trend spezial: Die Organisations- und Programmdebatte

Für eine neue revolutionäre, antikapitalistische Organisation und die Zusammenführung revolutionärer Gruppen und Individuen

Essential-Vorschlag der Sozialistischen Initiative (SIB) vom 12.11.2012

11-2012

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Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011/12 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Vorbemerkung: Mit diesem Beschluss konkretisiert - andere meinen verändert - die SIB Teile ihrer politisch-ideologischen Grundlagen, wie sie bisher im Na-Endlich und Quietscheentchen-Papier zum aus Ausdruck kamen. Der Beschluss kann auf der NaO-Website diskutiert werden.

 Essential-Vorschlag der SIB, am 12.11.2013 mit 8:0 Stimmen bei zwei Enthaltungen beschlossen

Im globalisierten Kapitalismus, der durch eine schrankenlose neo-liberale Offensive gekennzeichnet ist, haben sich die Lebensbedingungen weltweit dramatisch verschlechtert. Massenerwerbslosigkeit, drastische Reallohnverluste, Abbau sozialer Sicherungssysteme und Abbau öffentlicher Infrastrukturen sind auch in den Metropolen der kapitalistischen Staaten Alltag geworden. Die Erfahrungen aus Vergangenheit und Gegenwart zeigen, dass die bloße Abfederung durch eine bürgerliche beziehungsweise reformistische Politik nicht ausreicht, um die Ursachen dieser Entwicklung zu beseitigen. Um eine konsequente Antwort auf diese Entwicklung zu geben, ist eine revolutionäre Organisation mit Masseneinfluss erforderlich.

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine derartige revolutionäre, antikapitalistische Organisation nicht. Diese Tatsache betrifft alle diesbezüglichen Organisationen, unabhängig davon, ob sie in der Tradition des Stalinismus, des Revolutionären Marxismus, des Rätekommunismus oder des Anarchismus stehen. Zwar gibt es unter diesen Gruppen einige mit mehr oder weniger vorhandenen lokalen oder betrieblichen Verankerungen, dennoch kann von einer Politik, die zumindest ansatzweise Massen erreicht, geschweige denn anführt, nicht gesprochen werden.

Diese Realität unterscheidet sich von der Situation in anderen Ländern der Europäischen Union. Die bekanntesten Beispiele finden wir z. B. in Portugal, Spanien, Frankreich, Griechenland und vor einigen Jahren noch in Italien. In diesen Ländern gibt es kleine und größere Organisationen, die in den jeweiligen Ländern über eine erheblich größere Mobilisierungsfähigkeit verfügen und zum Teil auch einen parlamentarischen Arm haben.

Worin liegen die Gründe für diese Verhältnisse? Wenn wir in der Bundesrepublik einmal von ganz skurrilen politischen Gebilden absehen, so ist in der großen Mehrzahl der bestehenden Organisationen durchaus von einem ernsthaften Ansatz zur Analyse der Lage und einem hohen subjektiven Engagement der Genossinnen und Genossen auszugehen. Völlig unabhängig von der strategischen Orientierung und den historischen Anleihen der konkurrierenden Formationen bleibt der Einfluss innerhalb der Klasse der Lohnabhängigen marginal.

Der relative politische Klassenfrieden in der Bundesrepublik ist nach jahrzehntelanger bleierner Hegemonie der Sozialpartnerschaft weiterhin ungebrochen; ein sozialchauvinistischen Weltbildes (wir sind die Tüchtigen, die anderen die Faulen) und die Diskriminierung sind von sozial Ausgegrenzten fest verankert. Es herrscht ein Bewusstsein vor, in dem eine Solidarisierung mit Armen, Notleidenden und von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen kaum mehr stattfindet.

