Die Oktoberrevolution

25. Oktober (7. November), Mittwoch.
Protokoll eines Tages, der die Welt erschütterte

11/10

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In der Nacht zum 25. Oktober ging das Militär-Revolutionäre Komitee zum offenen Angriff über.

Die Führer beschlossen, daß die Truppen in der Nacht zum 25. Oktober gegen das Winterpalais vorgehen sollten; die unvermeidlichen Verzögerungen, die improvisierte Leitung der Truppen, die mangelnden Verbindungen und viele andere Umstände erlaubten jedoch den ersten Vorstoß der Truppen gegen das Winterpalais erst um 6 bis 7 Uhr morgens zu beginnen.

2 Uhr nachts. Die Truppen des Militär-Revolutionären Komitees besetzten den Nikolai-Bahnhof, den Baltischen Bahnhof, die Kraftwerke und verschiedene Brücken.

3 Uhr nachts. Eine Wache des Pawlow-Regiments hält auf der Millionaja am Winterpalais ein Lastauto mit Offiziersaspiranten auf, die der Bezirksstab zum Schulze des Komitees der Georg-Ritter entsandt hatte; sie wurden nach dem Smolny geleitet. — Der Kommissar des Kexholmer Regiments forderte telephonisch vom Leiter des Telephonamtes die sofortige Ausschaltung der Telephone des Winterpalais und des Bezirksstabes. — Aus Helsingfors setzte sich auf Anforderung des Militär-Revolutionären Komitees die erste Staffel der Matrosen in Bewegung.

3 1/2 Uhr nachts. Der Kreuzer „Aurora" kommt zurück und wirft an der Nikolai-Brücke Anker. Die die Brücke bewachenden Offiziersaspiranten ziehen sich zurück; die Brücke wird von Matrosen besetzt; Panzerautos fahren auf.

5 Uhr morgens. Aus Helsingfors setzt sich die zweite Matrosen-Abteilung in Bewegung.

6 Uhr morgens. Ein Kommando der Garde-Marine von 40 Mann besetzt die Reichsbank, ohne Widerstand seitens des Bankschutzes und des wachhabenden Zuges des Semjonow-Regiments zu finden.

Beim Morgengrauen treffen die Torpedoboote aus Helsingfors ein und fahren die Newa hinauf.

Die Petrograder Kosaken-Regimenter, denen ein Angriffsbefehl Kerenskis zugegangen war, fragten an, ob mit ihnen gleichzeitig auch die Infanterie in Aktion treten werde und erklärten dann, daß sie es ablehnen, allein vorzugehen und lebende Zielscheiben zu sein. — Ebenso weigerten sich einige Offiziersaspirantenschulen vorzugehen und blieben in ihren Quartieren: so erklärte beispielsweise die Pawlower Schule, sie könne nicht vorgehen, da sie das Grenadier-Regiment fürchte.

7 Uhr morgens. Eine Abteilung des Kexholmer Regiments besetzt das Telephonamt; zahlreiche Telephonanschlüsse des Stabes und des Winterpalais werden ausgeschaltet. — Die Palais-Brücke wird besetzt.

8 Uhr morgens. Der Warschauer Bahnhof wird besetzt.

Kerenski und Konowalow begeben sich auf die Nachrichten von den Erfolgen des Militär-Revolutionären Komitees hin aufs neue in den Bezirksstab, wo bereits Panik herrscht. Eine Delegation der das Palais bewachenden Offiziersaspiranten berichtet über die ihnen vom Militär-Revolutionären Komitee zugegangene ultimative Forderung, das Palais zu verlassen, und bittet um Direktiven, „wobei sie erklärt, daß die Mehrzahl der Kameraden bereit sei, ihre Pflicht bis zum letzten zu erfüllen, wenn nur eine Hoffnung auf das Eintreffen irgendwelcher Verstärkung bestünde". — Kerenski begab sich darauf in Begleitung von Offizieren im Automobil (eines derselben, das der amerikanischen Botschaft — fuhr unter amerikanischer Flagge) aus Petrograd nach Gatschina, den herbeorderten Truppen entgegen.

10 Uhr morgens. Vom Militär-Revolutionären Komitee wird folgende Bekanntmachung veröffentlicht:

An die Bürger Rußlands!

Die provisorische Regierang ist abgesetzt. Die Staatsgewalt ist in die Hände des Militär-Revolutionären Komitees, des Organs des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und Soldaten-Deputierten, der an der Spitze des Petrograder Proletariats und der Garnison steht, übergegangen.

