Ein Blick zurück
Im November 1995 erhielt der Berliner Lehrer für Fachpraxis(1) , Reinhold Schramm, Berufsverbot wegen seiner Tätigkeit für das MfS

Reinhold Schramm erinnert sich

11/2015

trend
onlinezeitung

Red. Vorbemerkung: Wir veröffentlichen Reinhold Schramms Erinnerungen (inklusive Anhang) ausschließlich zu dokumentarischen Zwecken. Für die Richtigkeit des Inhalts übernehmen wir keine Gewähr. Die Links im nachfolgenden Text dienen der Substantiierung von Sachverhalten und erfolgten in Absprache mit dem Autor durch die Redaktion. Die in den Erinnerungen vertretenen Ansichten des Autors, seine politischen Bewertungen und Handlungen werden  von der Redaktion und den Herausgeber*innen überwiegend nicht geteilt.

Unabhängig davon halte ich das Berufsverbot für Reinhold Schramm für willkürlich. Es stützt sich nicht auf Gründe, die mit seiner Lehrertätigkeit zusammenhängen, sondern stattdessen wird  mithilfe der Anlage 1 Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Nr. 2 des Einigungsvertrages für seine Weiterbeschäftigung juristisch eine "Unzumutbarkeit in sich" konstruiert.

Damit steht seine Entlassung in der traurigen Tradition der Berufsverbotepolitik , wie sie in der BRD und Westberlin bereits vor dem KPD-Verbot 1956 begonnen wurde. / khs

+++++++++++++++

Im November 2015 sind es 20 Jahre seit meiner Entfernung aus dem Schuldienst als Lehrer für Fachpraxis in der Berufsvorbereitung von Jugendlichen. Nach einem Telefonanruf am Arbeitsplatz und sofortiger Einbestellung beim Landesschulamt Berlin, vor die „Gauck-Kommission“, wurde ich mit sofortiger Wirkung am 17.11.1995 suspendiert und erhielt Hausverbot. Die Suspendierung zog sich noch bis Ende Juni 1998 hin.

Bei der „Anhörung“ vor der „Gauck-Kommission“ im Mai 1996 behauptete der Landesschulleiter Seiring, meine Tätigkeit für das MfS sei vergleichbar mit der der Gestapo und SS. Diesem provokatorischen und rechtssozialdemokratischen Unsinn wurde von mir behutsam pädagogisch und aufklärerisch – vor der „Gauck-Kommission“ – widersprochen. Es bleibt die Feststellung, dass die pädagogischen Mitglieder der „Gauck-Kommission“ dieser Gleichsetzung, von antifaschistischen MfS und staatsterroristisch-kapitalfaschistischer Gestapo und SS, nicht widersprachen.

Ab Juli 1998 war ich dann endgültig aus dem Staatsdienst entfernt.

Zugleich verloren meine Kleinkinder, geb. im Dez. 1992 und April 1995, nahezu dauerhaft ihren Unterhalt (ab Juli 1998). Zugleich eine unausgesprochene Sippenhaft für meine Kleinkinder über die “Gauck Kommission“ und das Landesschulamt Berlin (LSA). Dafür interessierte sich nicht die pädagogische „Gauck-Kommission“ beim LSA, ebensowenig wie die pädagogische Leitung unter dem damaligen Landesschulamtsleiter Seiring (SPD).

 

Das Kündigungsschreiben „Mit Empfangsbekenntnis“ vom Landesschulamt Berlin (Oktober 1997) im Wortlaut:

»Sehr geehrter Herr ...,

hiermit erklären wir die außerordentliche Kündigung

Ihres Arbeitsverhältnisses gemäß Anlage 1 Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Nr. 2 des Einigungsvertrages. Ihr Arbeitsverhältnis endet mit Ablauf des Tages, an dem Ihnen dieses Schreiben zugeht.

Für den Fall, dass aus uns nicht erkennbaren Gründen die außerordentliche Kündigung keinen Bestand haben sollte, erklären wir hiermit vorsorglich die ordentliche Kündigung gemäß § 53 BAT mit der sich daraus ergebenden Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres, also zum 30.06.1998. Sollte die Kündigung zu dem genannten Zeitpunkt nicht fristgerecht sein, gilt sie für den nächstmöglichen Zeitpunkt.

Begründung:

Dem Sie betreffenden Einzelbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Gauck-Behörde) - Az.: AU II.4.05 - 056703/95 Z vom 25. März 1996 sind konkrete Hinweise auf eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit - MfS - zu entnehmen.

Vom November 1975 bis zum Zeitpunkt der Auflösung des MfS waren Sie in den Karteien des MfS unter Ihrem früheren Familiennamen Schramm erfasst. Sie wurden als Inoffizieller Mitarbeiter in den Kategorien „Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit“ (IMS), „Inoffizieller Mitarbeiter mit vertraulichen Beziehungen zu im Vorgang bearbeiteter Personen“ (IMV), „Inoffizieller Mitarbeiter mit Feindberührung“ (IMF) und „Inoffizieller Mitarbeiter zur unmittelbaren Bearbeitung in Verdacht der Feindtätigkeit stehender Personen und zur Bearbeitung feindlicher Stellen und Kräfte“ (IMB) mit dem Decknamen „Wolfgang Papke“ geführt. Die Identität des IM „Wolfgang Papke“ mit Ihnen wird durch die Karteikarten F 16 (Klammerkartei) und F 22 (Vorgangskartei) belegt.

Der Personenkreis der Inoffiziellen Mitarbeiter war wichtiger Bestandteil der flächendeckenden internen Bespitzelung, deren sich das MfS bediente und die sich mit Hilfe von im Westteil angeworbener Inoffizieller Mitarbeiter, wie Sie es waren, auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausdehnen konnte. Diese Tätigkeit ist in der Regel durch regelmäßige Geldzahlungen, Prämien und Hilfeleistungen in persönlichen und beruflichen - Belangen honoriert worden. Dies ist auch in Ihrem Fall geschehen. Den Unterlagen ist zu entnehmen, dass Sie allein im Zeitraum November 1975 bis Dezember 1977 3.350 DM als Prämien, Lohnausgleich und Unkostenerstattung erhalten haben sowie Sachgeschenke und Auslagen für eine Potsdam-Fahrt in Höhe von insgesamt 208 M.

Anhand der aufgefundenen acht Bände Arbeits- und Berichtsakten, die jeweils über 300 Seiten umfassten, lässt sich eine außergewöhnliche umfangreiche und intensive Zusammenarbeit mit dem MfS nachvollziehen. Sie berichteten in 214 handschriftlichen Berichten ausführlich und auftragsgemäß über Zusammenkünfte und Aktionen linksorientierter Gruppen und gaben Informationen über Personen aus Ihrem Umfeld weiter. Diese Informationen wurden vom MfS als „operativ wertvoll“ eingeschätzt und in einen „operativen Vorgang übernommen sowie in einem Fall einer „operativen Personenkontrolle“ zugeordnet. Sie entwickelten umfangreiche Aktivitäten, um für das MfS verwertbare Informationen zu beschaffen. Nach einem Streik bei der Reichsbahn kündigten Sie Ihr Arbeitsverhältnis. Sie bemühten sich auftragsgemäß um Zugang zu dem in diesem Zusammenhang gegründeten „Streikkomitee“ und arbeiteten darin mit. Darüber haben Sie dann ausführlich Bericht erstattet.

Die umfangreichen Unterlagen, die trotz der teilweise gelungenen Vernichtung von Akten von der „Gauck-Behörde“ aufgefunden wurden, lassen keinen Zweifel daran, dass sie jahrelang für das MfS tätig waren. Dass dies „nur“ als Inoffizieller und nicht als hauptamtlicher Mitarbeiter geschah, spielt keine Rolle, denn die eingangs zitierte Vorschrift des Einigungsvertrags unterscheidet bereits nach dem Wortlaut nicht zwischen haupt- und nebenamtlicher Mitarbeit für das MfS.

Hieraus folgt, dass die Tätigkeit für das MfS bereits die Unzumutbarkeit in sich birgt und nur in Ausnahmefällen das Gegenteil anzunehmen ist. Dabei kommt es nicht auf die objektiven Tatsachen, sondern auch auf die innere Einstellung des ehemaligen IM an, mit der er seine Spitzeltätigkeit für das MfS geleistet hat. Die anhand der gefundenen Unterlagen belegte aktive durch besondere Eigeninitiative gekennzeichnete Mitarbeit für das MfS indizieren in Ihrem Fall die Unzumutbarkeit i.S. der Vorschrift des Einigungsvertrages.