Gab es dafür früher eine ausreichende materielle Basis, so zum Beispiel in einem gehobenen Lebensstandard im Unterschied zu andern europäischen Ländern, so ist diese heute nicht mehr gegeben. Der Kapitalismus setzt auf Konkurrenz und Ausbeutung, dieses Prinzip setzt sich auch im allgemeinen Alltagsbewusstsein durch, wenn nicht gezielt dieser Einstellung entgegen gewirkt wird. Sämtliche Lebensbereiche der Menschen werden vom „Marktgedanken“ durchdrungen. Ob Erziehung, Schule, Ausbildung, Partnerwahl, Krankheit, Todesfall und alle Unwägbarkeiten des Lebens sind zur Ware geworden. Das private und gesellschaftliche Leben der Menschen ist zur Ware geworden, einem Gut, was es zu erkämpfen und zu (ver-)sichern gilt. Die Vereinzelung und Entsolidarisierung sind zum Gesellschaftsprinzip gemacht worden. Der herrschenden Klasse, der Bourgeoisie, dient eine riesige Armee gutbezahlter IdeologieproduzentInnen zur Aufrechterhaltung des gewünschten angepassten Bewusstseins: „Die Welt ist schön, soziale Ungerechtigkeiten sind Unfälle des Lebens.“ Dort, wo es dann z. B. Widerstand gegen Massenentlassungen gibt, bleibt dieser meistens isoliert, „es trifft uns ja nicht“ – so eine häufig anzutreffende Einstellung. Kopf einziehen, ducken und beten. Es reicht eben nicht, wenn z. B. am 1. Mai ritualisiert gegen „die da oben“ gewettert und das Jahr über an der Sozialpartnerschaft festgehalten wird. Hinzu kommt, dass mit dem Zusammenbruch der DDR und der Sowjetunion dem Kapital Millionen von Menschen unterworfen wurden und der schrankenlose Ritt des Neoliberalismus in Form der Globalisierung durchgezogen wurde.

Das revolutionäre Klassenbewusstsein ist die Ausnahme. Bevor Polizei und Armee zur Sicherung der gesellschaftlichen Ordnung auf den Plan treten, wird die Herrschaft der Bourgeoisie in den Köpfen der Massen gesichert.
Die objektiven Ursachen für den relativen Klassenfrieden überwiegen die Fehler des „subjektiven Faktors“ bei weitem. Was kann getan werden?

Die Initiative für eine Neue antikapitalistische Organisation ist ein Versuch, die Zersplitterung zumindest von Teilen der Revolutionären Linken zu überwinden und zu einer gemeinsamen Organisation zu kommen. Aufgrund der jeweiligen politischen Tradition, gegebenenfalls einer bereits bestehenden programmatischen Basis und eines organisatorischen Rahmens der beteiligten Organisationen dürfte zunächst die Bildung einer Bündnisorganisation dem Realismus nahe sein. Heute kommt es darauf an, Gemeinsamkeiten zu finden, herauszuarbeiten und zu überprüfen, ob auf einer ausreichenden gemeinsamen Basis politisch gearbeitet werden kann. Grundsätzlich gilt, dass kein Organisationsaufbauprojekt ein voluntaristischer Akt sein kann, sondern immer im Verhältnis zur gesellschaftlichen Situation stehen muss. Wir sehen aber bereits heute für uns die Verantwortung, auf zukünftige Kämpfe vorbereitet zu sein. Ohne revolutionäre Organisation werden gesellschaftliche Kämpfe nicht zu einer Verbreitung revolutionärer Einstellungen und Praxen, geschweige denn jemals zu einer erfolgreichen Revolution führen. Wir sollten die Zeit nutzen, um unseren Beitrag zur Bildung einer solchen Organisation einzubringen.

Von der Notwendigkeit eines revolutionären Bruchs und ihrer Bedeutung für den heutigen NAO-Prozess

Eine grundlegende Veränderung ist aber nicht durch einen schleichenden Übergang möglich, sondern erfordert früher oder später einen Bruch mit den Interessen und der Macht der VerfechterInnen des Kapitalismus.

Im politischen Zusammenhang steht revolutionär für eine Gesinnung und Handlungsorientierung, die eine grundlegende Veränderung der bestehenden Herrschafts-, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung anstrebt.

RevolutionärInnen wollen einen Entwicklungsprozess befördern, der den Aufbau einer emanzipatorischen, auf gebrauchswertorientierter Produktion mit umweltverträglichem Einsatz der Naturressourcen gründenden Gesellschaft zum Ziel hat, in der „das Reich der Freiheit größer und das Reich der Notwendigkeit kleiner wird“. Wir wollen die soziale Gleichheit der Menschen verwirklichen.