Die Sache, für die das Volk gekämpft hat: das sofortige Angebot eines demokratischen Friedens, die Aufhebung der gutsherrlichen Eigentumsrechte am Grund und Boden, die Kontrolle der Produktion durch die Arbeiter, die Bildung einer Sowjetregierung, alles das ist gesichert. Es lebe die Revolution der Arbeiter, Soldaten und Bauern!

Das Militär-Revolutionäre Komitee des Sowjets der Petrograder

Arbeiter- und Soldaten-Deputierten. 25. Oktober 1917, 10 Uhr morgens.

Nach 12 Uhr mittags begannen die Truppenteile des Militär-Revolutionären Komitees das Marienpalais (das Vorparlament) zu umzingeln; an der Ecke des Wosnezenski-Prospekts nahm das Panzerauto „Oleg" des Militär-Revolutionären Komitees Aufstellung.

Gegen l Uhr mittags besetzten Truppen des Ismailow-Regiments, der Garde-Marine und des Kreuzers „Polarstern" das Marienpalais und forderten die zur Sitzung versammelten Mitglieder des Vorparlaments auf, die Räume unverzüglich zu verlassen. Eine schnell improvisierte Versammlung des Ältestenrates mit den Vertretern der Fraktionen und Gruppen beschloß, „einen entschiedenen Protest gegen die Vergewaltigung durch unverantwortliche Elemente einzulegen, die unter Drohung mit dem Bajonett die Tätigkeit des provisorischen Rates der russischen Republik verhindern, und diesen Protest in allen Blättern zu veröffentlichen". Inzwischen hatte ein Teil der Mitglieder des Vorparlaments das Gebäude verlassen. Die Zurückgebliebenen erklärten die Sitzung des Vorparlaments (die letzte) als eröffnet, nahmen den Antrag des Ältestenrates an und verließen ebenfalls das Gebäude. Der Vorsitzende des Vorparlaments, Awksentjew, erklärte bei Schließung der Sitzung, daß die Mitglieder des Vorparlaments über den Tag der nächsten Sitzung schriftlich benachrichtigt werden würden.

Das Pawlow-Regiment besetzte den Newski-Prospekt und die Verbindungsstraßen; es wurden Posten mit Panzerautos und Geschützen auf der Brücke des Katharinen-Kanals, auf der Moika und der Morskaja aufgestellt.

Die Arbeiten in den Regierungs-, Gemeinde- und Privatbetrieben wurden unterbrochen. Gegen 2 Uhr nachmittags trafen aus Kronstadt die Schiffe „Amur", „Habicht" u. a. mit 5000 Kronstädter Matrosen ein und nahmen neben dem Kreuzer „Aurora" Aufstellung. Antonow-Owsejenko begrüßte die eingetroffenen Matrosen und übergab ihnen den Befehl des Militär-Revolutionären Komitees, an der Belagerung des Wdnterpalais teilzunehmen. Die Ausschiffung der Matrosen begann. — Das Panzerschiff „Sarja Swobody" setzte an der Station Spassatjelnaja ein Detachement an Land, das die baltische Eisenbahn besetzte und die Offiziersaspiranten in Orandenbaum und Peterhof entwaffnete; darauf nahm das Panzerschiff am Morskoi-Kanal Aufstellung zwecks Beschießung der baltischen Eisenbahnstrecke.

Um 2 Uhr 35 Minuten nachmittags wurde unter dem Vorsitz Trotzkis eine Sondersitzung des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und Soldaten-Deputierten eröffnet. Unter stürmischem Applaus erklärte Trotzki:

