Betrieb & Gewerkschaft

Tarifrunde Einzelhandel
Es steht Spitz auf Knopf

von Martin Suchanek

11-2013

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onlinezeitung

Für rund 3 Millionen Beschäftigte geht es buchstäblich um alles. Im Einzelhandel wollen die Arbeit“geber“ seit Monaten eine Trendwende - eine weitere massive Verschlechterung steht an. Statt „nur“ um eine Entgeltrunde, wie es die Gewerkschaft ver.di wollte, geht es auch um den „Manteltarifvertrag“, der die Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten regelt. Das heißt im Klartext, die Bosse stellen auch Urlaubstage, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Eingruppierungen in Frage.

Sollten sie damit durchkommen, droht z.B. den KassiererInnen, dass sie schlechter eingruppiert und rund 15 Prozent (!) ihres bisherigen Einkommens verlieren. Hinzu kommt, dass einzelne Konzerne drohen, aus dem bestehenden Flächentarif „auszusteigen“. Andere, z.B. die Baumarktkette Globus, haben diesen Schritt bereits vollzogen.

Kampf wider Willen

Kein Wunder also, dass sich diese Runde entgegen den Plänen der Gewerkschaftsführung viel länger hinzieht. Ver.di hätte nicht nur eine „reine Lohnrunde“ vorgezogen, sie wäre wohl auch gern zu Abschlüssen bereit gewesen, die den mauen Ergebnissen in anderen Bereichen (Metall, Öffentlicher Dienst) entsprechen.

Dass die Gewerkschaft die Sache möglichst ohne große Konfrontation haben wollte, zeigt auch, dass sie trotz der grundlegenden Auseinandersetzung im Einzelhandel in allen Bundesländern außer dem Saarland schon im Groß- und Außenhandel, der immerhin auch 1,2 Millionen Menschen beschäftigt, Tarifverträge abgeschlossen hat. Diese im Sommer 2013 vereinbarten Verträge laufen in der Regel bis zum 30. April 2015 - also fast 2 Jahre und sehen zweistufige Lohn- und Gehaltserhöhungen von 3 Prozent und dann noch einmal von 2,1 Prozent vor, plus eine Einmalzahlung von 90 Euro (nur in Bayern ist sie etwas höher).

Einen solchen schlechten Deal hätte ver.di auch gern für den Einzelhandel. Die Kapitalisten wollten das aber von Beginn an partout nicht.

Es waren also die Unternehmer, die eine längere und schärfere Auseinandersetzung anpeilten - nicht ver.di. Ansonsten hätte die Gewerkschaft ja ohne Probleme den Kampf im Groß- und Außenhandel, wo mit Streiks leichter große Wirkungen zu erreichen sind, mit dem Kampf im Einzelhandel verbinden und somit auch die Unternehmer viel stärker unter Druck setzen können.

Der bisherige Verlauf der Auseinandersetzung zeigt zudem auch, dass die Beschäftigten für ihre Interessen sehr wohl mobilisierbar sind - und bei einer wirklich entschlossenen Kampfführung sicher noch weit mehr.
So haben sich lt. ver.di bisher rund 130.000 Beschäftige in 900 Betrieben bundesweit am Arbeitskampf beteiligt. Allein im September und Oktober 2013 gab es 16 Streiktage. Weil es ans „Eingemachte“ geht, hat ver.di auch deutlich an Mitgliedern zugelegt, allein in Baden-Württemberg wurden 15.000 ver.di-Mitglied.

Die Bürokratie bereitet den Verrat vor

Allein, die Gewerkschaftsbürokratie wäre nicht die Bürokratie, würde sie angesichts des Generalangriffs der Bosse auf die Beschäftigten im Einzelhandel nicht unablässig „Friedenssignale“ senden.

Ein Abschluss um die 2,5 Prozent wäre akzeptabel, signalisieren die ver.di-Oberen und TarifexpertInnen - und das nach zwei Nullrunden in der Branche! Eventuell könnten diese (wie schon die Forderungen auch in den einzelnen Tarifbezirken) noch recht unterschiedlich ausfallen, was die Kampfeinheit weiter untergraben würde. Doch die „StrategInnen“ in den Vorstandsetagen der Gewerkschaften und die „ExpertInnen“ müssen ja auch nicht von den Abschlüssen leben, die sie politisch anbahnen.

Die Unternehmer mögen „endlich ihren Teil zur Lösung“ des Konflikts beitragen, fordert die Gewerkschaft trotzig auf ihrer Homepage unter dem Titel „Beschäftigte im Einzelhandel brauchen echte Reform“. Ansonsten würden sie „eine Fortsetzung und Ausweitung des Streiks“ „provozieren“.

