Occupy-Bewegung
Gegen die Macht der Banken!


von
Tobi Hansen

11/11

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2011 wurden wir Zeugen von Massenbewegungen weltweit: der „Arabische Frühling“, der demokratische Kampf der Massen gegen Diktaturen, der Abwehrkampf der griechischen Arbeiterklasse und der Jugend gegen die Kürzungen, die Mobilisierungen und Platzbesetzungen von Hunderttausenden in Spanien im Frühsommer oder die Massenproteste in Chile gegen die Angriffe im Bildungsbereich.

Im Gegensatz zu den Jahren davor stand 2011 bei diesen Protesten die Machtfrage im Mittelpunkt. Die Konflikte waren zugespitzt auf die eigentlichen Fragen: Wer herrscht, welches Klasseninteresse wird umgesetzt und wie kann die Mehrheit der Bevölkerung ihre Interessen durchsetzen?

Als die EU ihren „Schuldenschnitt“ für Griechenland feierte, wurde auch klar, wie so etwas geht. Die Banken, die Anleihen und Kredite aus Griechenland halten, verständigten sich in der Nacht mit den „Anlegern“, und als diese „Ja“ sagten, war der Schuldenschnitt beschlossen. Viel besser kann die bürgerliche Demokratie nicht entlarvt werden!
Die Anleger, diese „anonyme“ Gruppe, entscheiden, ob der Schuldenschnitt gemacht wird, die Bourgeoise, die besitzende „anlegende“ Klasse, muss dann nämlich möglicherweise auf Profite verzichten. Über die Banken wird die Politik dann über die Entscheidung informiert.

Seit nunmehr drei Jahren werden wir Zeugen, wie Billionen von Euro oder Dollar an Banken und Unternehmen ausgeschüttet werden, die Krise jedoch nicht beendet wird, sondern nur weitere Sparangriffe gegen die große Mehrheit der Bevölkerung beschlossen folgen.

Anfänge

Die „Indignados“ (die Empörten) aus Spanien forderten „Democracia real YA“ (Echte Demokratie - jetzt!), als sie im Juni die öffentlichen Plätze von Madrid oder Barcelona besetzten. In Spanien gibt es eine Jugendarbeitslosigkeit von ca. 45%, eine ganze Generation wird aussortiert.

Die Bewegung in Spanien rief für den 15. Oktober als internationalem Protesttag auf. In über 900 Städten in 82 Staaten gab es Proteste, besonders „Occupy Wall Street“ aus den USA verbreiterte diesen Protest, wie sich jetzt überhaupt verschiedene „Occupy“-Bewegungen gründen und entwickeln.

In den USA gab es bereits im Frühling in mehreren Bundesstaaten Widerstand gegen die dortigen Sparangriffe. Besonders die Parlamentsbesetzung in Wisconsin zeigte die Mobilisierungskraft der sozialen Proteste in den USA. Die AktivistInnen sahen sich selbst als Teil der Protestierenden in Kairo und Tunis; die Platzbesetzungen sind ein Markenzeichen der Bewegung. Als dann Zehntausende in New York gegen die Allmacht der Wall Street demonstrierten und öffentliche Parks besetzten, wurde ein Slogan sinnbildlich für die Bewegung: We are the 99%!
In ca. 270 Städten hat sich die Bewegung in den USA ausgebreitet. Sie ist eine direkte Antwort auf die Sparangriffe der Regierung, die z.B. dazu führten, dass in Schulen Unterrichtstage gestrichen werden, weil Geld fehlt. Diese Bewegung ist politisch sehr heterogen und befindet sich derzeit in der Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Demokratie bzw. versucht zu bestimmen, was denn „ihre“ Demokratie - im Gegensatz zur jetzigen - wäre.

In diesem Erkenntnis-Prozess befinden sich weltweit Millionen. Hier verliert die bürgerliche Ideologie wie der Kapitalismus als System täglich an Unterstützung, hier liegt der Grundstein einer internationalen Massenbewegung, die jedoch selbst erst dabei ist, nach Alternativen zu suchen.