Im Namen des Militär-Revolutionären Komitees erkläre ich, daß die provisorische Regierung aufgehört hat zu existieren. Einige Minister befinden sich in Haft. Die anderen werden in den nächsten Tagen oder Stunden verhaftet werden. Die revolutionäre Garnison, die zur Verfügung des Militär-Revolutionären Komitees steht, hat die Versammlung des Vorparlaments aufgelöst. Man hatte uns gesagt, daß der Aufstand der Garnison im gegenwärtigen Augenblicke zu Pogromen führen und die Revolution in Strömen von Blut ersäufen würde. Uns ist auch nicht ein einziges Opfer bekannt. Ich kenne in der Geschichte kein anderes Beispiel einer Revolution, in welche so ungeheure Massen einbezogen waren und welche so unblutig verlaufen wäre. Die Macht der provisorischen Regierung, mit Kerenski an der Spitze, war tot und harrte nur des Gnadenstoßes des Besens der Geschichte, welcher sie wegfegen sollte. Der Heroismus und die Selbstaufopferung der Petrograder Soldaten und Arbeiter darf nicht unerwähnt bleiben. Wir haben hier die ganze Nacht gewacht und am Telephondraht verfolgen können, wie die Abteilungen der revolutionären Soldaten- und Arbeitergarden geräuschlos ihre Sache erledigt haben. Der Spießbürger hat friedlich geschlafen und wußte nicht, daß inzwischen eine Macht die andere ablöste. Die Bahnhöfe, Post, Telegraph, die Petrograder Telegraphenagentur, die Staatsbank — sie sind besetzt. Der Winterpalast ist noch nicht genommen, aber sein Geschick entscheidet sich in den nächsten Minuten. Der Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldaten-Deputierten kann mit Recht auf die Soldaten und Arbeiter stolz sein, auf die er sich stützt, die er in den Kampf und zum herrlichen Siege geführt hat. Die Besonderheit der bourgeoisen und kleinbürgerlichen Regierungen besteht darin, die Massen zu täuschen. Vor uns — den Sowjets der Soldaten-, Arbeiterund Bauern-Deputierten — steht im gegenwärtigen Augenblicke die in der Geschichte unerhörte Aufgabe der Bildung einer Macht, welche keinen anderen Zweck kennen soll, als die Erfüllung der Bedürfnisse der Soldaten, Arbeiter und Bauern. Die Regierung muß ein Werkzeug der Massen im Kampfe für ihre Befreiung von jeder Versklavung sein. Die Arbeit kann nicht außerhalb des Einflusses der Sowjets vor sich gehen. Die besten Kräfte der bürgerlichen Wissenschaft werden begreifen, daß unter den Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauern-Deputierten die Arbeitsbedingungen für sie bessere sind. Es ist unabweislich, daß sofort die Produktionskontrolle eingeführt wird. Die Bauern, Arbeiter und Soldaten müssen fühlen, daß die Volkswirtschaft ihre Wirtschaft ist, dies ist das Grundprinzip des Aufbaues der Macht. Die Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht ist eine der nächsten Aufgaben der echten revolutionären Macht.

Darauf tritt Lenin, von stürmischen Ovationen empfangen, mit folgender Rede über die Aufgaben der Sowjetregierung zum ersten Male nach der Illegalität öffentlich auf:

Genossen! Die Arbeiter- und Bauern-Revolution, von deren Notwendigkeit die Bolschewiki all die Zeit gesprochen haben, ist vollzogen.

Welche Bedeutung hat diese Arbeiter- und Bauern-Revolution? Die Bedeutung dieses Umsturzes liegt vor allem darin, daß wir jetzt eine Sowjetregierung haben werden, unser eigenes Machtorgan, ohne irgendwelche Beteiligung der Bourgeoisie. Die geknechteten Massen selbst bilden die Macht. Der alle Staatsapparat wird an der Wurzel gefällt und es wird ein neuer Verwaltungsapparat in Form der Sowjet-Organisationen aufgebaut.

Von jetzt beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte Rußlands, und die jetzige dritte russische Revolution muß im Endresultate zum Siege des Sozialismus führen.

Eine unserer Tagesaufgaben bildet die sofortige Liquidierung des Krieges. Aber es ist allen klar, daß, um diesen Krieg zu beenden, der eng mit dem jetzigen kapitalistischen System verbunden ist, unbedingt das Kapital selbst bekämpft werden muß.

In diesem Kampfe wird uns jene Arbeiterbewegung der ganzen Welt zu Hilfe kommen, welche jetzt schon in Italien, England und Deutschland sich zu entfalten beginnt.

Ein gerechter, sofortiger Friede, welchen wir der internationalen Demokratie vorschlagen, wird überall in den internationalen proletarischen Massen ein leidenschaftliches Echo finden. Um dieses Vertrauen des Proletariats zu festigen, ist es notwendig, sofort alle geheimen Verträge zu veröffentlichen.

Im Inneren Rußlands hat ein ungeheurer Teil der Bauernschaft gesagt; Genug des Spiels mit den Kapitalisten, wir gehen mit den Arbeitern. Wir erwerben das Vertrauen der Bauern durch ein einziges Dekret, welches das Eigentum der Gutsbesitzer zunichte macht. Die Bauern verstehen, daß nur im Bündnis mit den Arbeitern die Rettung der Bauernschaft liegt. Wir werden eine wirkliche Arbeiterkontrolle der Produktion einführen. Jetzt haben wir es erlernt, einmütig zu arbeiten. Davon zeugt die eben vor sich gegangene Revolution. Wir besitzen jene Kraft der Massenorganisation, welche alles besiegt und das Proletariat zur Weltrevolution führen wird.

In Rußland müssen wir sofort mit dem Aufbau des proletarischen sozialistischen Staates beginnen.

Es lebe die sozialistische Weltrevolution.'

