"Islamfaschismus"
Sinnvoller Begriff der Kritik oder dümmliche Propagandaformel?

von Bernard Schmid

11-2013

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[Zur Diskussion um die Frage, ob rechtsextrem-rassistische Bewegungen in Europa und islamistische Kräfte genügend Gemeinsamkeiten besitzen, damit Letztere als „Islamisfaschismus“ bezeichnet werden können. Der Artikel erschien in einer gekürzten Fassung als (durch die Redaktion bestellter) Diskussionsbeitrag im Oktober 2013 in der internationalistischen Zeitschrift „Blätter des iz3w“ Nr. 339  in Freiburg, im Rahmen ihres Schwerpunkthefts zu faschistischen Bewegungen. Die Gegenposition verfocht dort der ,antideutsche’ Ideologe Stephan Grigat aus Wien.]

Nicht alles, was nicht progressiv ist, ist faschistisch. Und nicht alles, was sich politisch aus linker oder aufklärerischer oder emanzipatorischer Sicht negativ auswirkt, kann deswegen auch mit faschistischen Bewegungen oder gar ihrer schlimmsten historischen Ausformung – dem Nazismus – assoziiert werden. Die Welt kennt mehr als ein Übel. Nicht alle davon sind miteinander verwandt, so wenig wie sie alle auf derselben Stufe stehen. Und nur selten lässt sich ein politisches Problem dadurch „erklären“, dass man die politische Analyse eines anderen Problems darüber stülpt; genau genommen, hat man dadurch einfach noch gar nichts erklärt.

Diese Diskussion ist keine reinem Selbstzweck dienende Begriffshuberei. Im konkreten Falle, wenn es darum geht, die Frage nach der eventuellen Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit der Wortschöpfung „Islamfaschismus“ (oder „Islamofaschismus“) zu diskutieren. Denn im Hintergrund des scheinbar nur Etiketten geltenden Streits um die richtigen Begriffe findet das Ringen um politische „Nutzanwendungen“ einer bestimmten Analyse statt. Deswegen geht es an dieser Stelle auch nicht um Wortklauberei oder Denksportübungen im Salon - sondern um die konzeptuelle Basis, die auf einer anderen Stufe dann für die Rechtfertigung mitunter knallharter politischer Weichenstellungen dienen kann und soll. Dies muss man stets im Hinterkopf behalten. Nichtsdestotrotz stellt sich, unabhängig von dieser Ebene, zuallererst die Frage nach dem „richtig“ oder „falsch“ der eingesetzten Konzepte. Nur kann die Antwort danach nicht mit einer verantwortungslosen Beliebigkeit gesucht werden, wenn man darum weiß, dass diese Suche eben nicht „in aller Unschuld“ im politisch luftleeren Raum erfolgt.

Genug der Vorrede: Der Begriff des „Islamofaschismus“ wurde im internationalen politischen Raum im Jahr 2006 durch Mitglieder der US-Administration Bush, unter ihnen ihr damaliger Präsident, popularisiert. Er fiel seinerzeit im Zusammenhang mit der libanesischen Hizballah1, sowie dem militärischen Schlagabtausch zwischen israelischen Streitkräften und der schiitischen Miliz im Juli/August 20062. Erfunden hat ihn die damalige US-Administration allerdings nicht. Vielmehr kam der Begriff in den Jahren zuvor mehrfach aus verschiedenen Quellen auf.

Hitchens hitzige Haudrauf-Argumente

Eine der wichtigsten davon sind die Schriften des ehemals linken Publizisten Christopher Hitchens, der dem Neologismus wiederholt im politisch-ideologischen Streit eine Lanze brach3. Hitchens zählt zu jenen ehemaligen Kritikern des bestehenden Gesellschaftssystems, die – vor allem rund um das Umbruchjahr 1989, wie in seinem Falle – vielen ihrer früheren politische Ideale abschworen, jedoch einen Anspruch auf Weltveränderung beibehielten, den sie nun mitunter bevorzugt auf die internationale Sphäre projizierten. Hitchens, der sich darüber hinaus auch immer wieder als Religionskritiker und militanter Atheist hervortat, wurde in der Außenpolitik zum (militärischen) Interventionisten. Er gehörte also zumindest zeitweilig dem Spektrum der so genannten Neokonservativen an, und wurde auch von deutschen Anhängern dieser Strömung in der US-amerikanischen Politik unterstützt4. Was Letztere eher selten dazusagen (wobei sie nicht die Einzigen sind, die gerne ausblenden, was nicht ins Weltbild passt): Hitchens behielt jedoch einige für „Neocons“ eher untypische Positionen bei, und ist bspw. ein scharfer Kritik der israelischen Palästinapolitik und der Besatzung.

