Erstmals seit dem Jahr 2005 hat Frankreich
wieder Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben, auf einem
gemeinsamen „Charter“ (Sammelflug) zusammen mit den britischen
Behörden.
Schon im vergangenen Jahr - im Herbst 2008 -
hätte ein französisch-britischer Sammelflug für Abgeschobene in
Richtung Kabul starten sollen; dieses Vorhaben war damals jedoch
unter dem Druck der öffentlichen Meinung annulliert worden. In
der Nacht vom 20. auf den 21. Oktober o9 war es nun jedoch
soweit: Ein von London aus gestartetes Flugzeug legte gegen
Mitternacht am Pariser Flughafen Roissy-Charles de Gaulle einen
Zwischenstopp ein, bevor es nach Baku (Hauptstadt
Azerbaidschans) und von dort aus nach Kabul in Afghanistan
weiterflog. Das Flugzeug war zunächst zur Zwischenlandung in
Lille erwartet worden, wo zur fraglichen Zeit mehrere Dutzend
Menschen dagegen demonstrierten. (In Paris waren den NGOs, Pro
Asyl- und Solidaritätsvereinigungen widersprüchliche
Informationen gegeben worden, und am Ende hatte das Ministerium
sie informiert, es werde keinen solchen „Charterflug“ geben. Am
folgenden Tag spielte Minister Besson dann mit den Worten und
erklärte wortklauberisch, es habe sich auch gar nicht um einen
„Charter/Sammelflug“, sondern nur um einen „speziell
angeheuerten Sonderflug“ gehandelt. Sehr witzig, Herr Minister.)
In Roissy nahm es drei junge Afghanen an Bord,
die zuvor bei Polizeikontrollen an der italienisch-französischen
Grenze, in einem Park im 10. Pariser Bezirk neben dem Ostbahnhof
(neben der Gare de l’Est) sowie im nordfranzösischen Calais
aufgegriffen worden waren. In Calais war zu Anfang des Monats
Oktober o9 ein von Migranten selbst errichtetes Camp am Rande
des Ärmelkanals, das auf den Namen „Jungle“ getauft worden war,
auf Anordnung des Ministers „für Einwanderung und nationale
Identität“ Eric Besson hin durch die Polizei auseinander
genommen worden. Von dort aus hatten Flüchtlinge, die in
Frankreich keine Aufnahme finden, bis dahin die Weiterreise nach
Großbritannien oder in die skandinavischen Ländern versucht.
Infolge einer französisch-britischen Vereinbarung war dieses
Flüchtlingslager jedoch, ähnlich wie zum Jahreswechsel 2002/03
die vom Roten Kreuz betreute vergleichbare Einrichtung im nahen
Sangatte, aufgelöst worden. Die Migranten irren nun erneut ohne
Anlaufpunkt am Ärmelkanal herum. Von 140 im „Jungle“
festgenommenen Afghanen hatten französische Richter/innen jedoch
binnen kürzester Zeit 130 aus der Abschiebehaft freigelassen:
Ihre Rechte seien durch die Art der Festnahmen und
Personenkontrollen, aber auch durch ihren sofortigen Transport
in weit entfernte Städte wie Toulouse und Nîmes missachtet
worden. Auf diese Weise hätten sie ihr Grundrecht auf
rechtliches Gehör nicht wahrnehmen können.
Die jungen Erwachsenen Nik Khan (18), Waheed (22)
und Khodaid (20) hatten jedoch nicht dieses Glück: Sie befanden
sich auf dem Abschiebeflug von Paris nach Kabul. Der zuständige
Minister Eric Besson hatte angekündigt, sie stammten alle drei
aus der Hauptstadt Kabul - eine Information, die sich als
unrichtig herausstellte - und seien daher keiner allzu starken
Gefährdung ihrer Sicherheit ausgesetzt. Die erzwungene Ausreise
eines vierten afghanischen Staatsbürgers, erklärte der Minister,
habe er selbst noch kurz vor dem Abflug verhindert – weil die
Erkenntnisse über dessen persönliche Sicherheit bzw. Gefährdung
im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht genau genug
gewesen seien.
