Daniel Ziethen berichtet für TREND aus Israel

Sozialistische Basisaktivitäten

11/08

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Die Bürgermeisterwahlen in Tel Aviv am 11. November haben einen neuen „social Superhero!“ Nach 10 Jahren Regierungszeit von Ron Huldai, der Tel Aviv in einen Sumpf aus Korruption und sozialen Abstieg verwandelt hat, erscheint ein „Hoffnungsschimmer am Horizont,“ wenn man den diversen Reaktionen in Zeitungen und Blogs in Tel Aviv glauben schenken darf, kurz nachdem Dov Khenin seine Kandidatur bekannt gab.

Dov Khenin ist Mitglied der jüdisch-arabischen Front Hadasch[1], kommt selbst aber aus der kommunistischen Partei Israels. Er ist seit zwei Jahren für diese im israelischen Parlament vertreten und leistet dort beeindruckende Oppositionsarbeit. Bekannt ist er ebenfalls als Rechtsanwalt, der für Refusniks (Militärdienstverweigerer) eintritt.

Nun stehen Wahlen in Tel Aviv an und Dov Khanin wird für die neue, aus etlichen Bürgerinitiativen und GrassrootsaktivistInnen entstandene Front „Ir LeKulanu,“ („Die Stadt für uns“) als Gegenkandidat zu Huldai antreten. Der hat von 1998 bis heute, Tel Aviv patriarchalisch regiert, da er auf eine breite Koalition von allen anderen Parteien bauen konnte, indem er kurzerhand den Gesetzestext soweit änderte, dass fünf Vizebürgermeister ernannt werden konnten. Es gab theoretisch keine Opposition mehr. Teil dieser gekauften Mehrheit war auch „Meretz“, die traditionell stärkste Partei im säkularen Tel Aviv, Repräsentant der zionistischen Linken. Auch Meretz ist intern gespalten und so finden sich etliche Mitglieder in „Ir LeKulanu“ wieder, die nach vorerst gescheiterten Koalitionsgesprächen nicht zusammen mit Meretz antreten werden. Ir LeKulanu ist ein wirkliches Phänomen und eine einzigartige Entwicklung im traditionellen Parteienklüngel in Israel. Die Vision oder das Parteiprogramm ist klar umrissen und stellt ebenfalls eine neue Richtung in lokaler Zusammenarbeit dar. Die Melange aus verschiedensten Initiativen ergibt eine sehr radikale linke Position. Dazu muss man wissen wie es um Tel Aviv/Yafo steht. Eine Mietexplosion bei vergleichbaren Niedriglöhnen, eine Gentrifizierung im Süden Tel Avivs und vor allem in Yafo, die nicht schleichend, sondern mit aller Macht der politischen Führung, mit einer Mischung aus Neoliberalismus und Rassismus durchgedrückt wird. Alleine in Yafo warten 500 Räumungsklagen auf ihre Umsetzung und drohen, die arabischen EinwohnerInnen gänzlich aus Yafo zu vertreiben. Aber auch der Süden Tel Avivs und seine BewohnerInnen (meist Mizrahi, „orientalischen Juden“) stehen vor eklatanten Veränderungen. Und das scheint die Einzigartigkeit der Bewegung auszumachen, der gemeinsame Kampf gegen unmenschliche Verhältnisse und unzumutbare Lebensbedingungen, der jüdische wie arabische AktivistInnen vereint. „Kfar Shalem“ (ein südliches Viertel von Tel Aviv)  ist das Beispiel einer „Comunity“ die von Räumung bedroht ist, da das Land an private Investoren verkauft wurde. Die seit  60 Jahren dort Wohnenden, meist yeminitischen Einwanderer, einst angesiedelt auf den Ruinen eines palästinensischen Dorfes (Kufar Salame) sind in ihrer Existenz bedroht. Es ist linken AktivistInnen anzurechnen, sich mit den EinwohnerInnen solidarisiert zu haben und dafür verantwortlich zu sein dass die Rezeption einer unmenschlichen Politik sich nicht in nationaler bzw. jüdischer Kollektivität beschränkt. So wurden aus den chauvinistischen Parolen, des traditionell meist Likud-orientierten orientalischen Juden, „räumt doch die Beduinen und Araber aber nicht uns Juden“ zu einer Kritik des Staates und Solidarität mit den Räumungsklagen in Yafo. Auch in Yafo wurden die Parallelen wahrgenommen und so vereinte eine Räumungsblockade in Kfar Shalem radikale Linke, Anarchisten, arabische Aktivisten und Likud Funktionäre gegen die anrückende Polizei. Wie so oft wurde brutal geräumt, doch die Solidarität lebt auch in der Front Ir LeKulanu weiter.

„ Eine Vertreibung und Räumung von Menschen aus ihren Häusern und ihrer Stadt wird nicht passieren – (Aus dem Programm von Ir leKulanu; im Original: lo ya’avor - no pasaran)“ So kommt es auch, dass auf den Listen der neuen Partei, KommunistInnen mit Likudmitgliedern, Umweltaktivisten und anderen Bürgerinitiativen zusammen für eine Alternative einstehen. Dazu muss man anmerken, dass der Likud auf eine historische Grassrootstradition zumindest auf lokaler Ebene zurückblicken kann und einst als Gegenpart der hegemonialen Herrschaft der askenasischen Juden gegründet wurde. Tel Aviv steht hierfür exemplarisch als „White City,“ nicht nur in der touristischen Beschreibung der weißen Bauhausarchitektur der 50er, die mittlerweile (obwohl Unesco Kulturerbe) verfällt und mit Hochhäusern flankiert wird, sondern auch mit der rassistischen Konnotation gegenüber den orientalischen Juden und arabischen Einwohnern, die diskriminiert werden. Der Süden Tel Avivs und Yafo, die „Black City,“ werden in jeglicher Form sozial und infrastrukturell vernachlässigt, so dass eine Solidarität und Kooperation logisch erscheint, wobei sich gegenüber den arabischen Bürgern noch ein ideologischer nationalistischer Rassismus hinzugesellt.

