Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Blut, Scheiß und Tränen

11/08

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IM NAMEN DER KRISE bekämpft Nicolas Sarkozy den befürchteten Anstieg der Massenarbeitslosigkeit - mit einem neuen Bündel von Maßnahmen. Dieses enthält jedoch vor allem Altbekanntes: Befristete (also prekäre) Arbeitsverträge, Sonntagsarbeit, Druck auf Arbeitslose.

Ansprache in der Weißwurst-Hauptstadt (nein, nicht München)

Nicht unbedingt in diese Worte fasste Nicolas Sarkozy seine Botschaft, als er sich am vergangenen Dienstag (28. Oktober) an ein Publikum im nordostfranzösischen 9.000 -Einwohner-Städtchen Rethel wandte. Allein, der Sinn war so unterschiedlich nicht.

Rethel, bekannt als „europäische Hauptstadt des Boudin blanc (eine Art Weißwurst, nur außerhalb Bayerns)“, ist ein eher von Landwirtschaft und Gastronomie geprägtes Städtchen, am Fuße des Mittelgebirges der Ardennen und unweit des Flüsschen Aisne. Es könnte dabei bewenden bleiben, dass man die malerische Landschaft und die gute Küche erwähnt. Aber es liegt inmitten der Krisezone der nordostfranzösischen Ardennen-Region, die vom Abwandern früher dort ansässiger Industrien (Textil- u. Stahlindustrie v.a.) und einer für französische Verhältnisse überdurchschnittlich hohen Massenarbeitslosigkeit geprägt ist. Je näher man von hier aus an die belgische Grenze rückt, desto trister wird die ökonomische und soziale Situation. In den Tälern der Ardennen war es etwa, wo im Sommer 2000 soziale Verzweiflungskämpfe im Angesicht von drohenden Entlassungsplänen stattfanden: Bekannt wurde der Abwehrkampf der Arbeiter in der Textilfabrik Cellatex, die – mit dem Rücken zur Wand – damit drohten, Chemikalien aus „ihrer“ Firma in das örtliche Flüsschen zu kippen, um mittels der dadurch ausgelösten (Öko-)Katastrophe die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie erhielten schließlich, im Rahmen des „Sozialplans“, die von ihnen geforderten Abfindungszahlungen.

Nicolas Sarkozy sprach nicht zum ersten Mal in dieser Krisenregion, die er nun am Dienstag dieser Woche ausgesucht hatte, um seinen Krisenplan gegen den z.Zt. befürchteten rapiden Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verkünden.

RÜCKBLICK: Nicolas Sarkozys Auftritte „bei den Arbeitern“ –
Eine Vorliebe für die Ardennen-Region, wenn es um folgenschwere Ankündigungen geht


Schon im Dezember 2006, in der Woche vor den Weihnachtstagen, trat Nicolas Sarkozy in der Region auf. Damals als Wahlkämpfer, aber auch amtierender konservativer Innenminister, hielt Nicolas Sarkozy eine Rede „vor Arbeitern“ in Bogny-sur-Meuse. Dieses Städtchen an der Maas liegt in der Nachbarschaft von Rethel.