Um 3 Uhr 15 Minuten nachmittags besetzt eine Abteilung des Pawlow-Regiments die Polizeibrücke und sperrt den Verkehr auf dem Newski-Prospekt; auf der Brücke nimmt ein Panzerauto mit Maschinengewehren und ein Automobil mit einem dreizölligen Geschütz Aufstellung.

Um 3 Uhr 45 Minuten wird der Kasanplatz von Truppen des Militär-Revolutionären Komitees besetzt.

Gegen 5 Uhr nachmittags werden die Räume des Kriegsministeriums und die dort befindliche direkte Leitung zum Hauptquartier von einer Abteilung des Kexholmer Regiments besetzt.

Um 5 Uhr 30 Minuten verbreitet sich das Gerücht, daß eine Armee mit Kerenski an der Spitze aus Pskow gegen Petrograd vorrücke.

Im Laufe des Tages werden in der Peter-Paul-Festung Geschütze zur Beschießung des Winterpalais aufgestellt. — Auf Befehl Antonow-Owsejenkos nehmen die Torpedoboote zur Beschießung des Winterpalais hinter der Nikolai-Brücke Aufstellung.

Im Sowjet des Verbandes der Kosakentruppen fanden einige Sitzungen unter Beteiligung der Vertreter der Regimentskomitees der Kosakentruppenteile statt, in denen die Mitglieder des Sowjets (Filatow, Sawinkow u. a.) die Kosakenregimenter Petrograds aufforderten, die Verteidigung der provisorischen Regierung aufzunehmen; in der angenommenen Resolution wendet sich der Sowjet des Verbandes der Kosakentruppen an die Kosaken Petrograds mit dem Aufruf, die provisorische Regierung zu unterstützen und deren Befehle in ihrem Kampfe gegen die Aufständischen und die Verräter des Vaterlandes, — für die Errungenschaften, die die Revolution dem russischen Volke gebracht hat, streng auszuführen.

Am Tage trafen am Winterpalais die Offiziersaspiranten der Michailow-Artillerieschule mit sechs Geschützen ein.

Im Winterpalais fehlt es vollkommen an Lebensmitteln für die innerhalb des Palais befindlichen Truppen. Ein zum Palais fahrendes Lastautomobil mit Brot wird durch die Truppen des Militär-

Revolutionären Komitees aufgehalten. Die Truppen im Palais bleiben ohne Mittag. Von den sechs daselbst befindlichen Panzerautos gehen fünf auf die Seite des MRK. über und nur eines, der „Achtyrez", bleibt für den Schutz des Palais zurück.

Um 6 Uhr abends wird das Winterpalais von Truppen des MRK. eingeschlossen.

Auf dem Platze vor dem Palais erscheinen Panzerautos des MRK.; eines von ihnen fährt bis an das Hauptportal des Palais, entwaffnet die dort aufgestellten Offiziersaspiranten und entfernt sich dann unbehindert.

Auf einen unter dem Drucke des MRK. ausgegebenen Befehl des Schulleiters verläßt ein großer Teil der Offiziersaspiranten der Michailow-Artillerieschule mit vier Geschützen von insgesamt sechs das Winterpalais und beigibt sich in ihre Schule zurück. Am Newski-Prospekt werden sie von den Posten des Pawlow-Regiments verhaftet, zwei der ihnen abgenommenen Geschütze werden an der Brücke der Moika aufgestellt und gegen das Winterpalais gerichtet.

Um 6% Uhr abends treffen im Bezirksstabe aus der Peter-Paul-Festung zwei Motorradfahrer ein und übergeben ein Ultimatum, das von Antonow-Owsejenko und vom Kommissar der Peter-Paul-Festung, Blagonrawow, unterzeichnet ist und die Forderung enthält, die provisorische Regierung solle sich ergeben und ihre Truppen entwaffnen lassen; in dem Ultimatum wurde auch darauf hingewiesen, daß für den Fall, daß die Regierung sich nicht ergebe, aus den Geschützen der Peter-Paul-Festung und der auf der Newa aufgestellten Kriegsschiffe (Aurora u. a.) das Feuer gegen das Palais eröffnet werden würde; es wurden 20 Minuten Bedenkzeit gegeben. Nach Ablauf dieser Frist von 20 Minuten wurde auf Veranlassung des Stabes einer der eingetroffenen Delegierten mit dem Ersuchen um eine weitere Frist von 10 Minuten zur Festung zurückgesandt; bis dahin sollte Poradjelow aus dem Winterpalais eine endgültige Antwort erhalten. Nach Ablauf der neuen Frist begab sich eine Abteilung von Rotgardisten, Matrosen und Soldaten, die am Tore des Stabes unter dem Kommando eines Leutnants des Pawlow-Regiments Aufstellung genommen hatte, ins Innere des Schlosses, besetzte ohne Widerstand den Stab und verhaftete Poradjelow.

