Die Bundesregierung und andere Funktionäre aus Staat und
Wirtschaft laden uns ein, dieses Jahr 60 Jahre Grundgesetz
(1949) und 20 Jahre Mauerfall (1989) zu feiern. Mit einer ganzen
Reihe von öffentlichen Veranstaltungen und Aufmärschen wird an
diese historischen Ereignisse unter dem Motto „Freiheit,
Einheit, Demokratie“ erinnert. Die BRD nutzt diese Jahrestage
einmal mehr zur Festigung der Staatsideologie und zur Schreibung
von Geschichte nach bürgerlicher Leseart.
Aus diesem Grund ist es notwendig, Sinn und Zweck dieser
staatlichen Propagandashow, der neuen deutschen Staatsideologie
und der offiziellen Geschichtsschreibung zu beleuchten und dem
eine Analyse und Kritik der realen gesellschaftlichen
Verhältnisse entgegenzusetzen. Es geht nicht darum, der DDR
nachzutrauern.
Die neue Staatsideologie der BRD
Die Großmachtsphantasien und Träume deutscher Unternehmen, durch
die Politik der Nazis und den imperialistischen 2. Weltkrieg
neue Rohstoffe, bessere Verwertungsbedingungen und billige
Arbeitskräfte zu bekommen, platzten mit der bedingungslosen
Kapitulation von Nazi-Deutschland. Viele Millionen Menschen
mussten dabei ihr Leben lassen: durch die Liquidierung linker
und sozialer Bewegungen nach Hitlers Machtergreifung, den
Massenmord an den Juden und allen Menschen, die nicht ins
menschenverachtende Bild der Nazis passten, und durch das Morden
auf den Kriegs-Schauplätzen deutscher Außenpolitik.
Die neugegründete Bundesrepublik bedurfte nach 1945 einer völlig
neuen ideologischen und politischen Legitimationsgrundlage. Sie
musste sich als legitime Vertreterin des Volkes verkaufen und
ihre Bevölkerung zu braven Staatsbürgern erziehen; eine neue
Staatsideologie musste her! Dabei hatte die BRD ein Problem: Zum
Einen war ein positiver Bezug auf die gemeinsame Geschichte der
Deutschen aufgrund der Vergangenheit unmöglich, die BRD war
somit “geschichtslos” und fing bei “Stunde null” an. Zum Anderen
war Deutschland durch die Zerstörung von Nazi-Deutschland und
den Kalten Krieg in zwei unterschiedliche Staaten zerrissen.
Die Staatsideologie der BRD bestand daher anfangs lediglich aus
der Abgrenzung gegenüber der DDR über einen bürgerlichen
Freiheitsbegriff. Adenauer und Erhard wollten einen freien
Wettbewerb und die Freiheit des Marktes erzeugen, in der die
Freiheit aller Wirtschaftssubjekte gewährleistet ist, in einer
bürgerlichen Demokratie.
Die falsche Freiheit
Bürgerliche Freiheit ist keine Neuerfindung der BRD, sondern die
Grundlage von bürgerlicher Staatsideologie. Kapitalismus basiert
auf der Vernutzung und Ausbeutung von menschlicher Arbeitskraft
im Produktionsprozess. Der Selbstzweck dieser Wirtschaftsweise
ist Kapitalverwertung und Profitmaximierung. Schon Marx
polemisierte mit dem Begriff des doppelt freien Lohnarbeiters:
Wir haben die Freiheit, Lohnarbeit leisten zu können, sind aber
auch frei von Produktionsmitteln. Dies produziert die Unfreiheit
zur Ausbeutung durch Lohnarbeit und reproduziert die besitzende
Klasse und die kapitalistischen Verhältnisse.