In diesem Sinne wollen wir den revolutionären Bruch mit einem Gesellschaftssystem, das auf Ausbeutung und Herrschaft basiert. Der Weg zu einer Rätedemokratie, die viele von uns anstreben und bei der Demokratie z. B. nicht vor der Fabrik, dem Arbeitsplatz, der Wohngegend und der Ausbildungsstätte halt macht, wird steinig verlaufen.
Die Frage, wie ein solcher revolutionärer Bruch aussehen kann / muss, hat in der NAO (und dort insbesondere in der SIB) zu intensiven und leidenschaftlichen Diskussionen geführt.

Soll der bürgerliche Staat(sapparat) „zerschlagen“ oder „ersetzt“ werden? Welche und wie viel „Staatlichkeit“ charakterisieren die Periode nach dem Sturz des Kapitalismus?

Eine erste Zwischenbilanz unserer Debatten hebt darauf ab, dass es keine „Blaupausen“ für den Ablauf von Revolutionen gibt.

Auch wenn für uns z.B. die Oktoberrevolution als erster erfolgreicher Versuch der Menschheitsgeschichte die kapitalistische Klassenherrschaft zu stürzen, ein positiver Bezugspunkt ist und bleibt, so klar ist uns andererseits, dass eine sozialistische Revolution im spätkapitalistischen Deutschland zu Beginn des 2. Jahrtausends anders verlaufen wird als die im zaristischen Russland des Jahres 1917.

Allgemeiner formuliert: Kein Mensch (und natürlich auch nicht die NAO) weiß genau, wie abrupt oder prozesshaft, wie gewaltsam oder friedlich eine Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse von statten gehen wird.
Was wir allerdings genau wissen (zu wissen glauben): Noch nie in der Geschichte ist eine herrschende Klasse freiwillig abgetreten. Die Reichen und Mächtigen werden weder „übersehen“ noch akzeptieren, dass ihnen ihre Eigentumsordnung irgendwie „wegtransformiert“ wird, sondern sich mit allen, auch und gerade gewaltsamen Mitteln dagegen wehren.

Sich darauf vorzubereiten hat nichts mit Revolutionsromantik zu tun, sondern ist nur realistisch.
Der NAO-Prozess steht also für eine tatsächliche Überwindung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und des mit diesen untrennbar verbundenen bürgerlichen Staates (insbesondere seiner Repressionsorgane) und ihrer Ersetzung durch eine Rätedemokratie.

Für eine radikale Opposition – gegen eine Mitverwaltung der kapitalistischen Krise

Spätestens seit dem Zusammenbruch der DDR erlebt die ArbeiterInnenklasse in Deutschland eine permanente Verschlechterung ihrer sozialen Verhältnisse und der sozialen Sicherungssysteme. Deutschland hat europaweit die höchste Quote an GeringverdienerInnen, mittlerweile sind ein Drittel der lohnabhängig Beschäftigten in Teilzeit- oder befristeten Jobs unterwegs. Die technologischen Errungenschaften in der Produktion wurden nicht für die Senkung der Arbeitszeit für alle genutzt. Ganze Industriezweige wurden verlagert. Die Agenda 2010 von SPD und Grünen sind der massivste Sozialabbau in der Geschichte der Bundesrepublik. Altersdiskriminierung und Altersarmut gehören zum alltäglichen Bild in Deutschland. Menschen finden in der offiziellen Politik zunehmend nur noch als Kostenfaktor statt. Trotz des Schleifens des Lebensstandards gerät der Kapitalismus auch hier in die Krise. Leere Kassen in den öffentlichen Haushalten sind zur Normalität geworden, die „Standort-Deutschland-Parole“ greift kürzer. Der innere Frieden in Deutschland basiert auf partiell Erkämpftes, Zugeständnisse und politischer Hegemonie der Sozialdemokratie in verschiedenen Gewändern. Die Partei Die Linke hat die SPD programmatisch als reformistische Partei abgelöst, auch wenn sie bei weitem nicht über das Wählerpotenzial verfügt. Die SPD selbst ist mittlerweile eine bürgerliche Partei, die sich zunächst noch organisatorisch über die Gewerkschaften auf die ArbeiterInnenklasse stützte, seit über zwanzig Jahren jedoch nur noch bei Wahlen einen Bezug auf diese herzustellen versucht. Der Einfluss des „ArbeitnehmerInnenflügels“ innerhalb der SPD tendiert gegen Null. Die Beziehungen zur Gewerkschaftsführung bekommen Konkurrenz durch die Linkspartei. Die SPD ist für uns nur insofern von Interesse, als sie Einfluss auf nennenswerte Teile der gewerkschaftlichen Basis hat und insofern es ihr noch gelingen sollte, Illusionen in ihre Politik unter WählerInnen zu erzeugen.