Die Unzumutbarkeit Ihrer Weiterbeschäftigung ergibt sich überdies aus dem Charakter Ihrer Tätigkeit als pädagogischer Mitarbeiter (Lehrer für Fachpraxis) an einem Oberstufenzentrum. Es ist weder den Kolleginnen und Kollegen noch den Eltern und den Schülerinnen und Schülern zuzumuten, mit einem ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiter des MfS zusammenzuarbeiten. Es fehlt in diesem Fall an dem erforderlichen Vertrauensverhältnis. Auch ein Lehrer für Fachpraxis als Teil der Berliner Schule muss den ihm anvertrauten Schülerinnen und Schülern das Wissen und die Überzeugung einer rechtsstaatlichen Grundordnung vermitteln können. Dass ein ehemaliger Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit diese Aufgaben zu erfüllen imstande und vor allem hierzu vorbehaltlos bereit ist, muss ernsthaft bezweifelt werden.

Nach alledem kommen wir zu dem Ergebnis, dass ein Festhalten am Arbeitsverhältnis für das Land Berlin als Arbeitgeber unzumutbar erscheint und deshalb eine fristlose Kündigung angezeigt ist.

Das Vertrauensverhältnis ist überdies auch aus folgendem Grund noch nachhaltiger gestört: In den beiden Anhörungen vor der Gauck-Kommission des Landesschulamtes am 17.11.1995 und am 03.05.1996 haben Sie die Ihnen von der Kommission gestellten Fragen nach einer Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit nicht beantwortet und damit in keiner Weise zur Klärung des Sachverhalts beigetragen. Sie lehnten jede Stellungnahme ab, haben dann allerdings in der Anhörung 03.05.1996 auch nicht bestritten, dem MfS angehört zu haben. Durch Ihr Verhalten ist das notwendige Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber schwer gestört. Auch von daher ist uns als Arbeitgeber ein Festhalten an dem Arbeitsverhältnis unzumutbar.«

[Bearbeiter/in: Frau {...}]

„Hochachtungsvoll“

(Unterschrift)

Seiring  (damals Leiter des Landesschulamts Berlin)

+++++++++

Reinhold Schramm im Oktober 2015 zu seinem "Decknamen" Wolfgang Papke

Der Antifaschist Willy Papke, geb. um 1910, gehörte in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, zusammen mit seiner Lebenspartnerin, zum antifaschistisch-proletarischen Widerstand. Als junger Familienvater und Kundschafter der KPD wurde er von den deutschen Behörden festgenommen. Willy Papke verbrachte Jahre im Zuchthaus und während des Krieges im Todesbataillon 999. Als Junghandwerker arbeitete ich in den 1970ern mit dem Altgesellen Willy Papke beruflich und politisch zusammen.

Wolfgang ist der Vorname meines verstorbenen Vaters. Wolfgangs Großmutter, Gudella Schramm, geb. Kahn, Tochter aus der Familie von Rabbiner Kahn, überlebte den faschistischen Terror in Frankfurt am Main. In den Jahren nach dem Pogrom von 1938 wurde Gudella von ihrem Lebenspartner, einem sozialistischen Metallhandwerker, versorgt und versteckt vor dem Zugriff der deutschen Behörden. Gudellas Bruder wurde in Theresienstadt vernichtet. Gudellas Tochter, Ella Schramm, meine Großmutter, eine emanzipierte bürgerliche Geschäftsfrau in Bremen und Mutter zweier Kinder, flüchtete zusammen mit ihrer Tochter aus Deutschland in die Schweiz. Ellas Sohn, Wolfgang Schramm, überlebte von 1939 bis 1946 in Südafrika, davon vier Jahre als Jugendlicher im britischen Internierungslager. Das mörderische Auspeitschen von farbigen Menschen durch Hilfskräfte der Lagerleitung gehörte auch zu seiner südafrikanischen Erfahrung. (*)

* Von einer Aufklärung der staatsterroristischen deutschen Verbrechen an meiner (väterlichen) Familie, oder gar einer materiellen Entschädigung nach Kriegsende, ist bis heute nichts bekannt. Auch nichts über den Verbleib des Privat- und Geschäftsvermögens (vor wie nach 1945) meiner zu früh verstorbenen Großmutter Ella Schramm. Auch hier besteht noch im Jahr 2014 Klärungs- und Aufklärungsbedarf seitens der bundesdeutschen Behörden.

Auf nach Westberlin

Die soziale Benachteiligung von Arbeiterkindern und ihren berufstätigen Müttern gehörte auch zu meiner häufigen Alltagserfahrung, sowohl schon als Kleinkind (!) und späterer Schüler. Berufstätige Mütter von „Schlüsselkindern“ hatten nicht selten eine geringere Wertschätzung seitens der Mütter und Hausfrauen, aber durchaus weniger oder sogar nicht von deren Ehemännern.

Einschüchterung, Unterstellungen von „Lernfaulheit“ und die Diskriminierung von Kindern durch männliche und weibliche Lehrkräfte an der Volksschule gehörte zur allgemein noch hoch anerkannten schwarzen Pädagogik. Nur selten gab es hier einen pädagogischen Lichtblick unter den männlichen und weiblichen Lehrkräften. [Eine frühe Ausnahme war eine fürsorgliche Nonne im Werkunterricht für die kleineren Schulkinder.]

Besonderer Diskriminierung und Auslese für die Abschiebung in die Sonderschule (für „Hilfsschüler“ aus Arbeiterfamilien) waren Kinder aus sozialen Brennpunkten, finanzieller Armut und Problemvierteln ausgesetzt (so auch selbst bildungsbegabte Kinder). Hier wurden auch von der schwarzbraunen staatlichen Schulpädagogik (nicht nur) in Frankfurt am Main, auch immer noch die späteren Grundlagen für eine künftige kriminelle Karriere von damaligen Mitschülern [– in den 1950 und 1960er Jahren] gelegt.

Wohlhabende Familien hatten eine private finanzielle Förderung und von daher einen leichteren Zugang zur Realschule bzw. zum Gymnasium für ihre Kinder. Staatliche schulische Förderung für Arbeiterkinder und Kinder aus sozialen Problemfamilien gab es nicht. Allenfalls waren es private Bemühungen von vereinzelten progressiven Lehrkräften. Damals noch eine außergewöhnliche und unter den Arbeiterkindern und ihren Familien hoch angesehene Minderheit von (wahren) Pädagogen.

Als Schüler verdiente man sich sein Taschengeld mit Heimarbeit, Botengängen, Winterdienst und als Zeitungsjunge, dem Austragen von Zeitschriften und Wochenzeitungen an Arbeitsplätzen in Firmen und im Wohngebiet des Frankfurter Gallusviertel und im nahen Westend.

Nach dem Lesen in einer Zeitschrift über die finanzielle Beteiligung des katholischen Vatikans an einem Schweizer Rüstungsunternehmen, entschloss ich mich zum Kirchenaustritt (1965). Diese rechtliche Möglichkeit bestand erst mit dem vierzehnten Lebensjahr.

Im letzten Schuljahr – des damaligen Übergangs von der Volks- zur verkürzten Hauptschule in Frankfurt a. M., wurde von einem der (seltenen) humanistischen Pädagogen vorgeschlagen, wegen meiner (druckbefreiten) Lernergebnisse und aktiven Beteiligung am schulischen Unterricht, eine Fachschule zu besuchen. Da eine erweiterte Schulbildung mit einer zusätzlichen finanziellen Belastung meiner Eltern verbunden war, verzichtete ich aus eigener Entscheidung auf diesen Vorschlag einzugehen, obwohl auch meine Eltern damit einverstanden waren.

Im ersten Ausbildungsjahr meiner Berufsausbildung zum Möbeltischler-Facharbeiter (1967), an einem Wochenende, wurde ich Augenzeuge eines unangekündigten und gewaltsamen Polizeieinsatzes, gegen einen studentischen Sitzstreik, vor der Ein- und Ausfahrt einer Springer-Druckerei auf der Mainzer Landstraße im Gallusviertel. Meine Neugier hatte mich als Beobachter zum Ort des Geschehens geführt. Mit einer großen Brutalität der polizeilichen Ordnungskräfte, bewaffnet mit verlängerten Schlagstöcken und auf Pferden, wurden die ausnahmslos gewaltfreien Beteiligten, aber auch die neugierigen Passanten auf dem Bürgersteig angegriffen, brutal geschlagen und auseinander getrieben. In meiner großen Wut über das geschehene Unrecht, begab ich mich zu einem polizeilichen Mannschaftswagen und schrie meine rückhaltlose Wut gegenüber den gewalttätigen Polizisten heraus.

Während meiner Berufsausbildung zum Möbeltischler-Facharbeiter(2) besuchte ich die Philipp-Holzmann-Berufsschule für das Bau- und Holzgewerbe in Frankfurt am Main. Hier hatte ich meine bisher besten schulischen Bildungsergebnisse. In einer Unterrichtspause beim Hofgang entwickelte ich im Gespräch meine Vorstellungen von einer kombinierten beruflichen und schulischen Bildung, die einen späteren Zugang zur Universität ermöglichen könnte.

