Datenschutz  auch für Tote?
Wie ein zweitklassiger Filmemacher das Intimste seiner toten Mutter an die Öffentlichkeit bringt und voyeuristische Kinogänger sich daran erfreuen


von Peter Nowak

11/08

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Nein, BildzeitungsleserInnen dürften im Berliner Programmkino Movimiento eher in der Minderheit sein. Doch im  Voyeurismus stehen sie dem Blatt mit den großen Schlagzeilen nicht nach. Seit einigen Wochen   läuft dort sein Film mit dem Titel:

„7 Mulden und eine Leiche“.

Die Leiche ist die Mutter von    Thomas Hämmerli, eines Mannes, der sich Filmemacher nennt, dessen Arbeiten aber bisher kaum jemand    zur Kenntnis genommen hat. Da kam ihm der Tod seiner Mutter gerade recht. Sie lag eine ganze Weile tot in ihrer Wohnung. Der Sohn hatte nun die Idee die Räumung der umfangreichen Habe der Mutter zum Gegenstand eines Filmes zu machen.  Immer mit der Kamera voll Drauf, das ist Hämmerlis Devise. Das gesamte Leben wird vor der Kamera ausgebreitet, selbst intimste  Briefe werden vorgelesen, Rechtsstreitigkeiten zwischen den Eltern müssen ebenfalls vor dem  Fernseher ausgewalzt werden. Der Höhepunkt des Voyeurismus ist ein Plastikpenis, den Hämmerli dümmlich grinsend vor die Kamera hält.

Daneben sieht man immer wieder, wie  Hämmerli und sein Bruder Teile der Wohnungseinrichtung  ihrer Mutter aus dem Fenster in 7 Mulden werfen,   die sie vor dem Fenster aufgebaut haben. Man kann hier gut erkennen, wie abgrundtief sich Mutter und Söhne gehasst haben müssen. Bei jedemWurf eines Gegenstandes in die Mulde kommt ein befriedigendes Grunzen. Die Söhne arbeiten lang aufgestaute Wut an ihrer toten Mutter ab. Das ist schön für sie? Auch sonst äußern sie sich ständig abfällig über das Leben der Toten. So sinnieren sie immer wieder, wie man dort nur leben kann. Dass die Mutter eine lebenslustige Frau war, die bis zum Schluss durch die Welt reiste und eben kein besonderes Interesse an einer Haushaltsführung hatte, erfährt man nur am Rande. Eigentlich ist der Film die Abrechnung eines Sohnes mit seiner Mutter. Das mag seine Berechtigung haben.

Aber warum belästigen sie damit das Publikum und machen einen Film?

Ist ihnen der Drang, endlich auch in der Kunst- und Filmwelt wahrgenommen zu werden, die massive Verletzung der Intim- und Privatsphäre einer toten Frau Wert? Diese Frau aus dem oberen Bürgertum, viel auf Reisen und mit einigen prominenten Personen der Zeitgeschichte bekannt, wird nach ihrem Tod vor die Kamera gezerrt,  ihre intimsten Dinge werden einer voyeuristischen Öffentlichkeit vorgeworfen? Gibt  es keine gesetzliche Handhabe, um eine solche Verletzung der Privat- und Intimsphäre eines Menschen zu stoppen. Diese Frage müsste sich auch über den Film hinaus stellen?

Denn er ist nur ein Symptom für einen Voyeurismus, der  keine Grenzen mehr kennt.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis massenhaft weitere Filmchen über tote Angehörige ins Netz gestellt werden. In einer Zeit, wo Menschen ihre intimsten Geheimnisse via Internet aller Welt zur Schau stellen, wo sogar Webcams  in Toiletten und Schlafzimmern keine Seltenheit sind, hat man wohl auch vor der Privatsphäre von Angehörigen keine Respekt.

Die Anmerkungen in der Film-Homepage, die bezeichnenderweise  http://www.messiemother.com/  heißt zeigen, dass viele  die Verletzung dieser Privatsphäre  gar nicht mehr bemerken. Statt dessen wird über Messies schwadroniert.       Doch mag die Wohnung der toten Frau auch unaufgeräumt gewesen sein, eine Messie-Wohnung war es gerade nicht. Das ist nur der Versuch, in einen Diskurs zu stellen und damit das Interesse zu erhöhen.

Dabei wäre es angebracht, statt über das nicht existierende Messie-Dasein der Mutter über die verkoksten Kinderheitserlebnisse des Filmemachers zu unterhalten. Dann hätte er nicht eine Tote ohne deren Wissen an die Öffentlichkeit stellen müssen.  

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seine Filmkritik für diese Ausgabe zur Verfügung.


Thomas Hämmerli, Dokumentarfilm, 2007, CH, 83 Min.