Immer diese Widersprüche
Antimuslimischer Rassismus, Antisemitismus und die radikale Linke in Deutschland

Ein Reader der Gruppe "aze (andere zustände ermöglichen)"

11/2015

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onlinezeitung

In der letzten Zeit hat sich Antisemitismus in allen Formen gezeigt: Von Parolen auf Montagsmahnwachen und auf Gaza-Demonstrationen über Naziangriffe auf Friedhöfe und Synagogen und Übergriffe auf Menschen mit Kippa bis hin zu den Attentaten von Paris und Kopenhagen.

Gleichzeitig sehen wir Anschläge auf die Moscheen in Oldenburg, Mölln und Berlin-Kreuzberg, die Pegida-Demonstrationen in ganz Deutschland, das Erstarken der AfD und als Spitze des Eisbergs die Mordserie des NSU, die alle einen tief in der weißen deutschen Gesellschaft verankerten antimuslimischen Rassismus sichtbar machen.

Und wie reagieren weiße linke Gruppen darauf? Leider oft sprachlos und handlungsunfähig. Alte Konfliktlinien zwischen Anti-Deutschen und Anti-Imperialist*innen scheinen noch vorhanden, die Spaltung zwischen Antifa- und Antira-Politik nur zögerlich überwunden. Es bestehen unterschiedliche Schwerpunkte auf der Kritik von Antisemitismus oder (antimuslimischem) Rassismus. Die Auseinandersetzung darüber wirkt nicht selten entsolidarisierend. Beide Herrschaftsverhältnisse werden so aufrecht erhalten und nicht gemeinsam bekämpft.

Beispielhaft hierfür kann die Auseinandersetzung um die Gaza-Demonstrationen 2014 gesehen werden. Hier kam es nicht selten zu offen antisemitischen Slogans. In der Kritik daran wurde in den Medien meist ein homogenes »muslimisches« »nicht-deutsches« Kollektiv geschaffen. Die weiße deutsche Mehrheitsgesellschaft wurde von Antisemitismus frei gesprochen, obwohl die allermeisten antisemitischen Straftaten aus dem Nazi-Milieu kamen. Diesen antimuslimisch-rassistischen Diskurs wollen wir nicht bedienen. Die Frage ist also, wie neben anderen antisemitischen Ereignissen auch antisemitische Äußerungen auf den Gaza- Demonstrationen kritisiert werden können, ohne den hegemonialen antimuslimisch-rassistischen Diskurs zu reproduzieren, der »den Muslim*innen« zuschreibt, antisemitisch zu sein?

Wir wollen im Folgenden zunächst definieren, was wir unter Antisemitismus verstehen und aufzeigen, wie dieser auch in linken und antirassistischen Kontexten wiedergefunden werden kann. Anschließend stellen wir unser Verständnis von antimuslimischem Rassismus dar, um dann zu analysieren, wie eine Kritik an Antisemitismus zu antimuslimischem Rassismus führen kann. Daraufhin wollen wir uns Argumentationen anschauen, die von einem spezifischen muslimischen Antisemitismus ausgehen und unsere Ablehnung des Begriffs begründen. Abschließend fassen wir unsere Schlüsse für eine linksradikale Kritik zusammen. Uns als weiße Linksradikale, die sich selbst weder als jüdisch noch als muslimisch verorten, stellt sich diese Frage, um Möglichkeiten zu finden, wie sich der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus verbinden lässt – gerade für unsere Position, die von keinem der beiden Machtverhältnisse negativ beeinträchtigt ist und sie doch beide abschaffen will.

Die Broschüre als PdF-Datei zum Runterladen.

Quelle: http://aze.blogsport.eu/