Betrieb und Gewerkschaft

Opel-Werk in Antwerpen schließt Ende des Jahres
 
von Dietmar Henning

11/10

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Für die Beschäftigten der renommierten und traditionsreichen Frankfurter Societätsdruckerei (FSD) hat der heiße Herbst schon längst begonnen. Gegen die beabsichtigte Aufspaltung und drohende Tarifflucht der FSD streikten auch heute wieder Druckereiarbeiter, Redakteure und Verlagsangestellte gemeinsam. Es ist der 5. Warnstreiktag in Folge.

Ende 2010 ist die Produktion in den belgischen Werken von Opel und General Motors Geschichte. Konzernvorstand, Gewerkschaften und Betriebsräte haben die lange geplante Schließung schrittweise durchgesetzt.

Seit 1925 liefen in Antwerpen die Montagebänder von GM und Opel. Erst wurde der Chevrolet montiert. Dann folgten diverse Modelle wie Manta, Ascona, Kadett und Vectra. In den vergangenen Jahren wurde nur noch der Opel Astra in unterschiedlichen Modellen gebaut.

Vor etwas mehr als 20 Jahren hatten im Werk noch 12.000 Menschen gearbeitet. Bereits 1988/89 wurde dann das ehemalige Werk 1 von Opel/GM geschlossen. 3.000 Arbeiter verloren damals ihren Job. Der Abbau setzte sich kontinuierlich fort. 1997, 1999 und 2001 fanden größere Umstrukturierungen statt.

Der belgische Betriebsratsvorsitzende Rudi Kennes ließ sich immer wieder auf „Kompromisse“ ein, um „das Schlimmste“, nämlich die Schließung, zu verhindern. „Wir müssen alle ein bisschen abbauen und nicht ganze Werke schließen. Geteiltes Leid ist halbes Leid“, erklärte er 2004 gegenüber der WSWS. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten nur noch 5.600 Männer und Frauen im Werk.

Rudi Kennes ist gelernter Buchhalter und arbeitet seit 33 Jahren im GM-Werk Antwerpen. 1983 wurde er als Vertreter der sozialdemokratischen Allgemeinen Belgischen Gewerkschaft (ABVV) in den Betriebsrat gewählt. Seit vielen Jahren ist er stellvertretender Vorsitzender im europäischen GM-Betriebsrat, dem Europäischen Arbeitnehmerforum (EEF).

Neben dem Abbau von Arbeitsplätzen vereinbarten Kennes und seine Betriebsratskollegen auch härtere Arbeitsbedingungen und niedrigere Löhne. Ganze Werksbereiche wie die Logistik, die Cafeteria und die Werksfeuerwehr wurden ausgegliedert. Neueingestellte wurden dann 12,5 % niedriger als die Stammbelegschaft bezahlt.

Die Verschärfung der Arbeitshetze wurde auf Vorschlag der Gewerkschaft mithilfe so genannter „Workshops“ durchgesetzt. Sie bestanden aus sechs Beschäftigten sowie jeweils einem Vertreter der Gewerkschaft und des Konzerns. Sie erarbeiteten Vorschläge zur Arbeitsintensivierung, die dann sofort in Arbeitsplatzabbau umgesetzt wurden.

Das Problem seien die Kosten, stellte Kennes wiederholt im Tonfall der GM-Manager fest. Erst Anfang des Jahres hatte er sich damit gebrüstet, dass die verbliebene belgische Belegschaft allein in den letzten zwei Jahren auf 20 Millionen Euro Lohn verzichtet habe, um die schon lange angekündigte Schließung des Werks zu verhindern.

Zuletzt arbeiteten dann nur noch 2.600 Beschäftigte im Opel-Werk, die ihre Arbeitsplätze in zwei Tranchen verlieren. 1.300 mussten bereits im Juni gehen, die restlichen 1.300 Ende des Jahres.

Die Werksschließung hat für das belgische Industriegebiet verheerende Auswirkungen. Mit einer halben Million Einwohner ist Antwerpen die größte Stadt Flanderns. Bereits jetzt beträgt die offizielle Arbeitslosenrate in der Region rund 17 Prozent. Vor zwölf Jahren hatte schon Renault sein Werk im benachbarten Vilvoorde geschlossen. Auch bei Ford in Gent und Volkswagen in Brüssel-Forest wurden massiv Arbeitsplätze abgebaut. Opel war der letzte große Industriebetrieb in der Region, und an jedem Opel-Arbeitsplatz hängen drei weitere in der Zulieferindustrie. Die Zahl der Arbeitslosen wird also um über 10.000 in die Höhe schnellen.