Als Auszubildender, im März 1969, trat ich (aus freier und eigener Entscheidung) der DGB-Gewerkschaft Holz- und Kunststoff bei. Mein Vater, als städtischer Müllwerker in der ÖTV organisiert, war ein zuverlässiger Kollege und ein anerkannter (gewerkschaftlicher) Vertrauensmann seiner Arbeitskollegen.

Während meiner Ausbildungszeit von 1966 bis 1969, bei dem damals modernen mittelständischen Familienunternehmen der Möbelindustrie, der Firma Wesner in Frankfurt-Höchst, besuchte ich zunehmend häufiger (in der sog. Freizeit) den Campus der Goethe-Universität und versuchte die sozial- und gesellschaftspolitischen Anliegen und Probleme bei den dortigen Diskussionen und Veranstaltungen besser zu verstehen.

Mit Abschluss meiner Lehre, als Möbeltischler-Facharbeiter wechselte ich meinen Arbeits- und Wohnort nach Wiesbaden-Erbenheim. Erstmals hatte ich meine eigenen vier Wände zur Miete und einen Arbeitsplatz bei der Küchenfirma Krag. Nach erfolgreicher Aufnahmeprüfung an der Werkkunstschule (am Schulberg) in Wiesbaden, besuchte ich [damals noch ohne Abitur, dies war bei vorhandener kreativer Begabung durchaus noch möglich] ein Grundsemester [1970] für das folgende Fachstudium. Während der Erstsemester-Studienzeit beteiligte ich mich an Protesten gegen geistig verknöcherte Lehrkräfte im Kunstbetrieb, gegen den Vietnamkrieg, gegen die griechische Militärdiktatur etc. Nach erfolgreichem Abschluss des ersten Semesters und damit der möglichen Aufnahme zum weiteren Studium der Innenarchitektur/Architektur zog es mich aber in den sogenannten Semesterferien – hier ohne meine Abmeldung an der Kunstschule - nach Westberlin.

In Westberlin bezog ich ein Arbeiterwohnheim in der Goerzallee in Steglitz-Licherfelde. Meinen Arbeitsplatz fand ich bei der Firma „Möbel aus Berlin“ (MAB) [eine in Westberlin von der regierenden Politik geförderte Abschreibungsfirma der Familie Kraft, die u. a. Tankstellen an westdeutschen Autobahnen besaß und  eine Luxus-Villa für 8,5 Millionen DM]. Hier machte ich meine persönlichen Erfahrungen mit dem REFA-Akkordzeitmessverfahren und seinen nahezu grenzwertigen körperlich-psychischen Auswirkungen aus der Arbeitskraftausbeutung. In meinem früheren Ausbildungsbetrieb, bei der Fa. Wesner-Ffm.-Höchst, musste ich wohl öfters intensiv und ohne zusätzliche Bezahlung bei der Akkordarbeit der älteren Kollegen mitarbeiten, aber die neue Belastungserfahrung bei „MAB-Berlin“ war unvergleichlich größer. 

An meiner Belastungsgrenze angekommen, vom hündischen und freigestellten gewerkschaftlichen Betriebsrat war ohnehin nichts zu erwarten (dessen Tätigkeit beschränkte sich vielmehr auf das Verkaufen von subventionierten betrieblichen Essenmarken), kündigte ich mein Arbeits- und Ausbeutungsverhältnis. Es folgten wechselnde Tätigkeiten und Wohnorte in Westberlin. Ebenso, wie die unterschiedliche und aktive Beteiligung an Protestaktionen und Veranstaltungen, u. a. gegen den Krieg der Vereinigten Staaten in Vietnam. In Westberlin wurde ich (zeitweiliges) Mitglied der SPD-Jusos, Steglitz-Lichterfelde (1970-71).

Im Bekannten- und Freundeskreis in Westberlin erfuhr ich vom Standort der (alten) Botschaft Kubas im damaligen Ost-Berliner Stadtbezirk Pankow. Ich verfügte noch über meinen westdeutschen Personalausweis und begab mich, ohne Vorankündigung, über die Einreisemöglichkeit per S/U-Bahn-Friedrichstraße mit der dortigen S-Bahn nach Berlin-Pankow zur Kubanischen Botschaft. Der Zugang zur kubanischen Botschaft war damals frei und ungesichert. Im Vorraum meldete ich mich mit meinem Anliegen an. Nach kurzer Wartezeit im gegenüberliegenden kargen Gästeraum, begrüßte mich ein Botschaftsmitarbeiter, und wir führten ein einvernehmliches Gespräch über mein Anliegen und Interesse an einer beruflichen Arbeit als Tischler in Kuba. Ich übergab ihm meine hierfür notwendigen Unterlagen, wie die Kopien des schulischen und beruflichen Abschlusses. Ein möglicher Zeitpunkt für ein erneutes Treffen blieb dabei unbestimmt.

Im freundschaftlichen Einvernehmen verließ ich die kubanische Botschaft und fuhr mit des S-Bahn zurück und passierte ebenso wie zahlreiche andere Besucher und Touristen ohne eine besondere Kontrolle die Friedrichstraße zum Übergang und zur S/U-Bahn-Überfahrt nach Westberlin. In der weiteren Folge kümmerte ich mich nicht mehr um die Bewerbung für eine mögliche Arbeitserlaubnis auf Kuba.

Über einen Freund erfuhr ich 1971 auch von der Möglichkeit als gelernter Tischler bei der Deutschen Reichsbahn in Westberlin zu arbeiten. Vom Dienststellenleiter am S-Bahnhof Westend erfuhr ich von der Arbeitsmöglichkeit als Tischler für Reparatur-, Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten an Dienstgebäuden der DR in Westberlin, bei der zuständigen Hochbaumeisterei (HBM), nahe am S-Bahnhof Lehrter Str., im Westberliner Stadtbezirk Tiergarten. Hier erfolgte dann auch meine einfache mündliche Bewerbung vor Ort und eine problemlose berufliche Einstellung als Tischlerhandwerker.

Die neuen Kolleginnen und Kollegen der Tischlerei und Glaserei, wie der Verwaltung und Betriebsleitung der Hochbaumeisterei [davon existiert heute am Berliner Hauptbahnhof nichts Sichtbares mehr], und der anderen fachlichen Gewerke, sie waren ausnahmslos umgänglich und hilfsbereit bei meiner Eingewöhnung und Unterrichtung über meine fachlich-beruflichen Aufgaben bei der Deutschen Reichsbahn. – Eine vergleichbare gute Arbeitsatmosphäre wie bei der Deutschen Reichsbahn in Westberlin, trotz aller (auch) später vorhandenen Konflikte und politischen Gegensätze, auch am Arbeitsplatz, hatte ich zuvor nicht kennen gelernt.

Arbeitsplatz Reichsbahn: Eigenständige politische Aufgaben und Gegensätze prallen aufeinander.

Im November 1971 hatte ich bei der Deutschen Reichsbahn (DR) die berufliche Arbeit als Tischler aufgenommen. Meine gewerkschaftliche Mitgliedschaft wechselte ich problemlos vom DGB zum zuständigen Fachbereich des FDGB.

Im Frühjahr 1972 wurde ich Parteimitglied der SEW. Und gehörte damit zur Betriebsgruppe der Hochbaumeisterei (HBM) am Lehrter Bahnhof, Invalidenstraße, nahe Eisenbahn-Museum Hamburger Bahnhof, der Deutschen Reichsbahn in Westberlin.

Zusammen mit einem früheren Mitglied der Kommunistischen Partei, aus Baden Württemberg/Stuttgart, nun auch aktives Mitglied der SEW-Betriebsgruppe bei der Deutschen Reichsbahn (in Westberlin), ein beruflich und politisch versierter Bau- und Betonfacharbeiter, entwickelte ich unsere gemeinsame Vorstellung, die Bahnhöfe der DR in Westberlin für aktiven politisch-ideologischen Agitprop und für die Einwirkung auf S-Bahn-Fahrgäste und Westberlin zu nutzen. — Doch nach der Ablösung von Walter Ulbricht in Ost-Berlin und mit dem Aufkommen der (bürgerlich-idealistisch geprägten) neuen Entspannungspolitik zwischen West und Ost unter Erich Honecker spürten auch wir eine fehlende Bereitschaft in der (übergreifenden) Politik der Politischen Abteilung der DR, wie in der SEW, unsere Vorstellungen von einer ideologisch-marxistischen Linie zu realisieren. Dieser Freund und Kollege wurde von der Kreisparteileitung für ein Jahr zur politischen Schulung nach Moskau delegiert. Unsere gemeinsame politische Aktivität bestand damit nicht mehr.

Im im Oktober 1974  hatte die SEW-Kreis- und Betriebsparteileitung  die Absicht, einen Bauarbeiter der HBM in die Betriebsgewerkschaftsleitung wählen zu lassen - allerdings einen Kollegen, den ich für einen Opportunisten und Karrieristen hielt.  Daher war ich mit dieser Entscheidung der Parteileitung  ich nicht einverstanden.