Es gibt viele Probleme und zermürbende Kämpfe innerhalb Ir LeKulanu und die wirkliche Probe wird kommen, wenn es gelingen sollte eine große Anzahl von Wählern zu mobilisieren und ins Parlament einzuziehen. Die Hoffnung besteht durchaus, da Tel Aviv/Yafo in vergangenen Wahlen mit 30% Wahlbeteiligung ein Potenzial von Nichtwählern aufweist und Meretz mit zwanzig Prozent bei den letzten Wahlen um seine Wähler bangen muss, da sie Teil der Koalition und daher mitverantwortlich sind für die aktuelle Situation. Das Phänomen Ir LeKulanu ist auch das Phänomen der Person Dov Khenin, der mit Anfeindungen aus allen Ecken zu rechnen hat, was mitunter zu komischen Momenten führt. Auf der ersten Seite einer großen  Boulevardzeitung „Sman“ in Tel Aviv stand: „Dov sei Antizionist, stehe und singe nicht bei der Nationalhymne und verteidige Wehrdienstverweigerer“ und am gleichen Tag titelten arabische Medien in Israel, Dov Khanin sei Zionist und stehe mit Faschisten, eine Anspielung auf den Likud,  auf einer Liste und könne daher nicht die arabische Minderheit repräsentieren. Das zeigt, wie viel Verwirrung der Bruch mit traditionellen Parteizugehörigkeiten hervorruft, aber eben auch, dass das Bestehen dieser Front vorerst nur auf städtischer Ebene und in Bezug auf soziale Forderungen funktionieren kann und die Frage der Nation gerne ausgeklammert wird. Denn es gibt unvereinbare Positionen: Dov Khenin ist nun mal Antizionist und Kommunist und für einen binationalen Staat mit gleichen Rechten aller Bürger und der Likud ist eindeutig gegen einen Rückzug oder Aufgabe der bestehenden Siedlungen.

Der wichtigste Zusammenhalt besteht in dem Vertrauen, dass auf sozialer Solidarität und konkreten gemeinsamen Kämpfen erlangt wurde und lässt diese traditionell verfeindeten Lager auf  kommunaler Ebene kooperieren. Der Enthusiasmus neben den medialen Angriffen ist in neu entstehenden Blogs und Wahlkampagnen zu beobachten die Dov Khenin als den Eingangs beschriebenen „Hoffnungsschimmer“ betiteln und vielleicht eine Utopie erschaffen, die so vorher in Israel noch nicht anzutreffen war. Nebenbei gilt es, sich einer 14 Millionen Dollar schwere Wahlkampagne von Ron Huldai, mit „Lowbudget“ und Volontären entgegenzustellen. 

Update/ letzte Nachrichten

Bis zu letzt hofften die Anhänger Dov Khenin, Kandidat von ir lekulanu (die Stadt für uns) auf eine Stichwahl mit dem amtierenden und nun neuen Bürgermeisters Ron Huldai, die eingetreten wäre wenn keiner der Kandidaten über 40% erlangt. Das Ergebnis war durchaus knapp (Huldai 48%; Khenin 38%) doch man kann es sicherlich als Erfolg werten, dass 45.000 Menschen von 130.000 Wählern, bei einer Wahlbeteiligung von knapp 40% einem Kommunisten und bekennenden Antizionisten ihre Stimme gaben. Ir lekulanu ist mit 15% stärkste Partei und kann auf eine erfolgreiche Kampagne, getragen von tausenden Volontären, zurückblicken. Es gibt seit zehn Jahren das erste mal eine wirkliche Opposition gegenüber der neoliberalen und korrupten Regierung von Huldai.

„Ich wähle Dov Khenin, weil der einzige Kandidat in der gesamten Geschichte von Tel Aviv/Yafo ist der meine Existenz als arabischer Bürger anerkennt“  sagt eine  Frau vor den Wahllokalen in Yafo. Hier und im Center Tel Avivs, wo die meisten jungen Menschen leben, erzielte Dov Khenin die absolute Mehrheit.

„Wenn wir den reichen Norden, den Huldai für seine Freunde ausgebaut hat von der Stadt ausschließen könnten, dann wäre der Sieg unser“ hört man die über den knappen Ausgang sichtlich enttäuschten Aktivisten reden. Der Wahlabend endete erst in den Morgenstunden und nachdem die Kameras sich auf die Kandidaten richteten um die ersten Statements einzufangen, ertönte spontan die „Internationale,“ gesungen von den Anhängern „Ir Lekulanus.“ Die folgenden Pläne sprechen von einer inner- wie außerparlamentarischen Opposition, die weiterhin versucht den partizipativen Charakter einer breiten Bewegung aufrechtzuerhalten.


Anmerkungen

[1] Hadasch steht für „demokratische Front für Gerechtigkeit“ dessen Kürzel im hebräischen „neu“ bedeuten.

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Artikel für diese Ausgabe zur Verfügung.