Yom Kippur, der Versöhnungstag, ist einer der wichtigsten
jüdischen Feiertage, an dem es nach religiöser Bestimmung
verboten ist zu essen, fernzusehen, elektronischen Geräte zu
bedienen, Sex zu haben, Auto zu fahren, zu rauchen.
Angeblich fasten bis zu 70% der jüdischen Bevölkerung an
diesem Tag und auch sich nicht religiös begreifenden
Menschen begehen diesen Feiertag traditionell. Sogar das
eher sekuläre Tel Aviv ist autofrei, kein Laden hat
geöffnet, man sieht Menschentrauben auf den Strassen und
Kinder auf Fahrräder übernehmen die Stadtautobahn.
Man könnte diesen Tag als „Reclaim the Street“ oder „Non
Consumers Day“ bezeichnen, da es kein Gesetz gibt, dass z.B.
Auto fahren verbietet. Doch der bittere
Beigeschmack des „Opiums fürs Volk“ bleibt, denn ohne die
religiöse Komponente würde wahrscheinlich niemand freiwillig
auf sein Auto oder das Recht auf Shopping verzichten. Ein
durchaus sympathischer Tag wenn auch aus pathologischen
Beweggründen, sollte man meinen!?
In Akko fuhr am Mittwochabend ein arabischer Bürger auf dem
Weg zu seiner Schwester und deren Hochzeitsvorbereitungen
durch ein größtenteils jüdisch bewohntes Viertel und wurde von
einem wütenden Mob beinahe totgeschlagen. Die Polizei konnte
den Mann und seine zwei Freunde nicht vor den Angreifern
schützen und riet ihm, wegzurennen. Verletzt durch Steine
flüchteten sich die drei auf eine Baustelle: Nur durch das
beherzte Handeln eines jüdischen Wachmannes, der sie in seinem
Wachhäuschen vor seinen Glaubenbrüdern versteckte, konnte
schlimmeres verhindert werden. Die Polizei schaffte es dann,
die Verfolgten unbemerkt aus dem Wohngebiet ins Krankenhaus zu
schleusen.
Noch in derselben Nacht kam es zu Ausschreitungen von
arabischen Jugendlichen, die ein erstes Gerücht um den
vermeintlichen Tod des Gejagten aufbrachte. Ebenfalls auf
jüdischer Seite versammelten sich Jugendliche die unter Rufen
„Tod den Arabern“ zwei Häuser in Brand steckten. Seit vier
Tagen nun versucht die Polizei, die Situation unter Kontrolle
zu bringen, die israelische Öffentlichkeit ist sichtlich
geschockt von den Ereignissen und politische VertreterInnen
von beiden Seiten beschuldigen die jeweils andere an den
Pogromen schuld zu sein, mitunter durch entgleiste Vergleiche
zur „Reichskristallnacht.“
Die Debatte wurde von rechter jüdischer Seite weiter
angeheizt, indem zum Boykott arabischer Unternehmer aufgerufen
wird, wörtlich „Kauft nur bei Brüdern“ - gemeint ist „Kauft
nicht bei Arabern“. Ebenfalls durch Druck von Rechts erfolgte
mittlerweile die Festnahme des Fahrers, der nach drei Tagen
Inhaftierung nun unter Hausarrest steht, angeklagt der
„Missachtung religiöser Sensibilitäten“ und „rücksichtsloser
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.“ Nicht nur solche
offensichtlichen Verdrehungen der Tatsachen bestimmen die
Wahrnehmung, speziell die internationale Presse, respektive
die deutsche, wiegt sich in Orientalismus, und kann in der
Analyse höchstens einen religiösen Konflikt erkennen.
Die Atmosphäre so genannter Mixed Cities wie Akko, aber auch
Jerusalem oder Tel Aviv/Yafo, ist schon lange nicht mehr so
harmonisch wie vielleicht vor zehn Jahren, als angeblich
Szenen des Zusammenlebens zu beobachten waren, wie Besuche der
jüdischen NachbarInnen zu Ramadan, und das Überbringen von
Pitabrot von Seiten der arabischen BewohnerInnen nach Pessach.