Anlässlich dieses Auftritts enthüllte der damalige Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy zwei wesentliche Schlagworte seines Wahlkampfs: einerseits das Beschwören der „nationalen Identität“ (als Schutzwall auch gegen ökonomische Bedrohungen), andererseits das Versprechen zusätzlichen Verdiensts durch Mehrarbeit und durch das Ableisten von Überstunden. Letzteres wurde unter das berühmt gewordene Motto ‚Travailler plus pour gagner plus’ (Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen)-gestellt. In der Praxis wurde daraus inzwischen oftmals ‚Travailler plus pour travailler plus’ (Mehr arbeiten, um mehr zu arbeiten). Zum o.g. ersten Punkt führte Nicolas Sarkozy damals, am 18. Dezember 2006, aus: „Wir sind nicht zum Verlust unserer nationalen Identität verurteilt. Wir sind nicht zum Abwandern unserer Industrien, unserer Arbeitsplätze verurteilt.“ Inzwischen gibt es in Frankreich ein Ministerium, das (seit Mai 2007) die „nationale Identität“ in seinem Namen trägt. Es handelt sich um das berüchtigte „Ministerium für Einwanderung, Integration, nationale Identität und Entwicklungszusammenarbeit“, dessen Amtsinhaber derzeit Brice Hortefeux ist. Es befasst sich allerdings nicht mit dem Kampf gegen die Vernichtung von Arbeitsplätzen, sondern überwiegend mit der Bekämpfung von „illegalen Einwanderern“, ansonsten auch mit Staatsbürgerschafts-, Aufenthaltsrechts-- und ähnlichen Fragen. Sprich, zum Trost für die Arbeitslosen gibt’s den Rausschmiss von ein paar Zehntausend „illegal“ sich in Frankreich Aufhaltenden, also ‚Travailleurs sans papiers’ (papierlosen Arbeoter/inn/n), der dann regelmäßig vor laufenden Kameras zelebriert und im Fernsehen übertragen wird.

Die liberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ hatte die geniale Idee, anlässlich der neuerlichen Visite Nicolas Sarkozys in der Region mal am Ort seines damaligen Auftritts – also in Bogny-sur-Meuse – nachzufragen, wie denn die Rede des jetzigen Präsidenten „von damals“ aufgenommen wurde und nachträglich in Erinnerung geblieben ist. Die Reportage erschien in ihrer Ausgabe vom 28. Oktober unter dem Titel ‚Cause toujours’ (= „Red’ Du nur“) und ist in mancherlei Hinsicht erhellend.

Einerseits demystifiziert der Bericht nachträglich den Auftritt des Wahlkämpfers Sarkozy, der den Beginn seiner angeblichen „Hinwendung zum Sozialen“ (nach Jahren, in denen er eher als Fackelträger des Neoliberalismus aufgetreten war und in der Wirtschaftspolitik oft von Rechts gegen das regierende Chirac-Lager – innerparteilich – opponiert hatte) markierte. Im Rückblick geht es vor allem um Sarkozys Besuch im Stahlwerk ‚Les Atelirs des Janves’ im Tal der Maas, in Bogny-sur-Meuse. Ein Auszug aus der Reportage: „<Die Burschen, vor denen Sarkozy damals gesprochen hat, waren durch die Direktion ausgewählt worden>, erzählen die Arbeiter, die damals anwesend waren. <Die (Betriebs-)Verwaltung hatte die Orte ausgewählt, wo Sarkozy stehen bleiben sollte, um mit den Arbeitern zu diskutieren. Es handelte sich um sehr brave Burschen. Auf der Empore hatten sie Arbeiter genommen, die nicht zu groß waren (ANMERKUNG: eine durchsichtige Anspielung auf die Körpergröße Sarkozys, der in dieser Hinsicht einen gewissen Komplex hat). Vorne (vor der Rednertribüne) hatten sie diejenigen platziert, die der politischen Rechten am nächsten standen. In Wirklichkeit fiel die Mehrheit der Burschen nicht darauf herein. Kaum ein Drittel der Anwesenden hat applaudiert. Aber die Kameras vermittelten den Eindruck, als herrsche eine wahre Euphorie.>“ (Zitatende)

