben, werfen sie der Duce-Enkelin und EP-Abgeordneten heftig vor. In einer E-Mail-Aussendung vom 8. November an alle per Mailadresse registrierten SympathisantInnen der „ITS“-Fraktion kündigten die Grob(kotz)rumänen ihren Auszug an. 

Ironie der Geschichte: Eine frühere rechtsextreme Fraktion im damaligen EP, während der Sitzungsperiode in den Jahren 1989 bis 1994, war u.a. deswegen zerfallen, weil die Italiener des damaligen MSI (gemeinsamer Vorläufer der heutigen „moderaten“ bzw. rechtskonservativen Alleanza Nazionale, und der traditionsfaschistischen Splitterparteien um Alessandra Mussolini sowie den MSi-Fiamma Tricolore) sich nicht strafff genug zur „Einwanderungsfrage“ positionieren mochten. Einen ersten Streit mit den MSi-Abgeodneten hatte das Pochen der damaligen Europaparlamentarier der REPs unter Franz Schönhuber auf den „deutschen Charakter Südtirols“ ausgelöst. Die französischen FN-Abgeordneten näherten sich alsbald an die (west)deutschen REPs an, da sie stärkere Gemeinsamkeiten mit ihnen zur „Einwanderungsproblematik“ aufwiesen. Der damalige MSI war seinerzeit vor allem in Süditalien verankert, und dieses begriff sich noch eher als Auswanderungs- denn als Einwanderungsgesellschaft. Die rassistischen Positionen zur Immigration waren für diese Partei deswegen nicht so ernstrangig wie für den Front National oder die REPs. Die gemeinsame Fraktion flog auseinander, der Status ging flöten. 1994 konnten die REPs nicht wieder ins EP einziehen, später wurden sie für den französischen FN uninteressant, NPD und DVU waren wichtigere Partner. Geändert hat sich aber vor allem, dass Italien, auch Süditalien, inzwischen selbst zur Einwanderungs-, Durchwanderungs- und Aufnahmegesellschaft geworden ist. Mit den entsprechenden Konsequenzen auf die Positionen der extremen Rechten. 

Und hier nun die allerneueste Entwicklung: Alessandra Mussolini verlässt jetzt die rechtsextreme EP-Fraktion, nach den Angriffen rumänischer Abgeordneter auf ihre Person. Die  « Grobrumänienpartei » (PRM) unter ihrem Chef Vadim Tudor (einem früheren Hofdichter unter dem national-stalinistischen Diktator Nicolae Ceaucescu, der jetzt zu einer Mischung aus Antikopmmunismus, Rassismus und Chauvinismus plus einer gewissen Nostalgie gegenüber der früher herrschenden « Ordnung » konvertiert ist) hatte an EP-Präsident Hans-Gerd Pöttering geschrieben, um die « Sprachrohre der Fremdenfeindlichkeit » innerhalb der gemeinsamen Fraktion zu denunzieren. Jetzt giftet Alessandra Mussolini in ihrem Austrittssschreiben u.a. zurück: « Es ist nicht Vadem Tudors Problem, sondern unser Problem, wenn sich Hunderte von Rumäninnen auf  Italienischen Trottoirs prostitutieren.”


Wird der Schritt Alessandra Mussolinis jetzt doch noch die rechtsextreme EP-Fraktion retten? Abwarten… !  

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Editorische Anmerkungen

Dieser Artikel wurde uns vom Autor zur Veröffentlichung am 13.11.07  gegeben.