Auch auf der  Mitgliederversammlung der SEW-Betriebsgruppe rückte ich von meinem Standpunkt nicht ab und war nicht bereit, mich dieser (falschen) Parteidisziplin der einstimmigen Ergebnisse anzuschließen. Daraufhin bezogen mehrere (opportunistische) Parteimitglieder offensiv Stellung gegen meine Person [– vor allem solche Parteimitglieder, auch aus dem Vorgesetzten- und Verwaltungsbereich, die schon immer Probleme damit hatten, sich aktiv in die zeitaufwändige Parteiarbeit einzubringen]. Es war für mich offensichtlich, dass die Aktivitäten dieser Gruppe zuvor mit der SEW-Kreis- und Betriebsparteiorganisation abgestimmt worden waren.

Nachdem der SEW-Kreisvorsitzende mich mit unterschwelligen Verdächtigungen auf der Zusammenkunft der Betriebsparteigruppe attackierte, und damit meine weitere Glaubwürdigkeit demagogisch herabsetzte, hielt ich es für unmöglich, in der SEW zu verbleiben. Noch am selben Tag entschloss ich mich für meinen sofortigen Austritt aus der SEW. Ein späterer Versuch, des Kreisvorsitzenden und des Vorstands der Betriebsparteiorganisation, mich umzustimmen und meinen Austritt aus der SEW zu annullieren, scheiterte an einer erneuten Eskalation der gegensätzlichen Positionen.

In der weiteren beruflichen Tätigkeit als Vorabeiter und vor allem als eigenständiger politischer Aktivist, entwickelte ich unabhängige (politische) Aktivitäten, sowohl im betrieblichen wie außerbetrieblichen Alltag. Von der Betriebsleitung der HBM-DR wurde meine Entlassung verfügt. In Folge wendete ich mich (eigenständig) in Ost-Berlin an eine Anwaltskanzlei (in der Straße: Unter den Linden) zwecks meiner arbeitsrechtlichen Beratung. Auch begab ich mich zum (damaligen) Arbeitsgericht in Ost-Berlin, Littenstraße. — Über eine mögliche Einwirkung der damaligen MfS-Staatssicherheit in meinen Arbeitskonflikt ist mir bis heute nichts bekannt. — Arbeitsrechtlich hatte ich das DDR-Arbeitsrecht auf meiner Seite. Schließlich mussten mich meine (politischen) SEW-Gegner bei der Betriebsparteileitung und Hochbaumeisterei (HBM) in Westberlin wieder einstellen.

Im weiteren innerbetrieblichen Verlauf wurde ich auch zum FDGB-Vertrauensmann meiner Kollegen gewählt. Entgegen der aktiven und feindlichen Destruktionsarbeit – von SEW-Parteimitgliedern, hatte ich die Mehrheit der Kollegen auf meiner Seite.

Dennoch wechselte ich in Folge weiterer politischer und gewerkschaftlicher Arbeitskonflikte bei der Hochbaumeisterei (HBM, am S-Bhf. Lehrter Straße) meinen Arbeitsplatz ins Reichsbahnausbesserungswerk RAW-Tempelhof. Hier machte ich auch eine berufsbegleitende Ausbildung zum Betriebsschlosser-Facharbeiter (Metall-Dreher).

Unabhängig von der SEW setzte ich eigenständig meine politische Aufklärungsarbeit auch außerhalb des beruflichen und betrieblichen Geschehens fort. So organisierte ich in Westberlin politisch Interessierte für wiederholte gemeinsame Besuche und Führungen im Museum für Deutsche Geschichte in Ost-Berlin. Hierfür buchte Gruppenführungen beim pädagogischen Dienst des Museum für Deutsche Geschichte (MfDG) in Ost-Berlin, Unter den Linden und machte unter Bekannten und Freunden in Westberlin politische Werbung für diese Museumsbesuche in Verbindung mit historischer Diskussion und Aussprache vor Ort.

Wie es zur Zusammenarbeit mit dem MfS kam

Jahre vor meiner Zusammenarbeit mit dem MfS beteiligte ich mich gewaltfrei gegen eine polizeilich geschützte Veranstaltung der neofaschistischen „Aktion Widerstand“ in den Kindl- Festsälen an der Hasenheide in Berlin-Neukölln. Die polizeilich geschützte Veranstaltung der Neofaschisten und Rechtsextremisten richtete sich gegen die (vorgebliche) Entspannungspolitik der westdeutschen Bundesregierung, unter Willy Brandt.

Ich setzte mich in meiner Protesthaltung innerhalb der polizeilichen Absperrung auf den Bürgersteig und verschränkte meine Arme auf den Rücken. In Folge ergriffen mich mehrere Polizeibeamte an der Kleidung und an den Haaren und zogen mich über den Bürgersteig. Dabei traten sie mit ihren Stiefeln wahllos auf meinen Körper ein und verprügelten mich von allen Seiten mit ihren Schlagstöcken. Nachdem sie von mir abgelassen hatten, halfen mir Passanten wieder auf die Beine. Im Urbankrankenhaus wurde ich auf mögliche körperliche Folgeschäden ärztlich untersucht.

Als ich danach versuchte, gegen die gewalttätige Polizeieinheit auf einer Polizeiwache Anzeige zu erstatten, wurde mir erneut von den diensthabenden Beamten Schläge angedroht, um mich so von einer Anzeige abzuhalten.  Ein weiterer Versuch meine Anzeige an einer anderen polizeilichen Dienststelle, in Steglitz-Lichterfelde [vor ‘45, ein SS-Stützpunkt] zu stellen, wurde wurde dort auch  abgewiesen.

Eine weitere Episode.

Anfang der 1970er Jahre, auf meinen Einkaufsweg, nahe Bhf. Zoo und Amerika-Haus in der Hardenbergstraße, Berlin-Charlottenburg, traf ich auf einen Theologen, der gegen den Krieg der USA in Vietnam friedlich protestierte. Ich nutzte die zufällige Begegnung zu einem kurzen Gespräch mit ihm. Nachdem wir uns voneinander verabschiedet hatten, setzte ich meinen vorgesehenen Weg fort. Als ich mich nach dem Theologen umdrehte, sah ich, wie mehrere Polizeibeamte sich auf den Wehrlosen stützten, die Protestschilder herunterrissen und ihn in Richtung eines polizeilichen Transporters schleppten.

Ich kehrte um, um dem Theologen zu Hilfe zu eilen. Dabei protestierte ich lautstark gegen diese polizeiliche Gewaltaktion. Daraufhin schnappten auch mich mehrere Polizeibeamte und warfen mich in den Gefangenentransporter, in den sie zuvor den Theologen gewaltsam verfrachtet hatten. Wegen meiner lautstarken Proteste erhielt ich ein Dreivierteljahr später einen Strafbefehl von der Staatsanwaltschaft Moabit-Tiergarten. Die Forderung des Staatsanwalts: eine Geldstrafe von 400 DM zahlen oder für zwanzig Tage Haft.  Mein Widerspruch wurde von der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Zudem musste ich die von den beteiligten Polizisten in der Springer-Presse veröffentlichte Anzeige zu meiner Person und wegen der angeblichen Beamtenbeleidigung bezahlen: ca. 116 DM. Hier hatten mich die beteiligten Polizeibeamten in einer Presseanzeige namentlich veröffentlicht, zzgl. ihrer (ehrenwerten) Namen und polizeilichen Amtstitel.

An einem Sonnabendvormittag im Herbst 1975 befand ich mich zwischen Bhf.-Friedrichstraße und Museum für Deutsche Geschichte auf dem Weg zu meinem Museumsprojekt. Dabei wurde ich von einem mir unbekannten Passanten angesprochen. Er bat mich um ein Gespräch. Da ich jedoch meinen Termin im Museum für Deutsche Geschichte (MfDG) wegen der historischen Gruppenführung hatte, vereinbarten wir ein Treffen unmittelbar nach der Projekt in der Nähe des Museums.

Er wies sich als Mitarbeiter der MfS-Staatssicherheit aus und bat mich um meine Hilfe und Unterstützung bei der Sicherung der umfangreichen technischen Anlagen und Gebäude der Deutschen Reichsbahn in Westberlin und der damit in Verbindung stehenden übergreifenden Probleme. Da ich selbst schon als Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn ein Diebstahlsopfer wurde, und zur Aufklärung mit einen Kriminalisten aus Ost-Berlin an der Aufklärung des internen Kollegen- und Gelddiebstahls zusammengearbeitet hatte, hatte ich keinerlei Probleme damit, zur Abwehr von (gewöhnlichen) kriminellen Handlungen wie auch politisch motivierten kriminellen und antikommunistischen Handlungen mit dem MfS zusammenzuarbeiten. Schließlich lag die Zusammenarbeit mit dem MfS der DDR auch in meinen sozial- und gesellschaftspolitischen Interesse, denn bei der Abwehr von kriminellen und antikommunistisch motivierten Handlungen, von einzelnen Tätern und Gruppen von politisch motivierten Personen, auch zur Verhinderung von gewalttätigen (militärischen) Konflikten und Handlungen gegen die soziale, materielle und politische Existenz der DDR, gab es für mich keinen Widerspruch.