7 Uhr abends. Stadt Ostrow. Der Kommandierende des 7. Kavalleriekorps, General Krassnow, sagt in seinem Befehle zum Vorgehen der 1. Donkosaken-Division („Abteilung des Obersten Popow" in einer Stärke von 20 Hundertschaften mit 16 Maschinengewehren und 14 Geschützen) gegen Petrograd: „zur Unterdrückung der Unruhen mit Waffengewalt hat die provisorische Regierung die 44. Inf.-Division, Kraftfahrerbataillone, die 5. kaukasische Kosakendivision, das 23. und 43. Kosakenregiment und noch einige an der Front entbehrliche Truppenteile herbeordert, die in Eilmärschen gegen Petrograd vorrücken,"

9 Uhr abends. Da von der provisorichen Regierung auf das Ultimatum keine Antwort eingegangen war, wurde nach einem blinden Signalschuß aus der Peter-Paul-Festung aus einem 6-zölligen Geschütz des Kreuzers „Aurora" gleichfalls ein blinder Schuß abgegeben. Gleich darauf setzte (unter Beteiligung der Panzerautos) das Gewehr- und Maschdnengewehrfeuer gegen das Winterpalais ein, das bis 10 Uhr abends dauerte. Die Offiziersaspiranten antworteten von ihren aus Holz errichteten Barrikaden.

Im Laufe des Abends trafen zur Unterstützung des Militär-Revolutionären Komitees fünf Kampfschiffe der operierenden Baltischen Flotte in Petrograd ein (der Kreuzer „Oleg", zwei „Nowik" und zwei Torpedoboote).

Die die provisorische Regierung verteidigenden Truppenteile begannen das Winterpalais zu verlassen. Außer der Batterie der Michailow-Artillerieschule entfernten sich auch die Kosaken; gegen 10 Uhr abends verließ ein großer Teil der Offiziere das Palais.

10 Uhr abends. Das Frauen-Bataillon, das an der Verteidigung des Winterpalais teilnahm, kann dem Feuer nicht standhalten und ergibt sich; darauf läßt das Feuergefecht um das Winterpalais bis 11 Uhr abends nach.

Um 10 Uhr 40 Minuten abends wurde im Smolny der Zweite Allrussische Kongreß der Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauern-Deputierten eröffnet. Der den Kongreß im Namen des Präsidiums des Vollzugsausschusses der SR. und SD. eröffnende Dan begnügte sich mit dem Hinweis auf die besonderen Umstände, unter denen sich der Kongreß versammle, und schlug die Wahl des Präsidiunis vor. Entsprechend der Zahl der Delegierten wurden ins Präsidium gewählt: 14 Bolschewiki (Lenin, Sinowjew, Trotzki, Kamenew, Skljanski, Nogin, Krylenko, Kollontai, Rykow, Antonow-Owsejenko, Rjasanow, Muranow, Lunatscharski und Stutschka), 7 linke SR. (Kamkow, M. Spiridonowa, Kachowskaja, Mstislawski, Sachs, Karelin, Gutman). Die rechten SR. (die zusammen mit den linken SR. — sieben Plätze innehatten) und die Menschewiki (drei Plätze) erklärten, daß sie sich weigern, am Präsidium teilzunehmen; die Menschewiki-Internationalisten (ein Platz) erklärten, daß sie sich bis zur Aufklärung gewisser Umstände der Beteiligung am Präsidium enthalten würden; das Präsidium wurde durch den Vertreter der Ukrainischen Sozialistischen Partei ergänzt. Der Vorsitz ging auf Kamenew über, der die vom alten ZEK. entworfene Tagesordnung — Fragen der Macht, des Krieges und der National-Versammlung — zur Verlesung brachte. Auf Vereinbarung der Büros aller Fraktionen wurde beschlossen, zunächst den Bericht des Vertreters des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und Soldaten-Deputierten entgegenzunehmen und dann zur Regierungsfrage überzugehen. — Einstimmig wurde der Vorschlag Martows angenommen, — vor allem die Frage einer friedlichen Lösung der eingetretenen Krise zu diskutieren. — Nun gaben die Vertreter der rechten Gruppen des Kongresses (Charrasch vom Armeekomitee der 12. Armee, Kutschin im Namen der Frontgruppe, Chintschuk von der Fraktion der Menschewiki, Hendelmann von der Fraktion der rechten SR. und Abraraowitsch vom Bund) außerordentliche Protesterklärungen gegen die Usurpierung der Macht durch die Bolschewiki ab und verließen zusammen mit einem Teile ihrer Fraktionen und Gruppen den Kongreß. — Martow (von der Fraktion der Menschewiki-Internationalisten) schlug dem Kongresse vor, eine Entschließung anzunehmen, die die Notwendigkeit einer friedlichen Lösung der eingetretenen Krise durch Bildung einer gesamtdemokratischen Regierung betont, ferner eine Delegation zwecks Verhandlungen zu ernennen und bis zur Bildung einer einheitlichen demokratischen Regierung die Arbeiten des Kongresses auszusetzen. Von Trotzki wurde eine Resolution vorgeschlagen, die eine scharfe Verurteilung der nach sieben Monaten zusammengebrochenen Tätigkeit der kompromißlerischen Parteien und ihrer Versuche, durch ihren Weggang den Kongreß zu sprengen, ferner eine Begrüßung des sieghaften Auf Standes der Soldaten, Arbeiter und Bauern sowie den Vorschlag enthielt, die Arbeiten des Kongresses fortzusetzen. — Die linken SR. sprachen sich gegen die Resolution Trotzkis und für die Schaffung einer einheitlichen revolutionären Front aus; die Vereinigten Internationalisten erklärten: obwohl sie die Handlungsweise der Menschewiki und der SR. als beschämend ansähen, so schlügen sie doch vor, keine scharfe Resolution aus diesem Anlasse anzunehmen, sondern einfach ihren Weggang zu ignorieren. — Die Menschewiki-Internationalisten und die sich ihnen anschließenden Poale-Zionisten verließen den Kongreß. — Es wurde darauf eine Pause zur Beratung der Resolution gemacht. Auf dem Kongresse verblieben die Bolschewiki, die linken SR., die Vereinigten Internationalisten, die PPS,, ein großer Teil der Frontgruppe und die Vertreter der Bauernsowjets.

