Mali: Rückkehr des Jihad?

von Bernard Schmid

11-2013

trend
onlinezeitung

Neue Kämpfe zwischen Jihadisten und malischen und/oder ausländischen Truppen. Anders als im Frühjahr 2013 werden nun immer öfter Vergleiche zum Dauerkrieg in Afghanistan angestellt. Unterdessen werden hinter den Kulissen einige Rechnungen zwischen den Jungputschisten vom März 2012 und der alten Oligarchie beglichen...

Dieser Krieg ist noch lange nicht vorbei“, sagt der Journalist Ousmane Ndiaye. Er arbeitet für die französische Wochenzeitung Le Courrier international und hielt sich einen Großteil des laufenden Jahres über in Mali auf. In einem ausführlichen Interview vom 21. Oktober 13 kommt er zu dem Schluss: „Wir sind unterwegs zu einem langdauernden Konflikt. Länger jedenfalls, als die französischen Offiziellen einräumen.“

Nicht sehr viel anders klingt, was die Pariser Abendzeitung Le Monde vom Dienstag, den 29. Oktober d.J. aus dem Munde eines, nicht namentlich genannten, französischen Militärs zitiert und wie sie seine Worte präsentiert: „<<Wir werden nicht 15 Jahre hier bleiben!>>, ruft ein französischer Offizier aus, und ist dabei vom Gegenteil überzeugt.“ So sieht es jedenfalls die Reporterin, die nach Gao in Nordostmali entsandt worden war, die Hauptstadt einer der drei Regionen im Norden des Landes, die von April 2012 bis Anfang 2013 von Djihadisten kontrolliert war. Diese Provinz und ihre Nachbarregionen sind seit Herbstanfang dieses Jahres wieder Schauplatz von Attacken, von Kämpfen und Selbstmordattentate geworden.

Nach mehrmonatiger Ruhe sind nun wieder allwöchentlich Anschläge zu verzeichnen. Am 25. September 13 explodierte ein Sprengsatz in Tombouctou. Am 07. Oktober wurden ein halbes Dutzend Raketen auf die Stadt Gao abgefeuert, ein malischer Soldat wurde dabei getötet, und am folgenden Tag flogen in der Nähe – in Bentia – Teile einer Brücke in die Luft. Zuletzt griffen am 23. Oktober ein halbes Dutzend Selbstmordattentäter ein Camp der tschadischen Armee in Tessalit an. Dabei starben die Jihadisten, zwei tschadische Soldaten und mindestens ein Kind.

Afghanistan am Nigerfluss?

Der Vergleich, der der Reporterin vielleicht implizit vorschwebt und den Ousmane Ndiaye unterdessen explizit anstellt, ist der zum Konflikt in Afghanistan. Dort sind die Taliban auch zwölf Jahre nach Beginn der Intervention einer durch die USA angeführten Koalition nicht schwächer geworden, sondern haben sich mutmaßlich in den letzten Jahren eher verstärkt. Zumal sie sich dort nun als angebliche Widerstandskämpfer gegen ausländische Invasoren in Szene setzen.

Wie in Afghanistan gibt es allerdings auch in Mali eine andere Realität, nämlich die Dimension einer spezifischen Basis der bewaffneten Islamisten in einer besonderen ethnischen Gruppe. In Afghanistan sind die Taliban besonders unter den Paschtunen, die zu den größten Bevölkerungsgruppen in dem Vielvölkerstaat zählen. In Mali dagegen nimmt eine deutliche Mehrheit, vor allem eine überwältigende Überzahl der Menschen im dichtbevölkerten Süden des Landes, die dortigen Jihadisten als übeltuende ausländische Eindringlinge wahr.

Die Realität ist jedoch komplexer. Zum Einen gibt es auch dunkelhäutige Malier, die zu den aktiven Jihadisten gehören. Wie etwa die Gruppe Ansar ed-Din (Anhänger der Religion), die vor einigen Monaten einen HCUA – „Hoher Rat für die Einheit von Azawad“ – als legalen Arm gegründet hat. Auch kontrollieren radikale Islamisten einzelne Moscheen in der Hauptstadt Bamako, wie die Mosquée du marécage im Süden der Stadt, die freilich durch die Sicherheitskräfte einer engen Observation unterzogen werden. Zum Anderen leben von den übrigen Maliern als „hellhäutig“ bezeichnete Minderheiten im Norden Malis, besonders die berberischen Tuareg sowie im Raum Tombouctou auch eine arabische Minderheit.

