Wie weiter nach dem europäischen Aktionstag?
Alle Räder standen still - jedenfalls in Spanien und Portugal. Beide Länder standen mit massiven Generalstreiks, an denen sich Millionen beteiligten, im Zentrum des europäischen Aktionstages am 14. November.
von
Martin Suchanek

11-2012

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Überblick über die Aktionen

In Portugal und Spanien kam das öffentliche Leben praktisch zum Stillstand. Die große Mehrheit der Lohnabhängigen - nach Schätzungen bis zu 90 Prozent in Portugal und 70-80 Prozent in Spanien - beteiligten sich an den Arbeitsniederlegungen. Studierende und Jugendliche und selbst große Teile der Mittelschichten und des Kleinbürgertums schlossen sich den Aktionen an.

Die riesigen Auswirkungen des Generalstreiks in diesen Ländern lassen sich nicht nur an der Teilnahme an den Demonstrationen in den Großstädten, ja allen Teilen des Landes ablesen. Sie zeigten sich auch an so profanen Dingen wie einem Rückgang des Energieverbrauchs in Spanien um 13 Prozent.

Es waren die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen dieser Länder, von denen die Initiative zum europäischen Aktionstag ausgegangen war, sie hatten ihn dem Europäischen Gewerkschaftsbund faktisch aufgezwungen.
Der Aktionstag traf auf große internationale Resonanz. In Italien rief die größte Gewerkschaft, die CGIL, zu einer vierstündigen Arbeitsniederlegung statt. Radikalere Gewerkschaften wie COBAS hatten zum ganztägigen Streik aufgerufen. Laut Gewerkschaften wurden die Aktionen von mehr ArbeiterInnen besucht, als erwartet; in über 100 Städten gab es Demonstrationen mit insgesamt rund 300.000 TeilnehmerInnen.

In Griechenland fand ebenfalls ein Aktionstag - auch wenn der bisherige Höhepunkt der „Herbstaktionen“ der 48stündige Generalstreik in der Vorwoche lag.

Zweifellos steht Südeuropa in vorderster Front des Klassenkampfes. In Griechenland, Spanien und Portugal haben wir es mit revolutionären bzw. vor-revolutionären Zuspitzungen des Klassenkampfes zu tun.

Auch in Frankreich wurde der Aktionstag mit Demonstrationen und Kundgebungen in über 100 Städten befolgt. Außerhalb Südeuropas war jedoch Belgien das Land, wo der Aktionstag über die von den Gewerkschaften geplanten Formen weit hinausging. Der Eisenbahnverkehr kam zum erliegen. Sogar RTL berichtete davon, dass die Streiks in Wallonien einen allgemeinen Charakter, die Form eines eintägigen Generalstreiks angenommen hätten. Zehntausende demonstrierten kämpferisch vor der europäischen Kommission.

Und Deutschland?

Insgesamt fanden Aktionen in 23 europäischen Ländern statt. Doch während in den südeuropäischen Staaten, in Belgien und Frankreich Betriebe und Büros stillstanden, waren sie in anderen Ländern - darunter auch die Bundesrepublik, aber auch die meisten nord- und osteuropäischen Staaten - auf Demonstrationen und Kundgebungen beschränkt und umfassten nur wenige hundert, maximal etwas über tausend TeilnehmerInnen.

So fanden in Deutschland Demonstrationen und Kundgebungen in über 20 Städten statt. In Berlin demonstrierten rund 1.200, in Köln 500, in München 400, in Bremen 800, in Stuttgart 400 (v.a von der IG Metall) resp. 600 (Anti-Krisenbündnis und ver.di), in Hamburg 200 und in Kassel 400.

Getragen wurden die Aktionen von Teilen der Gewerkschaften (v.a. ver.di, während die IG Metall außer bei regionalen Ausnahmen, den Aktionstag offen sabotierte), von Solidaritätsbündnissen mit Griechenland u.a. südeuropäischen Staaten, Anti-Krisenbündnissen, der Linkspartei, zahlreichen linken Gruppierungen und Organisationen oder des autonomen Spektrums.

In manchen Fällen wurden die Aktionen mit der Beteiligung konkret kämpfender Betriebe verbunden, z.B. durch Streikende von Neupack in Hamburg.

Wie weiter?

Ohne Zweifel zeigt der 14. November eine massive Verschärfung des Klassenkampfes in Europa an. Er ist eine Reaktion auf die historischen Angriffe des europäischen Kapitals - insbesondere auch auf die Politik der imperialistischen Führungsmächte der EU, allen voran Deutschlands, die Krise durch die Abwälzung ihrer Kosten auf die Lohnabhängigen und durch immer neue Kürzungs- und Austeritätsprogramme durchzusetzen und zugleich Europa unter der Hegemonie Deutschlands und seiner engsten Verbündeten neu zu ordnen.