Auch kommt der Inhaber einer Kneipe in Bogny-sur-Seine zu Wort, der die ganze Region kennt und seine Pappenheimer sowieso: „Sarkozy, das war eine Maskerade, ein Theater! Die Leute von hier haben nie daran geglaubt. Er hat nicht mit den Stimmen der Arbeiter gewonnen, sondern mit den Stimmen der Wähler des (rechtsextremen) Front National.“ Diese Beobachtung deckt sich auch mit sonstigen, überregionalen Analysen, wonach es Sarkozy gelungen war, dem rechtsextremen FN mindestens eine Million Wähler direkt zu seinen Gunsten abzuwerben. Allerdings gab, oder gibt es zum Teil noch immer, jedenfalls in manchen Regionen durchaus eine Schnittmenge zwischen „Arbeiter-“ und „FN-Wählerschaft“: Seit den 1990er Jahren war der extremen Rechten der Einbruch in ein Segment der Arbeiterwählerschaft, die früher einmal links gewählt hatte, gelungen. Auch in Bogny-sur-Seine, wo Jean-Marie Le Pen im ersten Wahlgang 2007 noch immer 22 % der Stimmen erhielt (gegenüber gut 10 % frankreichweit), trotz landesweiten Rückgangs seines Stimmenanteils gegenüber früheren Jahren, im Vergleich zu 25 % für die rechte Sozialdemokratin Ségolène Royal und nur 19 % für Sarkozy. Auch nach seinem Besuch hatte der konservative Kandidat und jetzige Präsident vor Ort nicht so richtig zu überzeugen vermocht, in der Stichwahl erhielt er dann gut 43 % gegenüber rund 56 % für Royal.

Und noch zu den späteren Entwicklungen: Aus der, in Teilen der Lohnabhängigenschaft doch anfänglich ziemlich verbreiteten, Hoffnung auf <Travailler plus pour gagner plus> (die Vergütung von Überstunden steht, dank der damit verbundenen Lohnzuschläge, im Kern von Sarkozys Pseudo-Philosophie des <Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen>) ist auch in dieser Region nicht viel geworden. Auch wenn es in jüngster Zeit, wie überall, einen verstärkten Rückgriff der Arbeitgeber auf Überstunden gegeben zu haben scheint: Aufgrund der Verlangsamung der Produktion seit einem Jahr (während die Krise sich ankündigte, was Binnenkonsum und Konjunktur drosselte) werden die vorhandenen Arbeitskräfte mittels Überstunden „besser genutzt“, um hauptsächlich das Reservoir an Zeitarbeitskräften abzubauen. Vor allem Letzteres dient in der Krise als „Puffer“, um die Folgen der abflauenden Konjunktur aufzufangen: Im zweiten Vierteljahr 2008 stieg frankreichweit die Anzahl der Überstunden um 6 %, hingegen nahm die Zahl der beschäftigten „Zeitarbeiter/innen“ um -8,5 % ab (Quelle: ‚Libération’ vom 31. Oktober). Aber diese Auffangmaßnahme für die Krise kommt bei den Lohnabhängen, denen sie durch Sarkozy seit dem Winter 2006/07 als „tolle Gelegenheit, (durch Überstunden) mehr Geld zu verdienen“ verkauft worden ist, vielerorten doch nicht so gut an. In der Praxis hat die Sache nämlich so ihre Tücken: Ein Jahr lang ordneten die Arbeitgeber aus Sicht vieler Lohnabhängiger (die bei der Sache mitmachen wollten, um am Monatsende mehr Geld mit nach Hause zu nehmen) viel zu wenig Überstunden an – und über das Ableisten von Überstunden entscheidet noch immer der Betrieb, nicht „der einzelne Arbeitnehmer“. Und jetzt, wo die Überstunden die zügig abgebauten „Zeitarbeitskräfte“ ersetzen sollen, sind es nun plötzlich viel zu viele Überstunden auf einmal.

Dazu noch einmal die Reportage: „In der Stahlfabrik (von Bogny—sur-Meuse) haben die Arbeiter gewartet. Vergeblich. Im Juni d.J. hat ihr Patron, Jean-Michel-Lesire, von ihnen verlangt, dass sie Überstunden ableisten. Die Mehrheit der Arbeiter hat die Überstunden verweigert (....). <Wir sind keine Faulenzer>, verteidigt sich (der Arbeiter) Norbert Malicet. <Es liegt in der Mentalität dieser Region, hart zu arbeiten. Als wir damals (Anm.: rund um das Jahr 2000, wie ganz Frankreich) von der 39- zur 35-Stunden-Woche übergangen sind, haben wir dieselbe Produktion (Anm.: dieselbe quantitative Vorgabe pro Arbeitskraft) beibehalten. Aber im Stahlwerk sind Sie total kaputt, wenn Sie sieben Stunden abgeleistet haben. Im Juli ist es ein Backofen, hinter den Hochöfen herrschen Temperaturen von 60 Grad.> Eric Leroy hat einen Monat lang die Überstunden ausprobiert: <Um es mit der Organisierung einfach zu haben, schrieb die Direktion den Nachtschichtarbeitern vor, zwei Stunden mehr (pro Nacht) zu arbeiten. Statt um drei Uhr früh hörten wir um fünf Uhr früh auf. Wir arbeiteten von 20 bis 5 Uhr durch. Hat Sarkozy eine Ahnung davon, wie es sich anfühlt, wenn man am Morgen aufsteht und überall Schmerzen hat, im Rücken und an den Gelenken?“

