Seit
mehr als einer Woche demonstrieren die Schüler und Schülerinnen
in ganz Griechenland, 500 Schulen waren allein vor einer Woche
besetzt, die StudentInnen wehren sich seit einiger Zeit gegen
die geplanten Zugangskontrollen an den Universitäten durch
private Sicherheitsdienste. Das ist nur eines ihrer Motive, aber
derzeit eines der vorrangigsten, denn damit wird politische
Tätigkeit an den Universitäten verunmöglicht.
Seit der Junta, als im Polytechnío Studenten den ersten massiven
Widerstand gegen das faschistische Regime starteten, wobei
Panzer den Eingang durchbrachen, die Leute niederwalzten und im
Polytechnío eine Hetzjagd auf Studenten und StudentInnen
erfolgte – die drinnen niedergeprügelt und ermordet wurden – ist
das Polytechnío (im Deutschen auch Polytechnikum) einer der
zentralen und lebendigsten Orte der politischen Diskussion und
des politischen Widerstands in Athen, aber auch einzelne
Fakultäten der Hauptuniversität, die sich in der Nähe befindet,
sind Brenpunkte der politischen Theorie und Aktion.
Im Polytechnío hatten die Studenten damals einen – natürlich
illegalen – Radiosender eingerichtet, der die Bevölkerung
informierte, und sie hatten die Unterstützung eines wichtigen
Teils des Proletariats, der Bauarbeiter. Deswegen ist die
Bedeutung des P. als seit dem Ende des Faschismus gewahrter Ort
des Widerstands so groß, deswegen war der Kampf für die
Erhaltung von Indymedia, das ebenfalls im Polytechnio
installiert war und das in Griechenland kein links-zeitgeistiges
Beliebigkeitsforum, sondern ein Kampfinstrument ist, so wichtig.
Lange Zeit war den Polizisten der Zugang zu den Universitäten
aufgrund dieser historischen Erfahrung per Gesetz verboten,
obwohl noch während der Geltungsdauer dieses Gesetzes – das
inzwischen aufgehoben wurde – diese Regelung bereits mehrmals
durchbrochen worden war. Nach wie vor steht eine Reihe von
Räumen im Polytechnio, besonders der Hörsaal Gíni, jeden Tag für
politische Veranstaltungen zur Verfügung, ununterbrochen finden
dort , tagtäglich, die wichtigsten politischen Vorträge,
Symposien, Diskussionen und Planungen statt, und zwar von allen
radikal linken Gruppen – von anarchistischen Gruppierungen, die
sich um die politischen Gefangenen kümmern (Maziotis!) bis zur
trotzkistischen Revolutionären Arbeiterpartei.
Oder soll man sagen: Stand offen? Seit beinahe zwei Tagen sind
unzählige schwerbewaffnete Polizisten sowohl um die
Hauptuniversität als auch um das Polytechnio, aber auch auf den
angrenzenden Boulevards postiert, und es herrscht in der Stadt
eine Stimmung des Belagerungszustandes. Vor dem sogenannten
Parlament fuchteln die Polizisten mit ihren Karabinern herum,
als würde ein Sturmangriff aufs Parlament geplant. Man kommt
sich vor wie in Spanien unter Franco, nicht überall, aber an
vielen Plätzen.
Das Areal der in der Nähe der Hauptuniversität gelegenen
Juristischen Fakultät, in dem sich ein großer selbstverwalteter
Bereich befindet (oder befand), in dem man herzlich empfangen
wird, ist seit zwei Tagen hermetisch abgesperrt, alles ist kalt
und dunkel. Auch ein Symbol. Denn von der Rechtsfakultät ging
der Aufstand damals aus …
Die Jugend kann sehr wohl eine größere, größere Teile der
Bevölkerung umfassende, Revolte auslösen, und das weiß die
Regierung, die aber doch ein wenig außer Rand und Band geraten
ist und hysterisch reagiert. Sie weiß, diese Halb-Junta unter
Samaras und den ekelerregenden Sozialdemokraten, daß sie schon
im Eck stehen und sie reagieren mit primitiver Polizei-Panik,
die sich in den kommenden Tagen wohl noch steigern wird.
Aber es ist nicht nur eine Revolte, die befürchtet wird, wie die
nach der Ermordung von Alexandros Grigoropoulos, denn solche
Revolten oder Aufstände gehen im allgemeinen vorbei, es ist die
Dichte des vielfältigen organisierten, also nicht punktuellen,
Widerstands, die große Anzahl verfestigter Bewegungs-Strukturen,
die die Dimension der entsprechenden Counter-Maßnahmen erklären.