Ferner wurde ein Sonderbeauftragter der
französischen Botschaft in Kabul losgeschickt, der sich um ihren
„Empfang“ kümmern sollte. Er lud die drei Jungen in einem Hotel
in Kabul ab und händigte ihnen umgerechnet rund 1.500 Euro aus
(für die Reise bis nach Europa hatten diese oder ihre Familien
bis dahin jedoch rund 20.000 Dollar bezahlen müssen). Besson
versicherte, der Mann vom französischen Konsulat werde ihr
weiteres Schicksal im Auge behalten, und ihre Sicherheit sei
dadurch also gewährleistet. Dabei handelte es sich freilich vor
allem um den Versuch, zu demonstrieren, „dass es geht“, dass man
also „gefahrlos“ Flüchtlinge in das von Krieg und Terrorismus
geschüttelte Krisenland Afghanistan zurücksenden könne.
Zumindest bei den ersten dreien sollte ein solcher „Aufwand“
betrieben werden - bei den nächsten hundert wäre das wohl kaum
zu erwarten. Denn zeitgleich mit seiner Information an die
Presse, dass drei afghanische Staatsbürger in der Nacht zum 21.
Oktober o9 „ausgeflogen“ worden seien, kündigte Eric Besson an,
künftig werde es „an jedem Dienstag“ weitere Abschiebungen nach
Afghanistan geben.
Mehrere französische Medien, unter ihnen die
Tageszeitung ‚Libération’ vom Mittwoch, 28. Oktober und ‚Le
Parisien’ vom 30. Oktober sowie Wochenmagazine, veröffentlichten
Reportagen über den Aufenthalt der drei jungen Männer in Kabul.
Dabei stellte sich jedoch heraus, dass es unwahr ist, dass sie
alle aus Kabul stammten: Einer von ihnen (Nik Khan) kommt aus
der afghanischen Südostprovinz Paktia, nahe der Grenz zu
Pakistan, die als eine der „unsichersten“ sowie als eine
Hochburg der Taliban gilt. Er war geflohen, um nicht durch die
Talibankämpfer zwangsrekrutiert zu werden. Waheed seinerseits
stammt aus Bagram nördlich von Kabul und war von einem drohenden
Vollzug der „Blutrache“, aufgrund einer Familienfehde mit
politischen Zügen, durch einen Warlord der (mit regierenden)
„Nordallianz“ geflüchtet.
Am vorigen Donnerstag (29. Oktober) hat Eric
Besson nun seine „Gefahrenanalyse“ bezüglich Afghanistans und
der dort herrschenden Unsicherheit nachträglich abgeändert. Und
verkündete, „falls die Situation sich dort noch weiter
verschlechtert“, dann würden alle Abschiebungen dorthin
ausgesetzt.
Gleichzeitig haben die 27 Staats- und
Regierungschefs der EU am vergangenen Freitag in Brüssel
beschlossen, künftig verstärkt gemeinsame Sammelflüge für
Abschiebungen durchzuführen und diese durch die Union
finanzieren zu lassen. Präsident Nicolas Sarkozy erklärte im
Anschluss stolz, dieser Beschluss gehe auf gemeinsame Initiative
von ihm zusammen mit dem italienischen Premierminister Silvio
Berlusconi zurück. (Was so nicht einmal stimmt, da der Beschluss
zur Durchführung gemeinsamer Abschiebeflüge auf europäischer
Ebene schon 2004 gefällt wurde und im Kern also so neu nicht
ist.)
Die französische öffentliche Meinung goutierte
das Vorhaben bislang nicht, so dass nicht einmal die Vermutung
zutrifft, die Regierung hätte sich Wahlvorteile dadurch
verschafft: Laut einer Umfrage von Mitte Oktober (abgedruckt in
‚Le Parisien’) sprachen sich damals 44 Prozent gegen, und 37 %
zugunsten solcher Abschiebungen nach Afghanistan aus.
Premierminister François Fillon schmetterte unterdessen die
Kritik der sozialdemokratischen Parlamentsopposition ab mit den
Worten - die französische Sozialdemokratie brauche gar nicht
laut zu reden, denn zu ihrer Regierungszeit (1997 bis 2002) habe
man sogar Flüchtlinge „in das Taliban-regierte Afghanistan“
hinein abgeschoben.
Editorische
Anmerkungen
Wir
erhielten den Artikel vom Autor
zur Veröffentlichung.
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