Wir beobachten etwas, dass wir
in den letzten Jahrzehnten für unmöglich hielten. Eine soziale
Bewegung die auf einen Schlag aus der Marginalisierung
herausschoss. Und das nicht örtlich und zeitlich auf ein
singuläres Ereignis begrenzt, sondern fast weltweit sich
aufbauend. Es scheint als ob jede Aktionswelle die an einem
Ort der Welt hervorbricht, gleich an mehreren anderen Orten
ihren Widerhall findet. Jeweils auf ihre besondere Art und
Weise, gespeist aus den Erfahrungen der bestehenden
Widerstandsbewegungen, sowie der jeweils spezifischen
erfahrenen Unterdrückung der jeweiligen Menschen.
Das Potential dieser Bewegung
scheint erstmal weit offen zu sein. Nach jeder
Repressionswelle wuchs die Bewegung an und radikalisierte sich
in ihren Aktionsformen (einmal vom arabischen Raum nach der
großen Aufmerksamkeit durch westliche Medien abgesehen). Mit
ihren plakativen Forderungen scheint diese Bewegung vielerorts
sogar eine Mehrheit anzusprechen. Genau das was von
bürgerlicher Seite immer die erste Kritik ist: "Sie haben
keine Forderungen und kein Programm" ist es, was diese
Bewegung für uns interessant macht und weshalb wir glauben -
im Gegensatz zu vielen anderen Linksradikalen Gruppen - dass
es lohnt sich mit dieser Bewegung näher auseinanderzusetzten
und sich durchaus auch selber einzubringen.
Linksradikale Politik hat sich in
den letzten Jahren immer weiter in Richtung Marginalität
entwickelt. Sicherlich ist das zu einem Großteil dem Umgang
durch herrschende Politik und Medien zu verdanken, aber auch
der Politik vieler Linksradikalen selber. Viele sehen ihre
eigene Rolle mehr darin das Geschehen zu kommentieren und zu
analysieren, anstatt selber einzugreifen. Anstatt Bewegungen
als dynamische Prozesse zu begreifen, die sich und ihre
organische Zusammensetzung durchaus verändern können, wird
sich abgegrenzt wo es geht. Es wird sich selber eine Identität
geschaffen, die es gilt gegen anderes abzugrenzen.
Das ist höchst problematisch, bestehen emanzipatorische
Prozesse doch aus dem öffnen von Räumen, dem Auflösen von
Identitäten, dem Stellen von Fragen, anstatt dem Wiederholen
von Antworten.
Deshalb ist uns die neu entstehende Occupy Bewegung in vielen
dieser Beziehungen sympatischer als es die Linksradikale
Bewegung (vor allem auch auf Deutschland bezogen) ist.
Selbstverständlich: Vieles was mensch inhaltlich von dieser
Bewegung hört und ließt ist stark verkürzt. Aber wie sollte es
denn anders sein? Wer glaubt denn, dass eine Bewegung die aus
dem Nichts kommt eine ausgereifte Kapitalismuskritik besäße,
oder noch besser eine Herrschaftskritik? Deshalb wollen wir
uns daran nicht allzulang aufhalten. Denn was viele
Linksradikale tun, ist Räume die geöffnet werden - und
darunter verstehen wir dass Fragen gestellt werden, in einer
Breite und unter Menschen unter denen das gestern noch
undenkbar war - gleich wieder schließen zu wollen, weil nicht
die, ihrer Meinung nach, richtigen Antworten gegeben werden.
So die Basisgruppe Antifaschismus aus Bremen, aus dem "umsGanze"
Bündnis, die in borniertester marxistischer Tradition, null
Gespür für Bewegungsdynamik hat, und da wo eine Debatte ist,
ein Bruch, eine Nicht-Identität, einfach eine Identität
konstruieren. Sie schreiben: "Als Bürger_innen eines Staates
fordern die Teilnehmer_innen der Occupy Bewegung diesen auf,
den ungezügelten Kapitalismus zu bändigen." Eine globale,
extrem kontroverse Bewegung wird so versucht zu
vereinheitlichen, obwohl sich die Occupy-Bewegung gerade doch
genau dadurch auszeichnet diese Vereinheitlichung zu
verneinen. Und wer sich wirklich mit dieser Bewegung
auseinandersetzt weiß, dass genau Dinge wie "grundsätzliche
Kapitalismuskritik" und "die Rolle des Staates" dort
diskutiert werden.
Anstatt den Raum dadurch zu schließen, dass der gesamten
Bewegung verkürzte Inhalte in den Mund gelegt werden, gilt es
den Raum weiter zu öffnen. Weitere Fragen zu stellen. Auch
Antworten geben, aber in erster Linie Fragen aufmachen. Und
das schließen von Räumen zu verhindern. Verhindern, dass sich
aus der Nicht-Identität der Empörten eine Identität der
Empörten wird. Denn was wir brauchen ist nicht Empörung,
sondern Wut. Eine Empörung im Aggregatzustand der
Nicht-Identität lässt sich schnell verwandeln in Wut, aber
Empörung im Aggregatzustand der Identität wird schnell zur
langweiligen Irrelevanz.
Das alles geht aber nicht von außerhalb, sondern bloß von
innerhalb einer Bewegung. Deshalb rufen wir dazu auf sich
massiv einzubringen.
Und wenn wir uns in den nächsten Tagen auf den Plätzen sehen,
dann sehen wir auch, dass diese Bewegung sich bereits
verändert hat. Dass es gar nicht stimmt, dass nur verkürzte
Kritik geübt wird...
Be there!
Editorische Hinweise
Wir spiegelten den Artikel von Indymedia,
wo er am 18.11.2011 erschien.