Seit Ausbruch der akuten Krise im Januar 2012, die mit der Separationsbewegung der Tuareggruppe MNLA („Nationale Befreiungsbewegung von Azawad“) begonnen hat, bevor auch jihadistische Gruppen sich hinzugesellten, ist das Verhältnis der verschiedenen Bevölkerungsgruppen untereinander oft angespannt. Die „Hellhäutigen“ – damit sind die Leute aus dem Norden des eigenen Landes gemeint, in aller Regel nicht Europäer – werden oft mehr oder minder pauschal Nachfahren von Sklavenhaltern zu sein oder noch heute sklavereiähnliche Beziehungen zu pflegen. Solche gibt es in einigen Patrizierfamilien unter den Tuareg auch, ähnlich wie im Nachbarstaat Mauretanien. Aus diesen Gründen können einige Bevölkerungsteile im Norden Malis sich aus einer Solidarität mit dem Rest des Landes entlassen fühlen. Allerdings stellen die Tuareg, und erst die relativ kleine Minderheit der Mauren oder Araber, auch im Norden des Landes nirgendwo die Bevölkerungsmehrheit. Anders als oft in Europa dargestellt, gibt es keine geschlossenen Siedlungsgebiete der Tuareg. Zwischen 59 und 60 Prozent der Einwohner der Nordprovinzen zählen zu den Songhai, die den Somaliern ähnlich sehen.

Eine gewisse soziale Basis für die Jihadisten gibt es also, auch wenn sie sich in Mali nur auf einen ziemlich kleinen Bevölkerungsteil stützen dürften. Erst recht existiert eine Basis für den MNLA als eine Bewegung, die eher auf ethnischen Grundlagen rekrutiert und nicht auf der Basis eines ideologischen Programms. Auch wenn die MNLA-Führer, als sie am 6. April 2012 einen „unabhängigen Staat Azawad“ proklamiert hatten, den international allerdings niemand anerkannte, hatten sie die Anwendung der Schari’a als Grundgesetz des neuen Staates akzeptiert. Zweieinhalb Monate später waren die MNLA-Rebellen allerdings von ihren zeitweiligen Verbündeten, den Jihadisten, abgeschüttelten und in die Flucht getrieben worden. Damals zogen ihre Anführer sich in die Hauptstadt des Nachbarlands Burkina Faso, Ouagadougou, zurück. Streitkräfte des MNLA kontrollierten gleichzeitig nach wie vor Teile der Provinz Kidal. Am 18. Juni 2013, knapp ein Jahr danach, unterzeichnete die Gruppierung allerdings (zusammen mit dem oben zitierten HCUA) in Ouagadougou ein Abkommen mit der malischen Zentralregierung, das es vor allem erlaubte sollte, die Präsidentschaftswahl vom Juli und August auch in Kidal und also im gesamten Staatsgebiet abzuhalten.

Seitdem herrscht ein brüchiger Status quo im Norden. Die französische Armee steht als Puffer zwischen den Streitkräften der Zentralregierung, deren Vertreter seit Juli 13 wieder in Kidal präsent sind, und den Bewaffneten des MNLA. Nach dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta („IBK“) Anfang September 2013 stellte der neue Staatschef klar, er werde eine allgemeine Dezentralisierung für alle Regionen Malis einleiten, lehne aber jeglichen Sonderstatus für den Norden ab – wie der MNLA ihn fordert, der inzwischen von der Forderung nach Unabhängigkeit zu jener nach einem Autonomiestatus übergewechselt ist. Ende September d.H. verließ der MNLA daraufhin den Verhandlungstisch, kehrte jedoch am 15. Oktober 13 wieder dorthin zurück.

Vom 21. bis zum 23. Oktober 13 wurden nun die „Generalstände für die Dezentralisierung“ abgehalten. Die beiden bewaffneten Gruppen MNLA und HCUA boykottierten die Veranstaltung. Hingegen nehmen sie an den „Generalständen für den Norden“, die – im Rahmen der o.g. Dezentralisierungspläne – am 01. und 02. November in Bamako stattfinden, wiederum teil...

