Syrien: Panarabismus ade?

von Anton Holberg

11-2013

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Am 23.10.2013 erschien in „The National“ aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ein Artikel unter dem Titel „Im isolierten Syrien wendet sich Assad vom Panarabismus ab“. In ihm berichtet der in Abu Dhabi stationierte TV-Produzent Dave McAvoy, dass jüngst – das Datum nennt er in seinem Artikel leider nicht – der regimetreue syrische TV-Sender ‘Alikhbaria’ einen hypernationalistischen 10-minütigem Film mit dem Titel “Unsere Wurzeln im Boden“ ausgestrahlt habe, in dem Asma al-Assad, die – im übrigen sunnitische, aber sehr weltliche – Ehefrau von Staatspräsident Bashar al-Assad ein kurzes Interview gibt. Wenn die Darstellung von Dave McAvoy, der in Damaskus Arabisch studiert hat, richtig ist, könnte dieses Interview für das Selbstverständnis des zumindest formell von der „Sozialistischen Partei der Arabischen Wiedergeburt“ (Ba’ath-Partei, ASBP) geführt wird, von großer Bedeutung sein. „Könnte“, weil noch nicht bekannt ist, ob Frau Al-Assad hier ihre private Position – was allerdings wenig wahrscheinlich ist - oder die des Regimes zum Ausdruck gebracht hat.

Die ASBP, einst von dem syrischen Christen Michel Aflaq an führender Stelle gegründet, hat sich stets als panarabisch verstanden. „Panarabisch“ bedeutet, dass sie für einen einheitlichen Staat aller durch ihre Sprache als Araber definierten Menschen vom Golf bis zum Atlantik eintritt. Die Existenz der heutigen arabischen Staaten und ihre Spaltung schreibt die ASBP dem Wirken des europäischen Kolonialismus zu. Bis vor kurzem hat das syrische Regime Syrien als den – letzten – Leuchtturm des Panarabismus in der arabischen Welt bezeichnet.

Nun habe – so der Autor - Asma al-Assad ein Interview gegeben, und das völlig unüblich bezeichnenderweise nicht auf dem ungeachtet aller großen Dialektunterschiede in der gesamten arabischen Welt verständlichen Hocharabisch sondern in einem deutlich syrischen Dialektarabisch. In ihrem Interview habe die Präsidentengattin eine von einer gesamtarabischen verschiedenen spezifisch syrischen Identität betont, die sie mit der präarabischen und folglich auch präislamischen Vergangenheit des Landes verbunden habe, indem sie die Phönizier und mit ihnen die Erfindung des Alphabetes, aber auch deren Rolle als Handelsmacht zum bestimmenden Element der syrischen Identität erklärt habe. McAvoy fasst zusammen: „Die Botschaft, die sie zu vermitteln scheint, ist die, dass die Syrer in Syrien waren bevor die Araber [aus der arabischen Halbinsel, A.H.] kamen, und dass ihre Nachkommen, noch lange nachdem die Araber wieder verschwunden sind, dort bleiben werden“. Der Autor sieht hierin einen deutlichen Bruch mit der Baath-Ideologie und stattdessen eine Hinwendung zur Ideologie der „Syrischen Nationalsozialistischen Partei“ aber auch zu der der christlichen libanesischen Phalange-Partei.

Wenn der Autor das kurze Interview nicht überinterpretiert, dann bleibt die Frage, was der Grund für eine solche ideologische Entwicklung und was ihr Zweck sein könnte.

Der Grund könnte in der Tat zum einen die Enttäuschung des syrischen Regimes über die aggressive Haltung wichtiger arabischer Staaten und Kräfte ihm gegenüber sein. Der Zweck hingegen könnte der sein, 1. einen speziell syrischen Nationalismus zu fördern, der insbesondere die religiösen Minderheiten (Christen, Drusen, Schiiten und natürlich Alawiten) ebenso wie die Kurden, die zwar wie das Gros der Aufständischen sunnitische Muslime, aber eben nicht Araber sind, um sich versammelt. Speziell die Kurden, die in der Vergangenheit unter dem chauvinistischen Panarabismus des Regimes stark zu leiden hatten, erweisen sich jetzt aber mehrheitlich als eine wichtige Kraft im Kampf gegen die entweder arabisch-chauvinistischen oder islamistischen Rebellen. Ein syrischer Nationalismus würde sich überdies gegen ein Großteil der militärisch besonders effektiven jihadistischen Kräfte richten, die zwar großenteils Ausländer sind , aber doch Mitbrüder der „arabischen Nation“. 2. Dem Bündnis des syrischen Regimes mit der “Islamischen Republik Iran“ und darüber mit der libanesischen Hizbollah, das gerade auch aus militärischen Gründen von überragender Bedeutung ist, liegt keine ideologische Verwandtschaft zu Grunde. Die gemeinsame Grundlage ist der Abwehrkampf gegen den sunnitischen Takfirismus, d.h. gegen die insbesondere von Saudi Arabien ideologisch ausgerichteten und finanzierten sunnitischen Kräfte, die alle übrigen Muslime als „Ungläubige“ und deshalb auch als gegebenenfalls bewaffnet zu Bekämpfende definieren. Der nach der iranischen Revolution zunächst auch über die Schiiten hinaus expandierende Einfluss des Irans, wie er sich beispielhaft in der Zusammenarbeit mit der palästinensischen Hamas, der dortigen Organisation der einst in Ägypten gegründeten islamistischen Muslimbruderschaft, gezeigt hat, ist von der Welle des sunnitischen Salafismus weitgehend zurückgedrängt worden. Die Tatsache, dass die Hamas sich in Syrien auf die Seite der sunnitischen Rebellen geschlagen hat, zeugt davon. Die Kräfte in der arabischen Welt, die heute noch die engsten Beziehungen zum Iran pflegen, sind gerade nicht die besonders religiös motivierten.

Die – möglicherweise – neue ideologische Ausrichtung des syrischen Regimes erinnert interessanterweise eher an das Schah-Regime als an die in Teheran herrschende Mollahrschie. Auch das Schah-Regime knüpfte in einem persischen Nationalismus an die glorreichen Zeiten der persischen Reiche vor der arabisch-islamischen Eroberung an. Dass sich im Iran der Schiismus durchsetzte, während er unter den Arabern, aus deren Reihen er ja erwachsen war, in der Minderheit blieb, hat sicher auch damit zu tun, dass der kulturell höher entwickelte Iran hier eine Möglichkeit zur kulturellen Eigenständigkeit gegenüber den arabischen Eroberern sah. Der persische Nationalismus ist insbesondere angesichts des mangelhaften ideologischen Erfolgs der schiitischen Islamisten jenseits der Landesgrenzen zweifellos nach wie vor ein wichtigerer Faktor als diese zugeben würden. Ein Verzicht des syrischen Regimes auf den „Panarabismus“, der beispielsweise in den Händen des zweiten Baath-Regimes in der arabischen Welt, des irakischen Regimes von Saddam Hussein und seinen Vorläufern, ein wichtiger ideologischer Faktor im Krieg gegen den Iran war, könnte dieser wichtiger sein als ohnehin inexistente religiöse Verwandtschaft.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.