Aus anderen Sektoren hört man im Nachhinein nicht unbedingt viel Besseres über <Travailler plus pour gagner plus>. Auch wenn es sich nicht überall um derart intensive körperliche Knochenarbeit handelt wie in Bogny-sur-Meuse...

Die Ankündigungen vom vergangenen Dienstag: Altbekanntes...


Um aktuellen Befürchtungen eines stärkeren Anstiegs der Arbeitslosen zu entgegnen, legte Sarkozy am Dienstag dieser Woche anlässlich seines Besuchs in Rethel einen Maßnahmenkatalog vor. Dadurch wollte er auch der für die nächsten Tage erwarteten Ankündigungen „schlechter“ Arbeitslosen-Statistiken für den Monat September 2008 zuvorkommen. Allein im August war zuvor die Arbeitslosenzahl um über 41.000 auf einmal nach oben geschnellt, bei einer Gesamtzeahl von rund 1,96 Millionen registierten Erwerbslosen. (Tatsächlich wurden am 30. Oktober die Septemberzahlen verkündet. Sie fallen nicht so dramatisch schlecht aus wie vielfach erwartet, sondern verzeichnen „nur“ 8.000 zusätzliche Arbeitslose im Monat September. Allerdings hat die Regierung, die zuvor die von ihren sozialdemokratischen Amtsvorgängern genutzten ABM-Maßnahmen stark reduziert hatte – laut Konservativ-Liberalen liegt es „am Markt und nicht am Staat, Erwerbslose wieder in Lohn & Brot zu bringen“ -, die ABM-Politik wieder still und heimlich hochgefahren. Allein im September 2008 wurden gegenüber August zusätzliche 14.000 ABM-Stellen besetzt. Dadurch konnten sicherlich einige Arbeitslose erfolgreich „versteckt“ werden und fielen aus der Statistik.)

Besonders die Zeitarbeitsbranche baut derzeit rapide Personal ab, und beschäftigte Ende August 11 Prozent weniger Personen als zu Anfang dieses Jahres: 653.000 Lohabhängige gegenüber 733.000 zuvor. In der ersten Oktoberhälfte 2008 lag der Rückgang bei 12 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum, aber bei 15 bis 20 % im Baugewerbe (Angaben lt. einem Artikel in ‚Le Monde’ vom 28. Oktober 08). Vielerorts werden die „Zeitarbeitskräfte“, die als „Konjunkturpuffer“ dienen, nun durch den Rückgriff auf Überstunden für das Stammpersonal ersetzt (vgl. den KASTEN oben). Unterdessen verlangsamt sich auch andernorts die Produktion, deswegen auch der Rückgang bei der Nachfrage nach Arbeitskräften. Automobilwerke, wie die von Renault, haben auf Kurzarbeit umgestellt oder sind für mehrere Wochen geschlossen worden. In Sandouville in der Normandie sollen gar 1.000 von insgesamt rund 3.500 Lohnabhängigen am „Standort“ von Renault entlassen worden, weil das neue Fahrzeug des Autombilbauers – „Laguna“ – sich schlecht verkauft. Dagegen fanden massive Proteste statt, ein Besuch Nicolas Sarkozys in der Fabrik Anfang Oktober musste vorzeitig abgebrochen werden.