Bei Hitchens und anderen Autoren geht es klar um die Begründung politische Positionierungen, etwa anlässlich einer US-Präsidentschaftswahl5 oder bei Entscheidungen pro oder kontra militärische Interventionen, wenn sie den Begriff des „Islamofaschismus“ (bei Hitchens auch: „Faschismus mit islamischen Antlitz“) verwenden. Die Vokabel „Faschismus“, gerne auch um das Wort „Achse“ ergänzt, soll signalisieren: Wir haben es - politisch und militärisch – mit einem Gegner zu tun, der prinzipiell mit dem europäischen Faschismus in seiner Expansionsphase sowie den damaligen aggressiven „Achsenmächten“ vergleichbar ist. Ihm muss mit allen, oder fast allen, zur Verfügung stehenden Mitteln Einhalt geboten werden. Es ist deswegen auch ein Gebot der Stunde, einer mit entsprechender Härte und Entschlossenheit handelnden Regierung zumindest nicht in den Rücken zu fallen6.

Dabei benennen diese Autoren einige gemeinsame Punkte, die bei oberflächlicher Betrachtung tatsächlich manche islamistischen Bewegungen einerseits und faschistische Kräfte andererseits einander anzunähern scheinen. Dabei darf nie übersehen werden, dass zwischen den islamistischen Kräften untereinander eine starke Heterogenität besteht, in einer Spannbreite wie vielleicht (in vergleichbarer Weise) zwischen deutscher CSU und NPD, oder zwischen österreichischer FPÖ und griechischer „Goldener Morgenröte“ - die ja ebenfalls nicht für dasselbe identische „Modell“ von Partei oder Bewegung stehen, zum Teil nicht einmal für dieselben Ziele.

Dazu zählen die Ablehnung vieler Aspekte der Demokratie, ein autoritärer und aggressiver Charakter, das Auftreten als dynamischer Bewegung. In vielen Aufzählungen werden auch Antisemitismus (seltener Rassismus) sowie mitunter „eine antiwestliche Ausrichtung“ genannt.

Das Hauptproblem ist: Stimmt die Diagnose nicht, dann ist notwendig auch die verschriebene Medizin falsch. Ohne in biologistische Metaphern verfallen – und politische Phänomene mit Krankheitsbildern vergleichen – zu wollen, und nur zu Zwecken des strukturellen Vergleichs: Leidet der Patient an Grippe und verschreibt die Ärztin ihm dafür ein Herzmittel, wird es ihm wenig helfen; und leidet er dabei an Krebs, wird die Sache wohl übel ausgehen. Ein Bemühen um die richtige Analyse ist also kein Luxus, sondern notwendige Voraussetzung, um überhaupt den einen oder anderen richtigen Schritt gegen das festgestellte Übel einleiten zu können.

Die Ausgangssituation für den Aufschwung des politischen Islam

Den archimedischen Dreh- und Angelpunkt in der Entstehungsgeschichte des Islamismus versuchen Zalmay Khalilzad7 und Cheryl Bernard in ihrem 1984 erschienen Buch The government of God (deutsch 1988: „Gott in Teheran“) wie folgt zu beschreiben:

Pseudo-moderne Eliten (...) sitzen an den Schalthebeln der Macht und arrangieren sich mit den Großmächten und dem internationalen System. Daneben aber existieren die traditionellen Eliten fort und behalten bedeutende Teile ihres Einflusses, sowohl materiell als auch kulturell und ideell. Während sie unter anderen Umständen als die Großgrundbesitzer, die rückständigen Traditionalisten und die privilegierten Eliten, die sie tatsächlich sind, bekämpft würden, hat die Struktur der Nord-Süd-Beziehungen ihnen eine nationalistische und sogar revolutionäre Note verliehen. (...) Sie bedienen sich des Vokabulars der nationalen und kulturellen Befreiung und Selbstbehauptung und der entsprechenden Volksstimmung.

