Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Konservative und Rechtsextreme wetteifern in Demagogie
Sie wollen gegen die Pläne zur Homosexuellen-Ehe auch auf die Straße gehen. Gemeinsam oder getrennt..?

11-2012

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Präsident François Hollande und Premierminister Jean-Marc Ayrault befinden sich im Abwind, wenn nicht im Sturzflug, was ihre Popularität betrifft. Ihre ausgesprochen wenig „sozialistische“ Politik bei der Verwaltung der – kapitalistischen – Krise trägt ihnen keinesfalls nur Applaus ein. Auch wenn die sozialen Bewegungen ebenfalls, in einem Klima frustrierter aber noch nach Alternativen suchender Resignation, weitgehend gelähmt erscheinen. Die Beliebtheit François Hollandes, welche nach seiner Wahl am 06. Mai 2012 zunächst über 60 Prozent lag, ist nach letzten Umfragewerten vom 01. November d.J. bei 36 Prozent angekommen.

Druck auf die sozialdemokratisch-grüne Regierung kommt unterdessen vor allem von rechts. Derzeit bereitet sich die größte Oppositionspartei, also die konservative und wirtschaftsliberale ebenso wie nationalrassistische Strömungen umfassende UMP, auf die Wahl einer neuen Spitze vor. Am 18. November 12 fällt die Entscheidung zwischen ihrem Generalsekretär Jean-François Copé und dem früheren Premierminister François Fillon. Letzter ist besser platziert. Vor allem Copé setzt auf eine an Ressentiments und Rassismus anknüpfende Kampagne, die seine Partei immer noch weiter an den derzeit ebenfalls erstarkenden Front National/FN annähert. Kein Wunder ist es dabei, dass Umfragen solche Ergebnisse erbringen wie die folgenden: Laut einer Erhebung im Auftrag der französischen Sonntagszeitung Journal du dimanche (JDD; Ausgabe vom 11. November 2012) wünschen 37 Prozent der Befragten, doch 46 % der an der Meinungsumfrage teilnehmenden UMP-Wähler/innen für die Zukunft „eine wichtige politische Rolle“ für die Rechtsextreme Marine Le Pen. Und in den Spalten der Zeitung - Nummer vom 11.11.12 - erklärt Frédéric Dabi vom Meinungsforschungsinstitut IFOP, das die Umfrage durchführte, dazu: „Zwischen den Sympathisanten der UMP und jenen des FN steht kaum noch etwas“, gemeint ist: kaum noch etwas Trennendes. Der Text fährt fort: „Bei Fragen der Sozialhilfe, des Umgangs mit Erwerbslosigkeit, mit Einwanderern oder dem Islam ist die Konvergenz (/ d.h. die Tendenz zur Übereinstimmung) fast vollständig. Die einzigen Differenzen betreffen die Europapolitik und die Innere Sicherheit. Was Frédéric Dabi zu der Aussage verleitet: Da ist es nicht mehr überraschend, dass die Hälfte der Parteigänger der UMP bei den nächsten Kommunalwahlen (Anm.: diese finden frankreichweit im März 2014 statt) lokale Bündnisse mit dem FN wünschen.“ Dasselbe gilt demnach für 72 % der Wähler/innen des FN.

Gewinnt Copé die Wahl bei der UMP, dann würde eine aus der antigaullistischen extremen Rechten kommende Abgeordnete, Michèle Tabarot, stolze Tochter eines in den 1960 Jahren bei der rechten Terrororganisation OAS aktiven Vaters und erklärte De Gaulle-Hasserin, zur Nummer Zwei der „postgaullistischen“ Partei. Tabarot, Bürgermeisterin von Le Cannet (an der Côte d’Azur) und Parlamentarierin seit 2002, wurde im Oktober 1962 in Alicante geboren – drei Monate nach der Unabhängigkeit Algeriens. Und nicht zufällig in Spanien, sondern deswegen, weil ihr rechtsterroristischer Vater damals in Franco-Spanien im Exil lebte. Die OAS entstand 1961 als rassistische „Widerstands“bewegung gegen die Unabhängigkeit Algeriens, und war unter der dort lebenden europäischstämmigen Siedlerbevölkerung ebenso verankert wie unter in Nordafrika dienenden Soldaten, vor allem aber Offizieren. Die Pariser Abendzeitung Le Monde berichtet in ihrer Ausgabe vom 11. Oktober 12, Michèle Tabarot wende noch heute systematisch das Gesicht ab, wenn sie ein Portrait Charles de Gaulles sehe. Bei der Unabhängigkeit Algeriens war de Gaulle Präsident Frankreichs und eine Hassfigur für die OAS, welche ihn beim „Attentat von Petit-Clamart“ zu ermorden versuchte.