Vor Eröffnung des Kongresses fanden Fraktions-Konferenzen statt. Bei der Eröffnung des Kongresses war schon der Beschluß der rechten Gruppen, den Kongreß zu verlassen, bekannt geworden. In der Fraktionssitzung der SR. erhielt die von Hendelmann im Namen des ZK. eingebrachte Resolution, die die Usurpierung der Macht verurteilte, insgesamt 60 Stimmen gegen 93 Stimmen (der linken SR.).

11 Uhr abends. Die Beschießung des Winterpalais wurde wieder aufgenommen. Von der Peter-Paul-Festung wurde Maschinengewehr- und Geschützfeuer gegen das Palais eröffnet; es wurden 30 bis 35 Schüsse abgegeben, von denen nur zwei Treffer waren, die auf das Gesims des Palais schlugen, wobei ein Granatsplitter ein Fenster durchschlug und in ein Zimmer fiel, ohne jemand zu verletzen; die anderen Geschosse gingen über das Palais hinweg. — Darauf drangen einzelne Gruppen von Soldaten und Rotgardisten in das Palais ein, wurden aber von den Offiziersaspiranten entwaffnet; als dann größere Abteilungen von Truppen des Militär-Revolutionären Komitees ins Palais eindrangen, wurden die Offiziersaspiranten entwaffnet.

Kerenski war abends im Automobil in Pskow (Pleskau) eingetroffen. Der Oberstkommandierende der Nordfront, Tscheremissow, erklärte Kerenski, er könne der provisorischen Regierung keinerlei Hilfe leisten und riet, nach Mogilew (ins Quartier des Oberstkommandierenden) zu fahren, — wenn Kerenski seinen Widerstand noch weiter fortzusetzen gedenke. Kerenski 'beschloß, zusammen mit Krassnow nach Ostrow zu fahren, um von dort her mit Kosaken gegen Petrograd vorzugehen.

In den Straßen Petrograds hörte der Verkehr bis in die späte Nacht nicht auf (mit Ausnahme des Stadtteils um das Winterpalais); Theater und Lichtspiele waren geöffnet.

In der Nacht begab sich eine Delegation aus der Stadtverordnetenversammlung ins Winterpalais, bestehend aus Stadtverordneten, aus den Menschewiki und SR., die den Sowjet-Kongreß verlassen hatten, und aus Mitgliedern des Vollzugsausschusses des Sowjets der Allrussischen Bauern-Deputierten. Am Kasan-Platz wurde die Delegation von einem Posten des Militär-Revolutionären Komitees aufgehalten und mußte umkehren.

Um 1 Uhr 50 Minuten nachts besetzten Truppen des Militär-Revolutionären Komitees „die Galerie 1812" im Winterpalais.

