Ein anderer anarchistischer Beitrag zu Occupy

von N.N:

11/11

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Wir beobachten etwas, dass wir in den letzten Jahrzehnten für unmöglich hielten. Eine soziale Bewegung die auf einen Schlag aus der Marginalisierung herausschoss. Und das nicht örtlich und zeitlich auf ein singuläres Ereignis begrenzt, sondern fast weltweit sich aufbauend. Es scheint als ob jede Aktionswelle die an einem Ort der Welt hervorbricht, gleich an mehreren anderen Orten ihren Widerhall findet. Jeweils auf ihre besondere Art und Weise, gespeist aus den Erfahrungen der bestehenden Widerstandsbewegungen, sowie der jeweils spezifischen erfahrenen Unterdrückung der jeweiligen Menschen.

Das Potential dieser Bewegung scheint erstmal weit offen zu sein. Nach jeder Repressionswelle wuchs die Bewegung an und radikalisierte sich in ihren Aktionsformen (einmal vom arabischen Raum nach der großen Aufmerksamkeit durch westliche Medien abgesehen). Mit ihren plakativen Forderungen scheint diese Bewegung vielerorts sogar eine Mehrheit anzusprechen. Genau das was von bürgerlicher Seite immer die erste Kritik ist: "Sie haben keine Forderungen und kein Programm" ist es, was diese Bewegung für uns interessant macht und weshalb wir glauben - im Gegensatz zu vielen anderen Linksradikalen Gruppen - dass es lohnt sich mit dieser Bewegung näher auseinanderzusetzten und sich durchaus auch selber einzubringen.

Linksradikale Politik hat sich in den letzten Jahren immer weiter in Richtung Marginalität entwickelt. Sicherlich ist das zu einem Großteil dem Umgang durch herrschende Politik und Medien zu verdanken, aber auch der Politik vieler Linksradikalen selber. Viele sehen ihre eigene Rolle mehr darin das Geschehen zu kommentieren und zu analysieren, anstatt selber einzugreifen. Anstatt Bewegungen als dynamische Prozesse zu begreifen, die sich und ihre organische Zusammensetzung durchaus verändern können, wird sich abgegrenzt wo es geht. Es wird sich selber eine Identität geschaffen, die es gilt gegen anderes abzugrenzen. Das ist höchst problematisch, bestehen emanzipatorische Prozesse doch aus dem öffnen von Räumen, dem Auflösen von Identitäten, dem Stellen von Fragen, anstatt dem Wiederholen von Antworten.

Deshalb ist uns die neu entstehende Occupy Bewegung in vielen dieser Beziehungen sympatischer als es die Linksradikale Bewegung (vor allem auch auf Deutschland bezogen) ist. Selbstverständlich: Vieles was mensch inhaltlich von dieser Bewegung hört und ließt ist stark verkürzt. Aber wie sollte es denn anders sein? Wer glaubt denn, dass eine Bewegung die aus dem Nichts kommt eine ausgereifte Kapitalismuskritik besäße, oder noch besser eine Herrschaftskritik? Deshalb wollen wir uns daran nicht allzulang aufhalten. Denn was viele Linksradikale tun, ist Räume die geöffnet werden - und darunter verstehen wir dass Fragen gestellt werden, in einer Breite und unter Menschen unter denen das gestern noch undenkbar war - gleich wieder schließen zu wollen, weil nicht die, ihrer Meinung nach, richtigen Antworten gegeben werden.

So die Basisgruppe Antifaschismus aus Bremen, aus dem "umsGanze" Bündnis, die in borniertester marxistischer Tradition, null Gespür für Bewegungsdynamik hat, und da wo eine Debatte ist, ein Bruch, eine Nicht-Identität, einfach eine Identität konstruieren. Sie schreiben: "Als Bürger_innen eines Staates fordern die Teilnehmer_innen der Occupy Bewegung diesen auf, den ungezügelten Kapitalismus zu bändigen." Eine globale, extrem kontroverse Bewegung wird so versucht zu vereinheitlichen, obwohl sich die Occupy-Bewegung gerade doch genau dadurch auszeichnet diese Vereinheitlichung zu verneinen. Und wer sich wirklich mit dieser Bewegung auseinandersetzt weiß, dass genau Dinge wie "grundsätzliche Kapitalismuskritik" und "die Rolle des Staates" dort diskutiert werden.

Anstatt den Raum dadurch zu schließen, dass der gesamten Bewegung verkürzte Inhalte in den Mund gelegt werden, gilt es den Raum weiter zu öffnen. Weitere Fragen zu stellen. Auch Antworten geben, aber in erster Linie Fragen aufmachen. Und das schließen von Räumen zu verhindern. Verhindern, dass sich aus der Nicht-Identität der Empörten eine Identität der Empörten wird. Denn was wir brauchen ist nicht Empörung, sondern Wut. Eine Empörung im Aggregatzustand der Nicht-Identität lässt sich schnell verwandeln in Wut, aber Empörung im Aggregatzustand der Identität wird schnell zur langweiligen Irrelevanz.

Das alles geht aber nicht von außerhalb, sondern bloß von innerhalb einer Bewegung. Deshalb rufen wir dazu auf sich massiv einzubringen.

Und wenn wir uns in den nächsten Tagen auf den Plätzen sehen, dann sehen wir auch, dass diese Bewegung sich bereits verändert hat. Dass es gar nicht stimmt, dass nur verkürzte Kritik geübt wird...

Be there!

Editorische Hinweise

Wir spiegelten den Artikel von Indymedia, wo er am 18.11.2011 erschien.