Der 15.10. als Aktionstag war in allen Medien zu finden. In Deutschland wurden die Organisatoren der Demo und Camps in Frankfurt vor der EZB in Talkshows eingeladen, selten fand in den letzten Jahren eine Bewegung soviel positive Resonanz in den Medien. Dies ist aber nicht allein der „Frische“ der aktuellen Bewegung zu verdanken, sondern v.a. dem weitgehenden Ausbleiben eines internationalen, koordinierten Widerstands in den Jahren der Krise.
Vor dem 15. Oktober gab es keinen einzigen globalen Protesttag gegen die Krisenpolitik, weder gegen die „Bail Outs“ für die Reichen noch gegen die Sparpakete für die Massen. Die Demonstrierenden artikulieren eine deutliche Kritik an den Banken und deren Einfluss auf die Politik, allerdings bislang mit sehr widersprüchlichen Zielen und Forderungen verbunden. Ein Punkt ist aber allen klar: Es geht um die Interessen der Mehrheit gegenüber der besitzenden Minderheit und deren Politik! Damit einhergehend entwickelt sich in diesen Bewegungen auch ein Bewusstsein für reale Veränderungen - der Sturz der Diktaturen in Tunesien, Ägypten und Libyen hat neue Möglichkeiten aufgezeigt. Viele, die am 15.10. auf der Straße waren, wollen eine grundlegende Veränderung der Politik.
Seit dem Ausbruch der Krise 2008 verschärfte sich in vielen Staaten der Klassenkampf von oben. Staaten, Banken und Unternehmen gingen bankrott, wurden durch Steuergelder „gerettet“, wofür in der EU alle Regierungen im Anschluss daran Sparpakete umsetzten. In allen Ländern fanden dann auch Proteste gegen diese Maßnahmen statt. 2009 in Frankreich z.B. mit „Bossnapping“ und besetzten Raffinerien. Das verbreitetste Motto lautete „Wir zahlen nicht für eure Krise“.

Probleme der Bewegung

Diese Proteste blieben aber letztlich national isoliert. Die reformistischen Gewerkschaftsbürokratien sowie die reformistischen Parteien hatten kein Interesse an einer internationalen Zusammenführung dieser Kämpfe. Erst im Herbst 2010, am 27.9. gab es einen Europäischen Aktionstag der Gewerkschaften, basierend auf einem Generalstreik in Spanien, Portugal und Griechenland und einer Großdemo in Brüssel.

Die Gewerkschaftsführungen und die reformistischen Parteien erweisen sich in der kapitalistischen Krise erneut als verlässliche Partner für das jeweilige Kapital. In Deutschland betrieben die beiden größten Einzelgewerkschaften IGM und ver.di Sozialpartnerschaft par excellence: sie gingen ohne Lohnforderung in die Tarifverhandlungen 2009.
Auch das Europäische Sozialforum (ESF) siechte nur vor sich hin. Es taugte nicht einmal zur Vernetzung der europäischen Kämpfe, gegen die Krisenpolitik von Kapital und Staat brachte das ESF nichts zustande.
Aufgrund dieser „Leistungen“ der etablierten Organisationen und Institutionen der Arbeiterklasse sollten wir uns nicht wundern, warum die aktuelle „Occupy“-Bewegung viele Abgrenzungsversuche zu Parteien, Organisationen und Gewerkschaften unternimmt. Bei den Platzbesetzungen in Spanien wehrten sich die AktivistInnen gegen die Gewerkschaften, weil diese nach den Streiks 2010 nichts mehr taten und v.a. für die arbeitslose Jugend keine Alternative aufzeigten. Im Gegenteil: durch ihre „Genossen“ bei den regierenden Sozialisten sind sie für die Verabschiedung der Sparpakete mit verantwortlich.

Diese Realität spielt sicherlich den anarchistischen und libertären „Konsensströmungen“ in die Hände, welche meist durch StudentInnen u.a. kleinbürgerliche Schichten geprägt sind und einen politischen Kampf gegen Organisationen und Parteien führen. Diese verbreiten gern die Illusion, dass dieser Widerstand ganz „neu“ ist, ohne „alte Rituale“ auskommt und stattdessen in wenigen Schritten einen neue Gesellschaft zustande kommt - Hauptsache, jedes Individuum fängt mal an, etwas zu ändern. Während dieser Teil anarchistischen Ideologien und einer gewissen Sozialromantik anhängt, ist eine andere Strömung (attac und andere) klar kleinbürgerlichen Weltverbesserern zuzurechnen. Sie wollen Transaktionssteuern und einen anderen Kapitalismus, der sich weniger um die Banken, sondern mehr „um die Menschen“ kümmert. Dies sind die beiden Strömungen, die derzeit versuchen, die Bewegung für sich zu gewinnen und die sich als informelle Führung aufspielen.