Die Unfreiheit dieser Kapitalverwertung und die daraus
resultierenden kapitalistischen Sachzwänge sowie patriarchale
und rassistische Unterdrückungsformen werden von den
bürgerlichen Ideologen als naturgegeben vorausgesetzt und
durchziehen die gesamte Gesellschaft. Bürgerliche Freiheit hat
zwar einen positiven und emanzipatorischen Charakter gegenüber
offener Unterdrückung. Wenn Freiheit aber der Reproduktion von
Unfreiheit dient, bezeichnen wir dies als falsche Freiheit.
Die doppelte Freiheit des Lohnarbeiters, die Vertragsfreiheit
und die Freiheit des Warenverkehrs sind Voraussetzungen für die
Entwicklung des Kapitalismus. Andere Freiheiten wie die
bürgerliche Demokratie sind für das Funktionieren des
Kapitalismus nicht zwingend notwendig, dienen aber der
Aushandlung von Konflikten innerhalb der bürgerlichen Klasse und
führen zumeist zu stabilen politischen Verhältnissen. Sie sind
jedoch blind für materielle Unfreiheit und eignen sich deshalb
gut zur Herrschaftssicherung.
Das Versprechen von Freiheit scheitert letztlich fast immer an
den Sachzwängen staatlicher Politik innerhalb kapitalistischer
Unfreiheit. Die verschiedenen bürgerlichen Parteien werden somit
beliebig austauschbar und unterscheiden sich nur in
Klientelpolitik. Die scheinbar freie Wahl wird zu Ideologie der
parlamentarischen Demokratie. Die Ideologie einer falschen
Freiheit, die die alltägliche Unfreiheit der kapitalistischen
Verhältnisse ausblendet, lehnen wir entschieden ab.
Die Freiheit der BRD
Der Weg, den die BRD politisch und ideologisch beschreiten
sollte, war nicht festgeschrieben sondern Ergebnis politischer
und sozialer Auseinandersetzungen. So forderte die SPD und
selbst Teile der CDU anfangs noch, einige Kernbereiche der
Wirtschaft z.B. die Schwerindustrie und Banken zu sozialisieren,
um dem Staat eine größere Einflussnahme auf die wirtschaftliche
Entwicklung zu geben.
Auseinandersetzungen gab es auch im Sozialen: Der Streik um die
Lohnfortzahlung bei Krankheit 1956/57 entwickelte sich zum
längsten Arbeitskampf in Deutschland seit 1905.
Der Freiheitsbegriff, und die Freiheit, sich seine Herrscher
selber wählen zu können, bekamen ein Gesicht: Das der
LohnarbeiterInnen, die von den Produktionsmitteln enteignet sind
durch die Einführung der „sozialen Marktwirtschaft“ und
spätestens seit den 70ern wieder starke soziale Einschnitte
hinnehmen müssen. Das der MigrantInnen, die durch rassistische
Sondergesetze ihrer bürgerlichen Rechte beraubt werden. Das des
KPD-Verbots, der Notstandsgesetze, der Atomwaffenstationierung,
des Rechtsstaates, der seinen Feinden die volle Härte auch über
die Grenzen von „Rechtsstaatlichkeit“ hinaus zeigte.
Bei Streiks wurden Möglichkeiten und Grenzen sozialer Kämpfe
ausgehandelt, politischer Streik wurde in Deutschland verboten.
Die Gewerkschaften haben anfangs noch emanzipatorische
Freiheiten durchgesetzt. Aber mit der Sozialpartnerschaft
gerieten sie immer stärker ins Fahrwasser der falschen Freiheit,
sorgten für sozialen Frieden, wirkten sogar an den Hartz
IV-Gesetzen mit und stimmten Sozialabbau und der eigenen
Ausbeutung zu – zum Wohle des Standortes. Teile der 68er
Bewegung wurden in den Staatsapparat integriert, indem sie den
verstaubten Laden modernisierten, und wurden so zu Vorreitern
postfordistischer Regulationsformen in Deutschland. Sie kamen
ins Parlament und an die Regierung und führten ihre vorgeblichen
Ziele somit ad absurdum – falsche Freiheit pur. Der radikalere
Teil der 68er wurde mit Repression überzogen. Die BRD bekam
somit mehr und mehr ihre Freiheitsgeschichte, die ihr anfangs
noch fehlte.