Diese Darstellung enthält zwar noch keine abschließende Analyse der Entstehungsbedingungen oder der politischen Dynamik des Islamismus, die auf dem vorhandenen Platz an dieser Stelle auch gar nicht geleistet werden kann. Ihr großes Verdienst ist es jedoch, zu benennen, aus welchem dialektischen Verhältnis heraus die besondere Verbindung zwischen reaktionärem Inhalt und „rebellischer“ Dynamik in islamistischen Bewegungen – bei manchen Parteien mit islamistischer Rhetorik wurde Letztere längst zur „reformerischen“ – geschichtlich entsteht.

Und zwar als Reaktion auf eine sehr reale - und nicht, wie in europäischen „Überfremdungs“diskursen, herbeihalluzinierte - Dominanz des „Westens“ respektive „Nordens“. Ein Norden, der (beginnend mit der Kolonialgeschichte) mit den nordafrikanischen oder westasiatischen Gesellschaften interagiert, diese durchdringt, dabei auf oft brutale Weise eigene Interessen, Herrschafts- oder Kapitalverwertungsinteressen durchsetzt. Und der dabei das Vokabular der Verbreitung von „Aufklärung“, Modernisierung und vorgeblicher Emanzipation auf den Lippen führt. Sein Vorgehen, sein Einfluss wird bei islamistischen Ideologen oder Aktivisten als eine Art „kultureller Imperialismus“ interpretiert, wobei jedoch keinerlei Konzept von „Imperialismus“ als ökonomischer Beziehung (als transnationales Verhältnis von Kapital und Arbeit, bei dem die Kapitalakkumulation stärker in einigen Staaten konzentriert stattfindet) vorhanden ist. Bei den Islamisten würde man jede Kritik an der politischen Ökonomie des Imperialismus ebenso wie jede Kapitalismuskritik vergeblich suchen, und ihre eigene Vision ist in aller Regel wirtschaftsliberal – im Einklang mit dem historischen Ur-Islam, der überwiegend als kaufmännische Religion entstand. Allenfalls findet sich bei ihnen die Vokabel vom „Imperialismus“, die auf keinerlei ökonomischen Kategorien fußt, sondern auf einem kulturalistischen und mitunter verschwörungstheoretischen (Nicht-)Verständnis. Ihm wird ein réflexe identitaire, ein reflexartiger Wunsch zur „Verteidigung unserer bedrohten Identität“ entgegengesetzt. Dieser Gegenüberstellung wird dann bei den IslamistInnen die Wahrnehmung innergesellschaftlicher Veränderungen untergeordnet: Die Veränderung der Familienstrukturen, eine stärkere Autonomie von (im Gegensatz zu früher berufstätigen) Frauen oder von Jugendlichen etwa wird als Ausdruck des Einwirkens der bedrohlichen, gegnerischen Macht auf die eigenen Gesellschaftsstrukturen interpretiert. Oft wird das vermeintlichen Einwirken der „äußeren Bedrohung“ auf die gesellschaftliche Binnenstruktur dabei mit Mitteln der Verschwörungstheorie interpretiert: Diverse Wahrnehmungen lassen sich vermeintlich aus einer Tendenz zum Niedergang, zur „Überfremdung“ oder „Unterwanderung“ ableiten. Ihr wird in manchen Fällen ein Wille zur „moralischen Reform“ entgegengesetzt, in anderen Fällen – bei stärker autoritären Bewegungen oder Regimes – dagegen mit offener und brutaler Gewalt die Unterordnung von Frauen, sexuellen Minderheiten oder unangepassten Individuen betrieben. Wie in der Islamischen Republik Iran, wo der vorgebliche „Kampf um kulturelle Selbstbehauptung“ dann das Aufhängen von Homosexuellen an Baukränen einschließt. Nicht alle islamistischen Strömungen agieren auf genau solche Art; bei anderen hat eher das pietistische Agieren im Sinne des „Vorbilds der guten Tat“ oder die moralische Reislamisierung der Gesellschaft durch das „Ringen um die Köpfe und die Herzen“ Vorrang.