Meine Kundschafteraufträge - einige Beispiele

  • In den über Nacht gesicherten und verschlossenen Arbeits- und Werkräumen, unterhalb der S-Bahnanlagen, nahe am S-Bahnhof Lehrter Straße [ein heute verschwundener Teil des Gebäudekomplexes des Berliner Hauptbahnhof], befanden sich über Nacht in den Umkleideschränken und Spinten der Mitarbeiter Flugschriften. Wie konnten diese Schriften über Nacht in die Schränke kommen?

    Eine Untersuchung über einen möglichen Einbruch blieb erfolglos. Bei meinem Einsatz zur Aufklärung fand ich heraus: einer der an der Aktion beteiligten Personen, ließ sich, in einem Umkleideschrank versteckt, am Abend mit einschließen. Die Nacht nutzte er zum Verteilen der Schrift. Am folgenden Arbeitstag nach Öffnung des betrieblichen Zugangs zu den Arbeits- und Werkräumen befand er sich wieder im Umkleideschrank und konnte von seinem Freund und Mitarbeiter beim (unauffälligen) Ausstieg aus dem Schrank gesichert werden. Danach begab er sich  wie die andere Arbeitskollegen an seinen Arbeitsort außerhalb der Werkstatträume.

    Anmerkung: Die Schrift mit den (berechtigten) sozialpolitischen Forderungen hätte man auch über Freunde außerhalb der Werkstatträumlichkeiten verteilen können. Jedoch war es für die Betriebssicherheit von erheblichem Interesse herauszufinden, wie kamen Unbekannte bzw. unbefugte Personen nach Betriebsschluss, in die DR-Werkräume. Über das Untersuchungsergebnis wurden die örtlichen Vorgesetzten nicht informiert. Die Tätigkeit dieser Aktivisten bei der HBM-Dienststelle der DR war ohnehin nur eine zeitweilige Episode. Einer von ihnen stand zudem auch in familiärer Beziehung zur SEW.

  • Ein damaliges Mitglied der SEW, Michael Koth, [später in der neofaschistischen Querfront-Szene aktiv], entwickelte bereits damals schon rechtslastige politische - vorgeblich ‘marxistische’ - Aktivitäten, auch im Zusammenhang mit der Deutschen Reichsbahn. In seinen, von ihm verteilten Publikationen denunzierte er auch namentlich Mitarbeiter und deren Dienststelle, wenn sie nicht dazu bereit waren, seinen autoritären und politischen Vorstellungen (widerspruchsfrei) zu folgen.

    Anmerkung: Hier ging es über einen längeren Zeitraum um die Abklärung zur Person und dessen persönliches und politisches Umfeld.

  • Auf einer Urlaubs- und Studienreise im Ausland erfuhr ich 1980 vom Streik bei der Deutschen Reichsbahn. Nach meiner Rückkehr [der Streik war bereits beendet] kündigte ich mein Arbeitsverhältnis bei der Deutschen Reichsbahn (in Absprache mit dem MfS) und nahm Kontakt zu den verbliebenen Resten des vormaligen Streikkomitees auf. Ein Treffort waren zunächst die Räumlichkeiten der GEW-Berlin.

    Da ein ehemaliger UGO-Aktivist des Eisenbahnerstreiks von 1949, ein altehrwürdiges und einflussreiches Ehrenmitglied der DGB-Eisenbahnergewerkschaft von West-Berlin, von den Verbliebenen des Streikkomitee einen räumlichen Wechsel forderte, nämlich den Auszug bei der (ungeliebten) GEW-Berlin und Umzug in die DGB-Zentrale in die Keithstraße, in die Räume der für Berlin (West) zuständigen DGB-Eisenbahnergewerkschaft, wurde dieser energischen Aufforderung (brav) Folge geleistet [= zumal sie auch mit finanziellen Mitteln für die vormals Reichsbahn-Streikenden verbunden war].

    Durch meine Kontakte zu den verbliebenen Aktivisten des DR-Streikkomitees bekam ich Einblicke in deren politische Aktivitäten und ihr Umfeld. Dabei stellte ich massive ideologische Einwirkungen auf das Ex-Streikkomitee durch eine Gruppe von trotzkistischen Aktivisten und Aktivistinnen fest, die mitunter auch der SPD angehörten. Dazu gehörte auch Ulrich Thöne, der spätere Bundesvorsitzenden der GEW.  Zu dieser Zeit arbeitete er als Referent beim Gesamtdeutschen Institut, das kontinuierlich mit westlichen Geheimdiensten kooperierte.

    Ich musste feststellen, dass sich die Aktivitäten dieser trotzkistisch ausgerichteten Gruppe, an denen Ulrich Thöne maßgeblich beteiligt war, vornehmlich gegen die Existenz und Politik des (osteuropäischen) Realsozialismus richteten.  Höhepunkte waren zu dieser Zeit z.B. die am 27.9. 1980 in Westberlin durchgeführte Konferenz zur "Verteidigung freier Gewerkschaften in der UdSSR und Osteuropa", an dem das Ex-Streikkommitee teilnahm - oder die Organisierung der Reise eines Sprechers des Streikkomitees als Redner zu einem Kongress von Streikkommitees aus zehn Ländern in Paris am 18.10.1980, wo entsprechende Kontakte geknüpft wurden.

    Außerdem organisierte diese Gruppe entsprechend ihrer politischen Orientierung weitere Veranstaltungen, an denen sich u.a  beteiligten: Dr. Rainer Hildebrandt (Gründer des Mauermuseum am sog. Checkpoint Charlie), Lew Kopelew ("Dissident"), Peter Brandt (ehemaliger Trotzkist, Historiker, Sohn von Willy Brandt), Herbert Ammon (Historiker, 1981 Co-Autor von P.Brandt).

Die Selbstauflösung des MfS-AfNS (ab 17.11.1989: Amt für Nationale Sicherheit/AfNS)

Anfang 1990 wurde mir vom AfNS sinngemäß mitgeteilt: konzentriere dich nur noch auf (gegnerische) faschistische Kräfte. Mit den anderen (vor allem westlichen) politischen Gegnern des (Real-) Sozialismus solle man sich nicht mehr beschäftigen.

Persönlich hatte ich den Eindruck: Teile des früheren MfS hofften bereits auf eine mögliche Übernahme in den gesamtdeutschen [BDI-BDA-Kapitalschutz:] BRD-BND-BfV-MAD-Staatsschutz, d.h. Antikapitalismus und Antiimperialismus hatten sich wohl schon spürbar in den vormaligen DDR-SED-Ministeriums-MfS-Köpfen aufgelöst.

Im März 1990 erfolgte ein abschließendes, d.h. letztes Treffen mit mir beim AfNSAuf meine wiederholte Nachfrage nach dem Verbleib der von mir im Laufe der Jahre beschafften Informationen, dabei ging es nicht zuletzt auch um den Schutz von progressiven Personen und Informanten, wurde zweimal deutlich beteuert: Du musst keine Bedenken haben, alles wurde einem Zugriff dauerhaft entzogen bzw. beseitigt.

Zwanzig Jahre Berufsverbot

Im November 1994 (!!!) besuchte mich ein Lehrer-Mitarbeiter des Oberstufenzentrums für Bau- und Holztechnik am Arbeitsplatz am OSZ-Holztechnik in der Holzwerkstatt in der Rudower Str., in Berlin-Treptow-Altglienicke. Bei seinem Erscheinen ging ich davon aus, dass er sich für meine berufliche Arbeit in der Holzwerkstatt mit Schülern interessiert, dementsprechend informierte ich ihn über unsere Arbeitstätigkeit.  Nach wenigen Minuten, außerhalb des Werkstattgebäudes, kam er zum eigentlichen Grund seiner Anwesenheit zu sprechen. Er fragte mich, ob ich einen Wolfgang Wilke kennen würde. Ich bejahte seine Frage. Er fragte weiterhin, ob ich einen “Willy Papke“ kenne. Ich verneinte [und hatte nicht die Absicht seiner getriebenen Neugier zu dienen].

Im September 1995 erreicht mich am Arbeitsplatz ein Anruf von Frau Petra Piper, OSZ-Schulleiterin in Spandau. Sie vereinbarte für den nächsten Tag eine Zusammenkunft in ihrem Büro im OSZ-Spandau.

