Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Was kann linksradikale Stadtpolitik?
Thesen zur Veranstaltung am 16.10.2014 im Rahmen der "Aktionsphase des Berliner Ratschlags"

von der Gruppe "Andere Zustände ermöglichen" (AZE)

11-2014

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A. Was ist unsere Definition von linksradikaler Stadtpolitik

1. Wir verstehen unter linksradikaler Stadtpolitik den Anspruch, die bestehenden und die Stadt prägenden Herrschaftsverhältnisse zu benennen und praktisch zu deren Überwindung beizutragen. Auf einer theoretischen Ebene bedeutet das die Verbindung verschiedener Ansätze wie antikapitalistischer, antirassistischer, antisexistischer, antiautoritärer etc. Die bestehende Stadt lässt sich nicht verstehen, wenn die Perspektive einseitig wird. Kapitalismus alleine erklärt beispielsweise nicht, wieso es als unproblematisch erscheint, dass Geflüchtete in Lagern außerhalb der Stadt leben müssen. Linksradikal und antikapitalistisch sind für uns also nicht das Gleiche. Zum einen da die Stadt und ihre Entwicklung nicht nur kapitalistischen Logiken folgen. Zum anderen da nicht jeder Antikapitalismus links ist. Trotzdem ist Antikapitalismus für uns in eine Erklärung der städtischen Verhältnisse zentral. Die Mieten steigen wegen des Kapitalismus. Privateigentum an Wohnungen ist eng mit der Grundidee des Kapitalismus verknüpft, die Welt in eine Ware zu verwandeln, damit Gewinne zu machen und diese zu privatisieren.

In Berlin richtet sich stadtpolitischer Protest gegenwärtig vor allem in Bezug auf (steigende) Mieten. Es wäre natürlich auch anderes vorstellbar. Beispielsweise könnte es eine stärkere Thematisierung von Umwelt/Verkehr, architektonischer Stadtplanung oder kolonialen Kontinuitäten geben.

Linksradikale Stadtpolitik ist für uns also der Versuch, die städtischen Verhältnisse in größeren Verhältnisse zu denken. Wenngleich die Praxis immer einen konkreten Ansatzpunkt braucht.

B. Wie ist der Stand linksradikaler Stadtpolitik?

2. Viele Menschen und aktive Gruppen der Kämpfe um Wohnraum sind antikapitalistisch. Gleichzeitig spielt das in der öffentlichen Wahrnehmung keine große Rolle. Die stadtpolitischen Aktivitäten können sozialdemokratisch interpretiert werden. Häufig wird das Versagen des Staates thematisiert. Es wird somit direkt oder indirekt an den Staat appeliert, der den Mietanstieg stoppen soll. Ebenfalls scheint es bei Protesten gegen Gentrifizierung um eine Verteidigung des Status quo zu gehen und nicht um einen Kampf um eine andere Gesellschaft. Eine grundsätzlichere, antikapitalistische Perspektive kann nur selten vermittelt werden. Die stadpolitische Szene ist in ihrere Gesamtheit nicht linksradikal. Mietendemos sind meist offene Demonstrationen mit vielen verschiedenen Menschen. Geschlossenere linksradikale Demonstrationen gibt es im stadtpolitischen Kontext in den letzten Jahren immer weniger.
 

3. In Berlin sind steigende Mieten und Verdrängung ein großes Gesprächsthema. Trotzdem engagieren sich nur einige der Betroffenen in der stadtpolitischen Szene. Der Unmut mit steigenden Mieten drückt sich daher nicht in der Form kollektiver Kämpfe aus, sondern die soziale Situation wird weitgehend individualisiert.