Dafür nehmen die herrschenden Klassen und die imperialistischen Bourgeoisen die Verelendung von Millionen, ja den Zerfall ganzer Gesellschaften wie in Griechenland in Kauf.

Zur Durchsetzung dieser Ziele ist ihnen jedes Mittel recht. Die bürgerliche Demokratie wird zu reinen Farce in Ländern wie Griechenland. Zur Unterdrückung und Niederhaltung der Bewegung wird nicht nur keine Lüge ausgelassen - von den „faulen GriechInnen u.a. SüdeuropäerInnen, von „Krawallmachern“ - oder Aktionen verschwiegen.

Natürlich belässt es die herrschende Klasse dabei nicht beim Propagandakrieg. In vielen Ländern ging die Polizei auch massiv gegen DemonstratInnen vor - in Spanien sogar mit Gummigeschossen.

Das zeigt - wenn auch von Seiten der bürgerlichen Reaktion, der herrschenden Klasse -, dass auch „nicht-demokratische“ Mittel zum Einsatz kommen können und werden, und dass die Arbeiterbewegung darauf vorbereitet sein muss.

Denn: Die aktuellen Angriffe und die weitere Verschärfung der globalen kapitalistischen Krise in den nächsten Monaten werfen objektiv die Machtfrage auf. Durch Teilkämpfe, Einzelaktionen lässt sich der politische Generalangriff letztlich nicht stoppen. Vielmehr steht in allen Ländern Südeuropas, aber auch in Frankreich oder Belgien, ja selbst in Britannien der unbefristete Generalstreik auf der Tagesordnung. Nur ein solches Kampfmittel, kann den politischen Generalangriff stoppen und die Regierungen in die Knie zwingen und stürzen. Es wirft aber auch die Machtfrage von Seiten der Arbeiterklasse auf.

Genau das aber wollen die Führungen der Massenorganisationen der Arbeiterklasse nicht. Auch wenn z.B. die Indignados in Spanien und der portugiesische Gewerkschaftsdachverband CGTP offen den Sturz der Regierung als Ziel proklamieren, so haben sie keine Strategie, wie dieser herbeigeführt werden kann - denn für den unbefristeten Generalstreik treten auch sie nicht ein.

Im Gegensatz zu diesen Kräften wollen die reformistischen Massengewerkschaften Spaniens - CGT und CCOO - die Regierung Rajoy erst gar nicht stürzen, sondern nur „zur Umkehr zwingen“.

Während diese Bürokraten die Bewegung von der Spitze aus kontrollieren und in „vernünftigen“ Bahnen halten wollen, kollaborieren die Spitzen der deutschen IG Metall oder der IG BCE - um nur die abstoßendsten Beispiele für Klassenverrat zu nennen - in sozialchauvinistischer Manier gleich direkt mit „ihren“ Unternehmen, mit „ihrer“ Regierung gegen die ArbeiterInnen Südeuropas. Es ist daher auch kein Wunder, dass sich die gewerkschaftliche Beteiligung am 14. November in Deutschland in engen Grenzen hielt.

Die Frage des Generalstreiks muss jedenfalls in Südeuropa oder anderen Ländern, wo sie heute ansteht, mit der Bildung gemeinsamer, von den Belegschaften gewählten Aktionskomitees oder Ausschüssen verbunden werden, die gewerkschaftsübergreifend ihrer Basis rechenschaftspflichtig und von dieser jederzeit abwählbar sind.

Sie muss zweitens verbunden werden mit der Agitation für eine Programm der Arbeiterklasse zur Lösung der Krise, also dem Kampf für eine Arbeiterregierung, die sich auf die Kampforgane eines Generalstreiks, auf Selbstverteidigungsorgane gegen Faschisten, Polizei und Streikbrecher stützt, die den bürgerlichen Repressionsapparat zerschlägt, das Großkapital enteignet und an ihre Stelle eine demokratische Planwirtschaft unter Kontrolle der Lohnabhängigen setzt.

Es ist im Grunde recht offensichtlich, dass der 14. November auch zeigt, dass ein solcher Kampf auf europäischer Ebene gemeinsam, eng koordiniert geführt werden kann und muss. Doch für die BürokratInnen in den Gewerkschaften, für die europäische Linkspartei, die nationalistisch-stalinistischen Kräfte wie die KKE in Griechenland, aber selbst für viele „radikale“, libertäre Linke wie die Occupy-Bewegung ist „Internationalismus“ keine Kampfstrategie, die in einem gemeinsame Ziel - nämlich der Reorganisation Europas auf Basis der Macht der Arbeiterklasse, auf sozialistischer Basis erwächst - sondern letztlich wenig mehr als die Addition national geführter Kämpfe.