Donnerstag, den 21. September 1995

Ort: Oberstufenzentrum (OSZ) für Bau- und Holztechnik, Spandau, Nonnendammalle.
Zeit: ca. 14:00 bis 14:10 Uhr, im Büro der Schulleiterin.
Frau Petra Piper teile sinngemäß mit:

Vor kurzem sei ein Herr Wilke (Wolfgang Wilke) unangemeldet in der Schule, in den dortigen Werkstätten, gewesen. Wilke hatte nach Ihnen (R. S.) und Ihrem Arbeitsplatz gesucht. Er sei in den Werkstätten gewesen, unter anderem in der Tischlerei, bei drei/vier Mitarbeitern. Danach sei er zu ihr ins Büro gekommen.

Herr Wolfgang Wilke habe ihr ein Schreiben der Gauck-Behörde vorgelegt. Aus dem Schreiben ginge ein Deckname und der richtige Name (Reinhold Schramm) hervor. Frau Piper teilte weiterhin mit, dass sie dieses Schreien an die obere Landes-Schulbehörde weitergeleitet habe. Sie fragte mich, ob ich dazu Stellung nehmen möchte, müsste dies aber nicht tun.

Sie habe das Schreiben an Herrn Seiring, Leiter des Landesschulamt Berlin, Storkower Straße, weitergeleitet. Sie meinte: Sie können sich persönlich mit Herrn Seiring in Verbindung setzen. Vom Landesschulamt werden Sie weiteren Bescheid bekommen.

Anmerkung: Das kurze Gespräch verlief ruhig, sachlich und freundlich. [Am gleichen Tag informierte ich meinen Rechtsanwalt.]

Montag, den 13. November 1995

Ort: OSZ-Holzwerkstatt, Treptow-Altglienicke, Rudower Straße.
Zeit: ca. 11:00 Uhr
Ein Anruf vom Landesschulamt, Frau Wiese-Lühr (Schulrat) teilte mit:

Es geht um den (meinen) Decknamen. Sie hätten beim Landesschulamt unter Herrn Weiring eine Kommission von 6 Personen gebildet. Sie fragte, ob es möglich wäre, am kommenden Freitag, 17.11.1995, um 12:15 Uhr, im Landesschulamt, Storkower Straße, in Lichtenberg, im Raum 360, zu erscheinen. Ein Mitglied des Personalrats könnte (auch) dabei sein. Ich stimmte der Zusammenkunft zu.

Freitag, den 17. November 1995
Tag der Suspendierung, Hausverbot und Beginn des Berufsverbots

Ort: Landesschulamt Berlin, Storkower Str. 133, 10407 Berlin
Zeit: 12:00 – 12:30 Uhr.

Zum Ablauf:

Kurz vor 12:00 Uhr, meine Ankunft Raum 360. Ca. 8/9 Personen befanden sich im Raum. Frau Wiese-Lühr bat mich draußen vor der Tür zu warten. Drei/vier Personen (mit Akten) verlassen den Raum.

Nach wenigen Minuten Wartezeit, ca. 12:10 Uhr, bat mich Frau Wiese-Lühr in den Raum.

Frau Wiese-Lühr stellte mir namentlich die Anwesenden vor, zwei Frauen und zwei Männer, und bat mich Platz zu nehmen. Sie stellte mir die Gruppe (sie selbst hatte offensichtlich den Vorsitz) als „Gauck-Kommission des Landesschulamtes“ vor.

Im weiteren Verlauf äußerte ich vier/fünf mal, dass ich keine Aussage machen werde.

Meine Aussageverweigerung offensichtlich ignorierend, versuchten sie mich zu einem Eingeständnis zu bewegen (vergeblich: keine Aussage!).

Unter anderem interpretierten sie meine Verweigerung als Eingeständnis.

Ein Protokoll wurde – trotz meines Hinweises – nicht geführt; eine Rechtsmittelbelehrung gab es nicht; Akten/Beweise wurden nicht vorgelegt.

Nach 6/7 Minuten beendete ich meine (weitere) Teilnahme.

Frau Wiese-Lühr bat mich vor der Tür zu warten.

Nach ca. fünf Minuten Wartezeit bat mich Frau Wiese-Lühr erneut ins Zimmer und Platz zu nehmen.

Meine Suspendierung und Hausverbot wurde ausgesprochen.

Es erfolgt die Ankündigung, dass weitere Erkundigungen zu meiner Person werden über den Behördenweg bei der Gauck-Behörde eingeholt.

Das Papier/Bescheid der Gauck-Behörde an Herrn Wolfgang Wilke wurde mir schließlich vorgelegt. Den Begleit-Text, von Frau Petra Piper (Schulleiterin, OSZ-Spandau), offenbar die Schilderung über die Umstände der (ihrer) Bekanntschaft mit Herrn Wilke und dessen Schilderung ..., bekam ich nicht zu lesen.

Anmerkung: Für mich deutlich spürbar, die Erwartung der Teilnehmer nach einer Aussage.

Die für mich dienstlich Zuständige, aus der „Gauck-Kommission“, äußerte sich dahingehend, dass ich für die Situation verantwortlich sei (allgemeine Zustimmung der „Kommission“), und das es keinen Ersatz für mich an der Schule und am Arbeitsplatz [auch nicht für meine Schüler) geben wird.

Eine Teilnehmerin der „Gauck-Kommission“ äußerte: Sie hätten ja auch Ihren Anwalt mitbringen können.

In der zweiten Runde, nach ca. 5 Minuten, verlies ich um ca. 12:27 Uhr den Sitzungsraum und das Gebäude der Landesschulverwaltung.

Rückkehr zur Schule

Meine Ankunft beim irritierten Schulleiter Dr. Rolf Schöfer: Er hatte kurz zuvor telefonisch von meiner Suspendierung und Hausverbot erfahren. Wir regelten einvernehmlich die Schlüsselübergabe, Arbeitsunterlagen usw.

Schreiben vom Landesschulamt, 04.12.1995,
GeschZ.: VI D, Bearbeitung: Herr Finck.

»Sehr geehrter {...}

Nach uns bisher vorliegenden Erkenntnissen müssen wir davon ausgehen, dass Sie während der Zeit als Beschäftigter bei der Deutschen Reichsbahn in Berlin als inoffizieller Mitarbeiter des MfS tätig waren.

Die “Gauck-Kommission“ beim landesschulamt hatte am 17.11.1995, nachdem Sie sich zur Sache selbst nicht geäußert haben, eine sofortige Suspendierung von Ihrer Arbeit verfügt, die wir hiermit schriftlich wiederholen.

Die Suspendierung dient dem Zweck, das öffentliche Ansehen der Verwaltung vor weiterem Schaden zu bewahren.

Zur Aufklärung des Sachverhalts haben wir beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR eine Eilt-Auskunft beantragt. Sobald uns die Erkenntnisse der “Gauck-Behörde“ vorliegen, werden wir Ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme geben und eine abschließende Entscheidung treffen.

Für die Zeit der Suspendierung wird Ihre Vergütung unverändert weitergezahlt.

Hochachtungsvoll

[– Unterschrift –]

Seiring

Leitender Oberschulrat«

Freitag, den 3. Mai 1996

Einbestellung über LSA-Mitarbeiter, Herrn Finck: Herr Seiring, Leiter des Landesschulamt Berlin, will das Gespräch führen.

Ankunft im Landesschulamt, Zimmer/Raum - Nr. 360, ca. 11:10 Uhr
(Sitzungsdauer ca. 25 Minuten, bis ca. 11:40 Uhr)

Anwesenheit von drei LSA-Mitarbeitern: Herr Seiring (Leitung der Sitzung), zu seiner Rechten eine Mitarbeiterin, die bei der letzten Sitzung im November ‘95, aktiv mündliche Gegenposition bezog; zu Seirings Linken hatte Herr Finck seinen Platz (auch er war an der letzten Sitzung beteiligt). Herr Seiring erklärte das Fehlen von Frau Wiese-Lühr mit deren Urlaub.

Ich nahm am Tischquadrat links, schräg gegenüber von Herrn Seiring meinen Platz ein.

Herr Seiring verwies auf die (umfangreichen) Unterlagen die sie von der Gauck-Behörde erhalten haben. Sinngemäß erklärte Herr Seiring, dass Sie (R. S.) durch ihre Aussage zur Aufarbeitung beitragen sollten/könnten.

Ich erklärte, dass ich zur Sache keine Aussage mache.

Vor sich auf dem Tisch hatte Herr Seiring (u. a.) ein (mehrseitiges) Papier der Gauck-Behörde, dass er als umfangreich und nur als einen Teil der Unterlagen der Gauck-Behörde zu meiner Person bezeichnete.

Ich bat ihn um eine Kopie der (vorliegenden) Unterlage/Akte.

Er entgegnete, dass ich keine Kopie bekommen könnte und das ich bei der Gauck-Behörde Einsicht nehmen könnte – und ob ich dies getan hätte (fragend).

Ich entgegnete, dass ich die Unterlagen nicht kenne und auch keine Einsicht genommen hätte. Bat (wiederholt) um Einsicht in die vorliegende Unterlage/Akte.