In Zeiten der Krise besteht die Chance innerhalb der bürgerlichen Parteien zum Rollentausch. Im Gegensatz zur SPD sehen wir bei der Linkspartei ein differenzierteres Profil was Mitgliedschaft und Politik betrifft. In der Linkspartei ist das gesamte Spektrum von MitgestalterInnen der kapitalistischen Krisenbewältigungspolitik bis zu überzeugten AntikapitalistInnen zu finden. Auch wenn das Programm der Linkspartei auf den letzten Parteitagen nach links gerückt ist, so ist die reale Politik für eine Bewertung entscheidend. Der Mainstream innerhalb der Linkspartei geht – trotz Existenz eines antikapitalistischen Flügels – in Richtung Regierungsbeteiligung auf Länderebene; in den ostdeutschen Landesverbänden dagegen geht es um’s Regieren um jeden Preis. Mensch will ankommen im politischen System der BRD. Unter den gegebenen Bedingungen bedeutet eine Regierungsbeteiligung eine Mitverwaltung der kapitalistischen Krise, das heißt sogenannte Finanzkonsolidierung auf Kosten der Klasse.

Auch wenn wir noch weit davon entfernt sind, in die Verlockungen des Politikgestaltens in den Parlamenten zu geraten, müssen wir bereits heute eine klare Absage an die Mitverwaltung kapitalistischer Verhältnisse erteilen und eine zukünftige Organisation konzentriert auf diese klare Haltung hin entwickeln. Dies heißt, daß sich die Organisation, deren Gründung wir anstreben, auf absehbare Zeit nicht an Parlamentswahlen (egal auf welcher Ebene) beteiligen wird. 0-Komma- oder 1-Komma-Kandidaturen halten wir alle für kontraproduktiv und etwaige Kandidaturen mit Aussicht auf Parlamentsbeteiligung wollen – angesichts der Erfahrungen der ArbeiterInnenbewegung und den Grünen – wohlerwogen sein. Parlamentarische Tätigkeit einer revolutionären Organisation erfordert eine revolutionäre Sozialisation der Abgeordneten. Allgemein gilt, dass Verkehrsformen sozialer Einheiten den Menschen beeinflussen. Dies gilt auch für die Arbeit in Parlamenten. RevolutionärInnen unterstützen alle Maßnahmen, die die Lage der ArbeiterInnenklasse verbessern. Dazu müssen sie sich aber nicht an einer Krisenbewältigungspolitik im Rahmen des kapitalistischen Systems beteiligen. Der Preis dafür wäre ein Verlust an Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit in der Klasse.

Unsere Orientierung: Klassenkämpferisch, feministisch, antirassistisch

Klassenorientierung

Wie in den vorangegangenen Punkten bereits deutlich wurde, gilt für unsere Politik der besondere Bezug auf die Lohnabhängigen. Was heißt das?