Die volle staatliche Souveränität – , die Möglichkeit also nach
Belieben die Interessen des deutschen Kapitals auf der Welt zu
vertreten und Kriege zu führen, blieben Westdeutschland bis zur
Wende verwehrt.
Ein Rückblick auf 20 Jahre neue „Freiheit“
1989 gingen Millionen Menschen in den Montagsdemonstrationen auf
die Straße, um dafür zu kämpfen, dass sich in der DDR etwas
ändert. Das SED-Regime war mit seiner “sozialdemokratischen”
Sozialismusvorstellung, einfach alles zu verstaatlichen, gegen
den innovativeren Kapitalismus im Westen wirtschaftlich und
politisch gescheitert. Statt politischer Diskussionen und
Freiheiten sowie der Kontrolle von Staat und Wirtschaft durch
die Bevölkerung unter der Führung der kommunistischen Partei
herrschte in der DDR eine schematische Vorstellung von
stalinistischer Parteidiktatur, durch die die Bevölkerung
politisch unterdrückt und ein Erneuerungsprozess – wie von der
Vereinigten Linken gefordert – unmöglich gemacht wurde.
Stattdessen schafften es westdeutsche Politiker, die Proteste im
Osten durch falsche Versprechungen abzuwürgen und einen
Anschluss der DDR an die BRD durchzusetzen.
Die neue Freiheit war kein Selbstzweck, sondern diente der
Produktion von neuer Unfreiheit. Mit der Einführung des
Kapitalismus war die ostdeutsche Wirtschaft mit einer Situation
konfrontiert, auf die sie nicht vorbereitet war. Die Produktion
war nicht auf kapitalistische Konkurrenz ausgerichtet, und
konnte nicht mit der in Westdeutschland mithalten. Zahlreiche
Werke wurden mit Hilfe der Treuhand geschlossen oder aufgekauft
und modernisiert.
Millionen Lohnabhängige in Ostdeutschland, denen bis 1989 die
Probleme der Arbeitslosigkeit nur aus Büchern oder dem Fernsehen
bekannt waren, verloren ihren Arbeitsplatz. Von den 9,8
Millionen Erwerbstätigen vor der Wende mußten 7,3 Millionen
ihren Arbeitsplatz verlassen. Lediglich 25% der Erwerbstätigen
des Jahres 1989 konnten an ihren alten Arbeitsplätzen bleiben.
Millionen mußten ihren Arbeitsplatz wechseln, kurzarbeiten oder
wurden innerhalb weniger Monate arbeitslos. Etwa drei Viertel
aller Erwerbspersonen in den neuen Ländern waren nach der Wende
mindestens einmal von Kurzarbeit betroffen oder nahmen an
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Arbeitsverwaltungen teil.
Ostdeutschland wurde mit Massenarbeitslosigkeit, Niedriglöhnen
und befristeten Jobs zum Experimentierfeld für prekäre
Beschäftigungsverhältnisse. Mit der Lissabon-Strategie und
später mit der Agenda 2010 wurde das Ziel gesetzt, die USA bis
2010 in der wirtschaftlichen Dynamik zu überholen, durch
Niedriglöhne und Sozialdumping. Es sollte tiefgreifende
Umgestaltungen der europäischen Wirtschaft geben und die
sozialen Sicherungssysteme sollten an die neuen
Wachstumsmöglichkeiten angepasst und “Eigenverantwortung”
gefördert werden. 1998 wurde in der Rot-Grünen
Koalitionsvereinbarung die „größte Arbeitsmarktreform der
Nachkriegsgeschichte“ festgeschrieben. Die Folgen dieser Politik
spüren wir mit Hartz IV, dem Ausbau von Leiharbeit, der
Deregulierung von erkämpften Sozialstandards, einer Absenkung
des allgemeinen Lohnniveaus, Rentenkürzungen und
Gesundheitsreformen seit Jahren.