Rebellen/Warlords wieder ins Spiel einbezogen

Unterdessen versucht die Exekutive unter Präsident Keïta allerdings immer noch, den MNLA in seine Politik einzubeziehen. Zumal zumindest einige Fraktionen in der französischen Politik ihrerseits die Tuaregbewegung unterstützten – am 14. August dieses Jahres schrieb Le Monde von Waffenlieferungen und der Überstellung eines Kampfflugzeugs durch den französischen Auslandsgeheimdienst an den MNLA. Am 29. Oktober 13 wurden die vom malischen Staat ausgestellten, internationalen Haftbefehle gegen vier Anführer von MNLA und HCUA annulliert. Ihre Aufhebung stieß auf Protest aus der Oppositionsbewegung „Front zur Verteidigung der Republik“ FDR, der allerdings offenkundig parteipolitisch motiviert war.

Ende November und Mitte Dezember 13 stehen Parlamentswahlen an, bei denen die mehrheitlich aus der – 2012 infolge der schweren Staatskrise entmachtete – alte Oligarchie hervorgegangene Allianz FDR Schnitte zu machen versucht. Die jetzige Exekutive versucht ihrerseits, durch Gesten des guten Willens an die bewaffneten Rebellen im Norden die Abhaltung der Parlamentswahlen dort zu garantieren. Dieses Ansinnen beinhaltet auch die Aussicht darauf, dass der MNLA durch eigene Abgeordnete im künftigen Parlament vertreten sein soll.

Sanogo abserviert?

Ein anderer Konflikt, der vor sich hinschwelt, ist der zwischen der aktuellen Staatsführung und den jungen Offizieren und Soldaten, die durch den Putsch vom 22. März 2012 – vor dem Hintergrund der Implosion des alten malischen Staates - die alte Oligarchie aus der Regierung fegten. Bislang, also bevor die seit 2012 amtierende Übergangsregierung nach den Parlamentswahlen vom November/Dezember 2013 abgelöst werden wird, sitzen Vertreter der Jungputschisten noch immer mit im Übergangskabinett. Dort verfügen sie über insgesamt etwa zehn Kabinettsposten, vermögen jedoch nicht den Ton anzugeben: Ihre Beteiligung an der Übergangsregierung diente vor allem ihrer Ruhigstellung.

Der jetzige Präsident Keita hatte am 25. Juli 13, also drei Tage vor dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl, einen vielbeachteten Auftritt in ihrer Hochburg absolviert: dem Camp Kati, fünfzehn Kilometer außerhalb. Die linksnationalistischen Jungmilitärs hatten ihn nahezu begeistert unterstützt. Aber inzwischen ist die Idylle vorüber. Am 30. September 13 kam es zu heftigen Kämpfen im Camp Kati. An den Tagen darauf wurden an verschiedenen Stellen in Kati, einem Vorort der Hauptstadt, mindestens drei Leichen von Soldaten aufgesammelt. Opfer von Kämpfen, oder von außergerichtlichen Hinrichtungen?, so fragte sich die malische Presse.

Wenige Tage darauf wurde die „Kommission zur Reform der Armee“ sang- und klanglos aufgelöst, an deren Spitze die damalige Übergangsregierung vor drei Vierteljahren den ehemaligen Anführer der Putschisten – den Hauptmann Amadou Sanogo – eingesetzt hatte. Nach der Wahl von Präsident Keïta hatte sein Amtsvorgänger (Interimspräsident Dioncounda Traoré), als letzte Amtshandlung, Sanogo in den Generalsrang versetzt – was alsbald Rivalitäten unter den Ex-Jungputschisten hervorrief.

Doch die neue Exekutive zwang ihn nun Anfang Oktober d.J., Kati zu verlassen und allein, d.h. unter Aufgabe seiner bisherigen Umgebung, nach Bamako umzuziehen. In den letzten Oktobertagen verbreitete die Presse sogar Gerüchte von seiner Verhaftung, die dann jedoch dementiert wurden. Am 31. Oktober wurde jedoch klar, dass General Sanogo durch die malische Justiz vorgeladen wurde: Er wird sich vor ihr für seine mögliche Rolle (im Hintergrund) bei der Tötung von Soldaten einer Elitetruppe, die im Mai 2012 einen Gegenputsch versucht hatten, verantworten müssen. Obwohl er nun neue Generalssterne auf der Schulter hat, scheint sein Stern ernsthaft im Sinken begriffen...

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.