Das neue Maßnahmenpaket soll also den befürchteten massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit kontern helfen. Allerdings schlug Sarkozy am vergangenen Dienstag, aus Anlass seines Auftritts in den Ardennen, weitestgehend nur die Umsetzung solcher Vorhaben vor, die er schon zu Zeiten seines Wahlkampfs angekündigt hatte. Eines davon klingt, beim ersten Anhören, erst einmal ganz gut: Erwerbslose sollen ein höheres Arbeitslosengeld, aber für eine kürzere Dauer als bisher erhalten. Anvisiert sind 80 Prozent des letzten Gehalts während eines Jahres, das ist ein deutlich höheres Arbeitslosengeld als ansonsten üblich. So sieht es der ‚Contrat de transition professionnelle’ (CTP, Berufliche Übergangs-Vertrag) vor. Er soll allerdings nur den Opfern betriebsbedingter Kündigungen infolge von (kollektiven) Entlassungsplänen offen stehen, das wären derzeit rund fünf Prozent der offiziell registrierten Erwerbslosen. Denn die übrigen wurden aufgrund von - mitunter vorgeschobenen - „personenbedingten Gründe“ entlassen, wurden einzeln „betriebesbedingt“ gekündigt, oder aber wurden schlicht deswegen arbeitslos, weil ihr Zeitarbeits- oder befristeter Arbeitvertrag auslief o.Ä.

Gleichzeitig soll aber im Rahmen des CTP der Druck auf die Arbeitslosen, möglichst jeden Job (zu fast egal welchen Bedingungen) anzunehmen, stark erhöht werden. Zukünftig wird es dafür monatliche Vorladungen zu den SachbearbeiterInnen geben. Dadurch soll Erwerbslosen zwar garantiert werden, dass sie besser beraten werden, aber zugleich wächst der Druck auf sie. Die Idee als solche ist alles anders als neu, sondern Sarkozy hatte sie bereits während des Wahlkampfs Anfang 2007 vorgetragen. Zwischenzeitlich war die neue Regelung an sieben Orten in Frankreich „probeweise“ eingeführt worden, um ihre Wirkung zu setzen; die geplante Ausweitung des Tests auf insgesamt 22 Standorte hatte die Regierung noch vor wenigen Monaten gecancelt. Aber die Zuspitzung der Krise erscheint als günstiger Zeitpunkt, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Allerdings gilt der CTP in Kreisen des konservativ-liberalen Regierungslagers oft als „zu teuer“. In Wirklichkeit ist er wahrscheinlich auch nur der – oberflächlich ganz hübsch wirkende – Aufhänger, um den generellen Plan einer Erhöhung des Drucks auf Arbeitslose (monatliche Vorladungen, „bessere Betreuung“, was Alles auch eine stärkere Überwachung bei der Jobsuche bedeutet..) zu rechtfertigen und um ihn besser zu verkaufen. Letzter resultiert schon allein aus der „Reform“ der Arbeitslosenversicherung, in Gestalt der anlaufenden Fusion aus den – in Frankreich bisher getrennten – staatlichen Arbeitsämtern (ANPE) und den bislang paritätisch durch Repräsentanten der so genannten „Sozialpartner“ (Gewerkschaftsdachverbände und Arbeitgeberverbände) verwalteten Arbeitslosengeldkassen UNEDIC/ASSEDIO.

…im Windschatten der Krise: Sonntagsarbeit, Zeitverträge, ABM

Zusätzlich kündigte Sarkozy weitere Maßnahmen an, die von ihm als Beitrag zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit verkauft werden, aber schon seit längerem in den Schubladen der Regierenden schlummerten oder Bestandteil des Forderungskatalogs von Arbeitgeberverbände waren. Kurz, es wurden im Wesentlichen – pardon – die alten Scheißpläne hervorgezogen. In gewisser Weise stehen sie, was etwa die Sonntagsarbeit betrifft, in geradliniger Fortsetzung des alten Versprechens <Travailler plus pour gagner plus> (Sarkozys berüchtigtes „Mehr arbeiten um mehr zu verdienen“). Denn durch mit solchen Arbeitsformen verbundenen (oder noch verbundenen?) Lohn- u. Gehaltszuschläge sollen die Lohnabhängigen

Und die s künftig besser über die Runden kommen können. „Trotz Krise“. Nun aber zu den angekündigten Maßnahmen im Einzelnen.