Herr Seiring zitierte aus den Unterlagen über Handlungsvorgänge ..., verwies auf Zahlungsvorgänge und Buchveräußerungen, die aus den Unterlagen hervorgingen (u. a. Unkostenerstattung).

Er zitierte interne Einschätzungen (positiv) des MfS zu meiner Person (Vermerke etc.). Er verwies auf den Umfang der Akten (bei der Gauck-Behörde), Aktenordner, je dreihundert Blatt, von mehreren Tausend Seiten ..., und das mehrere Hundert Blatt fehlen würden.

In seiner Darlegung bezeichnete Herr Seiring das MfS als “verbrecherische Organisation“ und setzte es gleich, u. a., mit der faschistischen “SS“.

Dieser Gleichsetzung (eine bewusste Provokation Seirings), von MfS und SS, wurde von mir widersprochen: Ich erklärte, dass ich eine andere Auffassung hierzu hätte. Und das ich die Anwesenden nicht belehren wollte und einen anderen Standpunkt hierzu hätte, – schließlich sei die Teilung Deutschlands und die spätere Existenz der DDR und ihrer staatlichen Organe/Einrichtungen, die Folge des faschistischen Deutschlands (und des zweiten Weltkrieges), ... das eine Gleichsetzung unzulässig und ahistorisch (nicht historisch) sei.

Im Verlauf ... erklärte ich, dass man die Dinge aus ihrer konkreten historischen Situation heraus beurteilen muss. Unter anderem, das die jeweilige Geschichtsschreibung, die der (jeweiligen) Sieger ist; das eine künftige Generation, vielleicht in zwanzig Jahren, die Geschichte, die Ereignisse anders beurteilen wird (als heute 1996).

In Bezug auf Seirings Gleichsetzung – mit dem Faschismus – verwies ich auf meine eigene Familiengeschichte... und das sich dies ausschließt.

Im Verlauf verwies ich auf eine Handlungsmotivation (ohne Bekenntnis zum Vorwurf) für Frieden und Entspannung, gegen die politischen Kräfte des Kalten Krieges (zur Verhinderung eines nuklearen Krieges). Verwies auf die besondere Rolle und Situation Berlins in den siebziger Jahren und insbesondere auf die Stellung der Deutschen Reichsbahn in Westberlin in dieser Zeit, – auch als Ansatzpunkt für Friedens- und Entspannungsgegner.

Ich schilderte eine erfolglose (feindliche) Handlung, die sich gegen die Sicherheit bei der Deutschen Reichsbahn in Westberlin und im Grenzübergangsbereich richtete ..., um die Anwesenden auch auf solche (Menschenleben gefährdenden) Handlungsweisen aufmerksam zu machen...

Seiring kam mit der Akte an meine Seite, legte sie seitlich vor mich auf den Tisch und blätterte und zitierte [rezitierte, und lief dabei auch hin und her] stehend daraus. Mehrere Blätter wurden hierbei von Seiring umgeschlagen ... Es handelte sich dabei um Kopien von handschriftlichen Aufzeichnungen und deren Maschinenabschriften, Bemerkungen/Anmerkungen etc.

Er begab sich anschließend zurück an seinen Platz.

Meine Äußerungen (während des Sitzungsverlaufs zu geschichtlichen Zusammenhängen) bewertete Seiring als subjektive Auffassung, [Seine subjektive und ahistorische Gleichsetzung, von MfS und “SS“, war demnach seine objektive Feststellung.]

Gegen Abschluss der Sitzung wiederholte Herr Seiring seine Eingangsdarlegung: (mein fehlendes Schuldbekenntnis) und Verwies auf den Umfang der Akte und das hierzu die Kündigung erfolgt.

Auf Nachfrage ergänzte Seiring: dass ich innerhalb der nächsten vier Wochen den schriftlichen Bescheid erhalte und das bei Erhalt die Zahlungen eingestellt werden. Er verwies darauf, dass ich wohl mit dem Schreiben zum Arbeitsamt und auch zum Gericht gehen werde.

Seiring bemerkte, dass eine Antwort wohl sehr umfangreich von ihrer Seite aus (LSA) sein würde, die zuständige Sachbearbeiterin jetzt nicht zur Verfügung stehe, sie [LSA+Seiring] würden wohl schon jemanden hierfür finden (– seine Ausführungen hierzu waren wohl auch ein laut vernehmbares Nachdenken, – wohl auch für seine anwesenden Mitarbeiter des LSA bestimmt).

Gegen Abschluss der Sitzung äußerte sich auch (der zuvor zurückhaltende) Herr Fink im (vorgegebenen) Sinne von Herrn Seiring. Die Mitarbeiterin, die dritte Person in deren Runde, hatte sich hier, im Gegensatz zur Sitzung vom November 1995, diesmal, in der Gegenwart von Herrn Seiring, zurückgehalten.

Gegen 11:40 verließ ich das Landesschulamt.

Anschließend informierte ich meinen Anwalt. Bei Erhalt des Kündigungsschreibens wollten wir einen Termin vereinbaren.

Die Dauer meiner Suspendierung zog sich bis einschließlich 30. Juni 1998 hin. Dieser für mich unbestimmte Zeitraum wurde zur sozialen Sicherung meiner beruflichen Existenz und der meiner Familie genutzt.

Schreiben vom Landesschulamt Berlin, vom 11. November 1998

Landesschulamt Berlin, Beuthstr. 6 - 8, 10117 Berlin, Gesch.Z.: LSA VI D 24

»Sehr geehrter {...}

Nach dem uns vorliegenden Vergleich des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. November 1997 endete Ihr Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.06.1998. In dem Vergleich wurde festgelegt, dass das bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Landesschulamtes vom 15. Oktober 1997 aus betrieblichen Gründen fristgemäß zum 30. Juni 1998 sein Ende finden wird. Zum Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes wird Ihnen eine Abfindung in Anlehnung an §§ 9.10 des Kündigungsschutzgesetzes in Höhe von 20.000 DM brutto – netto gezahlt.

Da Ihnen aus zahlungstechnischen Gründen die Bezüge für die Monate Juli bis November noch gezahlt wurden, werden die überzahlten Bezüge mit der Abfindung verrechnet. Ihre Arbeitspapiere werden Ihnen, sobald die Abrechnung durchgeführt ist, zugesandt.

Ihre Verpflichtung, über die Ihnen bei Ihrer Tätigkeit bekanntgewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren, besteht weiterhin. [Hervorhebung, R. S.]

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag

[– Unterschrift –]«

(Bearbeiterin)

Endnoten

1) Lehrer für Fachpraxis sind Handwerksmeister, Berufsausbilder und Lehrgangsleiter (u.a. im Auftrag der Berufsgenossenschaft) beauftragt mit derDurchführung z.B. von Metallbearbeitungslehrgängen, oder Holzbearbeitungs- und Maschinenlehrgängen für Jugendliche und Erwachsene in der Berufsausbildung, aber auch für Lehrkräfte an Berufsschulen.  

2) Meine Lehrausbildung als Möbeltischer-Facharbeiter dauerte vom 1.12.1966 bis 30.11.1969.

Anhang
Die antifaschistischen Wurzeln des Ministeriums für Staatssicherheit der historischen DDR

Eine auszugsweise Zusammenstellung von Reinhold Schramm
aus "
Angriff und Abwehr. Die Deutschen Geheimdienste nach 1945"

Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Das waren die wichtigsten Schlussfolgerungen der überwiegenden Mehrheit der Deutschen unmittelbar nach Beendigung des von Nazideutschland angezettelten Zweiten Weltkriegs, der 60 Millionen Menschen das Leben kostete und weite Teile Europas in Schutt und Asche legte.

Auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 hatten die Alliierten festgelegt: »Der deutsche Militarismus und Nazismus werden ausgerottet und die Alliierten treffen nach gegenseitiger Vereinbarung in der Gegenwart und in der Zukunft auch andere Maßnahmen, die notwendig sind, damit Deutschland niemals mehr seine Nachbarn oder die Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt bedrohen kann«.[1] Und die Potsdamer Konferenz im August 1945 beschloss einmütig die gemeinsamen Aufgaben des Kontrollrates und die der Oberbefehlshaber der beteiligten Besatzungsmächte. So die völlige Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands und die Ausschaltung der gesamten deutschen Industrie, welche für eine Kriegsproduktion benutzt werden kann oder deren Überwachung.[1]

In der von der Sowjetarmee besetzten Zone Deutschlands wurden diese Aufgaben von Anfang an konsequent umgesetzt. Auf der Grundlage der für alle Besatzungszonen einheitlich geltenden Kontrollratsgesetze erfolgte die Festnahme, Verurteilung und Bestrafung von Nazi- und Kriegsverbrechern und die Demilitarisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens.

Ein neues Deutschland sollte entstehen. Antifaschisten, ehemalige Widerstandskämpfer und Emigranten, Verfolgte des Naziregimes, Spanienkämpfer, Mitstreiter an der Seite der Roten Armee und die aus Zuchthäusern und Konzentrationslagern Zurückkehrenden standen hierfür in der ersten Reihe.