Neben Kennes, dem Betriebsrat in Antwerpen und den belgischen Gewerkschaften sind vor allem die IG Metall und die deutschen Betriebsräte für die Schließung verantwortlich. Sie haben systematisch auf die Stilllegung des Werks in Antwerpen hingearbeitet.

Ausgearbeitete Pläne dafür gab es schon lange, mindestens seit 2007. Sie waren auch Bestandteil des Konzepts des österreichisch-kanadischen Autozulieferkonzerns Magna, der die europäischen GM-Werke nach dem Insolvenzverfahren des GM-Mutterkonzerns in den USA ursprünglich übernehmen wollte.

Als GM den Magna-Deal dann platzen ließ und beschloss, Opel in eigener Regie weiterzuführen, übernahm der Konzern einfach die Kürzungs- und Stilllegungspläne, die Magna zuvor mit den Betriebsräten und Gewerkschaften vereinbart hatte. Inhalt dieser Pläne sind der Abbau von rund 10.000 der europaweit 48.000 Arbeitsplätze bei Opel/Vauxhall und Lohnkürzungen in Milliardenhöhe.

Die Schließung des Werks in Antwerpen war dabei von Anfang an eine ausgemachte Sache. Ein streng vertrauliches Papier, aus dem die Frankfurter Rundschau im Januar 2010 zitierte, verwarf die Produktion eines kleinen Geländewagens (SUV) in Antwerpen, die das GM-Management 2007 der Belegschaft schriftlich zugesichert hatte.

„Selbst wenn ein wirtschaftlicher Erfolg der Geländewagenproduktion in Antwerpen gegeben wäre, ändert sich unsere Absicht nicht, das dortige Werk zu schließen. Die finanziellen Ergebnisse sind signifikant günstiger, sogar wenn der Typ in einer anderen europäischen Fabrik hergestellt würde“, hieß es in dem Papier.

Während die Steillegung also bereits feststand, veröffentlichten die deutschen Betriebsräte und die IG-Metall-Bezirksleiter der deutschen Opel-Standorte eine Pressemitteilung, in der sie sich vehement gegen eine „Schließung bestehender Werke, vor allem auch gegen die Schließung des Werkes in Antwerpen“ aussprachen. Sie weigerten sich allerdings, einen gemeinsamen Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu organisieren. „Um es ganz klar zu sagen: Wir wollen keine Streiks“, erklärte der Vorsitzende des Europäischen Arbeitnehmerforums und des deutschen Gesamtbetriebsrats Klaus Franz auf einer Pressekonferenz.

Die heuchlerischen Solidaritätsadressen an die „Kollegen in Antwerpen“ dienten lediglich dazu, die belgische Belegschaft zu beruhigen und hinter ihrem Rücken eine Strategie zur Stilllegung des Werks auszuarbeiten.

Dies war dann wenige Monate später, im April dieses Jahres, der Fall. Damals unterzeichneten Klaus Franz und der europäische GM-Chef Nick Reilly ein Memorandum of Understanding, in dem die Schließung, wie sie jetzt stattfindet, vereinbart wurde. 1.250 Arbeitsplätze wurden bis Ende Juni über einen Sozialplan mit Frühverrentungsregeln und Abfindungen abgebaut. Die restlichen – meist jüngeren Arbeiter und Arbeiterinnen – wurden mit der Hoffnung auf einen Investor vertröstet, der die Rumpf-Belegschaft übernehmen sollte.

Aber schon damals hieß es im Memorandum: „Sollte kein Investor gefunden werden, gilt dieser [Sozial-]Plan auch für die restliche Belegschaft zum Ende Dezember 2010.“

Nachdem GM dann Anfang Oktober die endgültige Schließung des belgischen Werks bekannt gegeben hatte, ergriffen laut einer Pressemitteilung des Europäischen Metallarbeiter-Verbands die europäischen Betriebsräte des EEF „die Initiative“ und setzten sich direkt mit dem chinesischen Autobauer und Volvo-Besitzer Geely zusammen.