Unser Verständnis des Begriffs Lohnabhängigen geht über den engen Rahmen des bloßen Industrieproletariats hinaus. Die fortschreitende technologische Entwicklung und die internationale Arbeitsteilung haben zu einer Abnahme des Industrieproletariats in Deutschland geführt. Die Arbeitsproduktivität hat im Vergleich zu den siebziger Jahren enorm zugenommen. In wesentlich kürzerer Zeit werden z. B. Fahrzeuge angefertigt und in der Landwirtschaft Felder bestellt und abgeerntet. Knapp zwanzig Prozent aller erwerbstätigen Menschen arbeiten heute noch in der Kette der Gütererzeugung. In der heutigen Gesellschaft arbeiten die meisten Menschen im Dienstleistungssektor, der Verteilung und Verwaltung. Mit dieser Entwicklung gingen und gehen weiterhin Verschiebungen in den vertraglichen Arbeitsverhältnissen einher. War es im sogenannten „rheinischen Kapitalismus“, der von der katholischen Soziallehre beeinflusst war, in der Bundesrepublik noch so, dass der überwiegende Anteil aller Erwerbstätigen in unbefristeten Arbeitsverhältnissen stand, so sind heute gut ein Drittel der sozialversicherungspflichtigen Jobs Teilzeit- oder befristete Jobs. Die Menschen mit „geringem Einkommen“ (sogenannte 450 Euro-Jobs) nehmen zu. Ein gesetzlicher Mindestlohn, der zum Leben ausreicht, ist nicht vorhanden, selbst bestqualifizierte Fachkräfte hangeln sich von schlechtbezahlten Erwerbsarbeitsverhältnissen zu den nächsten. Das noch vor einigen Jahren in den USA zuerst auftretende Problem der „working-poor“ hat längst Europa und die BRD erreicht. Leiharbeit ist ein erfolgreicher Wirtschaftszweig für das Kapital geworden.

Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf die gewerkschaftliche Organisierung der Lohnabhängigen und die Bildung von Klassenbewusstsein. Wer seine Kolleginnen und Kollegen nur als KurzzeitbegleiterInnen im Job-Hopping wahrnehmen kann, dessen Entwicklung eines betrieblichen Solidaritätsempfindens hat es schwerer. Die gemeinsame Erfahrung im Arbeitsleben mit kollektiven Konflikten und Arbeitskämpfen erleben immer weniger Erwerbstätige. Die materielle und ideelle Basis für die gewerkschaftliche Organisierung nehmen ab. Unsichere Erwerbsarbeitsverhältnisse führen zur Angepasstheit und Verunsicherung.

Immer mehr Menschen mit und ohne Lohnarbeit leben in prekären Lebensverhältnissen. Trotz aller schichtenspezifischen Unterschiede innerhalb der ArbeiterInnenklasse gilt für die Lohnabhängigen das entscheidende Kriterium des Lohnarbeitsverhältnisses im Arbeitsleben. Ganz gleich, ob Menschen in der Industrie, der Verwaltung, dem Handel, der Bildung usw. arbeiten, sie sind Lohnabhängige, die ihre Arbeitskraft als Ware auf dem Arbeitsmarkt verkaufen müssen. Der Verlust von Arbeitsplätzen führt zur Verschärfung der Konkurrenz unter den Lohnabhängigen. Mit der Angst vor drohender Erwerbslosigkeit werden die Kolleginnen und Kollegen auch in Großbetrieben gefügig gemacht.

Unser Klassenbegriff umfasst auch nicht nur Beschäftigte und ihre Angehörigen, für uns gehören Erwerbslose und RentnerInnen ebenso dazu; generell alle, die dem Zwang zum Verkauf ihrer Arbeitskraft unterworfen sind. Die Zugehörigkeit zur Klasse der Lohnabhängigen ändert sich nicht mit einem Ende von vertraglichen Erwerbsarbeitsverhältnissen.

In kapitalistischen Gesellschaften stehen sich vor allem zwei Klassen gegenüber: die KapitalistInnen und die Klasse der Lohnabhängigen. Die Basis des Kapitalismus und die Quelle des Mehrwertes ist das Lohnarbeitsverhältnis, das die kapitalistische Klasse berechtigt, sich den Teil des Wertes der produzierten Güter, den die Lohnabhängigen nicht als Lohn erhalten, privat anzueignen. Wir gehen davon aus, dass die Klasse der Kapitalisten aus konkreten Menschen besteht, die ganz bewusst von den Klassenverhältnissen und auf Kosten der ihnen unterworfenen Menschen leben. Wir wollen, dass die Herrschaft einer Minderheit über die große Mehrheit der Gesellschaft aufhört. Unter dem Aspekt des betrieblich-gewerkschaftlichen Kampfes bleibt für uns der Betrieb der zentrale Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung.