Der größte Teil der DemonstrantInnen vom 15. Oktober ist aber keiner dieser Richtungen zuzuordnen. Unter ihnen findet sich viel Wut auf die Banken, auf die Hörigkeit der politischen Kaste und auf das System insgesamt. Trotz ihrer reformistischen Illusionen sind sie für eine antikapitalistische, klassenkämpferische Politik gewinnbar.
Beim Blick in die USA sehen wir, wohin die Reise gehen kann. In vielen Occupy-Versammlungen (Assambleas) sind Gewerkschaften und politische Gruppen aktiv, es werden Forderungen diskutiert und abgestimmt. Auch in London hat die Versammlung ihre Unterstützung für den gewerkschaftlichen Massendemonstrationen Ende November ausgedrückt. Letztlich wird derzeit entschieden, welche Richtung diese Bewegung nimmt.

Eine internationale Bewegung aufbauen!

Für die Anti-Krisenbewegungen in Europa können diese neuen AktivistInnen, diese neue Bewegung eine Initialzündung sein. In Deutschland z.B. haben sich Anti-Krisenbündnisse neu gegründet. Diese wollen die Möglichkeit nutzen, eine neue Bewegung gegen die Krisenlösung von Kapital und Staat aufzubauen.

Dabei wird es wichtig sein, konkrete Forderungen und konkrete Aktionen vorzuschlagen. Die radikale Linke muss Angebote machen, wie die Bewegung verbreitert werden kann. Wir müssen eine klare antikapitalistische Position in die Bewegung tragen, müssen Forderungen wie die nach Verstaatlichung der Banken unter Arbeiterkontrolle in der Bewegung diskutieren. Neben den anarchistischen Strömungen oder attac gibt es nämlich auch offen bürgerliche Strömungen, die versuchen, Einfluss zu nehmen. Wenn z.B. in Frankfurt die „Partei der Vernunft“ die Demos unterstützt, dann müssen wir wissen, dass sie eine neoliberale Privatisierungstruppe ist, die sich in vielen Punkten z.B. auf Hans Olaf Henkel bezieht und den Euro durch die D-Mark ersetzen will.

Gleichzeitig wurden die DemonstrantInnen vom 15. Oktober von SPD, Grünen und dem DGB mit viel „Solidarität“ überschüttet. Doch gerade gegen SPD und Grüne ein entschlossener politischer Kampf geführt werden, denn sie haben jeder Bankenrettung zugestimmt und sind derzeit höchstens auf dem Papier Opposition. Bei der Anti-AKW- oder der Anti-S21-Bewegung haben wir gesehen, wie schnell eine Massenbewegung mit ihrer Hilfe „befriedet“ werden kann.
Wir müssen die neuen AktivistInnen schnell in die vorhandenen Anti-Krisenbündnisse integrieren. Vor allem aber müssen wir zum Aufbau dieser und neuer Bündnisse aufrufen.

Die Vorbereitungen für den 12. November - die Umzingelung des Regierungsviertel in Berlin und des Bankenviertels in Frankfurt - werden wichtig sein für die weitere Zukunft dieser Bewegung. Gelingt es uns, ein breites Bündnis aufzubauen, könnten wir tatsächlich einen „heißen Herbst“ erleben oder ein „heißes Frühjahr“ einleiten. Auch der Bildungsstreik am 17.11. muss in diesen Kontext gestellt werden.

Die Bewegung vom 15.10. hat eine neue Dynamik entfacht, diese muss genutzt werden, um Massenwiderstand aufzubauen. Dazu brauchen wir nationale und internationale Versammlungen und Koordinierungen dieser Widerstandsbewegungen. Dann entsteht die Möglichkeit, die uns seit Ausbruch dieser Krise gefehlt hat - einen internationalen Widerstand gegen die kapitalistischen Krise aufzubauen und international handlungsfähig zu werden. Das sind die wichtigsten Aufgaben, die es für die Arbeiterklasse und die Jugend derzeit gibt - einen gemeinsamen internationalen Kampf gegen Krise und Kapital zu führen!

Beteiligt Euch am 12. November an: Banken- und Regierungsviertel umzingeln!
Berlin, 12.30, Washingtonplatz/Rahel Hirsch Straße (südlich des Hauptbahnhofs)
Frankfurt/Main, 12.30, Kaisersack (gegenüber Hauptbahnhof)

Infos über Auftakt, Ablauf, Anreise unter: http://banken-in-die-schranken.de

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von:

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 587
8. November 2011

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