Geely sollte Belegschaft und Werk übernehmen und in den nächsten drei Jahren bis zu 100.000 Fahrzeuge in Antwerpen bauen. Die Motoren und Getriebe sollten von Opel gekauft werden, um Arbeitsplätze im Getriebewerk Bochum, das im nächsten Jahr geschlossen wird, und das Motorenwerk im österreichischen Aspern zu sichern. Am 18. Oktober sprang aber nun auch Geely als letzter Interessent ab, berichtete die belgische Nachrichtenagentur Belga. GM sucht nun nach Käufern, die das 900.000 m² große Werksgelände gebrauchen können.

Die europäischen Betriebsräte und Gewerkschaften fordern dennoch, dass GM/Opel die Gespräche mit dem chinesischen Investor weiterführt.

All dies ist ein widerliches Schauspiel, das auf dem Rücken vor allem der belgischen Opel-Belegschaft ausgetragen wird. Es zeigt, wie die Betriebsräte als Betriebspolizei des Konzernmanagements fungieren. Die Opel- und Vauxhall-Arbeiter in Europa müssen die Schließung des Werks in Antwerpen als Warnung verstehen. Als nächstes wird der europäische Betriebsrat unter Klaus Franz eines ihrer Werke auf dem Altar des Profits opfern.

Betriebsräte und Gewerkschaften haben es sich zur Aufgabe gemacht, die so genannte „Restrukturierung“ des Konzerns, die Nick Reilly Anfang des Jahres bei seinem Antritt als GM-Europe-Vorsitzender forderte, zu planen und durchzusetzen. So wollen sie ihm beweisen, dass ihre Dienste für GM unverzichtbar sind.

Ihr Vorbild ist die amerikanische Autoarbeiter-Gewerkschaft UAW (United Auto Workers). In den USA hat die Obama-Regierung General Motors im Juni 2009 übernommen und in einem Insolvenzverfahren in der Rekordzeit von sechs Wochen „saniert“. Die reichen Investoren und Banken erhielten ihre Gelder zu hundert Prozent zurück, die Arbeiter dagegen mussten für die Sanierung bezahlen. 14 Werke und 2.000 Händler werden stillgelegt. 27.000 Beschäftigte verlieren ihren Arbeitsplatz. Betriebsrenten und Krankenversicherung für Rentner fallen weg, auch wenn sie sich längst im Ruhestand befinden. Die verbleibenden Arbeiter sollen auf die Hälfte ihrer Löhne verzichten oder sie werden entlassen.

Die UAW verpflichtete sich, dies gegen den Widerstand der Arbeiter durchzusetzen und wurde dafür fürstlich belohnt. Ein von der UAW verwalteter Trust hält einen Anteil von 17,5 Prozent am sanierten GM-Konzern. Die UAW hat nun ein Eigeninteresse daran, dass der Konzernprofit steigt und die Kosten – sprich die Löhne und Sozialausgaben – sinken.

Amerikanische Auto-Arbeiter haben einen wichtigen ersten Schritt zur Verteidigung ihrer Löhne und Arbeitsplätze gemacht. In den letzten Wochen stimmten die Arbeiter des GM-Presswerks in Indianapolis mit überwältigender Mehrheit gegen eine von der UAW initiierte fünfzigprozentige Lohnkürzung. Die Arbeiter des Lake Orion-Werks bei Detroit veranstalteten wütende Protestaktionen, als die UAW der Halbierung der Löhne zustimmte und darüber nicht einmal eine Urabstimmung zuließ.

Die Arbeiter von Indianapolis gründeten ein Belegschaftskomitee des GM-Presswerks und forderten die anderen Arbeiter dazu auf, ihrem Beispiel zu folgen und weitere von der UAW unabhängige und oppositionelle Komitees aufzubauen. Über diese Komitees soll der Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze und Löhne geführt werden.

Es ist dringend notwendig, die Arbeiter in den USA zu unterstützen und auch in Europa den Widerstand gegen die geplanten Entlassungen, Werksschließungen und Lohnkürzungen ohne und gegen die Betriebsräte und Gewerkschaften zu organisieren. In jeder Fabrik müssen unabhängig von Betriebsräten und Gewerkschaften Basiskomitees aufgebaut werden.

Die Verteidigung der Arbeitsplätze muss zum Ausgangspunkt einer politischen Offensive gemacht werden, mit dem Ziel, die Banken, Großkonzerne und großen Vermögen zu enteignen, der demokratischen Kontrolle zu unterwerfen und in den Dienst der ganzen Gesellschaft zu stellen.

Editorische Anmerkungen
Der Artikel erschien auf der "World Socialist Web Site"  am 23.10.2010. Wir spiegelten von dort.