Die leere Mappe

von Peter Nowak

11/09

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„Hätte mich nicht eines Tages die Email eines Kollegen erreicht, der am Internationalen Strafgericht in Den Haag arbeitete, wäre ich auf das Schicksal von Kathe Lasnik wohl nie aufmerksam geworden“, schreibt der schwedische Philosoph Espen Søbye am Anfang des Buches, das 2003 in Norwegen für große Aufregung sorgte.

Denn er liefert darin anhand der Biographie von Kathe Lasnik, die 1942 mit 15 Jahren als Jüdin mit ihrer Familie nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde, auch ein genaues Bild der Zusammenarbeit norwegischer Behörden mit den Nazis.

Søbye zeigt dort detailliert auf, wie sich hohe Beamte aus Polizei und Verwaltung während der deutschen Besatzung beteiligt hatten, nach 1945 darauf beriefen, sie hätten nur das Staatswohl im Auge gehabt und in der Regel nicht nur ungestraft davon kamen, sondern sogar weiter Karriere machten.

Dabei fand Søbye, der beim Statistischen Zentralamt in Oslo arbeitete, zunächst nur eine leere Mappe vor, als er nach dem Schicksal von Kathe Lasnik zu recherchieren begann. Sie bestand nur aus einem Umschlag mit ihren Namen und einer Nummer, nicht mehr“. Ihr Name befand sich auf dem Mahnmal für die 620 während der deutschen Besatzung ermordeten Juden Oslos. Das war der einzige Hinweis auf ihr Leben. Darauf beschloss Lasnik ihr Leben zu erforschen und so dem Vergessen zu entreißen.

Früh mit Antisemitismus konfrontiert

In mühseliger Recherche rekonstruierte er das Leben ihrer Eltern, die 1908 aus den baltischen Staaten nach Norwegen eingereist waren. Der Vater engagierte sich zunächst in der Gewerkschaft, ehe er sich als Spengler selbstständig machte. Detailliert zeigte er auf, wie die Familie schon Ende der 20 er Jahre mit dem aufkommenden Antisemitismus in der norwegischen Gesellschaft konfrontiert wurden. „Der Tierschutzverein, dem der Polizeipräsident von Aker vorstand, wollte den Juden per Gesetz verbieten, die Tiere nach hergebrachter Sitte und im Einklang mit ihren religiösen Vorschriften zu schächten“. Als es dagegen Proteste gab, erklärte der Vorsitzende der einflussreichen Bauernpartei: „Wir sind nicht verpflichtet, unsere Haustiere den jüdischen Grausamkeiten auszuliefern, wir haben die Juden nicht in unser Land eingeladen“. Aus diesen Kreisen rekrutierten sich die Rechtskräfte, die die sich früh für ein enges Bündnis mit Nazideutschland aussprachen. Unter der von dem norwegischen Offiziers Vidkum Quisling gebildeten Kollaborationsregierung hatten sie bald freie Hand. Die norwegischen Juden gehörten zu ihren Opfern. „Die 15-jährige Kathe Lasnik hatte weder Zeit noch Gelegenheit, wie Anne Frank ihre Gedanken und Gefühle angesichts der drohenden Vernichtung aufzuschreiben. Von ihrer Verhaftung am 26. November 1942 in Oslo bis zu ihrem Tod in Auschwitz blieben ihr nur fünf Tage“, schrieb der frühere Mitarbeiter des Neuen Deutschland Jochen Reinert im Nachwort zur deutschen Ausgabe des Buches, die von dem Verlag Assoziation A herausgegeben wurde .

Es wäre zu hoffen, dass das Buch über ihr Leben auch in Deutschland mehr Aufmerksamkeit bekommt. Denn trotz aller Hilfsdienste norwegischer Beamter, verantwortlich auch für den Tod von Kathe Lasnik sind deutsche Nazis.

Søbye, Espen
Kathe
Deportiert aus Norwegen
Aus dem Norwegischen von Uwe Englert


ISBN 978-3-935936-70-5 | 192 Seiten | Verlag Assoziation A,
Berlin, Hamburg, 18 Euro