Peter Trotzig
Kommentare zum Zeitgeschehen

Vom Einzelkapital als Souverän

11/10

trend
onlinezeitung

In der aktuellen Ausgabe von Trend ist ein Artikel der „Jungen Linken – Gegen Kapital und Nation“ (Will das Kapital die Löhne immer nur senken?)  abgedruckt, der tief blicken lässt in die modernen Einsichten radikaler Kapitalismuskritik.

Erklärt werden soll, dass das Kapital nicht immer nur Löhne senken „will“. Die Frage, ob das Anheben oder Senken von Löhnen eine Geschichte ist, die nicht von der überlegten Kalkulation eines einzelnen Kapitals abhängt, stellen sich die Autoren erst gar nicht.

Mal so, mal so, das Einzelkapital ist ganz souverän und überlegt einfach nur, welche Lohnhöhe und welche Sonderleistungen und Zuwendungen, am besten geeignet sind, eine möglichst hohe Profitrate, einen maximalen Gewinn zu erwirtschaften.

Man hält es nicht für nötig, zwischen Einzelkapital und Reproduktion eines gesellschaftlichen Gesamtkapitals zu unterscheiden. Der einzelne Unternehmer bestimmt über seine gerissene Kalkulationen, wie hoch sein Profit ist.

Das ist eine ziemlich dürftige Argumentation, die vergisst, dass zwischen Geldanlage und kassieren des Gewinns nicht nur die Produktion liegt, sondern auch der Umsatz von Ware in Geld auf dem Markt. Weil sich aber das einzelne kapitalistische Unternehmen auf dem Markt behaupten muss und es keineswegs in seiner Macht liegt, die Verhältnisse auf dem Markt zu bestimmen, muss sich die Kalkulation der einzelnen Unternehmen an den Vorgaben des Marktes orientieren. Es ist nicht souverän, sondern, wie Marx betont, nur ein Bruchstück des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. 

Die Verhältnisse auf dem Markt werden von niemandem direkt bestimmt. Durch und in der Konkurrenz werden vielmehr Verhältnisse und Bedingungen geschaffen, mit denen das Einzelkapital rechnen muss. Wunder über Wunder, es entstehen ökonomische Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich Einzelkapitale richten müssen!

Da wären vor allem die durchschnittlichen auf dem Markt gehandelten Preise bestimmter Waren. Der Preis, zu dem sich eine Ware verkaufen lässt, wird nicht vom Einzelkapital souverän bestimmt, sondern ist ihm sozusagen vorgegeben. Das Einzelkapital muss sich an diese Vorgabe halten und seine Kosten entsprechend kalkulieren. Und jetzt wird die Sache spannend, weil es um die Frage geht, wie diese Kosten gesenkt werden können und müssen, um den durchschnittlich erzielbaren Marktpreis zu erreichen oder – besser noch - unterbieten zu können. Dann nämlich winkt größerer Umsatz und größerer Profit.

Den einzelnen kapitalistischen Unternehmen stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um die Kosten pro Stück Ware zu reduzieren und das Ziel der Behauptung in der Marktkonkurrenz zu erreichen. In der Wahl dieser Möglichkeiten sind sie allerdings auch wieder nicht frei. Auch darin, müssen sie sich am durchschnittlich üblichen orientieren. Nehmen wir vorab die Arbeitsproduktivität:

1.      Das Einzelkapital muss sich bei seinen Investitionen am durchschnittlichen Stand der technischen Zusammensetzung des Kapitals orientieren, also entsprechende Maschinerie kaufen und einsetzen. (Man wird heute kaum handwerklich gefertigte Autos in Massen verkaufen können.) Die Spielräume für ein Einzelkapital hier Kosten zu senken sind denkbar gering. Im Gegenteil: Die „Kapitalintensität“ nimmt seit dem Neustart des Kapitalismus nach dem 2. Weltkrieg kontinuierlich zu. Wer da nicht mithalten kann, hat schon verloren.

2.      Die Löhne, um die es hier ja geht:
Die seit vielen Jahren anhaltende Tendenz zu sinkenden Löhnen ist ein Produkt der Konkurrenz, die die Einzelkapitale zwingt ihre technische Zusammensetzung zu erhöhen und sie ist ein Produkt der Konkurrenz der LohnarbeiterInnen untereinander, die gesetzmäßig zunimmt mit ihrer Verdrängung durch Maschinerie, also durch erhöhte „Kapitalintensität“ und in Folge durch das Anwachsen der industriellen Reservearmee.
 

Die Höhe der Löhne, die im vorliegenden Artikel der „Jungen Linken“  Gegenstand souveräner Kalkulation des Einzelkapitals sind, wird also ebenfalls von Marktverhältnissen, also nicht zuletzt dem Einwirken verschiedener Einzelkapitale aufeinander, bestimmt. Wenn sich aber - vermittelt über die Konkurrenz - eine ständige Erhöhung der technischen Zusammensetzung und in dessen Folge eine Erhöhung der „Kapitalintensität“ ergibt, dann gerät die Durchschnittsprofitrate des gesellschaftlichen Gesamtkapitals (holla, sowas soll es geben) unter Druck. Diesem Druck kann und muss das gesellschaftliche Gesamtkapital begegnen durch Erhöhung der Mehrwertrate, also dadurch, dass die LohnarbeiterInnen kürzere Zeit (bezahlt) für sich und mehr unbezahlt für das Kapital arbeiten. (Koordinierter Angriff von Kapital und Staat). Sowas nennt man ein Bewegungsgesetz des Kapitals und auch das soll es nach Marx geben. Mit der souveränen Kalkulation eines Einzelkapitals hat das alles jedenfalls recht wenig zu tun und wir werden es erleben, dass der Druck auf die Löhne in den nächsten Jahren – gesetzmäßig - weiter enorm wächst. (Wenn einzelne Unternehmen, es sich ausnahmsweise leisten können, etwas mehr zu zahlen, um etwa qualifizierte LohnarbeiterInnen zu halten oder anzuwerben, dann widerspricht das nicht der allgemeinen Tendenz. Und, wie Marx ebenfalls schon bemerkte, setzen sich alle gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten nur als Tendenz durch.) Das, das Senken des allgemeinen Lohnniveaus, ist nämlich eine der entscheidenden Bedingungen für die Bewahrung kapitalistischer Rentabilität bei Akkumulation mit ständig wächsender organischer Zusammensetzung des Kapitals.

Das ist nicht eine Frage, was das Kapital „will“, sondern was jedes Einzelkapital auf Grund der via Marktkonkurrenz in Gang gesetzten Gesetzmäßigkeit zu tun gezwungen ist, um seine Ziele zu erreichen.

In welchen bedrohlichen Zustand dieser fortlaufende Prozess durch die Errichtung immer höherer Hürden für die Verwertung des Kapitals die bürgerliche Gesellschaft versetzen wird, bleibt abzuwarten, zumal die „Junge Linke“ - wie viele radikale Antikapitalisten  - wenig mehr zu bieten hat, als solche zweifelhaften Erklärungen über die Gestaltungshoheit des Einzelkapitals über Löhne und die allgemeine Bekundung, dass sie gegen Kapital und Nation ist. Letzteres darf man begrüßen, auch wenn es wenig hilfreich ist.

 

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.