Für eine revolutionäre, feministische Politik

Fast alle bisherigen Gesellschaften waren und sind patriarchale Gesellschaften, in denen Frauen beherrscht und ausgebeutet werden.

Das Geschlechterverhältnis stellt sich in den verschiedenen Klassen unterschiedlich dar. Im Unterschied zur neueren Strömung des sog. Alpha-Feminismus, der vor allem die Interessen von akademisch ausgebildeten, weißen Frauen vertritt, ist unser Feminismus ein antikapitalistischer und antirassistischer. Zugleich unterstützen wir die Selbstorganisation aller Frauen gegen patriarchale Strukturen und Sexismus.

Die strukturell angelegte besondere Unterdrückung von Frauen vollzieht sich nicht allein in den Lohnarbeitsverhältnissen, sondern auch in der millionenfachen Ausbeutung und Unterdrückung im Alltag der sogenannten Privatsphäre der zwischenmenschlichen Beziehungen. Opfer familiärer Gewalt sind in der Regel Kinder und Frauen, unabhängig von ihrer Klassenzugehörigkeit. Der alltägliche Sexismus zu Lasten der Frauen wirkt subtil und macht keineswegs innerhalb der Linken bei Konflikten halt. Verhaltensweisen und menschliche Empfindungen werden, wie es gerade passen mag, als „typisch weiblich“ bezeichnet, was zum Beispiel zum Verlassen einer sachlichen Ebene bei Streit und Interessenkonflikt animiert.

Nach wie vor leisten Frauen den Hauptteil familiärer beziehungsweise vergleichbarer Reproduktionsarbeit. Es sind mehrheitlich Frauen, die neben ihrer Berufstätigkeit die Aufgaben der Kindererziehung oder Betreuung von Familienangehörigen übernehmen und dadurch einen großen gesellschaftlichen Beitrag zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft in den Familien leisten. In den entlohnten Care-Arbeitsfeldern arbeiten mehrheitlich Frauen; die qualifizierte Lohnarbeit in diesen Bereichen wird selbst nach Tarifvertrag schlecht bezahlt. Obwohl Frauen als Inhaberinnen hochqualifizierter Bildungsabschlüsse inzwischen mit den Männern gleichgezogen haben, sind Frauen wesentlich seltener in angemessenen Berufsfeldern zu finden.

In revolutionären Organisationen müssen diese Themen gleichrangig neben den anderen Themen stehen. Klassenorientierung bedeutet nicht, dass das Geschlechterverhältnis als „Frauenfrage“ nebensächlich wäre und sich im Verlaufe einer gesellschaftlichen Umgestaltung quasi von allein lösen würden; die kulturelle und politische Auseinandersetzung wird danach weitergehen müssen.

Für einen revolutionären Antirassismus!

Die Aufteilung der Menschheit in Rassen gehört zu den ältesten Unterdrückungs- und Herrschaftsinstrumenten der Klassengesellschaften.

Die realen sozial-ökonomischen Verhältnisse im Kapitalismus und die vielfältigen Herrschaftsinstrumente der KapitalistInnenklasse sind die materielle Basis für die Lebensgestaltung und das Zusammenleben von Gruppen und Individuen in der Gesellschaft. Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein.
Die Herrschaftsmethoden der Kapitalisten reichen von subtilsten, integrierenden Formen bis zum offenen Terror des Faschismus. Zu Brot und Spielen kam je nach Lage der Verhältnisse die Peitsche hinzu. Zu den ideologischen Waffen der herrschenden Klasse im Kapitalismus gehören von Beginn an die Ideologie eines Rassismus, der von einer Überlegenheit der Weißen gegenüber allen Menschen anderer Hautfarbe ausgeht. Die Historie des europäischen Kolonialismus seit dem 15. Jahrhundert ist eine Geschichte von Sklaverei, Völkermord und Zerstörung fremder Kulturen. Die Ideologie des Rassismus war und ist dabei ein zentrales Instrument zur emotionalen und bewusstseinsmäßigen Abrichtung von Individuen, um eben solche Verbrechen zu begehen, ohne in innere Gewissenskonflikte zu kommen. Der Rassismus führt über die Köpfe zur tätlichen Gewalt.