Dazu zählen eine starke Ausweitung der gesetzlich zulässigen Sonntagsarbeit, die Sarkozy seit Jahren gefordert hatte, und des erlaubten Rückgriffs auf Zeitverträge. Was den verstärkten Rückgriff auf Sonntagsarbeit betrifft, so war die bestehende gesetzliche Regelung bereits im November/Dezember 2007 für die Sparte der Möbelgeschäfte (deren Inhaber sich darauf beriefen, vor allem an Wochenendtagen gut zu verkaufen) gelockert worden. Präsident Sarkozy und Arbeits- & Sozialminister Xavier Bertrand möchten aber erheblich weiter gehen, und die generelle Freigabe der Sonntagsarbeit für Lohnabhängige „auf freiwilliger Basis“ ab 2009 anstreben. Passend dazu publizierte etwa die Sonntagsausgabe der Boulevardzeitung ‚Le Parisien’ Anfang Oktober 2008 eine Titelstory, die im Kampagnenstil die Vorzüge der Sonntagsarbeit beschrieb. Demnach soll eine knappe Mehrheit der Französinnen und Franzosen, rund 50 %, dafür sein. Neben dem Text stand ein halbes Dutzend Kurzinterviews im Rahmen einer Blitzumfrage (‚Micro-trottoir’), wobei die Kommentare der Befragten ausnahmslos positiv zur Sonntagsrarbeit ausfielen, wenn auch mit einigen Nuancen. Allerdings, kein Wunder: Die Umfrage war just gezielt unter Personen durchgeführt worden, die gerade dabei waren, am Sonntag einzukaufen. Sie wurden nach den Vorzügen der Öffnung der Geschäfte aus ihrer Sicht befragt... (Vgl. zu Sarkozys Plänen und ihrer Rechtfertigung auch: http://desourcesure.com/ )

Der Abschluss zeitlich befristeter Arbeitsverträge, französisch CDD, soll nach dem Willen Präsident Sarkozys zukünftig grundsätzlich möglich sein, während sie bislang nur bei Vorliegen bestimmter Rechtfertigungsgründe zulässig waren. So waren bislang als Rechtfertigung für den Rückgriff auf befristete Verträge nur „außer der Reihe liegende Konjunkturschwankungen“ zulässig, nicht jedoch (vorhersehbare) „zyklische Produktionsschwankungen“. Sarkozy möchte diese rechtliche Bindung der Zulässigkeit von befristeten Arbeitsverträgen an bestimmte Motive gerne aufweichen oder aufheben.

Angeblich trägt all dies zum Abbau einer Massenerwerbslosigkeit, deren starkes Anwachsen für die nächste Zeit befürchtet wird, bei. In Wirklichkeit dürfte es sich allerdings (im Gegenteil) so verhalten, dass diese Maßnahmen es den Unternehmen erlauben, „vorhandene“, also bereits von ihnen eingestellte Arbeitskräfte besser und intensiver zu „nutzen“. Sei es durch die Aufhebung bisheriger Beschränkungen der Wochenarbeitszeit - an Sonn- und Feiertagen -, sei es durch erhöhten Druck auf die Arbeitskräfte durch „Prekarisierung“ ihres Beschäftigungsverhältnisses.