Um 2 Uhr 10 Minuten nachts wurde das ganze Winterpalais besetzt. Durch das, Mitglied des Militär-Revolutionären Komitees, Antonow-Owsejenko, wurde die provisorische Regierung verhaftet (der stellvertretende Ministerpräsident Konowalow, der Spezialbevollmächtigte für öffentliche Ordnung in der Hauptstadt, und Wohlfahrtsminister Kischkin, dessen Gehilfen — Paltscfainski und Rutenberg, der Außenminister Tereschtschenko, der Vorsitzende der Sonderkonferenz für die Verteidigung, Tretjakow, der Reichskontrolleuf Smirnow, der Kultusminister Kartasohew, der Finanzminister Bematzki, der Marineminister Werderewski, der Leiter des Kriegsministeriums General Manikowski, der Verkehrsminister Liwerowski, der Minister für Volksbildung, Salaskin, der Landwirtschaftsminister S. Masslow, der Arbeitsminister Gwosdjew, der Postminister und Innenminister Nikitin, der Justizminister Maljantowitsch und der General für besondere Aufträge, Borissow. Die Verhafteten wurden in der Trabezkoi-Bastion der Peter-Paul-Festung interniert. Die anderen Offiziere und Offiziersaspiranten wurden entwaffnet und auf das ehrenwörtliche Versprechen, gegen die Sowjet-Herrschaft nicht kämpfen zu wollen, entlassen. Darauf wurde der Schutz des Winterpalais und des Bezirksstabes organisiert. — Im Laufe der Nacht wurde auch ein provisorischer Stab zur Leitung der Truppen im Reichsmaßstabe gebildet.

In der nach der Pause wieder aufgenommenen Sitzung des Sowjet-Kongresses wurde die Besetzung des Winterpalais, die Verhaftung der provisorischen Regierung, der Übertritt des von Kerenski nach Petrograd entsandten dritten und fünften Kraftfahr-Bataillons auf die Seite des Militär-Revolutionären Komitees, die Bewachung der Zugänge nach Petrograd durch die Garnison von Zarskoje Selo, die Bildung eines Militär - Revolutionären Komitees der Nordfront und die Verabschiedung des Frontkommissars Woytinski mitgeteilt. — Vom Kongreß wurde ein Aufruf an die „Arbeiter, Soldaten und Bauern" angenommen, der die Eröffnung des Sowjet - Kongresses, den Übergang der Macht in dessen Hände, die Verhaftung der provisorischen Regierung mitteilte, den Übergang der gesamten Macht in der Provinz auf die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauern-Deputierten dekretierte und das Programm der Sowjetmacht auseinandersetzte. — Die Fraktion der Menschewiki-Internationalisten — erklärte, daß sie endgültig den Kongreß verlasse. Die PPS. erklärte, daß sie auf dem Kongreß verbleiben und an seinen Arbeiten teilnehmen wolle. — Den Vertretern der örtlichen Bauernsowjets wurde eine beschließende Stimme eingeräumt. — Die Sitzung des Kongresses wurde um 6 Uhr morgens geschlossen.

Um 3 Uhr nachts wurde im Magistratsgebäude, nach der Rückkehr der Delegation, die auf dem Wege zum Winterpalais umzukehren gezwungen wurde, eine Sitzung der Vertreter aller Organisationen abgehalten, die auf dem Standpunkte des Kampfes gegen die Usurpierung der Macht standen. Um 31/ Uhr nachts wurde eine Entschließung angenommen bezüglich der Bildung eines Komitees zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution, dem je drei Vertreter der Stadtverordnetenversammlung, des Vollzugsausschusses, der SR. und SD., des Vollzugsausschusses des Allrussischen Sowjets der Bauern-Deputierten, der den Sowjet-Kongreß boykottierenden Fraktionen der SR. und der Menschewiki, der Zentralkomitees der Parteien der Menschewiki und der SR., des Vorparlaments und der Frontorganisation angehörten. Es wurde beschlossen, sich an das Land mit einem Aufrufe gegen die Bolschewiki und für die Wiederherstellung der provisorischen Regierung zu wenden.

Um diese Zeit klärte sich auch das Verhältnis der verschiedenen Organisationen und Gruppen zur „Usurpierung" der Macht und zum Sowjet-Kongreß.

Die linken SR. sind für die Machtergreifung, für eine einheitliche revolutionäre Front, jedoch gegen eine scharfe Verurteilung der Schwankenden; sie beteiligten sich am Militär-Revolutionären Komitee und an den Arbeiten des Sowjet-Kongresses (stellten Vertreter für das Präsidium des Kongresses).

Die SD.-Internationalisten — sind für die Schaffung einer einheitlichen sozialistischen Regierung; sie verbleiben auf dem Kongreß. — Die PPS. bleibt auf dem Kongreß.