Am 17., am kommenden Montag, ist der 41. Jahrestag des
Aufstandes des Polytechnio, wo große und zahlreiche, besonders
durch die neuen Schülerproteste genährte Kundgebungen zu
erwarten sind (auch gestern waren in Athen die Schüler
massenweise auf der Straße), und am 27. ist Generalstreik.
Angesichts des neuen Ausplünderungsdiktats aus Brüssel und den
USA werden die Proteste diesmal nicht schwächer ausfallen als in
den vergangenen Jahren.
Am Nachmittag wurde heute das Polytechnio von innen abgesperrt,
die GenossInnen verschanzten sich im Innern, ein anarchistischer
Genosse erzählte mir, ein Freund von ihm sei von den Polizisten
auf den Kopf geschlagen worden und mußte siebenmal genäht
werden, er selbst wurde, als er bloß zur Mensa ging, von der
Polizei an die Wand gestellt – ohne aber daß er irgend etwas
„Strafbares“ unternommen hätte, bloß seines Aussehens wegen.
Das ist aber nur ein kleiner Ausschnitt. Gestern fand deine
regelrechte Hexenjagd auf die demonstrierenden StudentInnen
statt. Wir spüren in diesen Tagen die Anzeichen sehr, sehr
harter kommender Auseinandersetzungen, die wahrscheinlich viele
Verletzte hervorbringen werden. Gestern war der Start dazu, die
Gewalt des Staates ist ungeheuer. Wie gestern das polizeiliche
Lumpenpack allein gegen die Studenten und Studentinnen
vorgegangen ist, wie sie auf sie losgehen, wie sie sie hin- und
herjagen, das ersieht man etwa aus folgendem Video:
https://www.youtube.com/watch?v=4WCE6iCvK5g, siehe auch das Bild
auf https://athens.indymedia.org/post/1533998/.
Die Studenten im Polytechnio haben heute einen Angriff auf das
Polytechnio befürchtet, in furchtbarer Erinnerung an 1973 (dem
Jahr des Polytechnio-Aufstandes), als die Polizisten mit ihren
Panzern in das Universitätsareal hineinfuhren. Deswegen haben
sie sich im Inneren verschanzt.
Damals stand auf den Säulen zu beiden Seiten des Eingangs
geschrieben: Raus mit der NATO aus Griechenland! Raus mit den
USA! Die Beihilfe der USA für die Junta war allen bekannt, allen
war bekannt, daß die NATO-geführte Gladio den Putsch geplant
hatte – was von heutigen zeitgeistig-postmodernen griechischen
„Wissenschaftlern“ als bloßes Ideologem der Linken abgetan wird.
Wie ist es mit dem Gedächtnis? Die alten Kämpfer und
Kämpferinnen des Polytechnio sind nach wie vor aktiv, der
damalige Sprecher des Radiosenders des Polytechníos etwa nimmt
an vielen Veranstaltungen teil, zuletzt in einem centro sociale
(„Steki“) im weit entfernten Vorort Peristéri, in dem sich
zahlreiche Siebzigjährige und viele 14- bis 16-Jährige (!)
einfanden. Und es geht auch um aktuelle Probleme, und nicht bloß
um nostalgische Rückschau, und doch auch um eine historische
Neu- und Weiterbearbeitung des Themas, das so wenig abgehoben
ist wie irgendetwas.
Eine Kämpferin der damaligen Aufständischen, Aggelikí
Koutsouboú, die heute bei der Revolutionären Arbeiterpartei ist,
wurde vor fünf Jahren bei einem aller Wahrscheinlichkeit nach
eiskalt geplanten Angriff der damals neugegründeten
Polizei-Überfallsbrigade Deltá auf den Block der Revolutionären
Arbeiterpartei halbtot gefahren. Heute noch leidet sie, die
schon 1973 kämpfte, wegen des neuerlichen Überfalls an
Gedächtnisstörungen, wie der Rizospastis fair berichtet.
Das war gestern, das war kürzlich, was wird morgen sein?
Wir müssen uns möglicherweise darauf einstellen, daß wir
zumindest vor den Konsulaten und Botschaften des auf den Hund
gekommenen EU- und NATO-Staates demonstrieren werden müssen, für
seine Bevölkerung, für seine Unterdrückten, für seine
Rebellierenden.
Editorische Hinweise
Den Artikel erhielten wir vom
Autor für diese Ausgabe.
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