Faschismus // Islamismus

Auch faschistische Bewegungen in Europa kombinieren je ein reaktionäres und ein „rebellisches“ Element miteinander. Sie tun es jedoch aus anderen Gründen und auf andere Weise. In ihrer historischen Form entstanden sie - als Massenbewegungen - im Umfeld des Ersten Weltkriegs, als der Nationalismus in seiner damals verbreiteten Form „die Massen ergriff“ und das Schützengrabenerlebnis breite Teile der männlichen Gesellschaft barbarisierte. Gleichzeitig steckten die kapitalistischen Gesellschaftsformationen am Ausgang des Krieges 1918/19 in einer schweren Krise, und der Wunsch nach Überwindung des wirtschaftlichen Privateigentums sprach ebenfalls breite Kreise an. Im Wettlauf mit systemkritischen, von nahe oder von fern durch den Marxismus beeinflussten Oppositionskräften setzten rechte Bewegungen sich vermeintlich an die Spitze, indem sie die Arbeiterparteien mit schreiend radikalen Phrasen und sozialer Demagogie zu übertrumpfen suchten. Und indem sie gleichzeitig das soziale Verlangen mit dem verbreiteten Nationalismus „kurzschlossen“. Die vorhandene soziale Dynamik in den Gesellschaften wurde aufgegriffen, jedoch umgebogen: Die marxistische Analyse vom Klassenkonflikt als gesellschaftlichem Kernkonflikt wurde – ebenso wie jede Idee von internationaler Klassensolidarität – entfernt, stattdessen eine Art von „Volksgemeinschaft“ beschworen. Diese konnte auf der Expansion nach außen und der „Schützengrabenbrüderschaft“ beruhen, im Falle des deutschen Nazismus auch besonders auf der Konstruktion einer jüdischen „Gegenrasse“ (während das antisemitische Element etwa im italienischen Faschismus vor 1938 allenfalls eine untergeordnete Rolle spielt).

Auch wenn sie damals stärker aus den deklassierten, absteigenden Mittelklassen als aus der eigentlichen Arbeiterschaft rekrutierten, konnten die Keimzellen faschistischer Bewegungen doch der Arbeiterbewegung Konkurrenz machen und sich als scheinbar besonders dynamische Bewegung profilieren. Dabei zogen sie die aggressivsten, mitunter auch die verzweifelsten, die rücksichtlosesten Elemente ihrer Gesellschaften an: die ganze Gemisch aus verhinderten oder zukünftigen Folterern, Sadisten und Blockwarten.

Mehrere Unterschiede zur Mehrzahl der islamistischen Bewegungen, die oft vom subjektiven Selbstverständnis her als Widerstandsbewegungen gegen die herrschende Weltordnung heranwuchsen – und dabei gleichzeitig ein eindeutig reaktionäres, rückwärtsgewandtes, idealistisch-illusorisches Projekt verfolgten – stechen dabei ins Auge. In vielen nationalen Einzelfällen sind es (aufgrund ihrer langen Oppositionsphase) nicht die islamistischen Bewegungen, die in besonderem Ausmaß die für Repressionsfunktionen besonders geeigneten Charaktere anzogen: In Ländern wie Syrien sind die islamistischen Aktivisten in aller Regel häufiger Folteropfer als Folterknechte. Das hindert die islamistischen Bewegungen nicht daran, einen autoritären Kern zu haben – wer sich auf göttlichen Willen beruft, kann zwar unter Umständen demokratische Mechanismen in sein politisches Projekt integrieren (wie die türkische AKP oder Teile der tunesischen En-Nahdha es taten oder tun), entzieht aber grundlegende Entscheidungen zumindest „in letzter Instanz“ jeglicher Diskussionsmöglichkeit. Tatsache ist auch, dass andere Ausformungen des politischen Phänomens Islamismus unterdessen schnell offen unterdrückerische politische Formen annahmen. Das wohl negativste moderne Beispiel dafür ist der Iran, wo nach der Revolution und darauffolgenden Konterrevolution 1979 schnell ein extrem autoritäres und brutales Regime errichtet wurde (und sich u.a. dank der Kriegssituation mit dem Iraq und des dadurch legitimierten Ausnahmezustands am Anfang an der Macht halten konnte). Dort sind auch Elemente wie Milizen und Ansätze zur autoritären Massenorganisierung anzutreffen, die – im Falle des Khomeinismus an der Macht – am ehesten Parallelen zu Erscheinungsformen des Faschismus aufweisen.