Das ist aber ein Hauptgrund, warum die so dringend notwendige Koordinierung der Klassenkämpfe auf europäischer Ebene so schwer vorankommt. So war das Treffen „Firence 10+10“ Anfang November ein politischer Flop. Neben einer inhaltsleeren „Erklärung“ wurden etliche „Aktionstage“ aneinandergereiht und die reformistische Illusion eines „sozialen Europas“ beschworen.

Das Schlimmste an „Firence 10+10“, das von reformistischen Kräften und fast noch mehr von NGOs dominiert wurde, ist jedoch, dass die fast schon peinlich unzulänglichen Beschlüsse des Treffens nicht mehr sind, als sonst auf europäischer Ebene seit Beginn der Krise zustande kam. Mehr als die Absprache von Aktionstagen, die allesamt auf symbolische Aktionen beschränkt sind, haben weder die Überreste der Sozialforen, noch Occupy, noch der EGB zustande bekommen.

Die politische Hauptverantwortung für diese vernichtend negative Bilanz tragen zweifellos die Führungen der reformistischen und gewerkschaftlichen Massenorganisationen. Aber auch die „radikale Linke“ Europas hat an dieser Stelle seit 2007/08 kläglich versagt. Die verschiedenen zentristischen „Internationalen“ (Vierte Internationale, Komitee für eine Arbeiterinternationale, Internationale Sozialistische Tendenz), die tausende Mitglieder in verschiedenen europäischen Ländern organisieren, haben keine Initiative ergriffen, um die klassenkämpferischen internationalistischen Kräfte auf diesem Kontinent zu bündeln, zusammenzuführen, um dabei zwei Ziele zu verfolgen:

a) gemeinsames Vorgehen, um europaweite, koordinierte politische Massenaktionen durchzusetzen. Eine solche Bündelung der Kräfte könnte jedenfalls in einigen Ländern unmittelbar einen wirklichen Unterschied im Kampf um einen unbefristeten Generalstreik ausmachen;
b) Diskussion eines Aktionsprogramms für Europa, für eine revolutionäre Strategie zum Sturz der bürgerlichen Regierungen und zum Kampf für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa - als politische Grundlage zur Schaffung anti-kapitalistischer, revolutionärer Parteien in ganz Europa und einer neuen Internationale.

Auch wenn kein Mensch, die politischen Schwierigkeiten unterschätzen sollte, die mit diesen Aufgaben angesichts der Differenzen innerhalb der „revolutionären“ Linken verbunden sind, so wäre es im wahrsten Sinn des Wortes politisch selbstmörderisch, wenn die klassenkämpferischen, sozialistischen Schichten in der Linken und der Arbeiterklasse weiter in ihrer passiven Haltung auf europäischer Ebene verharren würden.

Die oben beschriebene Ungleichzeitigkeit der aktuellen Entwicklung in Südeuropa einerseits, in Deutschland oder den Ländern des Nordens andererseits - um nur die Extreme zu nennen - wird bei vielen gern als Argument gegen allzu enge Koordinierung oder gar eine länderübergreifende revolutionäre Politik ins Treffen geführt. In Wirklichkeit ist gerade das ein weiterer, ja entscheidender Grund dafür. Nur durch eine internationale Organisierung, nur durch eine internationale Partei ist es möglich, den Besonderheiten der jeweiligen Lage, die auch das Denken und Fühlen, die politischen Kräfteverhältnis in der Arbeiterklasse prägen, so Rechnung zu tragen, dass sie sich nicht in Nationalismus und Chauvinismus verselbstständigen, sondern in einen gemeinsamen Kampf eingebettet werden.

In den nächsten Wochen gilt es nun, die Dynamik, die am 14. November sichtbar geworden ist, zu nutzen, um von den Gewerkschaften und Massenorganisationen weitere Aktionen einzufordern. So sollten im März 2013 eine Massenmobilisierung gegen den EU-Gipfel in Brüssel organisiert werden und gleichzeitig Streiks, Besetzungen und Demonstrationen in allen europäischen Ländern stattfinden - als Schritt hin zu einem europaweiten Generalstreik.
Zum anderen geht es darum, eine wirkliches Zentrum zur Koordinierung des Widerstands in Europa ins Leben zu rufen - ähnlich dem, was vor 10 Jahren in Florenz sichtbar wurde, als das europäische Sozialform zur größten Antikriegsdemonstration in der Geschichte aufrief. Doch während das ESF an seinen inneren Widersprüchen degenerierte und zerbrach - geht es heute darum, ein zukünftiges Zentrum des europäischen Widerstandes aufzubauen, das von Beginn an ein Zentrum der Aktion, verbindlicher demokratischer Entscheidungen ist, das von Beginn dem Europa des Kapitals den Kampf für ein Europa der ArbeiterInnen entgegenstellt.

 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von:

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 655
17. November 2012

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