Die Menschewiki-Internationalisten (Martow-Gruppe) — sind gegen die Ergreifung der Macht, da „dieser Umsturz Blutvergießen und Bürgerkrieg" hervorzurufen drohe; sie sind für die friedliche Lösung des Konfliktes, für „eine Verständigung zwischen dem aufrührerischen Teile der Demokratie und den anderen demokratischen Organisationen bezüglich der Bildung einer demokratischen Regierung, die von der ganzen revolutionären Demokratie anerkannt und der die Gewalt der provisorischen Regierung schmerzlos übergeben werden könnte"; sie erklärten zweimal ihren Weggang vom Kongresse, — das zweite Mal den endgültigen (die Erklärung bezüglich des Wegganges wurde in der Sitzung des Kongresses vom 26. Oktober wiederholt).

Die Menschewiki (und der Bund) — sind gegen die Usurpierung der Macht — für Verhandlungen mit der provisorischen Regierung über die Bildung einer Macht, die sich auf alle Schichten der Demokratie stützt; sie beriefen ihren Vertreter aus dem Petrograder Sowjet ab, entfernten sich vom Sowjet-Kongreß und traten dem „Komitee zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution" bei. Das Petrograder Komitee der Menschewiki („Oboronzen") erließ einen Aufruf, in dem es die Bürger aufforderte, sich um die provisorische Regierung zusammenzuschließen und sie zu verteidigen.

Die rechten SR. sind gegea die Usurpierung der Macht, für die Organisierung der Kräfte „in Voraussehung eines Ausbruches des Volksunwillens, der infolge des zwangläufigen Zusammenbruches der bolschewistischen Versprechungen eintreten müsse . . ., um bei der kommenden Katastrophe das Schicksal des Landes in die Hand zu nehmen"; sie entfernten sich vom Kongreß und traten dem „Komitee zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution" bei. Das ZK. der SR. schlug den Mitgliedern der Partei vor, aus dem Militär-Revolutionären Komitee auszutreten.

Die Volkssozialisten und die sozialdemokratische Gruppe „Einheit" (Plechanow-Gruppe) traten dem „Komitee zur Rettung . . ." bei.

Das ZEK. des Allrussischen Eisenbahnerverbandes „beschloß, den Vollzugsausschuß der SR. und der

SD. sowohl in seinem jetzigen Bestände, wie auch in seinem zukünftigen, vom Sowjet-Kongreß zu wählenden, allseitig zu unterstützen", „hält aber den Terror und die Vergewaltigung seitens irgendeiner Partei gegenüber der Mehrheit der Demokratie für unzulässig".

Zentroflott (Zentrilausschuß der Flotte) antwortete auf eine Anfrage der Marinetruppen, daß gemäß der vor einiger Zeit gefaßten Entschließung „alle bewaffneten Aktionen vom Zentroflott kategorisch verurteilt werden; was aber die Beteiligung einzelner Personen und Truppenteile an der Bewegung anbelange, so hält der Zentroflott diese, sofern sie es für möglich ansehen, an der Bewegung teilzunehmen, von ihrem Vorhaben nicht ab."

Das EK. des Post- und Telegraphenverbandes fertigte im Auftrage der provisorischen Regierung deren Telegramme ab und trat dem „Rettungskomitee" bei.

Die Stadtverordnetenversammlung nahm aktiven Anteil an der Gründung des „Komitees zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution".

Das ZEK. der SR. und SD. trat dem „Rettungskomitee" bei und wandte sich dann mit einer Kundgebung an „alle Sowjets der Arbeiter- und Soldaten-Deputierten und Armee-Komitees", in der es den II. Sowjet-Kongreß als nicht stattgefunden und dessen Beschlüsse für die örtlichen Sowjets und Armee-Komitees als nicht verpflichtend erklärt.

Das EK. des Allrussischen Sowjets der Bauern-Deputierten trat mit einer Kundgebung „an alle Bauern, Soldaten und Arbeiter", unter der Losung: „Alle Macht der Nationalversammlung" und mit dem Aufrufe hervor, „dem Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldaten-Deputierten und den ihm unterstellten Organen keinen Glauben zu schenken"; es beschloß auch, zum Sowjet-Kongreß einen Vertreter mit einer Protesterklärung gegen die Einberufung des Kongresses zu entsenden; es trat auch dem „Rettungskomitee" bei.

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien in: Illustrierte Geschichte der russischen Revolution, S.356ff

OCR-Scan red. trend
 

W.Astrov, A. Slepkow, J. Thomas
Illustrierte Geschichte
der russischen Revolution

Neuer Deutscher Verlag
Willi Münzenberg
Berlin 1928
 

Verlag Neue Kritik Reprint 1970