Ferner wird der Staat in naher Zukunft 330.000 ABM-Maßnahmen, also Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der öffentlichen Hand, finanzieren. Bislang waren es, nach aktuellem Stand, 230.000 jährlich. Sarkozy erfindet also an dieser Stelle nichts Neues hinzu, sondern fügt nur den vorhandenen ABM-Stellen weitere hunderttausend hinzu. Bereits im Juli hatte die Regierung klammheimlich 60.000 zusätzliche ABM-Verträge neu aufgelegt, nachdem sie sich zuvor stark um ihren Abbau bemüht hatte (weshalb ihre Anzahl in den ersten acht Jahresmonaten 2008 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 67.000 sank). Dies hat allem Anschein nach auch den befürchteten Anstieg der Massenarbeitslosigkeit im August und September dieses Jahres gedämpft (vgl. dazu ‚Libération’ vom 31. Oktober). Allerdings stellt diese Maßnahme einen Bruch mit bisherigen Positionen eines Großteils der regierenden Rechten dar. Denn die französischen Konservativ-Liberalen spotteten noch bis vor kurzem über die „sozialpolitische Verwaltung der Arbeitslosigkeit“ in Gestalt von ABM-Maßnahmen, solange sozialdemokratische Regierungen dafür verantwortlich waren. In ihren Augen lag es nämlich allein „am Markt“, zusätzliche Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, hingegen solle die öffentliche Hand sich tunlichst heraushalten. Nunmehr scheint ihr Glaube an „den Markt“ und seine „Selbstheilungskräfte“, die sich zumindest auf dem Finanzsektor in jüngster Zeit gründlich blamiert haben, jedoch teilweise erschüttert zu sein.

Allein am letztgenannten Punkt sind die neuen Maßnahmen, die Sarkozy ankündigte, tendenziell „sozialdemokratisch“ respektive sozialstaats-technokratisch inspiriert. An den anderen Punkten setzen sie die bisher verfolgte, strikt wirtschaftsliberale Linie fort: Während das Wort „Regulation“ infolge der Finanzkrise zur Zeit in aller Munde ist und zum neuen Modebegriff zu werden scheint, geht es darum, bestehende „Reglementierungen“ abzuschaffen. Jedenfalls solange sie dem Schutz der abhängig Beschäftigten vor „Überausbeutung“ dienen.

Und die sozialen Widerstände dagegen...?

Unterdessen erklärt sich die Stärke des Regierungslagers derzeit vor allem aus der Schwäche oder Zahnlosigkeit der parlamentarischen Opposition, sowie der wichtigsten Gewerkschaften. Die größte Oppositionspartei, die der französischen „Sozialisten“, bereitet sich auf einen Parteitag Mitte November vor, auf dem über die Nachfolge des ausscheidenden Parteivorsitzenden François Hollande entschieden werden soll. Im Vorfeld zeigt sich die Partei auf das Heftigste zerstritten, wobei aber nicht um Ideen und Konzepte gerungen - sondern überwiegend über Personen, über deren Ambitionen und Ansprüche gestritten wird.

Zwar fürchtet die französische Sozialdemokratie ihre Konkurrenz zu ihrer Linken, wobei die französische Linksalternative zu den Sozialisten wesentlich weiter links steht, als „Die Linke“ (in Parteiform) in Deutschland. Aber die radikale Linke unter Olivier Besancenot befindet sich derzeit im Umbruch: Die trotzkistische LCR - Ligue Communiste Révolutionnaire -, deren recht beliebte Galionsfigur der 34jährige Postgewerkschafter und frühere Präsidentschaftskandidat Besancenot ist, plant ihre Auflösung zu Anfang Januar des kommenden Jahres. Danach möchten ihre bisherigen Mitglieder in einer breiteren, undogmatischen „Neuen Antikapitalistischen Partei“ (NPA, Nouveau parti anticapialiste) aufgehen. Deren Gründung befindet sich aber erst noch in Vorbereitung, und was bei dem Prozess herauskommt, ist bislang noch unbekannt.