Zu einer physischen Vernichtung des Fremden bzw. des Anderen tritt die Vernichtung dessen kultureller Identität hinzu. Dieser Prozess führt nicht selten langfristig zu einem Gefühl einer „natürlichen Unterlegenheit“ der unterdrückten und ausgebeuteten Gruppen. Im globalisierten Kapitalismus überwiegt immer noch wesentlich ein Kulturideal im Alltagsleben, welches sich an den Normen der Sphäre des atlantischen, weißen Kapitalismus orientiert.

Der Weg zum Sozialismus, als der Alternative zur kapitalistischen Ausbeuterordnung ist bereits heute untrennbar mit dem Kampf gegen jedwede Form des Rassismus im Alltag verbunden.

Da das Bewusstsein der Menschen im Allgemeinen sich den bereits veränderten ökonomischen Bedingungen mit erheblichen Zeitverzögerungen anpasst, ist auch in einer Übergangsgesellschaft vom Kapitalismus zum Sozialismus der Kampf gegen den Rassismus weiterhin erforderlich.

Rassismus spaltet die Lohnabhängigen und lenkt von dem die Gesellschaft durchziehenden Klassenwiderspruch ab, er steht im Widerspruch zum revolutionären Internationalismus.

Revolutionäre Bündnispolitik heute

Wir beteiligen uns auch an Bündnissen mit anderen revolutionären sowie mit reformistischen und gradualistischen Kräften, was sowohl Organisationen als auch Einzelpersonen umfasst. Viele von uns nennen derartige breite Bündnisse „Aktionseinheiten“. Je nach Einigung im Einzelfall („Für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie!“, „Kein Bau von Stuttgart 21!“) ist im Rahmen von Aktionseinheiten eine Zusammenarbeit z.B. auch mit Konservativen möglich.
Wir werden aber weder gegenüber Konservativen noch gegenüber ReformistInnen und GradualistInnen auf das Aussprechen unserer eigenen Überzeugungen verzichten, nur damit Bündnisse zustande kommen. Bündnisse schließen allseitige Freiheit der Kritik ein.

Eine Politik der Aktionseinheit schließt auch nicht aus, für inhaltliche Positionen und Aktionen, für die keine BündnispartnerInnen zu finden sind, ggf. eigenständig zu argumentieren und zu mobilisieren.
„Politik der Aktionseinheit“ heißt für uns ausschließlich: Auf Bündnisse, die zu bestimmten konkreten Fragen möglich sind, nicht allein deshalb zu verzichten, weil zu anderen Fragen unterschiedliche Auffassungen bestehen.
Einige von uns sprechen bzgl. der Herangehensweise an reformistische / gradualistische Organisationen und Gewerkschaften von „Einheitsfront“ (EF).

Die EF dient zwei miteinander eng verbundenen Zwecken: Sie soll eine möglichst breite Kampffront von linken politischen Organisationen und Klassen-Organisationen der Lohnabhängigen schaffen, um bestimmte konkrete und begrenzte Ziele gegen Staat und Kapital durchzusetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, dürfen keine Einschränkungen erfolgen (etwa: EF nur mit RevolutionärInnen / EF „von unten“). Die EF dient aber auch dem politischen Kampf um die Basis reformistischer / gradualistischer Organisationen und Gewerkschaften.

In der gemeinsamen Aktion versuchen wir zu überzeugen, dass revolutionäre Politik auch für den Sieg in einem begrenzten Kampf besser ist als reformistische.

Darüber hinaus ist die EF ein System von Taktiken. Sie verfehlt ihre Wirkung, wenn sie isoliert / selektiv praktiziert wird, etwa: Bei Antifa-Mobilisierungen machen wir EF, bei der Taktik der kritischen Wahlunterstützung lehnen wir sie aber grundsätzlich ab.

Aber auch von den VerfechterInnen des Begriffs „Einheitsfronts“ ist jedoch nicht gemeint, daß sich RevolutionärInnen inhaltlich oder strategisch von LinksreformistInnen und/oder GradualistInnen abhängig machen sollten.
Andere von uns sehen keinen relevanten Unterschied zwischen vorstehender Beschreibung und dem, was auch für Aktionseinheiten gilt. Sie verzichten daher auf eine begriffliche Differenzierung von Aktionseinheiten und Einheitsfronten und sprechen generell von Bündnispolitik.