Straßenmobilisierung?

Am Wochenende des 27./28. Oktober 12 verkündete Copé, falls er bei der Mitglieder-Abstimmung am 18. November 12 gewählt werde, dann würde die Rechte künftig auch auf die Straße gehen. Es wäre zum ersten Mal seit ihren Demonstrationen zur Verteidigung der katholischen Privatschulen von 1984, die damals durch Konservative und FN gleichermaßen getragen wurden.

Konkret wollte Copé entlang von drei Streitfragen mobilisieren: Besonders (erstens) gegen die Pläne der Regierung zur Erlaubnis der Homosexuellenehe – die er, als Bürgermeister von Meaux, in „seinem“ Rathaus dann gesetzwidrig boykottieren möchte – und (zum Zweiten) zur Einführung des kommunalen Ausländerwahlrecht will Copé. Die Pläne für das Ausländerwahlrecht wird die Regierung allerdings mutmaßlich ohnehin auf die lange Bank schieben, nämlich auf den Zeitraum jenseits der nächsten Kommunalwahlen im März 2014 – ursprünglich war durchaus daran gedacht, die Betroffenen dann bereits mitwählen zu lassen, und die Reform 2013 durchzuführen. Drittens nannte Jean-François Copé als Protestthema für die Rechte auch Behinderungen „der Mobilisierung der wirtschaftlichen Akteure“ (so seine Wortwahl). Er möchte also demnach etwa gegen Steuern für Unternehmen und Reiche mobilisieren. Am dritten und letzten Punkt blieb seine Formulierung jedoch ziemlich unkonkret, was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass eine politische Mobilmachung mit Anziehungskraft bis hinein in die Unterklassen vielleicht an diesem letztgenannten Punkt am schwersten fallen dürfte.

Prompt antwortete die rechtsextreme Politikerin und Parteivorsitzende des Front National (FN), Marine Le Pen, darauf am 02. November 12, auch ihre Partei werde bei den von Copé ankündigten Demonstrationen mitmachen, falls sie stattfinden würden. Anschließen möchte sie sich besonders Demonstrationen gegen die Pläne zur Legalisierung der Homosexuellen-Ehe. Ferner forderte sie darüber hinaus kurz darauf ein „Referendum“ zur Einführung der Homoehe. Ein solches forderte inzwischen auch der (offiziell parteilose, aber im Juni 2012 für die Rechtsextremen in die Nationalversammlung gewählte) FN-Abgeordnete und prominente Anwalt Gilbert Collard. Er bekundete gleichzeitig seinen „Respekt für die homosexuellen Personen“, forderte eine Volksabstimmung über die Pläne zur Legalisierung der Homosexuellenehe – und die Aufnahme eines zusätzlichen Artikels in die Verfassung, welcher die Letztgenannte definitiv verbieten würde.

Hassobjekt Homo-Ehe

Am 07. November 12 hat das französische Kabinett einen Gesetzentwurf angenommen, der solche Ehen ermöglichen soll. Dadurch würden gleichgeschlechtliche ebenso wie heterosexuelle Paarte künftig die Wahl zwischen drei möglichen Statusformen haben: als freie Beziehung (französisch concubinage), in Form eines PACS – einer vertragsförmigen eingetragenen Lebenspartnerschaft, die schon seit ihrer Einführung 1999 allen Paaren offen stand – und nun eben auch der Ehe. Damit einher geht erstmals die Möglichkeit, auch über das Adoptionsrecht für Kinder zu verfügen, wenn die dafür vom Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu zählt insbesondere eine Prüfung, ob das Kindeswohl in dem fraglichen Haushalt geschützt sein wird. Nur sind diese Voraussetzungen in Zukunft erstmals dieselben, egal, ob die Eltern aus Personen gleichen oder unterschiedlichen Geschlechts bestehen.

