Material zum Thema "Schülerknast"

Zuviel Ärger zu wenig Wut


von ts-DageWe

11/09

trend
onlinezeitung

Gestern (17.11.09) versammelten sich in der Genezareth-Kirche auf dem Herrfurthplatz Anwohner des Schiller-Kiezes, um mit den offiziellen Vertretern über die Task Force Okerstraße (TFO) zu beraten. Eingeladen hatte das Quartiersmanagement (QM) Schillerpromenade, zur behördenfreundlichen Zeit um 16 Uhr 30.

Um es vorwegzunehmen: Allein die Tatsache, dass die Veranstaltung nicht aufgrund wütender Proteste abgebrochen werden musste, muss ein Erfolg im Sinne des QMs gewesen sein. Selten zuvor war in den Statements von Politik und QM so oft von Toleranz die Rede wie an diesem Nachmittag. Diese forderten sie freilich zuerst für sich selber - um ungestört auf das Publikum einreden zu können. Die Anwesenheit zahlreicher Ordnungskräfte in zivil und Uniform in der Kirche und drumherum gab den Appellen Nachdruck.

Die TFO, so Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky in seiner Begrüßung, sei eine "Angelegenheit, die aus der Bevölkerung an das Quartiersmanagement herangetragen wurde." Es habe nämlich Störfaktoren gegeben, "zunehmende Klagen über Erscheinungen im Alltag". Welche gemeint waren, mochte aber nicht bekanntgeben. Aber man müsse "einen Dialog führen."

Am 16.11. fand im Syndikat in der Weisestr. 62 die zweite Stadtteilversamm-lung statt. wo sich rund 70 Leute zusammen-fanden und das Auftreten auf der QM-Veranstaltung gegen Kiezumbau und Repression berieten. Es bildete sich AG's, die den Kampf gegen TFO, QM und Mietspeku-lation weiterführen wollen. Die nächste Stadtteilver-sammlung ist am 14.12.2009 um 20 Uhr im Syndikat. / Red. TREND

Kerstin Schmiedeknecht, die Leiterin des QMs, redete fortan von den armen Bewohnern des Schiller-Kiezes, die in "Armut und Perspektivlosigkeit" leben müssten. Es gehe darum "die Lebenssituation eines jeden Anwohners verbessern zu helfen." Die Toleranz der Neuköllner, so ihre Überzeugung, habe Grenzen. Fehlende Integration in die Gesellschaft führe zu "Kriminalität, Gewalt, Verstöße gegen Recht und Ordnung."

Die Argumentation des pro-QM-Lagers in dieser Versammlung oszillierte zwischen den beiden Polen der lautstark vorgetragenen "Hilfe" und der in Andeutungen eingeflochtenen "Repression". Einerseits war die Rede von Hilfe für die armen, verwahrlosten Kindern, die im Winter ohne Schuhe herumlaufen müssten. Dann wurde beiläufig eingefügt, es sollten die Wohnverhältnisse überprüft werden, z. B. durch das Jobcenter, damit nicht so viele Roma in einem Haus lebten. Dabei könne es auch um den Aufenthaltsstatus gehen, bzw. um dessen Feststellung. Das veranlasste einen der Anwohner zu der Aussage: "Ich möchte nicht in die Situation kommen, Leute aus dem Kosovo vor der Abschiebung schützen zu müssen, weil wir sie in der Okerstraße loswerden wollten." Denn die Roma kommen, wie das QM selber sagte, aus Rumänien - und haben einen unsicheren Aufenthaltsstatus, was jedoch nicht gesagt wurde.

Aus dem Publikum wurden die Ausführungen mit großer Skepsis bis offener Ablehnung aufgenommen. Von Gentrifizierung war hier die Rede, von Stigmatisierung der Roma und Trinker, von sozialer Ausgrenzung, der man sich entgegenstellen müsse. Zur Gentrifizierungs-Frage erwiderte Schmiedeknecht, sie finde es auffällig, dass man bei allen Verbesserungen im Wohnumfeld schnell in den Verdacht von Vertreibung geriete. Was in der Versammlung allerdings niemand behauptet hatte.

Der Sozialarbeiter Murat Acar stellte sich als Leiter eines Teams von fünf Kollegen des INTEGRA e. V. vor. Sie hätten gerade ihr Quartier in der Okerstraße bezogen und seien, so seine Formulierung, "der praktisch arbeitende Teil" der AG Task Force Okerstraße. In Zusammenarbeit u. a. mit der Polizei und im oben genannten Sinne gemäß des Konzeptes.

Einst gab es einen Grundsatz in der Sozialarbeit: Das Zuckerbrot "Hilfe" darf nicht begleitet werden von der "Peitsche", der Polizei, um erstere nicht zu gefährden. Hat Integra e. V. diesen Grundsatz unter dem Druck des QMs preisgegeben? Bei Nachfrage verneinte Acar das und verwies auf seinen Vertrag, der allerdings leider nicht öffentlich ist. Die Sozialarbeiter arbeiten zudem nicht einmal eigenständig, sondern unter direkter Lei-
tung. Sie wären also nicht in der Lage, den Grundsatz gegen den Willen der Leitung durchzuhalten.

Welche Rolle, muss man sich fragen, hat der Neuköllner Migrationsbeauftragte Arnold Mengelkoch (zuvor Leiter des Neuköllner Jugendamtes) in 2009-11-17-009 diesem Projekt? Er sei der Leiter der TFO hieß es einerseits. Auf besagter Versammlung sprach aber nur Frau Schmiedeknecht, die mit ihrem QM in der offiziellen TFO-Hierarchie nur an zweiter Stelle steht, während Mengelkoch selber kein einziges Wort von sich gab. Dass Heinz Buschkowsky nach seiner Begrüßungsansprache schweigend da saß, hatte andere Gründe.

Ein Ergebnis hatte die Versammlung nicht, nach fast zwei Stunden ging man auseinander. Die Mehrzahl der etwa 200 anwesenden Kiezbewohner war gegen das TFO-Konzept, was sich in der Debatte auch nicht änderte. Das QM hatte in dieser Debatte nichts zu verlieren, jedenfalls nicht bei den Anwohnern. Es war eine Werbeveranstaltung zwecks Verbesserung des am Boden liegenden Images. Es steht aber zu vermuten, dass in Berichten für Dritte formuliert wird, mit dieser Versammlung seien "Missverständnisse beseitigt und Bedenken zerstreut" worden. Die Kritiker sind in dieser Darstellung dann wahrscheinlich die immer gleichen Polit-Querulanten.

Einer von denen wurde bereits während der Veranstaltung zum Schweigen gebracht (Gemeint ist hier ein zertretener Schokoladenweihnachtsmann /red. trend).

Editorische Anmerkungen

Wir spiegelten den Artikel von der Seite: Das gemeine Wesen - Magazin aus Neukölln

Siehe auch in dieser Ausgabe: Eingreiftruppe für den "Problemkiez"