Im internationalen Gefüge begreifen islamistische Parteien – ob „reformerisch“ agierende und auf Regierungsbeteiligung im bürgerlichen Rahmen zielende, oder mit Waffengewalt agierende – sich in aller Regel als „Widerstandskräfte“ gegen eine als ungerecht begriffene Weltordnung. Während faschistische Bewegungen in Europa in der Zwischenkriegszeit in aller Regel expansive Tendenzen ihrer Staaten aktiv befürworteten. - Es ist allerdings auch Tatsache, dass die historischen Erben der damaligen Faschismen – wie der französische Front National oder die österreichische FPÖ –, die heute oft als Ausländer-Raus-Parteien gewählt werden, heute oft eher ein national-neutralistisches und anti-interventionistisches Profil an den Tag legen. Häufig kehren sie Standpunkte wie „Solche Interventionen für fremde Interessen sind zu teuer für uns“ und „Was kümmert es uns, wenn die Menschen in anderen Weltgegenden verrecken?“ gegen vordergründig humanitär begründete Interventionen heraus. Von allen großen Interventionen seit 1991 wie im Iraq, in Serbien und möglicherweise in Syrien lehnte etwa der französische FN alle ab, mit Ausnahme jener in Mali 2013.

Zurück zu den Islamisten: Diesen ihren Selbstanspruch muss man ernst nehmen, sonst droht man durch die falsche Medizin das vermeintlich bekämpfte Übel noch zu verstärken. Sich als „Widerstandkämpfer“ zu inszenieren ist jedenfalls eine Disziplin, welche islamistische Parteien und Bewegungen aller Schattierungen gut beherrschen – weit weniger dagegen jene, Alternativen und Maßnahmen vorzuschlagen, die in irgendeiner Weise (und auch nur bruchstückhaft) hin zu einem besseren Leben führten könnten. Militärische Schritte in den oder gegen die betreffenden Ländern(n), auch wenn sie als Holzhammermedizin gegen islamistische Kräfte gedacht sein mögen, drohen jene also unter Umständen eher noch zu stärken - lassen sie sich doch perfekt in ihre politische Funktionsweise hinein einpassen, um sich als „Widerständler“ zu legitimieren. Schwächer geworden sind die afghanischen Taliban jedenfalls seit 2001 nicht, und im Iraq haben progressive oder bürgerlich-demokratische Kräfte die Islamisten nach 2003 nicht gerade ins Hintertreffen befördern können.

Zum viel beschworenen Antisemitismus“-Argument

Noch kurz ein paar Worte, in der Kürze des zur Verfügung stehenden Platzes, zum Antisemitismus-Argument. In manchen Kreisen – vor allem in Deutschland und Österreich – genügt es, die entsprechenden Reizworte zu nennen, um jedenfalls manche Protagonisten zur sofortigen Ausschaltung jeglichen politischen Verstandes zu bewegen. Auch dieses, in den letzten 10 bis 12 Jahren reichlich überstrapazierte, Argument führt ein Problem mit sich herum: Es ist ebenfalls falsch.

Selbstverständlich hegen Islamisten aller Couleur Ressentiments unter anderem gegen jüdische Menschen, die im Überlegenheitsdünkel der vermeintlich wahrsten und besten Religion wurzeln. Juden werden als Religionsgruppe betrachtet und als solche anerkannt – wobei gleichzeitig dem Zionismus vorgeworfen wird, statt der konfessionellen eine (illegitime) nationale Dimension angestrebt zu haben. Selbst im von Islamisten extrem autoritär regierten Iran, wo man ansonsten hingerichtet werden kann, weil man den „falschen“ Glauben besitzt; allerdings keineswegs als Jude oder Christin, sondern als Bahai (oder Atheistin). Ansonsten wird die jüdische Minderheit, in dem Falle die zweitstärkste im Mittleren Osten, als solche anerkannt, allerdings auf ihre Rolle als Konfession beschränkt. Der Staat Israel seinerseits wird von den Islamisten oftmals diabolisiert und prinzipiell als illegitim betrachtet, allerdings keineswegs aus einer eliminatorischen Rassenideologie wie im Nationalsozialismus heraus – der die Juden als „Gegenrasse“ betrachtete, die wie ein schädlicher Wurm alle Nationen von innen heraus „zersetzt“ - , sondern er wird durch ihre historische Brille hindurch wie die Kreuzfahrerstaaten in der Levante im 12. und im 13. Jahrhundert betrachtet.