Gegenüber diesem romantisierenden Blick ist der Ursprung der
gemischten Städte nicht zu vergessen. Sie entstanden nur
dadurch, dass nicht alle arabischen Einwohner vertrieben
wurden oder vereinzelt Flüchtlinge zurückkehrten. Die häufig
verwendete Terminologie von „Mixed Cities“ und der „Coexistence“,
für die Akko angeblich ein Musterbeispiel sei, ist
irreführend. Man kann eher von einem getrennten Nebeneinander-
als einem Zusammenleben sprechen und auch die scheinbare
Idylle, dass jüdische BewohnerInnen im billigeren arabischen
Teil einkaufen oder ihren Humus essen, kann nicht darüber
hinweg täuschen, dass gegenüber arabischen Bürgern
grundlegende Ungleichbehandlungen und allgemeine Ressentiments
bestehen.
Vor dem Hintergrund des alltäglichen Rassismus und der stetig
wachsenden Teilung aller Lebensbereiche zwischen arabischen
und jüdischen Menschen innerhalb Israels kommt die Eskalation
jedenfalls nicht überraschend. Ein Phänomen davon ist die
erstarkende rechte Jugendbewegung zur „Judaisierung“ der Mixed
Cities, eine Siedlerbewegung innerhalb Israels sozusagen.
Teilweise bestehen diese direkt aus Siedlern von Gaza oder
Hebron und übernehmen in eigens gegründeten Zentren der
religiösen Ausbildung, soziale Funktionen in den Gemeinden,
aus denen der Staat sich zurückgezogen hat. Akko war eine der
ersten Städte in der die Siederbewegung angetreten ist, dieses
Vakuum ideologisch zu füllen. Auch in Yafo wurde dieses Jahr
ein so genanntes „Jeshiva“ gegründet und in Ramle/Lod ist die
„Stärkung und Unterstützung“ der jüdischen Bevölkerung, sprich
die Vertreibung der arabischen Bürger, sehr erfolgreich.
Im Unterschied zu orthodoxen Gemeinden besteht hier eine
andere Qualität der Mischung aus Religion und militantem
Nationalismus, ersteres meist zur Rechtfertigung des
Letzteren. Mitglieder dieser Jugendbewegung waren es auch, die
entzürnt in der angeblichen Beleidigung ihrer Religion auf den
vorbeifahrenden Araber Steine warfen.
Das Problem kann aus linker Perspektive auch als Scheitern
begriffen werden, soziale Spannungen und verarmte jüdische
Sektoren nicht genügend mit emanzipatorischen Alternativen
besetz zu haben. Verschiedene Initiativen versuchen nun mit
solidarischen Aktionen in Akko präsent zu sein. Hadasch, die
jüdisch-arabische Partei, als auch HaShomer HaZa’ir, eine
sozialistische jüdische Jugendbewegung, haben ihre Zelte
aufgeschlagen und es gibt zahlreiche Solidaritätsbesuche von
linken AktivistInnen, die versuchen Wohnungen, die aus Angst
vor Übergriffen verlassen wurden, vor der Besetzung oder
Zerstörung durch rechten Schlägertrupps zu bewahren. Für
insgesamt 15 Familien ist es aber eher fraglich, ob und wie
sie in ihre verwüsteten oder abgebrannten Wohnungen
zurückkehren. Kompensationen von staatlicher Seite haben sie
keine zu erwarten, der Bürgermeister von Akko, Mitglied der
Likud Partei, ist ein Förderer der Siedlungsbewegung und
mitverantwortlich für die aktuelle Entwicklung. Die aktuellen
Ausschreitungen in Akko werden die Fronten und die ethnischen
Identitätszuschreibungen auf beiden Seiten eher verhärten.
Plumpe Versuche der Vereinnahmung dürfen natürlich auch nicht
fehlen: So meldeten sich Hisbollah und Hamas ebenfalls zu Wort
und gratulierten ihren „heldenhaften Brüdern“ zu den Riots
gegen die Zionisten. Auf der anderen Seite erneuerte der
Parlamentsabgeordnete Liebermann, Teil der
Regierungskoalition, seine Forderung des Transfers aller
Araber in die Westbank, um sich der „demographischen
Zeitbombe“ endgültig zu entledigen.
Editorische
Anmerkungen
Der Autor stellte
uns seinen Artikel für diese Ausgabe zur Verfügung.
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