Peter Trotzig Kommentare zum Zeitgeschehen

Unterschriften sammeln für 500 Euro Eckregelsatz und 10 Euro Mindestlohn??

11/09

trend
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Aus radikal antikapitalistischer Sicht lassen sich viele mehr oder weniger gute Gründe gegen eine solche „Zumutung“ aufführen, z.b. dass in Anbetracht des ungeheuer angewachsenen Reichtums dieser Gesellschaft ein Eckregelsatz von 500 Euro und ein Mindestlohn von 10 Euro wahrhaft erbärmlich erscheinen. Und wenn schon so erbärmliche Forderungen, dann sollte doch dafür mit anderen Mitteln gekämpft werden, als mit einer Unterschriftensammlung. Was soll das bringen? Ist es doch ganz offensichtlich, dass man diesen Staat, der zig Milliarden kapitalistischen Unternehmen in den Arsch bläst, vermutlich nur durch Generalstreiksaktionen zur Erfüllung solcher elenden Minimalforderungen bewegen kann.

Das alles kann ich nachvollziehen und trotzdem finde ich die Forderungen und die Unterschriftensammlung richtig. Warum? 

  1. Wer illusionslos den Tatsachen ins Auge blickt, muss feststellen, dass hierzulande die Kräfte des Widerstands gegen die kapitalistische Bewältigung der Krise augenblicklich schwach bis zur Ohnmacht sind. (Von weitergehenden Zielen will ich gar nicht sprechen.) Jüngstes Beispiel „Quelle“. Wir erleben gerade eine der größten Abwicklungen eines kapitalistischen Unternehmens der jüngeren Geschichte („größte Entlassungswelle Deutschlands binnen einer Woche“ FR vom 31.10.2009).
    Die Frankfurter Rundschau berichtete in ihrer Ausgabe vom 13.Oktober ferner, dass „das gekündigte Quelle-Personal größtenteils gefasst und gut vorbereitet“ auf die Entlassungswelle reagiere. (Das liest sich wie der Bericht über eine Hinrichtung, zu der der Delinquent „gefasst und gut“ vorbereitet geführt wird.). „Es habe aber auch Tränen und Fast-Zusammenbrüche gegeben.“ Psychologen vor Ort seien gefragt.
    Gleichzeitig läuft mit noch ca. 4000 Lohnabhängigen reibungslos der „Resteverkauf“ von ca. 18 Millionen Produkten an. 4000 Menschen, die aktiv ihre eigene Abwicklung unterstützen, ohne irgendeine nennenswerte Aktion des Widerstands oder gar der Verweigerung! (Nicht mit uns! Nicht in unserem Namen!) Auch sie werden entlassen, sobald die Verramschung der Restware erledigt ist.
    Die Internetseite von „Quelle“ kann den Ansturm der Schnäppchenjäger kaum verkraften. Wie die Geier auf den Aas, stürzen sich die Schnäppchenjäger auf den Rest. Der Insolvenzverwalter reibt sich die Hände.
    Überall sind es Lohnabhängige, die für eine reibungslose kapitalistische Abwicklung sorgen. Als disziplinierte LohnarbeiterInnen verkaufen und versenden sie und als Schnäppchenjäger kaufen sie. Sie verhalten sich als perfekte MarktteilnehmerInnen. Das Klassenbewusstein tendiert gegen Null! Das ist momentan die traurige Realität.
  2. Ohne Klassenbewusstsein gibt es keinen nennenswerten Widerstand der von kapitalistischer Abwicklung betroffenen Lohnabhängigen und ohne Klassenbewusstsein gibt es keine unterstützende Solidarität anderer Lohnabhängiger. Wer sich heute nicht auf theoretische Kritik am Kapital und revolutionäre Phraseologie beschränken will, wer praktisch an der Entwicklung von Klassenbewusstsein arbeiten will, der muss ganz unten anfangen, fast bei null! Die Forderungen nach Erhöhung des Eckregelsatzes auf 500 Euro und die Forderung nach einem Mindestlohn von 10 Euro sind Minimalforderungen, die schon heute von vielen Lohnabhängigen unterstützt werden. Begründet man sie aus schroffer Kritik am Kapital, wie es beispielsweise „Klartext“ (www.klartext-info.de) tut, so leistet man einen praktischen Beitrag zur Entwicklung von Klassenbewusstsein und eröffnete damit die Perspektive wenigstens für künftige Klassenauseinandersetzungen. Es handelt sich um Forderungen, die ebenso minimale wie elementare Interessen aller LohnarbeiterInnen ausdrücken.

Darum unterschreibt jetzt! http://www.500-euro-eckregelsatz.de/

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der TREND Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.