Gemeinsam halten wir es für wichtig, dass zumindest die Mitglieder einer künftigen NaO, die einen Job haben, aktiv in einer Gewerkschaft mitarbeiten. Soweit Gewerkschaften über Erwerbslosen-Strukturen verfügen, sollten dies auch GenossInnen ohne Job tun. Viele von uns halten die Mitarbeit in der jeweils zuständigen DGB-Einzelgewerkschaft für am sinnvollsten. Sie sprechen in Bezug auf die DGB-Gewerkschaften von „elementaren Einheitsfront-Organen“. Einige von uns sind dagegen der Überzeugung, dass es auch – je nach betrieblichen Bedingungen – sinnvoller sein kann, in der FAU oder einer kämpferischen Spartengewerkschaft wie der GdL mitzuarbeiten.

An sog. „Volksfronten“, d.h.: über anlassbezogene Aktionseinheiten hinausgehende Bündnisse mit Konservativen und anderen bürgerlichen Kräften werden wir uns nicht gemeinsam beteiligen. Viele von uns halten solche Volksfronten auch im Kampf gegen Imperialismus und Neo-Kolonialismus für falsch; einige von uns halten sie in diesem speziellen Kontext allerdings für vertretbar.

Das taktische Ziel unserer Bündnispolitik wird immer ein Doppeltes sein:

a) Mobilisierungs- und nach Möglichkeit auch Durchsetzungserfolge für Anliegen, die die Arbeits- und Lebensbedingungen der Ausgebeuteten und Beherrschten hier und heute verbessern, zu erringen.
b) Bei gemeinsamen Mobilisierungen mit anderen Linken über unsere Inhalte, Strategie und Taktiken ins Gespräch zu kommen und für sie zu argumentieren und die anderen von unseren Positionen zu überzeugen – was freilich immer auf Gegenseitigkeit beruht.

Eine sog. Aktionseinheits- oder Einheitsfront-Politik „von unten“, die sich nur an Mitglieder von reformistischen Organisationen, aber nicht auch an diese Organisationen als Ganzes richtet, halten wir für sektiererisch und aussichtslos, da sie die Organisierungsentscheidung der Mitglieder, die für Bündnisse gewonnen werden soll, politisch nicht ernst nimmt.

Organisatorische Verbindlichkeit – über den NAO-Prozess zur Bündnisorganisation und weiter zur Revolutionären Antikapitalistischen Organisation

In den ersten Veröffentlichungen war noch von einer gewissen organisatorischen Verbindlichkeit der am NAO-Prozess beteiligten Gruppen und Individuen die Rede. Der NAO-Prozess hat Fortschritte gemacht, wenn auch nicht in dem Maße wir ursprünglich eingeschätzt. Wir müssen uns auf die Kräfte konzentrieren, die ein ernsthaftes Gelingen an der Bildung einer neuen antikapitalistischen Organisation haben und konkret mitarbeiten wollen. Gegenwärtig wird an einem Manifest für den NAO-Prozess gearbeitet, um die Initiative mit gemeinsamen Aussagen einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Im nächsten Jahr steht eine Zwischenbilanz an, auf deren Basis über mögliche anstehende organisatorische Konsequenzen entschieden werden kann.

Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte eine Bündnis-Organisation, die auch bisher unorganisierten RevolutionärInnen Mitwirkungsmöglichkeiten bietet, der realistische Schritt sein. Die beteiligten Organisationen werden dabei nicht unmittelbar ihre Eigenständigkeit aufgeben können. Auf Grundlage und in den Grenzen der bis dahin erreichten programmatischen und aktionspolitischen Einigkeit könnte eine für alle beteiligten Gruppen einheitliche, koordinierte Praxis mit gemeinsamem Auftreten als festes Bündnis realisiert werden. Eine Bündnisorganisation wird nur dann funktionieren, wenn sie sich eine gemeinsame Arbeitsstruktur gibt.

Editorischer Hinweis: Erstveröffentlicht am 15.11.2012