Anatomie der kurdischen Bewegung

von Peter Nowak

11/10

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PKK- diese drei Buchstaben stehen für die kurdische Arbeiterpartei, die in Deutschland noch immer mit Gewalt und Fanatismus in Verbindung wird. Schließlich sind die Partei und alle ihre ihr nahestehenden Organisationen in Deutschland verboten. Immer wieder werden kurdische AktivistInnen zu hohen Haftstrafen verurteilt.

Wer sich über die Hintergründe der kurdischen Nationalbewegung informieren will, kann jetzt auf ein knapp 500 Seiten starke Buch zurückgreifen, dass von zwei Autoren verfasst wurde, die sich seit Jahren mit der kurdischen Nationalbewegung befassen: der Karlsruher Rechtsanwältin Brigitte Kiechle und den Berliner Historiker Nikolaus Brauns. Er geht ausführlich auf die Vorgeschichte und Gründung der PKK ein, die ihre Wurzel in der radikalen Linken der 60er und 70er Jahre hat, der kurdischen Frage besondere Aufmerksamkeit schenkte. Von Anfang an war Abdullah Öcalan die zentrale Figur der Bewegung. 1972 wurde er beim Verteilen linker Flugblätter verhaftet und musste sieben Monate in einem Militärgefängnis verbringen, wo er seine politische Prägung bekam. Danach prägte der junge Öcalan das Bonmot: „Mohammed hat verloren, Marx hat gewonnen.“ Brauns zeichnet die Geschichte der PKK nach, die sich nach dem Militärputsch von 1980, als die Linke weitgehend zerschlagen wurde, politisch festigte. Hauptsächlich junge AktivistInnen mit proletarischem Hintergrund engagierten sich damals in der PKK. Darin sieht der Historiker auch eine Begründung für die Militanz, mit der die PKK vor allem in den Anfangsjahren auf vermeintlichen Verrat reagierte. Dutzende junger Männer und Frauen, die sich der PKK anschließen wollten, wurden als vermeintliche Spione getötet. Darunter waren auch ein Dutzend Studierende aus Eskişehir, die nach ihrer Ankunft im Guerillacamp exekutiert wurden, weil eine Frau Tochter eines Polizisten gewesen sein soll. Auch ein großer Teil der Mitbegründer der PKK ist heute tot, einige wurden von den eigenen GenossInnen umgebracht. Es spricht für das Buch, das Brauns diese dunklen Kapitel der PKK-Geschichte nicht verschweigt, aber die kurdische Bewegung nicht darauf reduziert.

Brauns macht auch deutlich, dass der Kampf der PKK auch auf die unterdrückte kurdische Bevölkerung in Syrien und dem Iran mobilisierend wirkte. Aktivisten der iranischen Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK) sind vom Mullahregime besonders bedroht. Mehrere, der in den letzten Monaten hingerichteten Oppositionellen sollen dieser Strömung nahegestanden haben. Während das iranische Regime die PJAK als von der USA gesteuert diffamiert, bekämpft die USA diese Partei, weil sie sich nicht von der PKK distanziert.

Ausführlich setzen sich Brauns und Kiechle mit der islamischen AKP-Regierung auseinander und stellen sich die Frage, welche Rolle ein EU-Beitritt der Türkei für die Kurden hätte. Anders als viele kurdische Organisationen bleiben die beiden Autoren skeptisch. In dem letzten Kapitel bilanzieren sie, dass die kurdische Bewegung die Inhaftierung Öcalans und nachfolgende innerorganisatorische Machtkämpfe, Umbenennungen und Neugründungen überlebt hat. Brauns und Kiechle halten eine Emanzipation der kurdischen Menschen nur im Rahmen einer internationalen antikapitalistischen Bewegung für möglich. Sie zeigen auch auf, dass zahlreiche kurdische Organisationen innerhalb der türkischen Linken eine wichtige Rolle spielen. Das Mesopotamische Sozialforum, dass Ende September 2009 in Dyarbakir stattgefunden hat, bestätigt diese Einschätzung, die dort auch von mehreren nichtkurdischen Linken, beispielsweise einen Anarchisten aus Istanbul geäußert wurden.

Rolle der Frauen

Brigitte Kiechle geht in einem eigenen Kapitel auf die Rolle der Frauen in der kurdischen Bewegung ein und kommt zu einer positiven Bilanz. „Im Vergleich zu anderen Parteien und politischen Strömungen in der Türkei, in Kurdistan und in dem gesamten Nahen und Mittleren Osten fällt die PKK durch eine hohe Beteiligung von Frauen im politischen und militärischen Bereich und eine intensive Diskussion über die Geschlechterverhältnisse und die Befreiung der Frau auf“.
Kiechle und Brauns haben ein Buch vorgelegt, dass niemand ignorieren kann, der sich mit Kurdistan und die PKK beschäftigt.
 

Nikolaus Brauns/Brigitte Kiechle
PKK - Perspektiven des kurdischen Freiheitskampfes.
Zwischen Selbstbestimmung, EU und Islam

Schmetterling Verlag

Stuttgart, 2010, 510 S., 26,80 Euro, ISBN: 3-89657-564-3,