Ab dem 29. Januar 2013 wird der vorliegende Gesetzentwurf nun im Parlament debattiert werden. Nicht alle Fragen sind dabei im Augenblick auch rechtlich geklärt. Was etwa, wenn Bürgermeister sich aufgrund ihrer Einstellung grundsätzlich weigern sollten, homosexuelle Paare zu trauen – wie Jean-François Copé es für sich selbst bereits ankündigte? Die Regierung verhandelt darüber derzeit gerade mit dem Verband französischer Bürgermeister (AMF). Gedacht ist etwa an eine Ausweitung der gesetzlichen Vertretungsregeln, die es beim Ausfall eines Rathauschefs auch anderen Personen erlauben, an seiner statt eine Trauung zu vollziehen.

Heftige Reaktionen dagegen gibt es bereits. Als erster ging der Kardinal Barbarin aus der Decke, welcher verkündete, die Einführung der Homosexuellenehe sei dasselbe wie die Legalisierung von Polgyamie und Inzest. (Während sonstige Kirchenvertreter sich eher vorsichtig äußerten, und einerseits die Ablehnung der Homosexualität durch alle monotheistischen Religionen – auch durch moslemische und jüdische Gemeinden – betonten, andererseits aber auch den „Dialog“ mit betroffenen Personen anboten. Obwohl dies mitunter mit merkwürdigen Verrenkungen einherging, etwa wenn die Bischofskonferenz am 25. Oktober d.J. bei einem Treffen mit einer gegen Homophobie kämpfenden Vereinigung verkündete, sie respektiere die homosexuellen Personen. Aber hinzufügte, sie müssten ja ihre Neigung nicht in sexuelle Handlungen umsetzen, „so, wie eine Person, die in Versuchung gerät, einen Diebstahl zu begehen, sich rechtzeitig zurückhalten kann“. Ein Vergleich, der bei den Gesprächspartnern der Kirchenvertreter nicht eben sonderlich gut ankam…)

Dieselben Metaphern wie der oben zitierte Kardinal bemühte auch der konservative Bürgermeister des großbürgerlichen 8. Pariser Arrondissements, François Lebel; um ihn noch um den Vorwurf der drohenden Legalisierung von Pädophilie, also Kindesmissbrauch, zu erweitern. Den Vogel schoss vergangene Woche der 87jährige Parlamentsabgeordnete der Rechtsopposition und Rüstungsindustrielle Serge Dassault – früher auch Bürgermeister in Corbeil-Essonnes im Pariser Umland, wo er 1995 Techtelmechtel mit dem FN vollführte - dabei ab. Er erklärte, Frankreich werde zu einem „Land der Homos“, das in zehn Jahren „entvölkert“ sei. Und dann drohe eine Misere genau wie in Griechenland. Sei doch die Zerstörung der Familienmoral „einer der Gründe für die Dekadenz“ der Pleitegriechen (um kurz mit der BILD-Zeitung zu sprechen). Bei der sozialdemokratisch-grünen Parlamentsmehrheit wurden diese Sprüche scharf verurteilt, auf den konservativen Bänken dagegen nicht.

Konservative, Rechtsextreme, katholische Fundamentalisten und andere Gruppen wollen in den kommenden Wochen teils getrennt, teils vereint gegen die Homosexuellenehe auf die Straße gehen und demonstrieren. Beginnend mit einem Aufmarsch der rechtskatholischen Franco-Sympathisanten der Gruppierung Civitas (vgl. zu ihr bspw. http://labrique.net/numeros/en-ligne-uniquement/article/civitas-ou-l-integrisme-catholique ) an diesem Sonntag, den 18. November 12. Dazu rief auch die aus einer alten rechtsextremen Tradition kommende Vereinigung Action française mit auf. Die größeren politischen Kräfte warten unterdessen allerdings noch ab.

Editorische Hinweise

Der Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.