4. Die stadtpolitische Szene ist offen und leicht zugänglich. Viele Menschen gelangen zu Wohnraumkämpfen nicht durch eine Auseinandersetzung mit linksradikaler Politik, sondern durch Betroffenheit. Deswegen ist die stadtpolitische Szene weniger bürgerlich als andere Protestbewegungen. Gleichzeitig neigt sie aber auch weniger zu inhaltlichen und strategischen Diskussionen. Es wird viel an konkreten Fällen und Schicksalen gearbeitet, in denen Emotionalität und Betroffenheit eine große Rolle spielen. Dabei bleibt häufig einfach nicht mehr die Zeit für theoretische Auseinandersetzung oder die Leute haben keine Lust mehr darauf.

5. Die lokale Verankerung der stadtpolitischen Bewegung führt dazu, dass bundesweite oder transnationale Perspektiven bisher nur ansatzweise ausgebildet sind. Eine Zuspitzung der Bewegung wie eine Castorblockade oder Dresdenblockade mit einem gemeinsamen großen Erlebnis ist lange mchi passiert, zuletzt wohl in Berlin bei der Liebig 14 und in Hamburg bei der Demo der Roten Flora im letzten Dezember. Wobei letztere beiden eher die militante Szene und die von ihr geführten Häuserkämpfe angesprochen haben. Im Kampf gegen steigende Mieten und Zwangsräumungen wäre noch die Blockade der Räumung der Familie Gülbol zu nennen. Danach konnte eine derartige Zuspitzung nicht mehr wiederholt werden, was vor allem auch damit zusammen hängt, dass die Mietenfrage eine alltägliche ist und Zwangsräumungen jeden Tag stattfinden. Die Kämpfe sind deswegen etwas vereinzelter und haben stärker mit einem Ohnmachtsgefühl zu kämpfen. Der Fokus der stadtpolitischen Kämpfe ist häufiger auf den Kiez und die konkreten Auseinandersetzungen vor Ort bezogen. Eine übergeordnete Einordnung findet selten statt, eine transnationale Vernetzung hilft zwar den Aktivistinnen, führt aber nicht zu einer größeren Mobilisierung.

C. Warum linksradikale Stadtpolitik?

7. Eine Auseinandersetzung mit linksradikalen Theorien ist für die stadtpolitischen Proteste um Wohnraum wichtig um Verkürzungen in der Kritik zu vermeiden. Wohnungseigentümer*innen nicht als "fiese Menschen" in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen, sondern ein Gewinnstreben als kapitalistisches Grundprinzip zu identifizieren und somit die kapitalistische Struktur als solche anzugreifen, ist ein wesentlicher Beitrag den linksradikale Analysen zur Stadtpolitik beitragen können. Auch das Analysieren und Hinterfragen von verschiedenen Herrschaftsverhältnissen, die in der Stadt zu Tage treten ist für die stadtpolitischen Proteste wichtig, um nicht isoliert von anderen emanzipatorischen Kämpfen zu sein. Tatsächlich kann eine gelebte Solidarität, wie sie es zur Zeit in der stadtpolitischen Szene gibt, schon als kleiner Erfolg in Richtung einer anderen Gesellschaft angesehen werden. Ansonsten ist es natürlich schwierig den Erfolg von linksradikaler Stadtpolitik zu messen, da der Erfolg in der Überwindung der Herrschaftsverhältnisse bestehen muss.
Verhinderte Zwangsräumungen, Mietobergrenzen usw. entlasten zwar Betroffene und haben somit eine Berechtigung, bewegen sich aber vollkommen im Rahmen eines sozialdemokratischen Kapitalismus. Allerdings kann die Notwendigkeit nach einer linksradikalen Stadtpolitik auch nicht an deren Erfolg festgemacht werden.

8. Häufig, auch gerade von einer Außenperspektive, wird Linksradikalität an politischen Aktionsformen festgemacht. Formen des zivilen Ungehorsams, beispielsweise Blockaden, und Sachbeschädigungen, wie Farbbeutelaktionen, werden einem linksradikalen Spektrum zugeordnet, während "bunte" Demos als nicht linksradikal wahrgenommen werden. Diese Unterscheidung ist nicht unproblematisch und es können sehr wohl Menschen linksradikale Theorien vertreten ohne sich an Aktionen des zivilen Ungehorsams zu beteiligen.

