Für
die Beschäftigten der renommierten und traditionsreichen
Frankfurter Societätsdruckerei (FSD) hat der heiße Herbst schon
längst begonnen. Gegen die beabsichtigte Aufspaltung und
drohende Tarifflucht der FSD streikten auch heute wieder
Druckereiarbeiter, Redakteure und Verlagsangestellte gemeinsam.
Es ist der 5. Warnstreiktag in Folge.
Streikbrecher produzierten geschrumpfte Notausgaben der
Frankfurter Neuen Presse (FNP). Auch die Frankfurter Allgemeine
Zeitung (FAZ) spürt die die Streikfolgen und spricht auf der
Titelseite von „betriebsinternen Auseinandersetzungen“, die dazu
führen, dass die FAZ „nicht in gewohntem Umfang und nicht in
gewohnter Form“ erscheinen kann.
Druckereiarbeiter, Redakteure und Verlagsangestellte
versammelten sich am Mittag zu einer Solidaritätskundgebung vor
dem Verlagsgebäude an der Frankenallee im Frankfurter
Gallusviertel. Hier verhandeln Betriebsrat und
Dienstleistungsgewerkschaft ver.di seit Tagen mit der
Geschäftsleitung über die Forderung nach einem Fortbestehen der
Tarifbindung und nach einem Sozial- und
Altersteilzeittarifvertrag. Die Verhandlungen dauern noch an.
"Dieses Beispiel darf nicht Schule machen und durchkommen",
ermutigte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske die Streikenden
zum Durchhalten: "Dieser Betrieb darf nicht zerschlagen werden!"
Bsirske kritisierte das zunehmende Vordringen von Leiharbeit
auch im Druck- und Verlagsbereich und lobte den engen
Schulterschluss zwischen den Arbeitern der Technik und den
Redakteuren den Frankfurter Neuen Presse (FNP), die in ihrer
großen Mehrheit seit Montag aktiv mitstreiken. Weil die FSD,
deren Druckzentrum auch die Frankfurter Allgemeine (FAZ)
produziert, "nicht irgendein Betrieb" sei, stellte Bsirske
weitere Unterstützung durch den Bundesvorstand der Gewerkschaft
in Aussicht, der am kommenden Montag in Berlin tagt: "Wir werden
Euch so lange unterstützen wie nötig, um zu einem guten Ergebnis
zu kommen". Solidarität bekundeten vor Ort auch
NGG-Bundesstreikleiter Jürgen Hinzer und Parlamentarier von SPD
und Linkspartei aus Land und Bund. Täglich treffen viele
Solidaritätsbotschaften aus dem gesamten Bundesgebiet ein.
Mit ihrer Absicht, die Bereiche Redaktion, Verwaltung und
Druckerei in drei selbständige Unternehmen zu überführen und
damit Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats und Tarifverträge
auszuhebeln, hat die FSD-Geschäftsleitung – und vermutlich auch
die hinter ihr stehende FAZIT-Stiftung – eine Geschlossenheit
der Belegschaft herbeigeführt wie schon lange nicht mehr. So
stehen die allermeisten Redaktionsmitglieder der FNP und ihrer
regionalen Ableger erstmals in ihrem Leben in einem aktiven
Streik. Sie haben durch die drohende Flucht aus dem Tarifvertrag
auch viel zu verlieren. „Der Streik hat eine Eigendynamik
entwickelt“, bestätigte eine junge Redakteurin. „Die Limburger
Lokalredaktion ist komplett dicht“, so Lokalredakteur Volker
Thamm: „Die Solidarität ist im Laufe der Woche gewachsen“. Für
ihn sei es eine wichtige Erfahrung, die Beschäftigten aus der
Technik im Streik überhaupt persönlich kennenzulernen und mit
ihnen „Seit an Seit“ zu stehen, so Thamm. „Wir sind die FSD“,
skandierten die Streikenden und signalisierten mit
Trillerpfeifen ihren Unterhändlern drinnen im Verlagsgebäude
Rückendeckung.
„Die Geschäftsführung weiß, dass sie es mit einer kämpferischen
Belegschaft zu tun hat“, bescheinigte der Arbeitsrechtler und
Betriebsrats-Berater Otto Jäckel den Streikenden. Hier an der
Frankenallee wurde schon 1984 ein Stück Sozialgeschichte
geschrieben. So erinnert sich der frühere
Betriebsratsvorsitzende Hans Scholz, der als Ruheständler seinen
ehemaligen Kollegen beisteht, an den wochenlangen Streik für die
35-Stunden-Woche. Szenen eines massiven Polizeieinsatzes, mit
dem ein Hubschrauber von den aufgebrachten Streikposten
abgeschirmt wurde, der Streikbruchzeitungen aus dem
Firmengelände abtransportieren sollte, sind ihm unvergessen
geblieben. „Hocherfreut“ zeigt sich Scholz über die „großartige
Kooperation von Druckern und Redakteuren“ und stellte fest: „Die
Argumente für die Zerschlagung eines so gesunden Betriebes
leuchten mir nicht ein.“
Editorische Anmerkungen
Der Artikel erschien in der Zeitschrift DER FUNKE am
22.10.2010. Wir spiegelten von dort.
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