Der Streit um den freien Willen
Die Zwangsbehandlung in der Psychatrie wurde höchstrichterlich eingeschränkt, aber auch jeder kann sich mit einer Patientenverfügung dagegen schützen


von Peter Nowak

11/11

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Danny S. wurde nur 21 Jahre alt. Im Januar 2010 erhängte sich der junge Mann in der Forensik des Ökumenischen Hainich Klinikums (OHK) im thüringischen Mühlhausen. Für die Ärzte war der Suizid eine Folge seines psychischen Leidens, Seine Angehörigen sehen in der Verabreichung von Psychopharmaka den Grund für den Freitod. Neben zahlreichen lebenszerstörenden Nebenwirkungen seien schwere Depressionen und damit eine erhöhte Suizidgefahr die Folgen. Die Mutter von Danny S. hat Ärzte und Pflegepersonal angezeigt. Doch ihr Sohn war nicht der einzige Tote in dieser Klinik.

Dort wurde am 27.02. 2011 der achtundzwanzigjährige Holger Z. stranguliert aufgefunden. . Er sei jahrelang unter Druck gesetzt, immer wieder isoliert und zwangsweise mit Medikamenten vollgepumpt worden, behaupten Zeugen und Angehörige. Zudem sei ihm monatelang der Kontakt zu seinen nächsten Bezugspersonen verwehrt worden. „Diese psychische und physische Folter trieb ihn in den Tod“. Diese harten Worte äußert sein ehemaliger Verteidiger David Schneider-Addae-Mensah.

Der Menschenrechtsanwalt aus Straßburg betreut mehrere Fälle in deutschen Psychiatrien und weiß wovon er spricht. „Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs, denn vielen misshandelten Insassen gelingt der Suizid im Hochsicherheitstrakt gar nicht“ sagt der Anwalt. „Wer einmal in die Fänge deutscher Psychiatrien gelangt ist, wird konsequent zu Grunde gerichtet. Er wird meist so lange mit Psychopharmaka vollgepumpt, bis er entweder verrückt oder gebrochen ist.“
Auch Tamara L. wurde gegen ihren Willen mit Berliner Klinikum mit Psychopharmaka gespritzt. Sie wirkt desorientiert und kann sich nicht konzentrieren. „Sie zerstören mich. Ich will hier raus“, sagt die Frau mittleren Alters. Sie kann nicht verstehen, wieso sie in der Klinik festgehalten hat. Nachbarn hatten die Polizei und den Notarzt alarmiert, als sie die Frau mit einer Kerze in ihrer Parterrewohnung in Berlin-Neukölln hantieren sahen. Sie befürchteten, sie könnte ihre Wohnung in Brand setzen, was L. vehement bestreitet. Doch damit gilt sie für die Psychiater als nicht einsichtsfähig in ihre Krankheit, und die Chance auf eine Entlassung schwindet.

Urteil mit Schlupfloch

Ein Teufelskreis, den die US-Journalistin Elisabeth Jane Cochrane schon vor mehr als 150 Jahren beschreibt. Unter dem Pseudonym Nellie Bly ließ sie sich zehn Tage in einer psychiatrischen Anstalt einweisen. Ihre Erlebnisse beschrieb sie in dem Buch „10 Tage im Irrenhaus. Undercover in der Psychiatrie“, das vor wenigen Wochen in deutscher Sprache im AvivA-Verlag erschienen ist. Wenn man liest, wie dort Frauen ohne Grund für verrückt erklärt und entwürdigend behandelt wurden, muss man sich fragen, ob sich bis heute bis auf die Wirkung der Medikamente viel verändert hat. Doch in den letzten Monaten gab es gleich zwei Urteile vom Bundesverfassungsgericht, die die Zwangsbehandlung massiv einschränkten. Bereits im März 2011 hatte es einen Passus des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über den Vollzug freiheitsentziehender Maßregeln für nichtig erklärt. Ende Oktober erklärte es auch einen Passus im baden-württembergischen Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker, der eine Zwangsbehandlung erlaubt, als mit dem Grundgesetz unvereinbar. Geklagt hatte ein Straftäter, der vom Gericht in die Forensik eingeliefert und dort zwangsweise medikamentös behandelt wurde. Das höchste Gericht gab seiner Klage statt. “Die Zwangsbehandlung ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die durch Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes geschützte körperliche Unversehrtheit, argumentieren die Richter.

„Dabei hat sie wohl unser Gutachten überzeugt, in dem wir nachgewiesen haben, wie schädlich die Zwangsbehandlung ist und wie viele Todesfälle daraus resultieren“, meint Matthias Seibt zufrieden. Das Vorstandsmitglied des Bundesverbands Psychiatrieerfahrener kämpft seit Jahren für ein Verbot der Zwangsbehandlung und ist sehr zufrieden mit den höchstrichterlichen Entscheidungen.

Auch kleine Erfolge

Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Zwangsbehandlung nicht gänzlich ausgeschlossen hat. Wenn jemand keinen freien Willen mehr besitzt und dadurch auf unabsehbare Zeit in der Psychiatrie bliebe, ist sie weiterhin möglich. „Angesichts der Tatsache, dass sich über Jahrzehnte nichts in der Psychiatrie verändert hatte, war ein generelles Verbot der Zwangsbehandlung noch nicht zu erwarten,“ meint Seibt. Seine Organisation will darauf achten, dass nicht durch die Hintertür um den angeblich nicht vorhandenen freien Willen herum wieder Regelungen getroffen werden, die
die alte Praxis der Zwangsbehandlung fortsetzen. Dabei hat er Grund zum Optimismus. Denn auch Internationale Menschenrechtskonventionen verurteilten die Behandlungen gegen den Willen der Betroffenen. Auch auf lokaler Ebene gibt es Erfolge, die oft gar nicht bekannt werden. So konnte sich Peter M., Vorstandsmitglied der „Menschenrechtsinitiative für das Sozial- und Gesundheitswesen“ (MSG) vor dem Berliner Verwaltungsgericht erfolgreich gegen den Sozialpsychiatrischen Dienst durchsetzen. In der Entscheidung, die dem Autor vorliegt heißt es, „angesichts des Verlaufs der letzten Jahre geht meine Behörde davon aus, dass eine Aktivität nach den Regelungen des PaychKG gegen dem Kläger, soweit er nicht von sich aus um Hilfen bittet, nicht erforderlich ist.“
Zudem kann jede Person mit de Verfassen einer Patientenverfügung (http://www.patverfue.de/) jegliche Zwangsbehandlung ausschließen. Ein Verstoß dagegen könnte strafrechtlich geahndet werden.

Editorische Hinweise
Wir
erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.

Siehe dazu auch: Zwangsbehandlung – noch immer ein Schlüpfloch offen?