Die linksradikale Praxis hat dabei den Grundsatz, dass sie sich an ihrem Ziel, der Überwindung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse, ausrichtet, und nicht an den Gesetzen des Staates oder den Interessen der Wohnungseigentümer*innen. Es geht darum, sich im Denken und Handeln nicht der gesellschaftlichen Konformität und Vorgabe zu fügen, sich von der Repression, der Entfremdung zum eigenen Wohnort, der Unsicherheit und den Ausschlüssen (die uns unterschiedlich betreffen) nicht fertig machen zu lassen, sondern dagegen zu kämpfen.

Trotzdem ist es interessant sich zu Fragen ob Sachbeschädigungen, Blockaden, Besetzungen usw. für eine Stadtpolitik notwendig sind und ob solche Aktionsformen sie linksradikaler machen.

D. Perspektiven, Möglichkeiten und Aufgaben linksradikaler Stadtpolitik momentan in Berlin

8. Linksradikale Ideen und Ansätze könnten in einem Diskurs stärker herausgearbeitet werden, dabei ist es allerdings wichtig nicht die Distanz zu reformerischen Ansätzen in den Fokus zu stellen. Praktische Solidarität, unter anderem von Betroffenen, stellt ein Mittel dar eine Verbindung aufzuzeigen wie utopische Ideen bei der Veränderung zu einer anderen Gesellschaft weiterhelfen können. Es lohnt sich einen Blick auf die Zusammenführung von Wohnraumkämpfen und antirassistischen Kämpfen zu legen, wie es beispielsweise bei „United Neighbours" angefangen wurde. Eine gemeinsame theoretische Reflexion der herrschenden Zustände könnte Verbindungen offenlegen, vor diesem Hintergrund könnte eine praktische Soiidariiät organisiert werden.
Die antikapitalistische Perspektive könnte bei stadtpolitischen Protesten stärker herausgearbeitet werden. Dabei sollte dieser Antikapitalismus so aufgearbeitet werden, dass er nicht zur Bestätigung einer eigenen Szeneidentität genutzt, sondern für viele Menschen verständlich wird.

9. Die Proteste um steigende Mieten haben den Diskurs in Berlin maßgeblich mitbestimmt. Ihnen ist es zu verdanken, dass hohe Mieten als problematisch angesehen werden und der Senat unter Zugzwang steht. Privatisierungen wie in den 90ern wären heute schwieriger vorstellbar. Gleichzeitig werden viele Forderungen an den Staat gerichtet und dieser legitimiert. Der Staat soll neue Häuser bauen und die Mieter_innen vor bösen lnvestor_innen beschützen. Hier finden wir es wichtig die Schwächen verkürzter Kritik und von Appellen an einen Staat zu wermitteln.Viele Mieter_innen beginnen aber ihre politische Aktivitäten mit der Einforderung der Erwartungen, die sie an den Staat haben. Es könnte stärker gezeigt werden, wie der Staat diese Erwartungen immer wieder enttäuscht und wie stattdessen Solidarität als wirkliche Alternative angesehen werden könnte.

10. Es ist wichtig weiterhin viele linksradikale Menschen dazu zu bewegen an Aktivitäten teilzunehmen. Allerdings bildet die kontinuierliche Arbeit in den Kiezen und mit den Betroffenen die Grundlage der politischen Handlungsfähigkeit.


...viel Spaß jetzt beim Tresen!

Editorische Hinweise

Die Thesen wurden zur Beginn der Veranstaltung in schriftlicher Form ausgegeben und dann abschnittweise als "Input" vorgelesen und diskutiert. Danach wurde der Tresen zum geselligen Zusammensein geöffnet.

Die Veranstaltung fand am 16.10.2014 um 20 Uhr im Projektraum, Hermannstraße 48 (U Boddinstr.) statt.

Wir scannten die Thesen von der dort ausgegebenen Vorlage.