Neue Freiheit gab es auch in der deutschen Außenpolitik. Dem
Bundeswehr-Einsatz in Kambodscha 1992 folgte eine ganze Reihe
von deutschen Auslandseinsätzen. Mit dem Überfall auf
Jugoslawien wandelte sich die Bundeswehr 1999 in eine
Angriffsarmee. Aktuell werden deutsche Interessen am Hindukusch
in Afghanistan verteidigt. Die BRD versucht in der EU und in der
Weltpolitik, wirtschaftlichen und politischen Druck auf andere
Länder auszuüben, um dem deutschen Kapital gute
Verwertungsbedingungen und hohe Profite zu sichern, angeblich im
Namen von Freiheit und Menschenrechten.
Das uneingelöste Versprechen von Freiheit einlösen
Für uns als Lohnabhängige lassen sich Verbesserungen nur dort
erreichen, wo die Unfreiheit der kapitalistischen Verwertung und
des Marktes zurückgedrängt werden kann. In Streiks, sozialen
Kämpfen oder mit phantasievollen Aktionen lassen sich gegenüber
dem Staat und den Unternehmen Zugeständnisse erzwingen und die
Logik von Konkurrenz, Vereinzelung und Profit partiell
durchbrechen.
Aber auch hier wird Unfreiheit nicht beseitigt, sondern nur
eingeschränkt. Um das Versprechen von Freiheit einlösen zu
können, bedarf es einer sozialen und politischen Revolution
durch die lohnabhängige Bevölkerung und eine Überwindung der
kapitalistischen Produktionsverhältnisse und von Rassismus und
Patriarchat. Es ist unser Ziel, die Ketten kapitalistischer
Unfreiheit zu zerreißen, die wirtschaftlichen Bedingungen
hierfür sind besser denn je: Die Produktionsmittel sind längst
so weit entwickelt, um allen Menschen auf der Welt ein Leben in
Wohlstand zu ermöglichen. Sie müssen zur Befriedigung der
gesellschaftlichen Bedürfnisse aller Menschen statt zur
Mehrwertproduktion eingesetzt werden.
In diesem Sinne: Es gibt keine Ende der Geschichte – für den
Kommunismus!
Editorische Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir von der Gruppe
Internationale KommunistInnen. Zu diesem Thema gibt es eine
Veranstaltung:
Die Gescheiterte Revolution im Herbst
1989
und die Niederlage der Westlinken
Mit den linken DDR-Oppositionellen und
Vereinigte Linke-Aktivisten Thomas Klein und Bernd Gehrke und
mit Kamil Majchrzak (Autor der ostdeutschen Publikation
Telegraph)
In den nächsten Tagen und Wochen wird sich
mit dem Jubiläum zum 20ten Jahr des Mauerfalls Deutschland
feiern. Weitgehend vergessen ist, dass im Herbst 1989 Tausende
Menschen in der DDR nicht für ein kapitalistisches Deutschland
auf die Straße gingen. Wir laden am Roten Abend mit Thomas
Klein und Bernd Gehrke zwei DDR-Oppositionelle ein, die in der
Vereinigten Linken für Sozialismus und Demokratie in der DDR
kämpften. Bernd Gehrke wird auch auf die Auseinandersetzungen
von Belegschaften eingehen, die sich in den 90er Jahren gegen
die vieler DDR-Betriebe wehren. Dabei wird auch die Rolle der
Linken im Westen Gegenstand der Diskussion sein.
Der Mitarbeiter der ostdeutschen Zeitung Telegraph Kamil
Majchrzak geht auf die Entwicklung in Polen vom Kampf der
Gewerkschaft Solidarnosc bis zum neoliberalen Schockprogramm
ein.
Mittwoch, 4. November 2009 ab 20 Uhr im
Stadtteilladen Zielona Gora, Grünberger Str. 73,
Berlin-Friedrichshain.
|