Was unter dem ver.di-Beitrag zur „Lösung des Konflikts“ und zur Vermeidung einer Fortsetzung und Ausweitung des Streiks zu verstehen ist, erklärt Stefanie Nutzenberger, im ver.di-Bundesvorstand für den Bereich Handel zuständig:
„Aus diesem Grund haben wir in den letzten Tarifverhandlungen und Sondierungsgesprächen einen Tarifvertragsabschluß eingebracht, der - nach Abschluss der Entgeltrunde - einen Reformprozess der Tarifverträge im Einzelhandel in Gang bringen soll.“

Welchen „Reformprozess“ die Unternehmer wollen, ist klar. Im Grunde läuft die „Taktik“ der ver.di-Oberen darauf hinaus, dass die Tarifrunde mit einer bescheidenen Erhöhung des Entgelts abgeschlossen wird, also wahrscheinlich noch unter dem Niveau des Groß- und Außenhandels. Dann ist es aus mit dem Konflikt, dann herrscht die Friedenspflicht - wenn sich die Unternehmerverbände rasch in den „Reformprozess“ einbringen, gar noch vor dem wichtigen Weihnachtsgeschäft.

Dann folgen Monate, wo am Verhandlungstisch, ohne jeden Druck von Seiten streikender Belegschaften auf Unternehmer wie die „eigenen“ VerhandlungsführerInnen an einem „Reformprozess“ gebastelt wird, wo nur noch offen ist, wie weit er den Kapitalisten entgegenkommt.

Ein solcher Ausverkauf wäre kein Novum in der ver.di-Geschichte. Das lief auch schon beim Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst so - mit verheerenden Folgen.

Ob die Unternehmer am „Reformwerk“ schon jetzt gemeinsam basteln, ist unklar. Vielleicht machen auch einzelne schon früher mit - und ver.di sichert dafür „natürlich“ im Gegenzug Streikfreiheit im Weihnachtsgeschäft zu. Auch das wäre nicht neu.

Schwer zu gewinnen ist ein Arbeitskampf im Einzelhandel in jedem Fall. Niemand darf unterschätzen, wie kompliziert schon jetzt die Kampfbedingungen sind. Mindestens ein Drittel gilt als „prekär“, außerhalb des geltenden Tarifvertrags beschäftigt. Befristete Streiks in einzelnen Unternehmen sind wichtig, ihre ökonomische Wirkung jedoch sehr beschränkt. Das wissen auch die Kapitalisten.

Es braucht daher eine Kampfstrategie, die über den einzelnen Betrieb und befristete Streiks hinausgeht.

Erstens bedeutet das, dass den besser organisierten Betrieben und den Zentrallagern der Handels-Ketten eine Schlüsselrolle zukommt. Steht der Betrieb dort, so sind in wenigen Tagen die Regale auch in den Läden leer.

Zweitens ist die Stärkung der gewerkschaftlichen Organisierung unbedingt notwendig. Um Betriebe dicht zu machen, braucht es Streikposten, die durch ArbeiterInnen anderer Betriebe unterstützt werden.

Drittens braucht es gesellschaftliche Unterstützung, die Solidarität der gesamten Arbeiterklasse. Daher sollten wir vor Ort Solidaritätskomitees aufbauen, die Streikende unterstützen und selbst Aktionen in den Geschäften und auf der Straße organisieren!

Damit eine solche Auseinandersetzung gewonnen werden kann, braucht es aber auch eine Tarifrunde, die von unten, von den KollegInnen in den Betrieben selbst nicht nur getragen, sondern auch kontrolliert und geleitet wird.

Tarifrunde von unten

Das ist schon deshalb notwendig, um einen faulen Kompromiss, wie er sich schon anbahnt, zu verhindern. Die Tarifkommission und die VerhandlerInnen müssen von der Basis gewählt und abwählbar sein. Ohne Zustimmung der Mitglieder darf es keine „Angebote“, geschweige denn Abschlüsse geben!

Es gibt aber auch einen zweiten Grund, warum die Organisierung von unten so wichtig ist. Nur so, wenn die KollegInnen auf täglichen Streikversammlungen selbst bestimmen, selbst Rechenschaft von ihren VertreterInnen fordern, diese wähl- und abwählbar sind, wenn die KollegInnen selbst über ihren Kampf bestimmen und aktiv mitgestalten, verändert der Kampf auch die Beschäftigten selbst. KollegInnen, die bislang nicht organisiert oder passiv waren, können aktiviert werden. Die Beschäftigten sind gezwungen, sich selbst aktiv zu den Winkelzügen der Unternehmer, zu etwaigen Gerichtsbeschlüssen, zu Streikposten usw. zu verhalten. Sie werden gezwungen, sich politisch zu verhalten. So kann der Streik auch - unabhängig davon, was genau durchgesetzt werden kann - zur Erhöhung der Selbstorganisation und des Bewusstseins der Klasse beitragen.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von:

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 713
7. November 2013

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