Betrieb & Gewerkschaft
Interview zur Streikwelle in Griechenland

von Redaktion www.sozialismus.net

11/08

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In den letzten Wochen fand in Griechenland eine Reihe von Streiks statt. Teuerung, Finanzkrise und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung schaffen das Potenzial für eine Ausweitung der Klassenkämpfe, sagt die trotzkistische Gewerkschaftsaktivistin Aphroditi Brasa im Gespräch mit Eric Wegner.

Wegner: Im letzten Winter gab es in Griechenland eine große Streikbewegung gegen die Rentenversicherungsreform der Regierung. Worum ging es dabei?

Brasa: Die Regierung wollte das Rentenantrittsalter erhöhen, besonders für Frauen. Außerdem sollten Versicherungskassen zusammengelegt werden. Dabei ging es natürlich um eine Angleichung auf die schlechtesten Standards.

Wegner: Kannst du uns etwas über die Bewegung im letzten Winter erzählen?

Brasa: Es gab zwischen November 2007 und Februar 2008 mehrere eintägige Generalstreiks. Die Beschäftigten der E-Werke und der Nationalbank haben länger gestreikt. Der zuständige Minister musste zurücktreten, aber die Regierung hat schließlich ihre Ziele erreicht. Obwohl die Lohnabhängigen zu weiteren Kämpfen bereit gewesen waren, hatten die Führungen der Gewerkschaftsdachverbände GSEE und ADEDY die Streiks abgeblasen. Die Enttäuschung unter den Arbeiter/inne/n war ziemlich groß.

Wegner: Aber jetzt kommt es wieder zu einer Häufung von Streiks. Kannst du uns da Genaueres berichten?

Brasa: Aktuell gibt es beispielsweise einen Arbeitskampf bei Olympic Airways gegen die geplante Privatisierung. Etwa die Hälfte der Belegschaft hat zugestimmt, eine Ablöse zu nehmen und das Unternehmen zu verlassen. Die andere Hälfte kämpft aber weiter. Die Metro-Beschäftigten in Athen kämpfen um ihren Kollektiv-/Tarifvertrag und haben dafür letzte Woche gestreikt. In Thessaloniki gibt es Streiks gegen die im Zuge der Finanzkrise angekündigte Schließung von Fabriken. Vor zwei Wochen gab es im ganzen Land einen Generalstreik gegen die Preiserhöhungen. Gefordert wurde, dass das Geld nicht die Banken bekommen sollen, denen die Regierung 28 Mrd. € in Aussicht gestellt hat, sondern dass es stattdessen Lohnerhöhungen geben soll. Obwohl es im Privatsektor oft schwierig ist, war die Beteiligung am Streik sehr hoch. An den Demonstrationen haben sich auch viele neue Gewerkschaftsbasisorganisationen aus verschiedensten Bereichen beteiligt. Die Stimmung war sehr gut und kämpferisch.

Wegner: Und wie ist die Stimmung generell unter den Lohnabhängigen?

Brasa: Widersprüchlich. Die Enttäuschung von letztem Winter wirkt nach. Die meisten haben keinerlei Hoffnung mehr in die Gewerkschaftsdachverbände. Und viele haben auch Zweifel, ob man überhaupt etwas erreichen kann. Die Gymnasiallehrer/innen haben beispielsweise kürzlich gegen einen Streik gestimmt, weil viele meinen, dass man allein, als einzelne Berufsgruppe, nichts mehr erreichen kann. Immer mehr Lohnabhängige sehen, dass alle gemeinsam kämpfen müssen. Die Unzufriedenheit in der Arbeiter/innen/klasse ist extrem hoch. Es ist für alle offensichtlich, dass für die Banken genug Geld da ist, während es zuvor immer geheißen hatte, dass bei Renten etc. gespart werden muss. Sehr viele Lohnabhängige haben Angst vor der Zukunft; sehr viele haben, etwa für Wohnungen, Kredite aufgenommen und fürchten jetzt die Auswirkungen der Finanzkrise.

Wegner: Was werden Finanz- und Wirtschaftskrise für die Entwicklung der Klassenkämpfe in Griechenland bedeuten?

Brasa: Ich denke, dass es mehr Streiks und Demonstrationen geben wird. Für das Jahr 2009 werden schon jetzt über 100.000 Kündigungen vorausgesagt. Prognosen gehen davon aus, dass etwa 4.000 kleinere Betriebe zusperren werden. Der für Griechenland wichtige Tourismus hat bereits jetzt ein Buchungsminus von 50%. Die Rentenkassen werden große Probleme haben, weil sie viel Geld an den Börsen verspielt haben. Schon jetzt bekommen Tausende keine Auszahlungen. Zusätzlich werden für die Lohnabhängigen auch noch die indirekten Steuern erhöht. Die Wut in der Arbeiter/innen/klasse wird weiter ansteigen. Der Druck der Basis auf die Gewerkschaften wird groß werden. Streiks werden nicht so leicht abzudrehen sein. Die Leute werden nicht so leicht bereit sein, das zu akzeptieren. Das wird aber auch von der Intervention von gewerkschaftlichen Basisorganisationen und der radikalen Linken abhängen.

Wegner: Ich wünsche auch dabei viel Erfolg. Danke für das Gespräch. 

Aphroditi Brasa ist Aktivistin einer gewerkschaftlichen Basisorganisation in Athen und Mitglied der trotzkistischen Organisation OKDE (Organisation der Kommunistischen Internationalisten Griechenlands), die die Zeitung Ergatiki Pali (Arbeiterkampf) herausgibt und die in zahlreichen Betrieben und Gewerkschaften tätig ist. Aphroditi Brasa war kürzlich in Wien, um auf einer Veranstaltung der RSO zu sprechen.

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir von

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Nr. 56, 12.11.2008

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