Die Mehrzahl der Elemente des modernen Antisemitismus finden keine Entsprechung im arabischen oder persischen Raum: Würde man durchschnittliche AraberInnen – oder selbst AnhängerInnen einer islamistischen Partei – danach befragen, „welches Volk über die Grenzen hinweg und über die Kontinente verstreut lebt, vor allem in Handels- und Bankberufen tätig ist, sich stetig bereichert und Geld scheffelt“, dann käme als spontane Antwort in den meisten Fällen: „Na klar, logisch! Libanesen!“ Die Diabolisierung Israels und das, real vorhandene, diffuse antijüdische Ressentiment beziehen sich überwiegend auf den Territorialkonflikt um das historische Palästina. Aber eben, jedenfalls ursprünglich, nicht auf eine vermeintliche Rolle als „Drahtzieher des Kapitalismus und des Kommunismus“ und „Weltverschwörer, der die Nationen in Klassen spaltet“. Allerdings kam es zu Importen von Versatzstücken dieser Ideologie (wie sie sich etwa in der Charta der Hamas vom Februar 1988 wiederfinden). Ein ideologischer Überschuss mit Importen aus Europa ist also vorhanden. Anders als in Europa – wo es keinerlei „Konflikt zwischen Deutschen und Juden“ gab, außer in der Fantasie der Nazis – existiert als Grundlage für diverse ideologische Projektionen jedoch ein realer Territorialkonflikt, um dem sich konfessionell begründete Ressentiments scharen.

Man kann dies beklagen (doch besser noch wäre es, könnte es Schritte zur Auflösung dieses reales Konflikts geben). Aber Vergleiche zum eliminatorischen Antisemitismus – wie er Staatsprogramm im NS-Staat war - zu ziehen, ist eine historische Verdummung sondergleichen. Wird ein solcher Vergleich angestellt, um ihn für billige außenpolitische Agitation im Jahr 2013 zu nutzen, handelt es sich darüber hinaus um bewusste Verblödung.

Ausblick

Als politisches Phänomen wird der Islamismus nicht in Bälde von der Bildfläche verschwinden. Aber seine deutlich erfahrbaren Rückschläge als Regierungspartei – deren Unfähigkeit, Schritte zu einem realen besseren Leben einzuleiten, von 2011 bis 2013 in Tunesien, Ägypten und Marokko deutlich unter Beweis gestellt wurde – dürften ihn kurz- und mittelfristig spürbar schwächen. Ideologische Bannflüche aus Europa werden dabei wenig helfen, militärische Drohungen oder Gefuchtel mit Schaum vor dem Mund dürften eher zum Gegenteil des gewünschten Erfolgs führen.

Anmerkungen

1 So lautet ihre arabische Originalbezeichnung; eingedeutscht, oder unter persischem Einfluss ausgesprochen, „Hezbollah“.
2 Siehe etwa: http://georgewbush-whitehouse.archives.gov/news/releases/2006/08/print/20060807.html.Vgl. in deutscher Sprache dazu aus demselben Zeitraum: http://www.heise.de/tp/artikel/23/23484/1.html . Der Artikel unterlässt es allerdings, den Zusammenhang zum Krieg im Libanon – der wenige Woche vor seinem Erscheinen stattfand – klarer zu benennen.
5 Sein politische Werdegang führte von einer Unterstützung für den grünen US-Präsidentschaftskandidaten Ralph Nader im Jahr 2000, über eine mit dem „Islamfaschismus“ begründete, verdruckste Positionierung zugunsten von George W. Bush – er kandidierte damals für seine Wiederwahl – im Jahr 2004 hin zu einer Wendung zugunsten von Barack Obama. 2008 unterstützte er Letzteren gegen den Kandidaten der politischen Rechten, John McCain.
6 Allerdings hat jedenfalls Hitchens sich ab 2004 mit harter Kritik an der Folterpraxis im US-besetzten Iraq - eingedeutscht, aber sprachlich falsch „Irak“ – und besonders im Gefängnis von Abu Ghraib hervor.

(Anm.: Die Buchstaben „k“ und „q“ stehen für die Transkription unterschiedlicher Laute im arabischen Alphabet. Da qalbi „mein Herz“, kalbi jedoch „mein Hund“ bedeutet, darf zu Vorsicht geraten werden. Aus diesem Grund ist die im anglo-amerikanischen Sprachraum verbreitete Umschrift „Iraq“ richtig, die deutsche Schreibweise „Irak“ jedoch Unfug.)

7 Gehen wir an dieser Stelle über die spätere politische Karriere von Khalilzad, der ab 2001 eine wichtige Rolle in der US-Besatzungspolitik in Afghanistan spielen wird, hinweg.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.