In den Westzonen Deutschlands waren die völkerrechtlich verbindlichen Beschlüsse von Jalta und Potsdam vor dem Hintergrund des aufziehenden Kalten Krieges bald vergessen. Churchills berühmt-berüchtigte Rede am 5. März 1946 in Fulton sollte bald zur Generallinie der westlichen Politik werden.

Im Osten Deutschlands wurden die Prinzipien von Jalta und Potsdam unbeirrt weiter verwirklicht. Sie fanden ihren Niederschlag in den Erklärungen der neuen Parteien, in der Volkskongressbewegung, der Bildung der DDR, in den Aktivitäten des neuentstehenden Staats und in der Verfassung der DDR.

Diese Prinzipien bildeten auch die Grundlage für die neuaufzubauenden Sicherheitsorgane der DDR, die in den Nachkriegsjahren im Wesentlichen aus der Volkspolizei und der Verwaltung zum Schutze des Volkseigentums bestanden.

Im Februar 1950 erfolgte schließlich die Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit. Der Innenminister Dr. Carl Steinhoff begründete auf der 10. Sitzung der Provisorischen Volkskammer der DDR den Gesetzentwurf: »Die verbrecherische Tätigkeit dieser Elemente (Spione, Diversanten, Saboteure) richtet sich gegen alle wahrhaften Kämpfer der nationalen Front, denen der Friede und eine glückliche Zukunft unseres deutschen Vaterlandes am Herzen liegt. Die Spionage-, Diversions- und Sabotageakte gefährden aber nicht nur wirtschaftlich und politisch den Aufschwung der Deutschen Demokratischen Republik, sondern sie sind auch geeignet, den Frieden zu gefährden, dadurch, das sie direkt Anlass für neue kriegerische Entwicklungen bieten können. Sie sind deshalb in jedem Sinne gegen unsere demokratische Ordnung, gegen den Wirtschaftsplan, gegen das Bestehen der Deutschen Demokratischen Republik und gegen die Friedenspolitik gerichtet.«[2]

Die folgenden Biographien über die Gründerväter des MfS beruhen auf Dokumentationen, die bis 1989 im Rahmen der Traditionspflege erstellt wurden. Wir sichteten interne und öffentlich verbreitete Publikationen und nutzten uns zugängliche Quellen. Dazu gehörte die Gauck/Birthler-Behörde ausdrücklich nicht. Den »Tätern« ist die Einsicht in die eigenen Personalunterlagen bekanntlich verboten.

Letztlich leistete aber die vom »Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes« 1998 herausgegebene Broschüre »Wer war wer im MfS?« Einige Hilfe, deren Herausgabe allerdings gewiss mit anderen Intentionen erfolgte.

Darin werden 267 Kurzbiographien von Leistungspersonen (bis Chefs der Bezirksverwaltungen und Leiter selbständiger Abteilungen des MfS) von 1950 bis 1989 präsentiert, die auf Personalstammkarten fußten. Die politische Vergangenheit dieser Mitarbeiter, ihr Kampf gegen den Faschismus, Verurteilungen, Haft und Repressalien konnten dabei nicht ausgespart werden. Der Herausgeber Jans Gieseke schreibt darüber abfällig in seinem Vorwort: »Dann und wann rühmten Zeitschriften oder Bücher einige ›Heldentaten‹ langgedienter Sicherheitsfunktionäre aus der Zeit des antifaschistischen Kampfes«. Der unüberhörbar mitschwingende Hohn verrät alles über den Geist des Autors und die Intentionen der Herausgeber.

Doch auch mit derlei Häme lassen sich Fakten so wenig aus der Welt schaffen wie die gravierenden Unterschiede in der Gesinnung der Geheimdienst-Gründergenerationen in Ost und West.

• 83 Mitarbeiter der 267 (= 31 Prozent) waren aktiv am Kampf gegen den deutschen Faschismus beteiligt;

• 20 davon haben in Spanien gegen den spanischen und deutschen Faschismus gekämpft;

• 16 waren im Zweiten Weltkrieg als Partisanen aktiv;

• 10 trugen die Uniform der Roten Armee;

• hohe Freiheitsstrafen wurden gegen 63 (= 76 Prozent) verhängt. Sie waren in Zuchthäusern und Konzentrationslagern inhaftiert. Einmal wurde Todesstrafe, einmal lebenslängliche Strafe, dreimal 15 Jahre verhängt. 13 sassen in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Buchenwald, 15 in weiteren KZ.

Heimgekehrt aus dem Krieg oder aus Zuchthäusern und Konzentrationslagern waren in den ersten Nachkriegsjahren 59 dieser Mitarbeiter in der Volkspolizei bzw. in der Verwaltung zum Schutz des Volkseigentums tätig, bevor sie ihre Tätigkeit im neugegründeten MfS aufnahmen.

Der ehemalige Präsident des Obersten Gerichts der DDR Günter Sarge dazu: »Es wird ein völlig verzerrtes Bild des Geheimdienstes der DDR gekennzeichnet. Deshalb ist es angebracht und legitim, nach den Wurzeln der deutschen Geheimdienste nach dem Zweiten Weltkrieg zu forschen. Die BRD und die DDR wurden auf Befehl der Besatzungsmächte gegründet. Alles andere zu diesem Akt ist pure Augenwischerei. Auch die Geburtsurkunden der deutschen Geheimdienste lagen in Washington oder Moskau. Nur die deutschen Akteure konnten verschiedener nicht sein. Die Organisation Gehlen, der spätere BND, war ein Nazi-Verein mit Leuten schlimmster Verstrickung. Das MfS war eine Truppe der anderen Seite, der Verfolgten, der gestandenen Antifaschisten.«[3]

Und weiter schreibt das Mitglied der GRH e. V. Sarge: »Der östliche deutsche Geheimdienst entstand aus anderen personellen Quellen. Hier hatten SS-Leute wirklich keinen Platz. Es waren vielfach die Opfer der Gegenspieler. Da war Karl Kleinjung, zuletzt Generalleutnant, der als Panzerfahrer die Spanische Republik verteidigt hatte. Von der BRD verfolgt, von Spanien zum Ehrenbürger erklärt. Da war Markus Wolf, zuletzt Generaloberst, Sohn des jüdischen Schriftstellers Friedrich Wolf, Berichterstatter beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess. Da war Hans Fruck, im Krieg Leiter einer Widerstandsgruppe, Haft in Brandenburg-Görden. Da war Gustav Szinda, der für die Spanische Republik als Stabschef der XI. Internationalen Brigade gekämpft hat. So könnte man Namen an Namen reihen und findet immer wieder die gleichen Merkmale: Antifaschist, Kämpfer gegen den Faschismus und gegen den Krieg.

Heute zu behaupten, dass die SS-Verbrecher der Gehlen-Organisation Träger der Demokratie und die MfS-Gründer Träger einer Diktatur waren, ist geradezu grotesk.«

Sicher ist die Zusammenstellung der folgenden Biographien lückenhaft. Die Herausgeber bitten vorab um Nachsicht, wenn der eine oder andere unberücksichtigt blieb oder nur unzureichend dargestellt wurde. Ergänzungen sind auch im Interesse der Geschichtsschreibung jederzeit willkommen. Die lexikalischen Angaben wurden, sofern vorhanden, mit Interviews, Selbstzeugnissen, Zeitungsbeiträgen und anderen Veröffentlichungen Charakters ergänzt. Alle atmen den Geist der Zeit, in welchem sie entstanden, sie wirken Jahrzehnte später mitunter antiquiert und pathetisch. Der heutige Duktus ist anders, der Rhythmus rascher und die Nachrichtendichte höher. Mag alles sein. Doch in ihrer Art sind diese Texte nicht nur als Zeitzeugnisse von geschichtlichem Wert. Sie offenbaren auch einen tiefwurzelnden Idealismus, ein politische Selbstverständnis und eine Sicht auf den Faschismus, der den gravierenden Unterschied zu den »Kollegen von der anderen Feldpostnummer« zeigt. [Siehe Quelle]

Anmerkungen

1) Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 6, Berlin, 1966, S. 367f.
2) Vgl. Protokoll über die 10. Sitzung der Volkskammer der DDR, Februar 1950.
3) Vgl. Dr. Günter Sarge in Rotfuchs, Julie/August 2006.

Quelle: Angriff und Abwehr. Die Deutschen Geheimdienste nach 1945. Klaus Eichner und Gotthold Schramm (Herausgeber) Vgl. Die antifaschistischen Wurzeln des MfS, S. 306-309. Mit Texten von Erich Buchholz, Gabriele Gast, Werner Großmann, Detlef Joseph, Doris Kachulle, Karl Marx, Kurt Pätzold, Rainer Rupp, Wolfgang Schmidt, Wolfgang Schwanitz, Dieter Skiba, Helmut Wagner und Markus Wolf.