Und die Französische kommunistische Partei (PCF), eingekeilt zwischen der Sozialdemokratie und den radikaleren Linkskräften in Gestalt der Anhänger Besancenots, ist kopf- und orientierungslos. Auch ihre Führung wird im Dezember neu gewählt, nachdem die bisherige Parteichefin und frühere Jugend- und Sportministerin Marie-George Buffet durch ihre schwere Wahlniederlage von 2007 (nur noch 1,9 Prozent für die einst stärkste Partei Frankreichs) weiterhin schwer angeschlagen ist. Unterdessen bildet ihre bleibende Regierungsorientierung und strategische Ausrichtung auf das (spätere) Bündnis mit der Sozialdemokratie nach wie vor ein wichtiges Problem bei dieser Partei. Es wirkt sich grundsätzlich lähmend auf ihre Aktivitäten aus - bloß keine Radikalisierung, d.h. keine „Alleingänge“ ohne die Sozialdemokratie. Allerdings unternahm die Partei vorübergehend einen zwar nicht „strategischen“, aber taktisch motivierten, kurzfristigen Alleingang, indem sie auf der <Fête de l’Humanité> (dem alljährlichen Pressefest ihrer früheren Partei- und jetzt noch „parteinahen“ Tageszeitung) Mitte September 2008 zu einem Protestmarsch „für unsere Löhne“ und gegen die herrschende Verteilungsungerechtigkeit aufrief. Dieser fand dann 14 Tage später, am 27. September dieses Jahres, auch statt. Allerdings zog die schlappe, müde Demo - bei schönstem Sonnenscheinwetter quer durch Paris - kaum 5.000 Leute zu einem solchen, (doch im Prinzip die gesellschaftliche Allgemeinheit überaus interessierenden) Thema an. Hatte doch die KP völlig alleine zu ihr aufgerufen, ohne Unterstützung von Seiten bspw. der Gewerkschaften (nicht einmal der früher strategisch von ihr abhängigen und sehr eng von ihr kontrollierten CGT, deren Apparat sich längst von ihr ab- und der Sozialdemokratie zuzuwenden begonnen hat) und ohne jegliches Bündnis mit anderen Linkskräften. Kurz, es ging ihr um oberflächliche, „parteiegoistische“ Profilierungssuche - die freilich gründlich daneben ging.

Auch bei den Gewerkschaften zeigt man sich im Augenblick eher außerstande, effektiven Protest zu organisieren, auch wenn man sich global eher unzufrieden mit den „Krisenlösungs“vorschlägen von Nicolas Sarkozy zeigt, die, so bspw. CGT-Generalsekretär Bernard Thibault, „nicht auf der Höhe der Krise“, also nicht angemessen seien. (Vgl. http://www.developpementdurablelejournal.com) Am 3. Dezember dieses Jahres finden frankreichweit die so genannten „Sozialwahlen“ statt: Dann wählen rund 15 Millionen abhängig Beschäftigten im Lande, und ihre Arbeitgeber, die mit Laienrichtern besetzten Arbeitsgerichte (Prud’hommes). Die Gewerkschaftsapparate befinden sich also gewissermaßen „im Wahlkampf“ und sind dadurch abgelenkt. Zudem reagierte zumindest die „sozialpartnerschaftlich“ ausgerichtete, rechtssozialdemokratische CFDT - der zweitstärkste unter den französischen Gewerkschaftsbünden - positiv auf den Aufruf von Premierminister François Fillon „zur nationalen Einheit“. Ihr Generalsekretär, François Fillon, erklärte jedenfalls am 7. Oktober, auch er sei „für die nationale Einheit“ in der Stunde der Krise. Also gegen sozialen Konflikt. Auch wenn dieselbe Gewerkschaft sich diese Woche verärgert zeigte über die Vorladung zu Gesprächen bei Sarkozy über seine Anti-Krisen-Maßnahmen: Man sei „die Allgegenwart des Staatschefs leid“, ließ die CFDT-Führung erklären. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr ) Und auch wenn die Gewerkschaftsspitzen die jüngste Einladung von Präsident Nicolas Sarkozy zu Beratungen in den Elysée-Palast damit quittierten, dass sie sich nun konzertieren möchten, um eventuelle gemeinsame (Protest?-)Schritte ins Auge zu fassen. Schlussendlich muss man sich im Wahlkampf, und sei es zu dem der Gewerkschaft(sführung)en zu den Arbeitsgerichten, ja auch um Profilierung bemühen.

Einstweilen bleibt denjenigen, die sozial begründeten Zorn über Sarkozys Politik verspüren, nur übrig, seine Voodoopuppe mit Nadeln zu durchbohren. Denn deren Verbot hat ein Pariser Gericht ja diese Woche abgelehnt. (vgl. http://www.heise.de/tp/blogs/6/118183 )

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.